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Ep. #9 | Sozialismus und Kommunismus (Gespräch)

February 20, 2022 linke theorie
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Ep. #9 | Sozialismus und Kommunismus (Gespräch)
Show Notes Transcript

In dieser Folge sprechen wir über den Sozialismus und Kommunismus. Wir diskutieren, warum wir uns mit Politik und Wirtschaft beschäftigen sollten, wenn wir eine bessere Welt möchten und ab wann Realismus in Revisionismus umschlägt. Außerdem haben wir Fragen von euch bekommen, die wir diskutieren: Warum es den Kommunismus überhaupt braucht, ob es noch Künstler*innen im Sozialismus geben wird und wer zur Hölle eigentlich Michael Parenti ist.

Das ›Yellow Video‹ von Parenti findet ihr hier.

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Hier findet ihr unsere Transkripte zu den einzelnen Folgen.

Anmerkung: im Podcast unterhalten sich zwei Personen. Diese werden nachfolgend als (L) und (Y) bezeichnet.

 

- Musik wird eingespielt – 

(L) Herzlich willkommen zur neunten Folge von linketheorie, dem Podcast in dem wir über den Kapitalismus reden, was an ihm schlecht ist und heute vor allem, wie wir ihn überwinden können. 

(Y) Ja, wir hoffen, dass ihr uns entschuldigt, dass ihr ´n kleines bisschen auf die neue Folge warten musstet, aber in der aktuellen Pandemie hat auch uns Corona erwischt und deswegen lagen wir ´n bisschen flach und da lässt sich ´n bisschen schlecht ´n Podcast machen. Deswegen hat sich das Ganze noch verzögert, aber heute sind wir wieder fit und bereit zu diskutieren.

(L) Ja und wir machen jetzt wieder eine Gesprächsfolge, sprechen also über ein paar Themen, über ein paar Punkte und Fragen zum Thema Sozialismus und Kommunismus. Inhaltich bezieht sich vieles auf die letzte Folge, also die Theorie-Folge zu Sozialismus und Kommunismus. Wenn ihr die Folge acht also noch nicht gehört habt, dann hört am besten jetzt erst mal rein.

(Y) Nochmal kurz zur Wiederholung: warum machen wir eigentlich so Gesprächs-Folgen immer? Wir haben uns damals gedacht, wir machen das, um das Thema ´n bisschen aufzufrischen, weil die Theorie-Folgen ja relativ dicht sein müssen und in den Gesprächs-Folgen können wir dann hoffentlich ´n bisschen lockerer an das Thema ran gehen und vielleicht auch nochmal eure eigenen Gedanken anregen. Und für heute haben wir beide uns auch nochmal Fragen aufgeschrieben, über die wir beide gerne sprechen wollen, bzw. jeweils eine Frage über die wir gern sprechen wollen. Und dann haben wir am Ende der letzten Folge ja auch noch gefragt, ob ihr vielleicht Fragen habt und da sind dann auch nochmal Fragen an uns gekommen und drei davon werden wir dann heute nochmal besprechen. Und ich würde auch schon direkt mit meiner ersten Frage, die ich mir notiert hab, als ich die Folge nochmal gehört hab anfangen. Und zwar ist eins der schönen Dinge an der linken Bewegung ja eigentlich auch, dass wir finden, dass wir uns um andere Menschen kümmern sollten, dass in ´ner Gesellschaft Solidarität etwas ist, das wir gern hätten und dass wir eine Gesellschaft schaffen wollen, in der es den Menschen einfach besser geht, als es ihnen heute geht. Jetzt haben wir in der letzten Folge aber ziemlich viel über Politik gesprochen, über die wirtschaftliche Basis von ´ner Gesellschaft und wir sind gar nicht so wirklich eingegangen auf die tatsächlich sozialen Themen, oder die Themen, die man eigentlich so als links bezeichnen würde. Und ich würde mit dir Lea, heute ganz gerne nochmal darüber sprechen, warum tun wir uns das eigentlich an? Warum beschäftigen wir uns mit Wirtschaft, Politik und so weiter, wenn es uns doch eigentlich darum geht, einfach ´ne Gesellschaft zu schaffen, in der alle ´n bisschen besser miteinander klar kommen, solidarisch miteinander sind und auf sich achtgeben.

