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Ep. #12 | Kritik der Menschenrechte (Theorie)

April 14, 2022 linke theorie
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Ep. #12 | Kritik der Menschenrechte (Theorie)
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Es gibt heute wenig Diskussionen über Weltpolitik und schon gar keinen militärischen Eingriff, die nichts mit dem Argument der Menschenrechte zu tun haben. Deshalb ist ein bewusster Umgang mit diesem Begriff für uns wichtig!

Wir besprechen die Entstehungsgeschichte der Menschenrechte, die marxistische Kritik daran, den Stand heute und wie sie für imperialistische Kriege genutzt werden.

Wir erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Wenn euch etwas fehlt, ihr Kritik, Anregungen oder auch Lob loswerden wollt, schreibt uns gerne unter linketheorie@proton.me.

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Hier findet ihr unsere Transkripte zu den einzelnen Folgen.

Weiterlesen:
Colin (2020): The Colonialism of Human Rights: Ongoing Hypocrisies of Western liberalism. Cambridge: Polity Press.
Engels (1975): Herrn Eugen Dühring's Umwälzung der Wissenschaft (Anti-Dühring). MEW 20 (S. 1-303). Berlin: Dietz.
Fanon (1961): Die Verdammten dieser Erde. Suhrkamp.
Losurdo (2016): Der Klassenkampf oder die Wiederkehr des Verdrängten? Eine politische und philosophische Geschichte. Köln: PapyRossa.
Marx (1981): Zur Judenfrage. MEW  1 (S. 341-377). Berlin: Dietz.
Paech (2019): Menschenrechte. Geschichte und Gegenwart – Anspruch und Realität. Köln: PapyRossa.
Piketty (2019): Capital and Ideology. Kapitel 6: Slave Societies. Harvard University Press.
Schleifstein (2021): Einführung in das Studium von Marx, Engels und Lenin. Essen: Neue Impulse Verlag.
Spivak (2008): Righting Wrongs – Unrecht richten. Zürich: diaphanes.
UN ECOSOC (2018): Concluding observations on the 6th periodic report of Germany : Committee on Economic, Social and Cultural Rights. E/C.12/DEU/CO/6. Link: https://digitallibrary.un.org/record/1653881#record-files-collapse-header 
Vogt (2021): Der Menschenrechtsimperialismus. Rechtfertigung für Völkerrechtsbruch und Alibi für Kriegshandlungen. UZ.

Anmerkung: im Podcast unterhalten sich zwei Personen. Diese werden nachfolgend als (L) und (Y) bezeichnet.

 

- Musik wird eingespielt – 

(L) Herzlich Willkommen zur neuen Folge von linketheorie, dem Podcast, in dem wir über den Kapitalismus reden, was an ihm schlecht ist und wie wir ihn überwinden können. Ich bin Lea und heute gibt es mal eine kleine Verschnaufpause in der Kapitalismuskritik. Und zwar reden wir heute über ein Thema, das in westlichen Ländern gerne mal aufkommt, oder bei dem man sich dann wieder wunderbar über nicht-westliche Länder aufregen kann. Wir sprechen nämlich über die Menschenrechte. Wir reden davon, was sie sind, wie es um sie steht, was die marxistische Kritik daran ist und wie sie zur Rechtfertigung von neokolonialen Interventionen genutzt werden.

(Y) Hallo auch von meiner Seite. Ich bin Yannic und du hast es ja gerade schon gesagt, dass wir uns heute nicht damit beschäftigen werden, die Menschenrechte einfach so abzufeiern. Wir werden eher einen großen Teil der Zeit heute darüber reden, dass es ein Problem ist, wenn Menschenrechte von Staaten für Propaganda missbraucht werden, die sich selbst gar nicht daran halten. Und wenn wir unseren Job heute gut machen, dann geht ihr am Ende raus und habt vielleicht einen bewussteren Umgang mit dem ziemlich abstrakten Begriff. 

(L) Übrigens wird der Podcast heute parallel auch noch mit einer Themenreihe auf Instagram verbunden. Das heißt jetzt aber nicht, dass ihr diesen Podcast nur verstehen könnt, wenn ihr die Posts auf Instagram lest, oder umgekehrt. Diese Folge steht ganz allein für sich, aber wer nach der Folge noch ein bisschen mehr über das Thema lesen will, vielleicht was mit Freunden teilen möchte, kann auch auf unseren Instagram-Account schauen. Manches überschneidet sich auch, vieles ist dann aber auch anders und in so einem Podcast hat man ja auch viel mehr Platz, deswegen können wir auch ein bisschen genauer darauf eingehen, mit Beispielen und so weiter.

(Y) Das reicht jetzt aber erstmal an Werbung für uns. Wir steigen am besten einfach direkt in das Thema ein und dafür bietet sich eine naheliegende Frage an: was eigentlich Menschenrechte genau sind und woher sie kommen? Und weil du die Expertin für das Thema bist, kannst du uns bestimmt einen guten Einstieg bringen, oder?

(L) Zuerst kann man mal ganz allgemein sagen, dass die Menschen abstrakt Rechte sind, die ohne Unterschied jedem einzelnen Menschen zukommen sollen, einfach dadurch, dass die Person ein Mensch ist.

(Y) Ich finde, das klingt nach einem super Konzept, da brauch ich ja gar nichts mehr machen. Damit wäre ja alles gesagt, oder? Ne, wir haben ja natürlich noch mehr zu sagen, also müssen wir noch ein bisschen tiefer gehen, fürchte ich, oder?

(L) Richtig, das wäre eine sehr kurze Folge, wenn damit alles gesagt wäre. Wenn Menschen im politischen Sinn von Menschenrechten reden, dann meinen sie damit entweder ein bestimmtes völkerrechtliches Regelwerk, also zum Beispiel die allgemeine Erklärung der Menschenrechte – kommen wir auch noch gleich dazu – oder sie meinen das, worauf sich der sogenannte Westen immer bezieht, wenn er sich als Hüter der Menschenrechte bezeichnet. 

(Y) Okay, also Menschenrechte sind nicht einfach nur irgendeine Idee, oder ein Ideal, was da frei rumschwebt, sondern man kann sagen, sie sind irgendwie ein reales Ding im politischen Raum und darauf beziehen wir uns dann heute, oder?

(L) Ja, ganz genau. 

(Y) Okay, dann schauen wir uns die Menschenrechte mal in der Realität an, am besten. Was gibt es denn so zu sagen zur – sagen wir mal – westlichen Geschichte der Menschenrechte?

(L) Naja, wenn man sich die Entstehung von diesen Menschenrechten anschaut, dann sieht man ziemlich schnell, dass die Geschichte von dem, was wir heute Menschenrechte nennen, ziemlich eurozentrisch ist. Das heißt, sie hat vor allem in Europa stattgefunden. An der Stelle vielleicht nochmal eine kurze Anmerkung: Menschenrechte sind ja ein ziemlich universalistisches Prinzip, also das sind einfach Rechte, die jedem Menschen zukommen sollen. Das ist sehr universalistisch und man kann sich natürlich vorstellen, dass Menschen auch außerhalb Europas und auch schon bevor es Schrift gab und so weiter, so etwas wie Rechte für Menschen, oder Naturrechte vorgestellt haben. Dieser Podcast bezieht sich aber auf die Traditionen, auf die zum Beispiel die Menschenrechtserklärungen zurück gehen und das ist vor allem eine europäische Geschichte.

