Tim Guldimann - Debatte zu Dritt

«Entsteht unter den 4 Mio. Menschen mit post-sowjetischem Migrationshintergrund eine Opposition gegen Moskau oder Putins 5. Kolonne oder später einmal ein Brückenkopf für eine neue Verständigung mit Russland?» - mit Ira Peter und Michael Thumann

Tim Guldimann

Gibt es eine gemeinsame Identität post-sowjetischer Migranten ? – Die Russlanddeutsche Ira Peter: «Also ein Wir-Gefühl gibt es nicht, weil diese Menschen so wahnsinnig heterogen sind und so unterschiedliche Geschichten mitgebracht haben. Selbst die 2,5 Millionen Russlanddeutsche sind vollkommen heterogen». – Der Moskau-Korrespondent der ZEIT Michael Thumann: «ich würde auch hinter die Gemeinschaft der Russisch-Sprachigen und der vermeintllich russischen Welt in Deutschland ein grosses Fragezeichen setzen. (..) Wenn wir das mit den Zuwanderern aus der Türkei vergleichen, liegt der Fall halt ganz anders.» 

Gibt es eine Gemeinsamkeit aufgrund der Sprache? – Peter: «Zum Russischen haben ältere Deutsche aus der Sowjetunion keine gute Einstellung. Das ist die Sprache der Unterdrücker gewesen.(..) Die allermeisten sind ja Anfangs der Neunziger gekommen, vor über 30 Jahren. Mein Russisch ist natürlich verkümmert. Ich wollte möglichst unauffällig sein, so wie die Christians und die Melanies in meiner Schulklasse. (..) Russisch ist auch nicht Familiensprache. Familiensprache war bei uns immer das Deutsche.» 

Spüren Russlanddeutsche eine Gemeinsamtkeit mit den Russen, die in den letzten Jahren hierhergekommen sind?» - Peter: «Wenig». - Thumann berichtet von den sehr vielen politischen Emigranten, "der letzten grossen Emigrationswelle. Ich würde von Tausenden, vielleicht auch von einer fünfstelligen Zahl sprechen, die jetzt vor allem in Berlin leben. (..) Berlin entwickelt sich tatsächlich zu einem Zentrum der politischen» Emigranten,  «wobei sie natürlich sehr gerne nach Moskau zurückkehren würden. (..) Das intellektuelle Moskau, das ich in früheren Jahren dort kennengelernt habe, (hat sich) kollektiv in Berlin versammelt,(..) eine politische Opposition in Deutschland gegen das Putin-Regime. (..) Die Opposition, wenn sie mal eine Veranstaltung haben, will (sich) immer sehr gerne in Berlin (treffen), weil sie wissen, dass sie da auch die kritische Masse von politisch Aufgeweckten und Emigranten haben. (..) Wenn man einmal fragt, wo ist denn eigentlich Opposition, dann ist diese in Moskau überhaupt nicht mehr sichtbar. (..) Hörbar und sichtbar ist sie heute in Berlin».

Peter: «Die, die in den neunziger gekommen sind, sind relativ apolitisch. Das trifft vor allem auf die Russlanddeutschen zu. (..) Das ist auch ein sowjetisches Erbe, weil man sich aus der sowjetischen Politik rausgehalten hatte. (..) Ein Teil der Russlanddeutschen, (… entscheidet) sich für die rechtsextreme Partei (AfD). (..) Die Ansprache aus dem Kreml (richtet) sich gezielt auch an postsowjetische Eingewanderte in Deutschland (..) und bedient Kränkungserfahrungen», wie «die nichtanerkannten Bildungsabschlüsse». - Ist das damit ein Rekrutierungsfeld für Putins Fünfte Kolonne? – Peter: «Mit Sicherheit». – Thumann: Moskau «überlegt sich ganz genau, wo für welchen Zweck man Leute einsetzen kann. Das sind die Fälle, die auch in der Bundeswehr aufgedeckt wurden.»

Könnte aus diesem post-sowjetischen Umfeld einmal ein Brückenkopf entstehen für eine mögliche politische Verständigung mit Russland. – Peter: «ich glaube, die Russlanddeutschen sind da raus, sie sind ja nicht mal richtig Brückenbauer zu Kasachstan.» - Thumann: «Es gibt eine Gruppe, die dann ganz sicher in Frage kommt als Brückenbauer, das ist die erwähnte politische Opposition, das sind die Moskauer Intellektuellen, wenn die zurückkehrten. (..) Putin hat das meiste dafür getan, dass die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland verbrannt wurden: (..) Die ganz vielen kleinen Brücken, (..) die Vernetzung der Gesellschaften, die wir mit Russland so weit vorangetrieben hatten, wie mit keinem anderen Land dieser Welt. (..) Das ist eine ganz grosse Tragödie. (..) Da könnte ich mir wiederum vorstellen, dass Russisch-Sprachige in Deutschland da eine Rolle spielen.(..) Das wird ein sehr schwerer Weg. Ich befürchte auch, dieser Reichtum wird sich nicht wieder herstellen lassen.»