(L) Ja, also du hast ja schon ´n bisschen angedeutet: wir haben so ein paar Grundprinzipien, denen wir folgen und denen Verpflichtet sich natürlich auch der Sozialismus. Das ist ja gerade der Grund, weshalb wir überhaupt einen Sozialismus und dann schließlich auch einen Kommunismus wollen. Aber wenn wir dann eben eine Revolution machen, dann machen wir die in einer kapitalistischen Gesellschaft und dann haben wir vielleicht das System gestürzt, wir sind an die Macht gekommen und haben jetzt aber noch eine Gesellschaft, die irgendwie immer noch kapitalistisch organisiert ist, die immer noch diese alte Gesellschaft ist und die Menschen, die Teil der Gesellschaft sind, sind aufgewachsen in einer kapitalistischen Gesellschaft, geprägt von Konkurrenzdenken und Eigennutz. Und es gibt auch vor allem immer noch Klassen, also gerade die kapitalistische Klasse wird jetzt höchstwahrscheinlich versuchen, die Revolution rückgängig zu machen, weil die Revolution ja ihre Herrschaft angreift und sie auch enteignen möchte und so weiter. Wenn wir jetzt nur auf Liebe und Frieden und so weiter setzen, dann bleiben wir garantiert unseren Idealen treu, aber diese Ideale werden dann auch wahrscheinlich ziemlich schnell niedergemetzelt werden und das wahrscheinlich im wortwörtlichen Sinn. Deswegen müssen wir vor allem erst mal darauf setzen, möglichst schnell neue Gesellschaftsstrukturen zu etablieren, die überhaupt dann erst die Voraussetzung sind für eine gerechte Gesellschaft. Also zuerst einmal stehen alle Zeichen auf dem Aufbau dieser Gesellschaft und auf der Auflösung der alten Klassenstrukturen, also auch der Ungleichheit und so weiter. Das Ziel ist aber natürlich die volle Verwirklichung unserer Ideale und deshalb streben wir auch auf den Kommunismus zu. Aber das ist eben nur die Richtung in die wir gehen und das passiert in der Praxis nicht über Nacht, sondern Schritt für Schritt. 

(Y) Ja, auf den Kommunismus kommen wir auf jeden Fall gleich auch noch zu sprechen, das können wir auf jeden Fall spoilern. Ich fand deinen Punkt extrem wichtig, zu sagen, dass wir mit Liebe und Frieden nicht unbedingt zu dem Punkt kommen, wo wir gerne hinwollen. Und ich würd ganz gern auch nochmal einen Schritt zurückgehen. Wer unseren Podcast zum dialektischen Materialismus gehört hat und zum historischen Materialismus, der hat ja schon davon gehört, dass wir ´ne materialistische Weltsicht vertreten. Für alle, die das nicht gehört haben, nochmal ´ne kurze Einordnung: als dialektische Materialist*innen, bzw. als Materialist*innen gehen wir davon aus, dass das gesellschaftliche Sein das Bewusstsein bestimmt. Das heißt, wenn wir das Bewusstsein der Menschen ändern wollen, also in den Köpfen der Menschen mehr Solidarität haben möchten, mehr Liebe und so weiter, dann müssen wir erst mal das gesellschaftliche Sein der Menschen verändern und müssen die Basis der Gesellschaft, die materielle Basis der Gesellschaft verändern. Und das führt dann eben zu dem erst mal kontraintuitiven Weg, dass wir nicht über die Liebe hinweg zu der Liebe und der Solidarität gehen, sondern dass wir den Umweg nehmen, über die Wirtschaftsweise einer Gesellschaft. Und dann würde ich ganz gern bei dir nochmal kurz anschließen und auf den Punkt eingehen, der Kommunist*innen ja häufiger mal vorgeworfen wird, dass sie eigentlich verquere, gewalttätige Menschen sind, die einfach nur ihre Gewalt ausleben möchten, oder irgendwo falsch abgebogen sind. Aber Kommunist*innen wollen die Revolution und den Sozialismus ja nicht aus Hass oder Gewalttätigkeit, sondern einfach weil Sozialismus und Kommunismus der praktikabelste Weg zu ´ner besseren Welt sind. Und weil die einfache Forderung, dass wir uns alle mehr lieb haben sollten und dass wir doch alle solidarischer miteinander umgehen sollten, die alleine führt noch nicht da hin. Deswegen nehmen wir den Weg dahin über den Sozialismus. Und natürlich sind Utopien wichtig und notwendig und auch wenn einige Marxist*innen wahrscheinlich widersprechen würden, würd ich auch sagen, dass wir sowas wie ´ne Moral brauchen, oder ´ne Ethik um die Menschen zu ´ner besseren Welt hin zu führen. Aber diese utopischen Entwürfe ergeben sich glaube ich erst im konkreten Alltag, wenn wir den Sozialismus umgesetzt haben. Und die Umsetzung davon ist dann ´ne politische Aufgabe. Was der Sozialismus macht, ist die ganzen Barrikaden aus dem Weg räumen, die der Kapitalismus den Utopien in den Weg setzt. Das ist so ´n bisschen wie wenn wir von Berlin nach München fahren wollen und unser Navi sagt uns, dass die Autobahn, über die wir eigentlich fahren würden, gesperrt ist. Wenn wir trotzdem nach München kommen wollen, dann müssen wir ´ne andere Autobahn nehmen. Und der Sozialismus ist die andere Autobahn, weil über die Autobahn des Kapitalismus kommen wir nicht nach München, also kommen wir nicht zu ´ner solidarischeren Welt, ´ner Welt ohne Sexismus, ´ner Welt ohne Rassismus und so weiter, sondern wir müssen den anderen Weg gehen, den über den Sozialismus. Aber das heißt noch nicht, dass dieser Sozialismus oder Kommunismus – und vielleicht widersprichst du mir da auch – aber ich glaube, dass dieser Sozialismus an sich noch nicht das verwirklicht, aber er gibt uns zumindest einen Weg, oder eröffnet uns die Möglichkeit, unsere Utopien und unsere Ideale erst umzusetzen. 