(Y) Jetzt sind natürlich nicht alle Sachen, die aus Europa kommen unbedingt schlecht. Was ist also das Problem damit?

(L) Ja, natürlich ist nicht alles aus Europa schlecht, aber der interessante Punkt ist, dass Europa auch genau die Region der Erde ist, die den Rest der Welt jahrhundertelang kolonialisiert hat und auch heute noch durch ungleiche Tauschbedingungen von der Armut anderer Länder profitiert. Wenn man an die Menschenrechte denkt, dann denkt man an einen moralischen Fortschritt, einen Meilenstein in der Menschheitsgeschichte, aber wenn man ihre Geschichte anschaut, oder das was als ihr Ursprung bezeichnet wird, dann sieht man, dass genau das nicht unbedingt mit der Befreiung von Menschen einhergegangen ist. 

(Y) Ja, das kann man ziemlich weit in die Vergangenheit auch zurückverfolgen. Die Vordenker von Menschen- und Naturrechten können wir ja schon in der Antike finden. Und da waren das dann vor allem die reichen weißen Männer und deren Vorstellung von Rechten für Menschen haben Frauen und versklavte Menschen ausgeschlossen. Einer der berühmtesten Philosophen der Zeit – Aristoteles – was sogar der Meinung, dass Sklaverei natürlich ist und dass die Menschen, denen er Menschenrechte zugesprochen hatte, eine Art Recht auf das Besitzen von versklavten Menschen hätten.

(L) Später geht es dann weiter. Das Christentum ist ja in den letzten Jahrtausenden ziemlich dominant geworden und schmückt sich ganz gerne mit den sogenannten „christlichen Werten“. Aber geschichtlich betrachtet haben auch diese christlichen Werte nichts zur Befreiung der Menschen gebracht. Die Kirche hat zum Beispiel den Kolonialismus ganz zentral gestützt und hat durch die Missionierung, also die Ausbreitung christlicher Werte, die Unterwerfung von anderen Völker gerechtfertigt. 

(Y) Jetzt werden die Menschenrechte ja häufig mit den Revolutionen in Nordamerika und in Frankreich verbunden. Kannst du vielleicht dazu kurz ein bisschen was sagen, damit wir das einordnen können?

(L) Zwei ganz zentrale Dokumente in den vereinigten Staaten von Nordamerika sind dabei die Unabhängigkeitserklärung und die Grundrechte von Virginia. Die sind beide im Jahr 1776 entstanden und sie fordern die Freiheit und Gleichheit von allen Menschen, den Schutz von Leben und Eigentum, den Schutz vor staatlicher Willkür und in ihnen finden wir auch ein Widerstandsrecht gegen eine zerstörerische Regierung. Wenn man sich die Realität in den USA zu dieser Zeit anschaut, dann sind die Dokumente aber ziemlich zynisch, weil zur gleichen Zeit war die Sklaverei in den USA nämlich noch in allerbester Ordnung und diese Erklärungen haben rein gar nichts daran geändert. Und das wollten sie auch gar nicht.

(Y) Ja, das Verrückte ist, finde ich, dass es sogar unter den Menschen, die ganz zentral an der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten mitgearbeitet haben, Menschen waren, die selbst Schwarze als versklavte Menschen gehalten haben. Zum Beispiel Thomas Jefferson und James Madison.

(L) Ja und das ist einfach ein Prinzip, dass sich auch seit der Antike durchzieht. Frauen waren mit den Rechten, die man Menschen mit den Erklärungen zugestanden hat, auch nicht gemeint.

(Y) Okay, gehen wir mal von Nordamerika rüber zur französischen Revolution. Die ist ja 1789 passiert, also 13 Jahre nach der Unabhängigkeitserklärung der vereinigten Staaten und dabei wurde dann eine Menschen- und Bürgerrechtserklärung geschrieben, die auch allen Menschen sogenannte „unveräußerliche Rechte“ zugesteht.

(L) Das war dann übrigens auch die erste Erklärung, die sich selber Menschenrechtserklärung genannt hat, aber wie schon in den USA, wurden damit nicht allen Menschen die gleichen Rechte zugeschrieben. Zum Beispiel waren Frauen wieder von vielem ausgenommen und wählen durften auch nur Männer, die genug Geld hatten. 

(Y) Wir können sogar noch eine andere Parallele zu den USA ziehen. Es war nämlich bei der französischen Menschenrechtserklärung auch so, dass versklavte Menschen gar nicht mitgemeint wurden. Dass man die französischen Kolonien befreit, war also nicht in den Köpfen der Bürger*innen. Damit hängt auch zusammen, dass die Menschen- und Bürgerrechtserklärung eher dafür genutzt wurde, damit Frankreich den eigenen Grad der „Zivilisiertheit“ zeigen kann. Und genau diese angebliche Zivilisiertheit war dann wieder eine Rechtfertigung dafür, dass man sie in die Kolonien bringt und dass man mit allen vorstellbaren Grausamkeiten andere Völker unterwirft. 

(L) Anstatt dass den kolonisierten Völkern die Menschenrechte zugestanden wurden, wurde ihnen nach dieser Logik das Recht „zivilisiert“ oder „modernisiert“ zu werden, zugestanden.

(Y) Ja, am Anfang haben wir euch ja gesagt, wir würden euch mit dem Kapitalismus heute in Ruhe lassen, aber jetzt schon nach zehn Minuten müssen wir unser Versprechen brechen und müssen den Kapitalismus doch kurz mit reinziehen. Dieses Recht auf kapitalistisch verstandene Freiheit hat nämlich auch als Rechtfertigung für die Ausbeutung von formal freien Menschen gedient. Selbst wenn die formal freien Menschen mittellos gewesen sind und dadurch faktisch von einer Arbeitsstelle abhängig, um sich am Leben zu halten. Und auch das Recht auf Eigentum, das in den Erklärungen, die wir gerade genannt haben, ganz zentral verankert ist, hat sogar das Eigentum an Menschen, also ihr Versklavung, geschützt. 

(L) In was für absurde Logiken wir damit reinkommen, können wir wahrscheinlich am besten an der Abschaffung von Sklaverei sehen. In den Staaten, wo die Menschen sich nicht selber durch einen Befreiungskampf befreit haben, wurden nämlich sehr große Summen an Entschädigungen an die ehemaligen Eigentümer*innen von versklavten Menschen gezahlt. Großbritannien hat dafür sogar riesige Staatsschulden aufgenommen. Teilweise mussten auch die befreiten Menschen sogar noch selber arbeiten, um die Entschädigung ihrer Freiheit abzubezahlen. 

(Y) Die Entstehungsgeschichte von Menschenrechten können wir gut mit einem Zitat vom antikolonialen Befreiungskämpfer Franz Fanon abschließen. Der hat geschrieben von einem – jetzt kommt das Zitat – „Europa, das nicht aufhört vom Menschen zu reden und ihn dabei niedermetzelt, wo es ihn trifft. An allen Ecken seiner eigenen Straßen, an allen Ecken der Welt.“ Zitat ende. Schon ganz von Anfang an waren diese sogenannten Menschenrechte also kann man sagen nicht wirklich Rechte für Menschen, sondern eher ein schickes Wort, mit dem man die Vorherrschaft vom Westen über den Rest der Welt legitimiert hat. 

