Save Our Souls

Save Our Souls Short: Prince aus Guinea

November 15, 2020 Antonia, Nauar, Rafael, Tobi von der Freiwilligengruppe SOS Mediterranee
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Save Our Souls Short: Prince aus Guinea
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[Trigger-Warnung] Hinter jeder Flucht steht ein Mensch mit individuellen Beweggründen, Ursachen und Motivation den langen und gefährlichen Weg anzutreten. SOS MEDITERRANEE hat sich zum Ziel gesetzt die Schicksale der Geretteten zu dokumentieren, um denjenigen eine Stimme zu geben, die anders nicht gehört werden. In diesem Save Our Souls Short trägt Till Rummenhohl das Zeugnis von Prince aus Guinea vor.

Sie sagten mir ich solle fliehen, aber ich weigerte mich. Lieber sterben als woanders  hingehen. Ich spreche jetzt für Prince, 28 Jahre aus Guinea. Ich verließ mein Land im Jahr 2012, ich entschloss mich nach mehreren Regimewechseln dazu. Eigentlich wollte ich nicht weg, ich habe studiert, hatte einen Beruf. Ich war Englischlehrer an Grundschulen, am Gymnasium und an der Uni. Kurzum, ich hatte Arbeit, einen Hochschulabschluss und sogar ein fürstliches Gehalt. Ich hatte überhaupt nicht die Absicht das alles aufzugeben. Aber nach den Wahlen 2010 gab es einen Staatsstreich. Ich war der Meinung, dass es kein Staatsstreich war, sondern ein gezielter Schlag des Staates gegen eine bestimmte ethnische Gruppe, die Fulbe, zu denen ich gehöre. Es gab Proteste und wir organisierten Demonstrationen. Ich hatte Kontakt zu einem Radiosender für den ich Sendungen auf Englisch moderierte und einen Englischgrundkurs gab. Daraufhin wurde ich zu einer Radiosendung eingeladen, in der es um die politische Lage in unserem Land ging. Dafür habe ich teuer bezahlt. Sehen Sie hier, die Narben. Er zeigt mehrere Narben an seinem Kopf und an den Beinen und sagt, dass er an anderen Stellen des Körpers noch mehr hat. Ich sagte im Radio, dass es früher oder später zu einem Bürgerkrieg kommen würde, wenn eine einzelne Ethnie jahrzehntelang politisch das Sagen hat. 

Leider war es so, dass der damalige Präsident, den wir wegen seines Doktortitels für einen gebildeten Mann hielten, alles dafür tat das Volk ethnisch zu spalten. Als Fulbe konnte ich nicht mehr mit Angehörigen der Mandinka zusammenarbeiten. Man lehnte mich in mehreren Schulen  ab, die von den Mandinka geleitet wurden. Ich sagte im Radio, dass wir eine andere Regierung bräuchten, weil es so nicht weiterginge. Es sprudelt nur so heraus aus Prince, wenn er von seinem Land spricht. Nach dem Radiointerview kippte die Stimmung. Der Sender wurde angegriffen, man forderte dessen Schließung als Rebellensender, dann kam die Polizei. Man warf mir vor, das Staatsoberhaupt beleidigt zu haben. Ich antwortete, dass er eine öffentliche Person sei und ich das Recht hätte zu sagen, was ich von ihm halte. Ich hätte ihn nicht beleidigt, sondern einfach nur die Meinungen geäußert, dass er den Präsidententitel nicht verdient habe. Dabei war er ein Mann der Bildung, ein Mann des Rechtes, der an der Universität gelernt hatte, aber die Guineer*innen fühlen sich nicht sicher mit ihm. Es werden so viele Menschen ermordet! Diesen Verbrecher haben uns doch die Europäer*innen vor die Nase gesetzt. Er kennt unser Land gar nicht. Einmal hat er öffentlich gesagt, dass er niemals Präsident geworden wäre, wenn er gewusst hätte was da auf ihn zukomme. Wenn dem so ist, warum tritt er dann nicht einfach zurück? Aus unserer Sicht hat er nur durch Wahlbetrug gewonnen. Frankreich hat uns diesen Präsidenten eingesetzt und wir Guineer*innen fühlen uns fremd im eigenen Land. Nach Guinea einzureisen oder das Land zu verlassen kostet Geld und seine Meinung sagen darf man auch nicht, sonst wird man geschlagen. Zur Zeit haben die Mandinka das Sagen in der Regierung. Nach jedem Regimewechsel werden alle Posten im öffentlichen Dienst mit Leuten aus derselben ethnischen Gruppe, wie die der neuen Machthaber besetzt. Außerdem erkennt man uns Fulbe auf Anhieb. Das stört die anderen. Wir tragen Bärte und unsere typischen Kopfbedeckungen, wir werden auf der Straße angegriffen, weil wir Fulbe sind. Nach der angeblichen Beleidigung des Präsidenten im Radio kam die Polizei. Sie schlugen mich mit Handschellen, auf dem Weg zum Gefängnis konnte ich aus dem Wagen springen und wurde ein Stück mitgeschleift. Ich verletzte mich, konnte aber wegrennen.