(L) Ich find das Bild ganz gut, das du gerade aufgemacht hast. Also, der Sozialismus als das, was die ganzen Barrikaden erst mal wegräumt, die zwischen uns und unseren Idealen einer gerechten Gesellschaft stehen. Um jetzt mal in diesem Bild zu bleiben: wenn wir jetzt aber die Barrikaden umfahren müssen, also eine andere Autobahn nehmen. An welcher Stelle würdest du sagen, haben wir uns verfahren? Oder wo können wir uns verfahren? Damit meine ich konkret: wo würdest du sagen, kann dieser Realismus, dass wir unsere Ideale nicht sofort verwirklichen können, an welcher Stelle kann der auch dazu führen, dass wir unsere eigenen Ideale verraten? Wo befinden wir uns also nicht mehr auf der Autobahn nach München, sondern sind vom Weg abgekommen, oder fahren vielleicht sogar zurück nach Berlin?

(Y) Ja, wenn ihr noch dran seid: wir sind noch nicht zur Stausendung geworden, sondern sind immer noch dabei, über den Sozialismus zu reden, aber ja, ich glaub das ist so ´ne Frage, die relativ schnell auf ploppt, wenn man sich mit dem Sozialismus beschäftigt. Weil wenn wir mal annehmen, dass wir uns einig sind, dass wir zum Sozialismus, bzw. am Ende zum Kommunismus ganz gern wollen, dann ist immer so ´n bisschen die Gratwanderung zwischen dem, was man ja ganz gern Revisionismus nennt und dem, was z.B. Lenin linken Radikalismus genannt hat. Das heißt, was du ja z.B. ansprichst, dieses sich verfahren und nicht mehr wirklich auf das Ziel zusteuern, das wäre dieses revisionistische. Ich würd das Bild vielleicht auch nochmal ´n bisschen anpassen und würde sagen, vielleicht geht´s auch vor allem um die Geschwindigkeit. In welchem Tempo kommen wir tatsächlich zu unseren Idealen. Also wenn wir revisionistisch sind, entweder verfahren wir uns, oder wir fahren einfach so langsam, dass wir unser Ziel niemals erreichen werden. Und wenn wir radikal sein wollen, dann hauen wir voll auf die Tube, uns ist alles egal und wir versuchen einfach in höchster Geschwindigkeit zu unserem Ziel zu kommen. Das Problem von ´nem Revisionismus ist dann natürlich, dass wir entweder nie ankommen, oder dass wir in ´n paar tausend Jahren erst ankommen, wenn´s dann eh egal ist. Und das Problem von ´nem Radikalismus ist dann, dass wir vielleicht viel zu schnell fahren und Sachen übereilen und so unsere Gesellschaft völlig über den Haufen werfen und dann wiederum auch nicht zum Ziel kommen, weil wir alles zu überhastet irgendwie hingemacht haben. Und ich glaube, da gibt´s auch keine objektive Antwort und das lässt sich nicht theoretisch ableiten, wann man in den Revisionismus reinfällt und wann man in den Radikalismus reinfällt, sondern dass ist eben – wie ich schon gesagt habe – ´ne Gratwanderung in der Realität und die Realität ist eben so komplex, dass man das immer ´n bisschen austarieren muss. Wenn wir z.B. – wir hatten ja über den Lohn im Sozialismus gesprochen, darüber dass die Menschen über so ´ne Art Arbeitskreditkarte vielleicht bezahlt werden könnten – und ´ne radikale Position könnte vielleicht sein, dass wir sobald der Sozialismus da ist, den Lohn komplett abschaffen, wir machen jede Beschränkung vom Zugriff auf den Reichtum weg und die Leute können sich einfach nehmen, was sie wollen und bekommen das was sie brauchen. Ich kann dann auch super Menschen verstehen, die z.B. die Warenform an sich kritisieren. Die kritisieren, dass die Arbeitskraft dann immer noch ´ne Ware ist, oder Leute, die den Staat sofort abschaffen wollen, weil sie misstrauisch sind, was diese Möglichkeit von Autorität in ´ner Gesellschaft eigentlich macht. Aber trotzdem halte ich es nicht für realistisch, den Lohn sofort abzuschaffen, den Staat sofort abzuschaffen. Vielleicht ist mein Realismus da auch ´n bisschen pessimistisch, vielleicht geht der Sozialismus auch schneller, vielleicht sind die Sachen, die wir vorgeschlagen haben, tatsächlich revisionistisch und noch zu nah am Kapitalismus. Aber wie wir ja gesagt haben, oder wie du vorhin schon gesagt hast: wir kommen einfach aus ´ner kapitalistischen Gesellschaft und die Menschen sind immer noch kapitalistisch. Und den Weg, den wir vorgeschlagen haben, das ist der Weg, der tatsächlich mal probiert wurde und jede Kritik daran, dass der Weg revisionistisch ist und dass wir radikaler sein müssen, dass wir unsere Ideale schneller umsetzen müssen, dass wir schneller zum Kommunismus müssen, dass wir den Reichtum schneller komplett vergesellschaften sollen und so weiter, der ist ´ne nette Kritik, aber hat sich in der Realität noch nicht bewährt. Und solange würde ich sagen, ist der Realismus, oder der realistische Weg zum Kommunismus, den wir vorgeschlagen haben, noch kein Verrat der eigenen Ideale, sondern einfach dieses Austarieren zwischen auf der einen Seite zu den Idealen kommen – möglichst schnell – aber auf der anderen Seite auch realistisch an die Gesellschaft zu gehen, die noch kapitalistisch geprägt ist und wo bestimmte Menschen bestimmte Verhaltensmuster sozialisiert bekommen haben. Aber gehen wir mal von Utopie und Idealen ´n bisschen weg und kommen wir zu den Fragen, die wir bekommen haben von Hörer*innen. Und zwar war ´ne erste Frage, die wir bekommen haben die, warum auf den Sozialismus eigentlich der Kommunismus folgen soll, also was sind die Vorteile und ist der Kommunismus nicht eigentlich ´ne reine Utopie?