(L) Und das ist ganz wichtig nochmal hervorzuheben, auch für alles was gleich noch kommt: die kapitalistischen Menschenrechte haben den Westen eben nicht an der Kolonisation und der Versklavung von Menschen gehindert. Die Emanzipation von Frauen wurde durch den feministischen Kampf erreicht, der noch lange nicht abgeschlossen ist. Arbeiter*innenrechte wurden durch Arbeiter*innenkämpfe durchgesetzt. Die Befreiung versklavter Menschen wurde durch deren Befreiungskämpfe und Widerstand durchgesetzt und so weiter. Nichts davon ist dadurch entstanden, dass jemand über ein paar Erklärungen, die Überschrift „Menschenrechte“ geschrieben und sie dann veröffentlicht hat.

(Y) So, das war jetzt ein kleiner Einblick in die Entstehungsgeschichte der Menschenrechte. Ich glaube, bevor wir weiter gehen, ist es erst mal sinnvoll, wenn wir uns kurz anschauen, was die Menschenrechte heute ausmacht. Da gibt es ja ganz verschiedene völkerrechtliche Instrumentarien, also grob gesagt Regelungen und Regelwerke und die machen gemeinsam dann das aus, was völkerrechtlich als Menschenrechte gilt. Das bekannteste ist glaube ich die allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Was verbirgt sich denn dahinter, Lea?

(L) Die allgemeine Erklärung der Menschenrechte wurde 1948 unterzeichnet, das war ein paar Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkriegs. Und in dieser Erklärung, da sind alle traditionellen, liberalen Grundrechte verankert. Im Zentrum der Menschenrechtserklärung stehen die bürgerlichen Freiheitsrechte und auch das zentrale Recht auf Eigentum. Es gibt dann noch einen zweiten Teil, der ist wesentlich kürzer und darin sind ökonomische, soziale und kulturelle Rechte verankert. An dem Punkt vielleicht ein kleiner – ja eigentlich nicht so fun – Fact: die kapitalistischen Länder wollten diesen zweiten kurzen Teil nämlich überhaupt nicht haben. Die sozialistischen Länder damals haben aber auf einen sehr sehr ausführlichen, mindestens dem ersten Teil gleichwertigen Katalog an sozialen Menschenrechten gedrängt. Und der Kompromiss ist dann das, was wir jetzt haben, eben dass es so einen kleinen, sparsamen Teil an sozialen Menschenrechten gibt und die quasi eher am Rand, am Ende noch genannt werden. Und selbst dieser Kompromiss war auch nur möglich, weil man sich darauf geeinigt hat, dass die Erklärung rechtlich nicht verbindlich ist. Am Ende haben die sozialistischen Länder die Erklärung damals nicht unterzeichnet, weil dieser Kompromiss für sie nicht ausreichend genug war. Was man hier vielleicht auch noch sagen muss ist, dass die Forderungen nach Entkolonisierung oder eine Verankerung der Rechte kolonisierter Völker ausdrücklich abgelehnt wurden. Und deswegen kann man in der Erklärung auch überhaupt nichts davon lesen. Und wo wir schon dabei sind, vielleicht noch ein anderer nicht so fun Fact: und zwar wurde die Präambel der Erklärung, also das ist sowas wie ein Vorwort, die wurde von Jan Smuts geschrieben und dieser Jan Smuts war damals Premierminister der südafrikanischen Union und für die Etablierung der Apartheid-Systems dort verantwortlich. 

(Y) Das ist also der Grundstein unserer Menschenrechte. Im Jahr 1976 hat die UN-Generalversammlung zwei Pakte erlassen, die die Menschenrechte ausführlicher formulieren. Eigentlich sollte es dabei einen Pakt geben, in dem soziale und politische Menschenrechte gleichberechtigt nebeneinander stehen, aber das liebe Großbritannien hat sich damals geweigert, das zu unterzeichnen und dann gab es wieder den Streit, den wir von gerade schon kennen. Die Sowjetunion hat sich verweigert, den Pakt zu unterzeichnen, wenn die sozialen Rechte gekürzt werden und so hat man die Pakte geteilt. Jetzt gibt es einen Zivilpakt und einen Sozialpakt und so hatten die Staaten die Möglichkeit, nur einen von den beiden Pakten zu unterzeichnen.

(L) Die Pakte zu teilen hat zum einen ermöglicht, dass trotzdem jeder einzelne Pakt sehr ausführlich sein kann und zum anderen hat man einfach gehofft, dass die Länder dann schon nachziehen werden, mit der Zeit werden sie vielleicht auch den Pakt, wo sie sich am Anfang noch weigern, unterzeichnen, auch wegen Prestige und so weiter. Und dieser Sozialpakt und der Zivilpakt bilden mit der allgemeinen Menschenrechtserklärung zusammen, den Kern der Menschenrechte im Völkerrecht. Den Zivilpakt haben heute 168 Staaten unterzeichnet und den Sozialpakt 164. China zum Beispiel hat den Sozialpakt unterzeichnet, aber den Zivilpakt nicht. Die USA haben den Zivilpakt unterzeichnet, aber den Sozialpakt nicht. Was aber in beiden Pakten drin ist, das sind noch so ein paar kollektive Rechte, dazu gehört zum Beispiel das Recht der nationalen Souveränität und auch das Selbstbestimmungsrecht der Völker, was ein Menschenrecht ist, das von den antikolonialen Befreiungsbewegungen erst erkämpft wurde.

(Y) Auf dem Papier sind jetzt beide Pakte, also der Sozialpakt und der Zivilpakt, gleichwertig gültig, aber in der Praxis sind sie meistens unterschiedlich verpflichtend. Der Zivilpakt wird als rechtsverbindlich gesehen, der Sozialpakt wird im Gegensatz dazu von den dominanten kapitalistischen Staaten nur als so eine Art Zielrichtung, also als programmatisch, angesehen. Und das wirkt sich dann natürlich auf den Pakt aus. Das sind nämlich genau die Länder, die sich selbst zur Polizei der Menschenrechte erklärt haben und die eben stark genug sind, um manche Menschenrechte zu verteidigen, andere aber ohne Folgen zu brechen. Und den Punkt solltet ihr euch merken, wir kommen nämlich gleich nochmal darauf zurück.

(L) Jetzt bleiben wir aber erst mal beim Völkerrecht, weil nämlich um die allgemeine Menschenrechtserklärung und die beiden Pakte herum, gibt es noch zusätzlich Konventionen und Übereinkommen, die dann verschiedene Menschenrechte noch genauer ausformulieren. Gerade in Bereichen, wo es um besonders krasse Gefährdungen geht, wie zum Beispiel Völkermord, oder Folter, die Bedrohung gefährdeter Gruppen, oder allgemeine Diskriminierung, gerade bei solchen Themen gibt es einzelne Konventionen, die das nochmal genauer und konkreter regeln. Dazu gibt es auch von der internationalen Arbeitsorganisation – kurz der ILO – noch bindende Übereinkommen und nichtbindende Empfehlungen, auf dem Gebiet der Arbeitsbeziehungen.

(Y) Aber die kommen besonders schlecht an, oder?

(L) Ja, das unterzeichnen gerade die kapitalistischen Länder natürlich nicht so gern. Die USA zum Beispiel sind unter den drei Staaten weltweit, die am wenigsten diese IOL-Übereinkommen ratifiziert haben, also sie sind weit hinter Iran, oder China, also zwei Staaten, die vom Westen ja relativ häufig in Sachen Menschenrechte kritisiert werden.