In meinem Viertel kennen mich alle und als die Leute mich sahen, sagten sie ich müsse fliehen. Ich habe gesagt: “Nein, ich bin hier geboren und aufgewachsen! Hier will ich auch alt werden und sterben, lieber sterben als woanders hingehen!” Doch dann war eines Abends mein Zimmer verwüstet. Keine Ahnung, ob es die Polizei war oder Nachbar*innen, aber ich begriff, dass mein Leben in Gefahr war. Also ging ich nach Liberia, aber dort war ich auch nicht sicher. Ich überlegte also wohin ich gehen könne und fand heraus, dass es in Libyen einen großen Bedarf an Englischlehrer*innen gab. Da beschloss ich nach Libyen zu gehen. Ich ging nach Libyen, das war nicht leicht. Ich sagte mir, dass ich als Muslim keine Angst haben bräuche, ein Freund von mir hatte einige Zeit in Libyen unterrichtet und mir bereits 2010 geraten, dorthin zu gehen. Also reiste ich voller Zuversicht nach Libyen. Ich kam nach Sabrata und arbeitete dort in einer Koranschule, an der Englischlehrer*innen gesucht wurden. Aber dort riet man mir nach Tripolis zu gehen. 

Von dem Moment an, wo er von seiner Zeit in Libyen spricht, ist Prince’s Leidenschaft wie weggeblasen. Seine Erzählung ist bisweilen ziemlich wirr. Ich kam 2013 aus freien Stücken nach Libyen und dort begann mein Leidensweg. Bis 2015 arbeitete ich als Lehrer, anfangs ging es noch ganz gut, ich war ein angesehener Mann. Ich hatte keinen Kontakt zu meiner Familie in Guinea, um sie nicht zu gefährden. Freund*innen mit denen ich in Verbindung war informierten mich, dass meine Familie unter Beobachtung stand und dass es bei jeder Demonstration Tote gab. 

Ich blieb bis 2015 in Libyen. Eines Tages wurde ich von den Asma Boys gefangen genommen, das ist eine Straßengang. In Libyen herrscht Chaos, die Polizei macht nichts.

In den Städten herrschen bewaffnete Banden, ich hatte gehört, dass sehr viele Schwarze nach Libyen kamen und mir gesagt, dass ich versuchen würde, Guineer ausfindig zu machen, um ihnen ein bisschen zu helfen. In Libyen wurden viele Schwarze ermordet. Man sah die Leichen täglich auf der Straße liegen. Ich dachte ich wäre sicher. Schließlich war ich Lehrer und arbeitete nicht weit von dem Ort wo ich wohnte. 

Alles war gut organisiert, doch dann würde ich entführt. Ich war insgesamt 90 Tage in Gefangenschaft, bei drei verschiedenen Gruppen. Die erste verlangte 1.000 € Lösegeld, sie sagten ich solle in meiner Schule anrufen. Ich erwiderte ich hätte die Telefonnummer nicht und außerdem seien meine Kolleg*innen eben nur Kolleg*innen. Dann sollte ich einen Freund anrufen, sie drohten mir Gewalt an.

Ich wurde nicht gefoltert, aber ich musste bei Vergewaltigungen zusehen. Sie durchsuchen deinen Anus, bei Frauen schauen sie nach, ob sie im Intimbereich Geld versteckt hatten. Man musste sich nackt ausziehen. Ich habe gesehen, wie selbst Kinder diese Prozedur über sich ergehen lassen mussten. Die Entführer*innen sagten zu mir: “Wenn du nicht zahlst, töten wir jemanden!” Ich sagte: “Nein, nein!“ Ich rief einen Freund an und bat ihn um Hilfe. Er hat gezahlt. Ich wurde freigelassen ohne Socken und Schuhe und sofort von einer anderen Gruppe entführt. Ich habe versucht mich genauso zu verhalten wie beim ersten Mal, aber diesmal  wurde ich verprügelt. Sie verschleppten mich nach Sabrata. Das waren Banditen, sie sagen sie würden für Ordnung auf den Straßen sorgen, aber sie sind nur an Geld interessiert. Ich sagte ihnen immer wieder: “Ich bin arm, ich habe kein Geld!” Sie schlugen mich, folterten mich, sie fesseln dich und schlagen dich mit Stöcken gegen die Füße, ich habe Leute in ihrem eigenen Blut liegen sehen. Um nicht auch so zu enden, habe ich schließlich dieselbe Person wie beim ersten Mal angerufen und sie ließen mich frei. 21 Tage lang habe ich gehungert. Ich habe nach Aushilfsjobs gesucht, um mir etwas Essen zu kaufen. Eines Tages lernte ich ein paar Leute kennen, Schwarze, die auf die Überfahrt warteten. Ich sagte: “Lasst das lieber!” und fragte sie: “Wo wollt ihr denn hin?” Sie antworteten: “Nach Europa!” Ich sagte: “Und was wollt ihr in Europa?” 

Später wurde unser Schlaflager angegriffen. Gruppen von bewaffneten Männern schossen auf uns und verschleppten die Mädchen und Jungen, Frauen, wahrscheinlich um sie zu vergewaltigen. Ich musste fliehen, aber nach Tripolis war es viel zu weit also ging ich stattdessen an die Küste. Ich habe mich hingesetzt und abgewartet. Manchmal konnte ich dort ein wenig arbeiten. Eines Tages sagte ich mir: “Bevor ich getötet werde, bevor ich hier zu Tode gefoltert werde, da sterbe ich lieber auf dem Meer!”, denn ich wusste, dass die Überfahrt lebensgefährlich war. Ich hatte viele angeschwemmte Leichen gesehen, aber das war mir immer noch lieber als gefoltert zu werden, also hab ich’s versucht und ich habe großes Glück gehabt,  ihr habt uns gefunden.