(L) Ja, also zuerst mal kann man natürlich sagen, der Kommunismus ist schon in gewisser Weise utopisch.  Im Gegensatz zum Sozialismus wurde er noch nie ausprobiert und es gibt auch keine genauen Ausarbeitungen von Marx oder Engels dazu, wie das konkret aussieht. Er ist aber wichtig, weil er das eigentliche Ziel der ganzen Sache ist. Also der Revolution und auch des Sozialismus. Was wir nämlich wollen, ist im Grunde eine herrschaftsfreie und klassenlose Welt, in der alle das bekommen, was sie brauchen, aber auch selber, ohne dass sie dazu gezwungen werden, ihren eigenen Teil zu der Gesellschaft dazu geben. Und dass so eine Gesellschaft nicht auf einen Schlag zu verwirklichen ist, darüber haben wir ja jetzt schon ´n bisschen gesprochen und dass es deswegen einen Sozialismus braucht, aber genau nach dieser Herangehensweise ist der Sozialismus eben eine Übergangsform, zwischen dem Kapitalismus und dem Kommunismus. Und das Ziel dieses Sozialismus ist es, die Klassenstrukturen der Gesellschaft aufzulösen und die Gesellschaft immer ein Stück weit gerechter zu machen, bis irgendwann vielleicht auch der Staat nicht mehr notwendig sein wird und die Gesellschaft sich dann zu einer höheren Stufe des Kommunismus entwickelt. Wir wissen natürlich auch nicht, wie lange das dauern wird, weil – wie gesagt – es ist noch nie dazu gekommen und innerhalb eines Nationalstaates z.B. wird man den Kommunismus auch eher nicht verwirklichen können, weil der Sozialismus sich ja, solange er nationalstaatlich ist, auch noch verteidigen können muss, z.B. vor dem ausländischen Kapital und so weiter. Aber trotzdem ist der Kommunismus als ein Ziel wichtig, weil zum einen lässt er uns unsere Werte und unsere Ideale nicht vergessen und er gibt eine Richtung vor, in die der Sozialismus gehen soll. Nämlich, dass er immer besser und immer gerechter wird und auch weiterhin daran arbeitet, die Klassenstrukturen aufzulösen. Wenn wir dieses Ziel nicht haben und nur auf einen Sozialismus hinarbeiten, dann wollen wir eine Gesellschaft, die sozial gerecht ist, die aber immer noch auf der Basis einer kapitalistischen Gesellschaft besteht. Wir wollen quasi nicht alle Merkmale und jedes Erbe der kapitalistischen Gesellschaft tatsächlich überwinden. Wenn der Sozialismus dann einigermaßen verwirklicht wäre, dann müsste er sich auch nicht weiter entwickeln. Die Arbeitsstrukturen wären dann immer noch teilweise ähnlich wie im Kapitalismus, die Verteilung ist aber besser. Das ist natürlich ein deutlich besseres System, als der Kapitalismus und auch schon eine gerechte Gesellschaft vielleicht, aber sie bleibt an einem gewissen Punkt stehen und führt dann nicht zur völligen Befreiung der Arbeitenden von ihren Zwängen und viele Widersprüche auch, die aus der kapitalistischen Produktionsweise her noch bestehen, würden vielleicht auch nicht aufgelöst werden und dadurch weiter bestehen. Oder wie siehst du das?