(Y) Ja, wer hätte gedacht, dass die USA arbeiter*innenfeindlich sind? So viel erst mal dazu. Jetzt solltet ihr, wenn ihr zugehört habt und wir einen guten Job gemacht haben, einen Überblick haben, wie die Menschenrechte im Völkerrecht geregelt sind. Ich fasse nochmal kurz zusammen: Es gibt also die allgemeine Erklärung der Menschenrechte, den Zivilpakt zu bürgerlichen und politischen Menschenrechten, den Sozialpakt zu ökonomischen, sozialen und kulturellen Menschenrechten und dann spielen darum noch ergänzende Konventionen und Übereinkommen. Und ihr habt jetzt wahrscheinlich schon ein Gefühl davon, dass es nicht „die einen Menschenrechte“ gibt, sondern viel eher ganz viele unterschiedliche Teile davon und jedes Land erkennt irgendwie so seine eigenen Teile der Menschenrechte an und andere dann nicht. Und das ist wahrscheinlich das Wichtigste, was wir hier erst mal mitnehmen können.

(L) Jetzt sollten wir aber genug Grundwissen haben, um zur marxistischen Kritik an den Menschenrechten zu kommen. Die hängt sich – ihr könnt es euch wahrscheinlich schon denken – vor allem am Menschenrecht auf Eigentum auf. Wie war das denn bei Marx und Engels?

(Y) Ja, Marx und Engels haben ja im 19. Jahrhundert gelebt, das heißt, sie kannten natürlich schon eine Menschenrechtserklärung.

(L) Ja, wir erinnern uns ganz kurz: die französische Menschen- und Bürgerrechtserklärung gab es seit 1789. 

(Y) Genau und weil die beiden ja, wie so ein typischer Marxist, über so ziemlich über alles irgendeine politische Meinung hatten, wissen wir auch heute, was sie von der Menschenrechtserklärung gehalten haben. Und der Mittelpunkt ihrer Kritik war, dass die Menschenrechte schon zu ihrer Zeit 1:1 mit dem kapitalistischen Staat identifiziert wurden. Die beiden waren also der Meinung, dass der eigentliche Zweck der Erklärung das war, dass das Privateigentum geschützt wird. Also, wir erinnern uns: die Grundlage der kapitalistischen Wirtschaftsweise. Außerdem haben sie es als problematisch angesehen, dass die Freiheit in den Menschenrechten nur kapitalistisch gesehen wird, also in Zusammenhang mit dem Eigentum. Arbeitende sind zum Beispiel zwar frei, aber ohne ihre Produktionsmittel sind sie trotzdem dazu gezwungen zu arbeiten, um zu überleben. Und arbeiten müssen sie dann für die, die Eigentum an Produktionsmitteln haben. 

(L) Ich zitiere hier mal den alten Marx ein bisschen gekürzt. Zitat: „Die praktische Nutzanwendung des Menschenrechts der Freiheit, ist das Menschenrecht des Privateigentums. Worin besteht das Menschenrecht des Privateigentums? Das Menschenrecht des Privateigentums ist also das Recht, willkürlich, ohne Beziehung auf andere Menschen, unabhängig von der Gesellschaft sein Vermögen zu genießen und über dasselbe zu disponieren, das Recht des Eigennutzes. Jene individuelle Freiheit, wie diese Nutzanwendung derselben, bilden die Grundlage der bürgerlichen Gesellschaft. Keines der sogenannten Menschenrechte geht also über den sogenannten egoistischen Menschen hinaus. Über den Menschen, wie er Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft nämlich auf sich, auf sein Privatinteresse und seine Privatwillkür zurückgezogenes und vom Gemeinwesen abgesondertes Individuum ist.“

(Y) Ja, das klang ja ein bisschen kompliziert, aber um das mal ein bisschen zusammen zu fassen kann man sagen, dass nach Marx die Menschenrechte also gar nicht eine bessere Gesellschaft, oder die Befreiung der Menschen zum Ziel hat, oder?

(L) Ja, ganz genau das ist der Punkt. Und genau deswegen kamen versklavte Menschen, oder kolonial unterworfene Nationen auch gar nicht darin vor. Es ging einfach um die Rechte des egoistischen, bürgerlichen Individuums, das Kapital anhäufen will. Das lässt sich auch an was anderem zeigen. Im Jahr 1791, also zwei Jahre nach der französischen Menschen- und Bürgerrechtserklärung, hat man nämlich dort ein Dekret erlassen, in dem man Arbeiter*innenverbindungen als „Attentat auf die Freiheit und die Erklärung der Menschenrechte“ bezeichnet hat. Und da wird ganz klar, dass der Schutz von Freiheit und Eigentum der Unternehmer schon damals den Vorrang hatte vor dem Wunsch der Arbeitenden, nach dem Überleben. 

(Y) Man kann also sagen, dass das Menschenrecht auf Eigentum nicht einfach irgendein Menschenrecht ist, das den Kapitalismus stützt, sondern dass auch es nur denjenigen nützt, die Eigentum haben. Es schützt praktisch die Bourgeoisie, also die besitzende bürgerliche Klasse, vor Enteignung. Und trotzdem haben die Menschenrechte ja eine politische Befreiung gebracht, oder nicht? Die Menschen waren ja jetzt nicht mehr unter einer Feudalherrschaft, sondern waren plötzlich politische Subjekte, die teilweise sogar wählen durften und deren Platz in der Gesellschaft eben nicht mehr durch ihre Geburt festgelegt war. 

(L) Das was du da gerade beschrieben hast, das nennt Marx die „politische Emanzipation“ und das was du sagst stimmt, also das haben die Menschenrechte tatsächlich gebracht, oder zumindest gefestigt. Zuerst nur für weiße, wohlhabende Männer, aber heute gibt es zumindest den Anspruch, dass sie tatsächlich für alle gelten sollen. Was die Menschenrechte aber nicht gebracht haben, das ist das, was Marx die „menschliche Emanzipation“ nennt. Die ist aber die Grundlage dafür, dass Menschen ihre politischen Rechte überhaupt erst wahrnehmen können, weil eine formale Gleichheit vor dem Gesetz, wie sie in den politischen Menschenrechten existiert, bedeutet nämlich noch lange keine Gleichberechtigung. Vielleicht zur Veranschaulichung ein kurzes Beispiel. Wenn zwei Personen jetzt jeweils 300€ Strafe zahlen müssen, dann ist das nicht unbedingt eine faire Strafe, wenn eine Person nur 2000€ besitzt, die andere aber 1.000.000.

(Y) Und wie bei so vielem anderen kann man das Problem mit den Menschenrechten mit Marx und Engels ganz gut verstehen, für die beiden war es nämlich gar nicht so unerwartet, dass die Menschenrechte die Menschen nicht befreit haben. Die haben das Recht nämlich nicht als etwas gesehen, was den Menschen überhaupt Befreiung bringen kann. Für Marx und Engels sind die Rechtsverhältnisse etwas, was auf die Realität folgt und nicht umgekehrt. Die Gesetze wurden nämlich nie von der herrschenden Klasse dafür verfasst, um die beherrschte Klasse zu befreien und warum sollten sie sowas auch machen? Gesetze wurden immer in Klassenkämpfen erkämpft und ein gesellschaftlicher Wandel bringt dann auch einen Wandel der Rechtsverhältnisse mit sich. 

