Tim Guldimann - Debatte zu Dritt

«Trittbrettfahren oder Partnerschaft ? – Wie verteidigt sich die Schweiz, als neutraler Igel oder in europäischer Kooperation?» - mit Ständerätin Andrea Gmür-Schönenberger und Botschafter aD Daniel Woker

Tim Guldimann

Andrea Gmür-Schönenberger stellt fest, «dass die Sicherheit der Schweiz nicht mehr gewährleistet ist. (..) Da sehe ich ein grosses Problem vor allem beim Gesamtbundesrat, der bis heute die Notwendigkeit nicht sieht, mit einer massiven Aufrüstung endlich aktiv zu werden. (..) Internationale Kooperation ist für mich in jeder Sparte zwingend notwendig.» - Daniel Woker: «Das Bewusstsein ist nicht vorhanden, vor allem bei unserer Regierung. (..) Wir sind nicht Mitglied der EU, wir sind nicht Mitglied der NATO. Damit fehlen unseren sieben Ministern das ständige ‘Give-and-take‘ internationaler Beratungen.» - Gmür: «Ich befürchte wirklich, bei uns in der Schweiz muss eine Bombe einschlagen, bis wir realisieren, dass die Zeit dieser Unbescholtenheit, die Zeit, wo uns gar nichts angehen musste, wo wir in keiner Art und Weise gefährdet waren, dass diese Zeit längst vorbei ist.»

Gmür berichtet aus ihren parlamentarischen Kontakten im NATO-Kontext: «Was die Anerkennung der Neutralität im Ausland anbelangt (..), da haben wir immer wieder die gleiche Antwort gehört: Wir akzeptieren eure Neutralität, wir verstehen sie aber nicht. (..) Was unsere internationale Kooperation anbelangt: Grundsätzlich, was auch vorliegt, so rasch wie möglich: Gemeinsame Übungen unbedingt, gemeinsame Beschaffung, (..) wir loten weitere Möglichkeiten aus, die European Skyshield Initiative.»

Aber eine Annahme der rechtspopulistischen Initiative, die Neutralität restriktiv in der Verfassung festzuschreiben, würde wohl den Ausbau einer Zusammenarbeit mit der NATO stoppen. Gmür war im Ständerat für den Gegenvorschlag, der gleichzeitig zur Abstimmung kommen soll, aber ebenfalls, bei einer Annahme, diesen Ausbau belasten würde. Das war ein innenpolitischer «Kompromiss», sagt Gmür, um eine Spaltung der Gesellschaft zu verhindern, weil sonst angesichts der grossen Zustimmung zur Neutralität die Gegner der Initiative leicht als «Neutralitätsgegner» diffamiert werden könnten.

Während die 32 NATO-Staaten Ende Juni eine massive Aufrüstung auf 5% des BIP (3,5% rein militärisch, 1,5% Infrastruktur) bis 2035 beschlossen haben, will die Schweiz ihre Militärausgaben bis 2032 von 0,7 auf 1% BIP erhöhen (berechnet nach vergleichbaren Kriterien wäre das etwa ein Drittel höher). Setzen wir uns damit einem gefährlichen Konflikt mit dem Ausland aus? Könnte sich die Schweiz für die Sicherheit nicht stärker verschulden? - Gmür: «Das Problem ist einfach, bisher wurde nichts mehrheitsfähig. Ich bin sogar dankbar, wenn der Druck vom Ausland auf unsere Bundespräsidentin steigt, die gleichzeitig Finanzministerin ist. Für mich müsste in der jetzigen Situation ganz klar die Sicherheit und nicht die Finanzen müssten priorisiert werden. (..) Bei uns geht’s immer nur ums Geld.(..) Das macht mir Angst. (..) Ich hoffe, dass es internationaler Druck ist und nicht, dass der Krieg noch weiter eskaliert und der Druck vom Krieg selber kommt.» 

Trotzdem stellte Gmür bei der letzten Sitzung der parlamentarischen Versammlung der NATO fest, dass sich zwar «das Narrativ» zugunsten einer substanziellen Aufrüstung geändert hat, aber einen Druck «auf die Schweiz habe ich keinen gespürt, wir sind nett zugelassen, haben aber auch nichts zu sagen». – Woker: »Das kann sich ein Staat einfach nicht leisten», im Rahmen der bilateralen Beziehungen zur EU «werden wir es hören, und zwar sehr schnell, wenn die (EU-Staaten) mal auf 3,5 oder 5% gehen müssen, kommt das dann sehr schnell (..): So geht’s nicht mehr weiter, liebe Schweizer.»