(Y) Ja, ich hab da gar nicht so viel hinzuzufügen. Was ich noch ganz gerne anstoßen würde wäre, dass wir vielleicht ´n bisschen die Utopie und dieses idealistische aus dem Kommunismus auch rausnehmen sollten. Wie du ja auch gerade schon gesagt hast, ist ´n Grundprinzip ja im Kommunismus, dass es keine Klassen mehr gibt und dass es eigentlich so viel Reichtum in ´ner Gesellschaft gibt, dass es nicht mehr nötig ist, dass wir nach irgend ´nem Prinzip verteilen. Das heißt, wie Marx so schön gesagt hat: jeder kann nach seinen Bedürfnissen Güter und Dienstleistungen bekommen und kann praktisch „glücklich sein“. Und wenn wir diesen Zustand erreicht haben, brauchen wir eigentlich auch kein Geld mehr. Wir brauchen keine Zahlungsmittel mehr, weil wofür sollte man die benutzen, wenn von allem genug da ist? Dann können die Leute einfach die Güter und Dienstleistungen nehmen, die sie brauchen und müssten dafür kein Geld, oder keine Arbeitszeit, Gutscheine irgendwie einlösen. Was wir aber nicht denken sollten ist, dass im Kommunismus alle Widersprüche plötzlich weg sind. Also es wird immer noch Leute geben, die miteinander streiten, einfach weil Menschen nicht immer der gleichen Meinung sind und weil die Leben von Menschen sich manchmal so miteinander zusammenwirren, dass vielleicht irgendwelche Konflikte entstehen und die Menschen diese Konflikte dann austragen müssen. Also es wird nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen sein im Kommunismus. Und das ist jetzt ´ne Sache, über die man streiten kann – du bist ja auch gerade schon ´n bisschen darauf eingegangen – möglicherweise braucht es auch noch ´ne Institution, die die Gesellschaft irgendwie verwaltet, also die verwaltende Aufgaben übernimmt, was heute der Staat übernimmt. Und vielleicht gibt´s auch immer noch Hierarchien, vielleicht gibt´s immer noch gewisse Gefälle zwischen Menschen, einfach weil manchmal Gruppen in ´ne bestimmte Richtung geleitet werden müssen, oder weil´s in der Arbeit irgendwie notwendig ist. Die Sache ist aber – wie du gerade gesagt hast – letztendlich ist das alles Utopie, aber was sicher ist, ist dass die Gesellschaft sich immer weiter entwickelt und dass sich auch der Sozialismus sich weiter entwickeln wird. Der Sozialismus zielt ja darauf ab, die Produktivkräfte weiter zu steigern, sodass wir das was wir brauchen und das, was wir gerne hätten schneller hervorbringen können und uns dadurch mehr Freizeit holen können. Das heißt, letztendlich ist der Kommunismus auch das logische Ziel, auf das wir hinzusteuern.