(L) Genau, es gibt einfach eine riesige Lücke zwischen dem Anspruch der Menschenrechte und ihrer Realität. Und genau diese Lücke hat ihren Grund in der kapitalistischen Gesellschaft. In einer ungleichen Welt können eben nicht alle Menschen gleich behandelt werden, wie wir eben in meinem Beispiel mit der 300€-Strafe gesehen haben. Als kleines Zwischenfazit können wir also festhalten, dass Menschenrechte an sich Menschen nicht befreien können. Das können nur soziale Bewegungen und revolutionäre Kämpfe schaffen, die uns von den Grenzen der Menschenrechte befreien, also vom Kapitalismus. 

(Y) Man kann also sagen, dass das marxistische Grundprinzip ist, Menschenrechte als Ergebnis von Klassenkämpfen anzusehen und der wirkliche Antrieb der Geschichte sind dabei nämlich die Klassenkämpfe. Und aus denen gehen dann erst die Rechtsverhältnisse hervor, also so viel wissen wir schon mal. Jetzt haben wir ein kleines Zeitproblem. Und zwar haben Marx und Engels sich ja damals auf die französische Menschenrechtserklärung bezogen, vorhin haben wir ja aber gesehen, dass es völkerrechtlich mehrere Regelwerke gibt, die zusammen die Menschenrechte ausmachen. Wie können wir das jetzt auf den heutigen Stand anwenden?

(L) Wenn wir Menschenrechte heute als Ergebnis von Klassenkämpfen verstehen wollen, dann können wir sie erst mal in drei Gruppen, oder Generationen einteilen. Generationen deshalb, weil sie so ein bisschen nacheinander entstanden sind, also eben aus verschiedenen Kämpfen, zu verschiedenen Zeiten, in der Weltgeschichte. Das sind erstens die bürgerlichen Menschenrechte, zweitens wirtschaftliche, soziale und kulturelle Menschenrechte und drittens kollektive Rechte von Gesellschaften und Völkern.

(Y) Okay und die bürgerlichen Menschenrechte sind dann wahrscheinlich die, auf die Marx und Engels ihre Kritik bezogen haben, oder?

(L) Ja genau, dazu gehören zum Beispiel das Recht auf Eigentum und die bürgerlich politischen Freiheitsrechte. Die Menschenrechte wurden vor allem von der bürgerlich kapitalistischen Klasse erkämpft und die Zeit der Aufklärung steht für diese Erkämpfung der Freiheitsrechte der Menschen. Heute steht für diese Rechte vor allem der Zivilpakt.

(Y) Du hast ja vorhin schon gesagt, dass die wirtschaftlichen, die sozialen und die kulturellen Menschenrechte die zweite Generation von Menschenrechten sind und diese Menschenrechte wurden durch unzählige Arbeiter*innenkämpfe und durch sozialistische Revolutionen erkämpft. Und dazu zählen alle Arbeitsrechte und andere Rechte, wie zum Beispiel das Recht auf Arbeit, das Recht auf Wohnen und das Recht auf Nahrung. Und der Sozialpakt steht im Völkerrecht dann für diese Gruppe an Rechten.

(L) Und dann gibt es noch eine dritte Generation von Menschenrechten, die ist ein bisschen unbekannter, auch weil sie zum Beispiel keinen eigenen Pakt hat, sie ist also im Völkerrecht auch weniger präsent. Und diese dritte Generation – ich habe es vorhin schon angesprochen – das sind die kollektiven Rechte von Gesellschaften und Völkern und die wurden vor allem in antikolonialen Kämpfen, in der Zeit der Dekolonialisierung erkämpft. Und dazu gehört zum Beispiel das Selbstbestimmungsrecht der Völker, oder das Recht auf Frieden. Einige kollektive Rechte, wie eben das Selbstbestimmungsrecht, oder auch die nationale Souveränität, sind in beiden wichtigen Menschenrechtspakten verankert. Andere, wie das Recht auf Frieden, oder das Recht auf Entwicklung, sind nur ergänzende Resolutionen, die auch von vielen Staaten gar nicht unterzeichnet wurden. 

(Y) Dann machen wir jetzt mal auf marxistische Köche und schmeißen das beides zusammen. Also wir haben auf der einen Seite die Menschenrechtsgeneration und auf der anderen haben wir die Klassenkampfperspektive und die wollen wir jetzt verbinden. Und dass Menschenrechte das Ergebnis von Klassenkämpfen sind, bedeutet ganz nebenbei nicht nur, dass sie durch Klassenkämpfe entstanden sind, sondern auch, dass ihre Wirkung, ihre Anwendung und ihre Durchsetzung immer ein Spiegel der aktuellen Klassenverhältnisse sind und genau das schauen wir uns jetzt an.

(L) Ja, gehen wir zuerst einmal auf die bürgerlich politischen Menschenrechte, die von der kapitalistischen Klasse erkämpft wurden. Die gelten heute als verbindlich, der Zivilpakt ist unbestritten rechtsverbindlich, wird auch von vor allem den westlichen Staaten sehr streng verteidigt und die nehmen auch den meisten Platz in der allgemeinen Menschenrechtserklärung ein. 

(Y) Den Unterschied zu den anderen Menschenrechten sieht man ziemlich deutlich, wenn man den Unterschied zum Sozialpakt anschaut, in dem ja – wir erinnern uns – die wirtschaftlichen, die sozialen und die kulturellen Menschenrechte verankert sind. Die Menschenrechte werden nämlich von den großen kapitalistischen Staaten nicht als rechtsverbindlich gesehen und viele lehnen ihn sogar ab. Die vereinigten Staaten haben ihn zum Beispiel nicht einmal ratifiziert. Wenn wir uns mal anschauen, um welche Rechte es sich dabei handelt, dann wird schnell klar, dass auch Deutschland da ziemliche Probleme hat. Was ist zum Beispiel mit einem Recht auf Arbeit? Was ist mit dem Recht auf eine Wohnung? Dass Menschenrechte verbindlich sind ist wichtig, weil sie sonst nicht gültig sind. Das sieht man eben in Deutschland, in den vereinigten Staaten. Was bringt ein Menschenrecht, das nur so ein Ziel in der Ferne ist? Und was bringt so ein Menschenrecht dann den Menschen, bei denen das Menschenrecht gebrochen wurde? Die Menschenrechte, die von der arbeitenden Klasse erkämpft wurden, werden genau deshalb auch nicht durchgesetzt. Es wird sogar häufig damit argumentiert, dass viel der sozialen Menschenrechte deswegen nicht umsetzbar sind, weil sie unverträglich mit der kapitalistischen Wirtschaftsordnung sind. Auf so einen kurzen Moment von Selbsterkenntnis folgt dann aber leider nicht so viel.

(L) Gehen wir mal weiter zu den kollektiven Menschenrechten. Die nationale Souveränität und das Recht auf Selbstbestimmung sind in den Menschenrechtspakten und auch der UN-Charta verankert und sie gelten auch als rechtsverbindlich, auch wenn sich vor allem die NATO-Staaten dagegen ziemlich lange gewehrt haben. 

(Y) Das sind übrigens auch die gleichen Staaten, die das Recht auf Selbstbestimmung heute stark verteidigen, wenn es gegen gegnerische Staaten geht. Aber das nur kurz eingeschmissen…

(L) Ja, andere kollektive Rechte, wie das Recht auf Frieden und das Recht auf Entwicklung, werden aber von westlichen Staaten immer noch blockiert. Ich hatte schon gesagt, es gibt Resolutionen dazu, aber viele Staaten lehnen diese Resolutionen ab, also zum Beispiel die USA und Deutschland. Und das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die nationale Souveränität werden auch immer wieder gebrochen und das auch ohne UN-Mandat, was dafür völkerrechtlich notwendig wäre. Und nicht gerade selten wird eine militärische Intervention unter Führung westlicher Staaten, oder der NATO mit Menschenrechten gerechtfertigt und damit sind dann natürlich nicht die kollektiven Menschenrechte, oder die wirtschaftlichen sozialen Menschenrechte gemeint, sondern meistens die bürgerlich politischen Menschenrechte. 

(Y) Wir halten noch einmal fest für diesen Teil: wir haben ja die drei Generationen von Menschenrechten besprochen und wie glaube ich deutlich geworden sein dürfte ist es so, dass die bürgerlichen Menschenrechte unumstritten verbindlich sind. Die sozialen Menschenrechte sind unverbindlich und die kollektiven Rechte werden regelmäßig und mit der Begründung der Menschenrechte, gebrochen. Und dabei beansprucht der sogenannte Westen dann ganz gerne die Deutungshoheit über das, was als Menschenrechte gilt und was nicht gilt und was gilt, sind dann die bürgerlichen Rechte. Die kapitalistischen Staaten haben die Deutungshoheit über die Menschenrechte und identifizieren diese Menschenrechte ganz einfach mit sich selbst. Sie schauen sich also im Spiegel an und denken dann „das sind Menschenrechte“ und damit gehen sie dann in alle anderen Länder rein und schauen, ob die dem westlichen Ideal entsprechen. Jetzt schauen wir uns aber mal an, wie es in den westlichen Ländern selbst überhaupt um die Menschenrechte steht. 

(L) Ja, wir schauen jetzt mal exemplarisch ein bisschen genauer auf Deutschland und die USA. Das sind zwei Länder, die sich selber in ihrer Rolle als Weltpolizei, oder dienende Führungsrolle der Weltpolizei immer sehr gerne auf die Menschenrechte berufen. Die zwei Staaten sind aber natürlich keine Einzelfälle, sondern sind ziemlich exemplarisch für die anderen dominanten, westlichen, kapitalistischen Staaten und wir schauen einfach ein paar wichtige Punkte an, die aufzeigen, wieso man sie auf gar keinen Fall als Vorkämpfer der Menschenrechte bezeichnen kann.

(Y) Und wir haben ja jetzt schon häufiger gezeigt, dass die westlichen Länder es ziemlich eng mit den bürgerlich politischen Rechten im Zivilpakt nehmen, aber die sozialen Menschenrechte nehmen sie nicht so ernst, oder?

(L) Der Sozialpakt – ihr erinnert euch: einer der zwei großen Menschenrechtspakte im Völkerrecht – der wurde zum Beispiel von den USA immer noch nicht unterzeichnet, obwohl das inzwischen 164 Staaten getan haben. Die Bundesrepublik Deutschland hat den Pakt zwar ratifiziert, also unterzeichnet und erkennt ihn an, aber sie spricht dem Pakt die Rechtsverbindlichkeit ab, was man sich nicht vorstellen könnte, dass Deutschland das mit politischen Menschenrechten tun würde. Deutschland hat außerdem ein Beschwerderecht für Menschen, deren soziale Menschenrechte verletzt wurden, abgelehnt. Innerhalb der EU hat sich Deutschland mit Großbritannien zusammen geweigert, dass es einklagbare Sozialstandarts in der EU-Charta gibt. 

(Y) Und Deutschland steht auch insgesamt bei den sozialen Menschenrechten ziemlich schlecht da. Weil es den Sozialpakt unterzeichnet hat, wird es regelmäßig von einem Ausschuss, der die sozialen Menschenrechte überprüft, begutachtet und bei der letzten Überprüfung im Jahr 2018 gab es Defizite in 30 Themen. Also in 30 Menschenrechtsthemen hat Deutschland die Ziele nicht erreicht. Wir nennen hier mal nur ein paar beim Namen, damit ihr euch ein bisschen was darunter vorstellen könnt. Kritisiert wurden zum Beispiel die hohe Kinderarmut in Deutschland, die hohe Arbeitslosigkeit unter behinderten Menschen, die Kappung der Versorgung von Haushalten mit Elektrizität, wenn diese Haushalte die Rechnungen nicht bezahlen konnten, der Wohnungsmangel in Deutschland und die steigenden Mieten, weil das nämlich das Recht auf eine Wohnung verletzt, die Ausbeutung von privaten Pfleger*innen, vor allem aus osteuropäischen Ländern, der hochsubventionierte Agrarexport, der zu Verwerfungen in ärmeren Ländern führt und noch mehr Themen. Wir verlinken das ganze Dokument mal in den Shownotes.

(L) Es steht also wirklich nicht gut um die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Menschenrechte in Deutschland, aber weil der Sozialpakt hier ja auch nicht wirklich ernst genommen wird, scheint das auch kein Problem zu sein.

(Y) Und das mal ganz nebenbei gesagt, in einem der reichsten Länder auf der Welt, das eigentlich die Ressourcen haben sollte, um all diese sozialen Rechte umzusetzen. 

(L) Ja, aber schauen wir uns mal an, wie es mit der Durchsetzung auch der Menschenrechte, denen man sich selber verpflichtet hat, aussieht.

(Y) Naja, es gab im Rahmen der vereinten Nationen 2014 den Versuch ein rechtlich bindendes Instrument zu entwickeln, das Unternehmen dazu verpflichten sollte, die Menschenrechte zu achten. Aber während man bei gegnerischen Staaten bei jedem Menschenrechtsproblem, auch wenn es nur vermutet wird, immer sofort vom Regime-Change träumt, scheinen so nachgewiesene Menschenrechtsverletzungen von Unternehmen doch nicht so schlimm zu sein, für die westlichen Staaten. Die vereinigten Staaten von Nordamerika und auch sämtliche EU-Mitgliedsstaaten, wie zum Beispiel Deutschland, haben den Versuch, Unternehmen zu Menschenrechten zu verpflichten, nämlich blockiert. Und Deutschland hat dabei – by the way – auch in der EU auch Druck auf andere Staaten und auf die EU ausgeübt. Wenn es nach Deutschland gegangen wäre, hätten die sich nämlich nicht einmal an der Beratung zu einem Vertragsentwurf für so eine Regulierung von Unternehmen beteiligt. Deutschland hat sogar versucht die Finanzmittel im Rahmen der vereinten Nationen dafür streichen zu lassen, aber der Antrag wurde zum Glück abgelehnt.