(L) Wir hatten noch ´ne weiter Frage geschickt bekommen. Wir gehen jetzt wieder ´n bisschen Stärker zum Sozialismus und zu seiner konkreten Umgestaltung zurück. Wir wurden nämlich danach gefragt, wie das eigentlich mit gesellschaftlich nicht notwendigen Arbeiten ist, wie z.B. mit Kunst und Kultur und so weiter. 

(Y) Ja, darauf gibt´s ´ne kurze Antwort: das darf die Gesellschaft selbst entscheiden. Aber natürlich gibt´s auch noch ´ne bisschen längere Antwort, auf die ich vielleicht noch kurz eingehe. Wir hatten ja so ´n bisschen das Prinzip von ´ner direkten Demokratie z.B. dargestellt, wo Leute praktisch selber entscheiden können, wie viele Mittel der Gesellschaft in welche Bereiche fließen. Und die Frage, wie viel wir für Menschen ausgeben, die Kunst machen, die also nicht direkt was für die Gesellschaft produzieren, was konsumiert werden kann, sondern die auf ´ner anderen Ebene für die Gesellschaft was tun, die aber trotzdem von der Arbeit von anderen Menschen leben müssen. Wie viel wir in ´ner sozialistischen Gesellschaft dafür ausgeben möchten, dass Menschen sich das leisten können, sich aus der direkten produktiven Arbeit rauszuziehen und stattdessen ´n wertvolles Buch zu schreiben, oder auch ´nen Schundroman, oder ´nen guten Hit zu schreiben, oder ´nen schlechten Hit, das sollte im Idealfall in ´ner sozialistischen Gesellschaft von den Menschen als Gesellschaft entschieden werden und regelmäßig neu abgestimmt werden. Oder wie siehst du das, Lea? Würdest du sagen, alle Künstler*innen gehören ins Gefängnis und werden nicht mehr finanziert, oder lassen wir denen auch noch was übrig?

(L) Ja, ich finde du hast es schon auf den Punkt gebracht. Also, im besten Fall sollte im Sozialismus eigentlich alles was geht, demokratisch entschieden werden. Das was also nicht direkt zum Erhalt der Gesellschaft nötig ist, muss aus dem Mehrprodukt der produktiv arbeitenden Bevölkerung bezahlt werden und deswegen ist es nur logisch, dass die auch entscheidet, was mit diesem Mehrprodukt passiert. Und z.B. Kultur, Kunst, Freizeitangebote und auch viele Teile der Wissenschaft sind ja Dinge, die sich eine Gesellschaft eben leisten kann, wenn sie das möchte und die den Menschen ja selber auch was zurüc geben in der Gesellschaft. Im Gegenzug aber, wenn z.B. Kunst von der Gesellschaft finanziert wird, sollte sie dann auch frei zugänglich sein, genauso wie Freizeitangebote und so weiter. Und wie man genau abstimmt, was jetzt an Kunst finanziert wird, oder ob man eher so ´n System macht wie ähnlich die Wissenschaften, in denen es ´ne von Art Anstellung von Künstler*innen gibt und das dann wieder in die Gesellschaft getragen wird und an neue Künstler*innen in Ausbildung und so weiter. Oder ob man irgendwie ´n System macht von – ja – wie du meintest, mit Hits produzieren, dass man irgendwie schaut: wie ist die Resonanz mit der Bevölkerung? Was wird gewollt und so weiter? Ich glaube, das sind riesige Fragen, die man dann aushandeln muss und so weiter, aber der Sozialismus exekutiert natürlich nicht direkt Künstler*innen. Das sind ja alles auch Bereiche, die ja auch wichtig für ´ne Gesellschaft sind, oder zumindest sein können und deswegen auch ihren Platz haben.