(L) Ich wiederhole nochmal einen Punkt, den wir vorhin schon zu sozialen Menschenrechten hatten. Und zwar dass die USA unter den drei Staaten der Welt sind, neben den Cook-Islands und Brunei Darussalam , die am wenigsten der Menschenrechtsübereinkommen der internationalen Arbeitsorganisation unterzeichnet haben. Und sie sind damit auch weit hinter einigen Staaten, die sehr oft im Fokus westlicher Menschenrechtskritik stehen, also China, Iran und auch hinter Russland. Viele der kapitalistischen Staaten haben zum Beispiel die Übereinkommen Nummer 87 und 98 zur Vereinigungsfreiheit nicht unterzeichnet. Die USA sind aber noch ein paar Schritte weiter gegangen und haben auch die Übereinkommen Nummer 29 über Zwangs- und Pflichtarbeit, Nummer 100 zu Gleichheit des Entgelts männlicher und weiblicher Arbeitskräfte für gleichwertige Arbeit, Nummer 111 über Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf und Nummer 138 über ein Mindestalter für die Zulassung der Beschäftigung, nicht unterzeichnet. Und das waren jetzt auch nur die wichtigsten. Insgesamt haben sie nämlich nur zwei der insgesamt 188 bindenden Übereinkommen ratifiziert.

(Y) Wenn das mal nicht die Fackel der Menschenrechte ist. Ganz nebenbei: indem die USA Punkt Nummer 29 über Zwangs- und Pflichtarbeit nicht unterzeichnet hat, ist es nämlich noch möglich, dass sie die Sklaverei in ihren Gefängnissen weiterführt und die Unternehmen für einen Bruchteil an Geld Gefangene für sich arbeiten lassen können. Wir sehen also, dass die westlichen Länder und vor allem die USA ein wirkliches Problem mit sozialen Menschenrechten haben. Aber auch bei den anderen Menschenrechten sind sie nicht unbedingt vorbildlich. Schauen wir uns zum Beispiel das Folterverbot an, das brechen die USA nämlich nachweislich. Das Folterverbot gilt als ganz besondere Gefährdung und ist eines der wichtigsten Menschenrechte. Und deshalb wird es auch zusätzlich zu den Erklärungen noch in weiteren Konventionen geregelt, wir haben das gerade schon gesagt. Viele von euch haben bestimmt schon einmal von der US-Basis in Guantanamo, also einem besetzten Gebiet auf Kuba gehört. Dort haben die USA nämlich gegen den Willen von Kuba einen Militärstützpunkt auf der Insel, wo sich dann ein Folterlager befindet. In Guantanamo wurden nicht nur nachweislich unschuldige Menschen gefoltert, sondern sogar Kinder. Das Lager gibt es bis heute.

(L) Ja, man will sich nur mal vorstellen, was die USA machen würden, wenn irgendein anderes Land ein Gebiet in den USA besetzen würden, gegen deren Willen, auch wenn sie dort nur Party machen würden, das wäre ein ziemlich großes Problem. Aber, dass sie einfach ein Folterlager auf einem besetzten Gebiet haben, das interessiert ziemlich wenige der westlichen Menschenrechtsverteidigerstaaten. Kommen wir nochmal kurz zu den kollektiven Rechten. Ja, dass die USA nicht gerade das friedlichste Land der Welt sind, das erklärt auch, wieso sie im Jahr 2016 gegen ein Menschenrecht auf Frieden gestimmt haben. Aber auch die Staaten der EU, die sich selber als „Friedensbund“ bezeichnen, die haben gegen dieses Recht gestimmt. Die USA, Deutschland und noch weitere westliche Staaten haben sich auch einer UN-Resolution für ein Recht auf Entwicklung widersetzt. Das haben sie vor allem deshalb gemacht, weil die ehemaligen Kolonialstaaten dann darauf hätten pochen können und vielleicht sogar Geld und Ressourcen gefordert hätten, für dieses Recht. Ja, bei so vielen Schwachstellen bei den Menschenrechten erklärt sich dann auch ganz einfach, wieso zum Beispiel die USA gegen die Einrichtung eines UN-Menschenrechtsrats stimmten. Ich meine, ihrer Meinung nach sind sie ja auch schon genug Richter über die Menschenrechte.

(Y) Und weil es gerade aktuell ist, können wir uns auch nochmal schnell daran erinnern, dass Habeck letztens meinte, dass wir neben den USA in einer dienenden Führungsrolle sein sollen. Da kann man schon ganz gut sehen, welche Prioritäten Deutschland auf internationale Bühne legt und das sind nicht in erster Linie Menschenrechte, sondern die Beziehungen zu verbündeten Staaten. Man kann also sagen: es steht nicht gerade gut um die Menschenrechte in den dominanten, kapitalistischen Staaten. Das heißt natürlich nicht, dass es in allen anderen Staaten perfekt läuft, aber man kann zumindest sagen, dass diese Staaten, die selbst Menschenrechtspolitik im Rahmen der UN blockieren und die sich selbst nicht an die Menschenrechte halten, dass diese Staaten nicht viel Berechtigung haben, mit dem Finger auf andere zu zeigen. Und wenn sie das doch tun, dann geht es ihnen ganz sicher nicht um Menschenrechte. Wenn die ihnen nämlich so wichtig wären, wie sie sagen, dann könnten sie die erst mal bei sich selber umsetzen und da sind wir dann bei unserem letzten und unserer Meinung nach wichtigsten Thema der Folge, nämlich dem Menschenrechtsimperialismus.

(L) Wir haben gerade ja gesehen, dass der Westen und ganz besonders die USA sich ziemlich schwer mit der Umsetzung von Menschenrechten tun. Wir haben schon öfter gesagt, man kann sie überhaupt nicht gut als Vorreiter für die – reden wir mal mit Marx – für die menschliche Emanzipation sehen. Aber trotzdem benutzen genau diese Staaten ganz besonders oft das Argument, wenn es um gegnerische Staaten geht. Warum ist das so?

(Y) Ja, vielleicht wollen sie durch das Fingerzeigen von ihren eigenen Menschenrechtsproblemen ablenken?

(L) Naja, ich denke, es sieht eher so aus als würden westliche Länder wie die USA und ihre NATO-Verbündeten Argumente brauchen für ihre völkerrechtswidrigen Interventionen, um dabei die eigenen eigentlich wirtschaftlichen Ziele zu sichern. Wenn man jetzt nämlich einen militärischen Einmarsch starten will, der auch zu Menschenrechtsverbrechen führt, wie zum Beispiel die Kriege in Jugoslawien oder Afghanistan und wenn man das jetzt vor der eigenen Bevölkerung und der Weltbevölkerung rechtfertigen muss und keine völkerrechtliche Grundlage dafür hat, dann braucht man irgendein anderes gutes Argument.

(Y) Ja und wenn man kein Argument hat, das gut kommt, dann gibt es ja immer noch die Menschenrechte. Das spielt dann auf ein tiefes Bedürfnis in den Menschen in der Bevölkerung an, die natürlich wollen, dass Menschen in anderen Staaten, dass es denen nicht schlecht geht und dass deren Menschenrechte nicht zerstört werden. Und deswegen nutzen die kapitalistischen Staaten dann einfach das Argument, weil das kommt bei der eigenen Bevölkerung immer gut an, auch wenn so Menschenrechte sonst eigentlich nicht so wirklich interessieren.