(Y) Ja und damit sind wir auch schon bei der letzten Frage und da müssen wir glaube ich ein bisschen selbstkritisch werden. Wir Linken haben ja häufiger mal die Tendenz dazu, ´n bisschen elitär zu werden, oder Insider rein zu nehmen, die für Leute die neu in der Szene sind, nicht ganz verständlich sind und auch das haben wir letzte Folge gemacht. Das haben wir uns aber mal raus genommen. Und zwar haben wir am Ende der letzten Folge Michael Parenti gegrüßt und haben ihm ´ne Kamera ohne Gelbstich gewünscht und ein funktionierendes Mikrofon. Wer Michael Parenti nicht kennt: das ist ein exzellenter Redner und Autor, der sich für ein realistischeres Bild vom Sozialismus eingesetzt hat und der klar antiimperialistische Positionen vertritt und von Michael Parenti gibt es ein Video, ein sehr berühmtes Video, das mit ´nem gewissen Gelbstich im Internet kursiert – ich glaub es ist aus den 80er oder 90er Jahren – und Michael Parenti hat auch regelmäßig in seinen Vorträgen Probleme mit seinen Mikrofonen und kämpft ein bisschen mit den Mikrofonen und genau darauf haben wir uns bezogen. Und an der Stelle, wo wir eh nochmal darauf eingehen, wollen wir euch allen empfehlen, einmal bei Michael Parenti reinzuhören. Ihr findet das Video glaube ich auch, wenn ihr bei Youtube einfach schaut: „Michael Parenti yellow video“, also gelbes Video und dann könnt ihr euch das alle mal anschauen.

(L) Unsere Grüße am Ende der Podcasts sind aber natürlich nicht relevant zum Verständnis von irgendeinem Inhalt, das ist eher ein Spaß. Aber ich denke, das habt ihr auch alle ganz gut verstanden. Aber wo wir schon beim Gruß am Ende sind, sind wir auch am Ende der Folge angekommen. Ich weiß, es war super her geholt. Aber hoffentlich habt ihr jetzt eine bessere Vorstellung davon, wie eine nicht kapitalistische Gesellschaft organisiert werden könnte und mit der jetzigen Gesprächsfolge auch noch so ´n paar Feinheiten geklärt bekommen. Wir arbeiten gerade sowohl an einer Themenreihe zu den Menschenrechten und auch an einem Podcast zum Thema Feminismus, den wir irgendwann um die Zeit des feministischen Kampftags veröffentlichen und wir freuen uns, wenn ihr dann auch wieder zuhört. 

(Y) Übrigens auch ´n kleiner Hinweis: wir haben jetzt nämlich Kapitel-Marken eingebaut. Zumindest bei den letzten Folgen und bei den kommenden Folgen werden wir es auch tun. Wer uns also über eine Podcast-App hört, sieht unseren Podcast jetzt in Kapiteln unterteilt. Also wenn ihr euch mit längeren Podcasts ´n bisschen schwer tut, oder die ganz gerne gestückelt hört, dann kann euch das bestimmt helfen, um den Faden nicht zu verlieren. Wir würden euch natürlich empfehlen, keine Kapitel zu überspringen, die sind nämlich alle extrem Wertvoll.

(L) Und am Schluss noch ein Hinweis und zwar, dass ihr uns über unsere Mail in den Shownotes, oder über unseren Instagram-Account erreichen könnt, wenn ihr Fragen oder Anmerkungen habt. In den Shownotes sind auch die Transkripte zu den Folgen verlinkt, die Mary immer für uns schreibt. Wenn ihr uns unterstützen wollt, dann folgt uns auf eurer Lieblings-Podcast-App, gebt uns dort fünf Sterne, wenn´s geht und folgt uns auf Instagram, empfehlt uns weiter, oder schickt uns eine kleine Spende über ko-fi. Dankeschön!

(Y) Wir grüßen heute Boris Jelzin und hoffen wirklich von ganzem Herzen, dass du in der Hölle schmorst.

- Musik wird abgespielt -