(L) Das klingt jetzt finde ich erst mal ein bisschen krass, aber wenn man sich die Außenpolitik der USA und auf die ja auch immer die EU und Deutschland ziemlich schnell aufspringen, wenn man sich die so anschaut, vor dem Hintergrund, den wir gerade gebracht haben, also vor den eigenen Schwachstellen bei den Menschenrechten, dann ist das eigentlich ziemlich gut auf den Punkt gebracht. Wenn man sich nämlich Medienberichterstattungen von politischen Konfrontationen und militärischen Interventionen durchsieht, dann gibt es eigentlich kaum ein Geschehen, wo nicht irgendwo die Menschenrechte als Argument hergezogen werden. Und die westlichen Staaten machen das eben genau auch trotz der eigenen Probleme mit den Menschenrechten. Und wieso? Ganz einfach deswegen, weil sie es sich leisten können. Wenn die USA auf besetztem Gebiet wie Guantanamo oder Abu-Ghraib foltern, dann greift da niemand ein. Den USA kann nichts passieren. Beim Fall Assange sieht man ja sogar, dass man sich eher fürchten muss, wenn man die USA zum Beispiel beim Thema Kriegsverbrechen auch nur kritisiert. Es gibt keine Konsequenzen für die USA, aber es gibt stärkste Konsequenzen für diejenigen, die es wagen, es mit den USA aufzunehmen. Wenn aber dagegen hochrangige Politiker*innen westlicher Staaten Menschenrechtsprobleme in anderen Staaten kritisieren, dann ist das schon fast das Gleiche wie eine Kriegsdrohung. 

(Y) Der sogenannte Westen beansprucht dabei ganz einfach die Deutungshoheit darüber, was Menschenrechte sind. Die Menschenrechte koppelt man in der Erzählweise dann einfach an die Errungenschaften der westlichen Zivilisation, ich habe es vorhin schon gesagt, man schaut praktisch in den Spiegel und bezieht dann die Menschenrechte auf das kapitalistische Gesellschafts- und Wirtschaftsmodel und – bäm! – schon hat man das, was für westliche Länder Menschenrechte bedeuten. Dass sie selber die fehlende Umsetzung der sozialen Menschenrechte teilwedamit begründen, dass diese Rechte einfach nicht mit dem Kapitalismus vereinbar wären, wird schnell vergessen. Kapitalismus und der Westen, das allein bedeutet Menschenrechte in so einer Erzählung.

(L) Und genau das, also dass sie eben die Menschenrechte als Argument benutzen, das können sie machen, weil sie Macht haben. Andere Staaten können das nicht. Wenn militärisch und wirtschaftlich schwache Staaten das Argument der Menschenrechte benutzen, dann kann noch so viel dran sein, es bleibt einfach wirkungslos.

(Y) Das erinnert dann sogar schon so ein bisschen an die Kolonialzeit.

(L) Voll! Damals wurde ja die Kolonisierung mit der „überlegenen Zivilisation“ gerechtfertigt und man hat gesagt, dass man die Verpflichtung, die sogenannte Bürde des weißen Mannes hätte, andere Völker zu unterwerfen um sie zu „zivilisieren“ und ich sage es immer wieder, das muss man in Anführungszeichen setzen, weil das was mit diesem Argument geschehen ist, das waren wirklich schlimmste Verbrechen. Und heute haben wir die Menschenrechte, die der Westen einfach mit sich selber und dem eigenen System gleichsetzt. Und die geben jetzt das Argument, um ungefragt und wohlgemerkt gegen das Völkerrecht in andere Länder einzugreifen. Und das Ganze nennt man dann eine humanitäre Intervention.

(Y) Naja, so eine humanitäre Intervention, das klingt ja erst mal richtig nett. Es gibt wahrscheinlich kaum Menschen, die gegen Hilfe sind, aber genau wie damals – ich habe es gesagt – wie damals in der Kolonialzeit, stecken dahinter politische und wirtschaftliche Interessen. Warum werden zum Beispiel Menschenrechte in Kuba kritisiert, aber nicht in Saudi-Arabien? Wieso schließt man russische Sportler*innen aus, aber keine türkischen Sportler*innen? Schließlich unterscheidet sich das, was Erdoğan mit Rojava macht, nicht groß von einem Angriff auf die Ukraine. Wieso wird es geduldet und sogar unterstützt, wenn sich kapitalistische Diktatoren in Chile oder in Burkina Faso an die Macht putschen, aber bei jedem noch so kleinen und anhaltlosen Verdacht auf Wahlfälschung in sozialistischen Ländern schreit man laut und versucht dann einzugreifen?

(L) Das muss man wirklich nochmal unterstreichen: die Außenpolitik der westlichen Staaten hat nichts, also absolut gar nichts mit Menschenrechten zu tun. Ob es dort Menschenrechte gibt oder nicht, das wird erst wichtig, wenn man ein Interesse an der Region, oder einem Regierungssturz hat. Und das sehen wir, wenn wir uns die humanitären Interventionen, wie militärische Eingriffe dann gern genannt werden, wenn wir uns die anschauen. Man kann nämlich nicht gerade sagen, dass sie zu mehr Menschenrechten geführt haben. 

(Y) Ja, wir schauen uns das mal einem Beispiel an und da ist Jugoslawien ziemlich paradigmatisch. Was gibt es denn darüber zu sagen?

(L) Jugoslawien ist ein ganz typischer Fall, weil hier haben wir es nämlich mit genau so einer humanitären Intervention zu tun, also mit einem militärischen Eingriff, der mit Menschenrechten begründet wird. Und damals gab es eine Sorge um Menschenrechtsverletzungen in Jugoslawien. Wir streiten jetzt nicht rum, ob das stimmt oder nicht, weil das ist gar nicht der Punkt, den wir kritisieren. Es gab viele Menschen und Medienberichte in westlichen Ländern und auch in Deutschland, die die Menschenrechtssituation dort kritisiert haben. Aber, das was uns jetzt interessiert ist, wozu das geführt hat.

(Y) In den vereinten Nationen haben die USA damals kein Mandat für einen Einmarsch bekommen, sie haben sich dann aber ganz einfach selber ein Mandat gegeben, indem sie die Menschenrechte als Verpflichtung zum Einschreiten erklärt haben. Die NATO-Staaten haben dann im Frühjahr 1999 Jugoslawien überfallen, dieser Überfall war ohne Zweifel Völkerrechtswidrig, weil er keine Selbstverteidigung war und weil es auch kein UN-Mandat gab. Und das war übrigens dann auch die erste Kriegsbeteiligung der Bundeswehr seit dem zweiten Weltkrieg und das direkt in einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg.

(L) In diesem Luftkrieg wurden auch viele zivile Einrichtungen, wie Elektrizitätswerke, Brücken und die Wasserversorgung bombardiert. Das widerspricht nicht nur der Genfer Konvention, also das Völkerrecht, das regelt, was im Falle eines Krieges noch akzeptabel ist und was nicht, sondern das hat vor allem auch die Lage für die Menschen vor Ort enorm verschlechtert. Also von Menschenrechten kann man in dem Fall wirklich nur sprechen, wenn man ein enorm zynischer Mensch ist.

(Y) Und das Ausmaß an Zerstörung, das dieser Krieg in Jugoslawien gebracht hat, wird nicht mal irgendwie abstrakt durch einen Gewinn an Menschenrechten kompensiert. Jugoslawien wurde zerschlagen und das war auch das eigentliche Ziel der Intervention. Nämlich die Herstellung einer Vorherrschaft der USA im postsowjetischen Europa. In Osteuropa gab es damals nämlich noch ein Sicherheitsvakuum, dass dann dadurch ganz einfach zerstört wurde.

(L) Jugoslawien ist auch nur ein Beispiel, wir hatten zuerst überlegt mehrere aufzuzählen, also der Überfall auf Libyen, die Invasion in Afghanistan, das wären noch weiter Beispiele und man kann auch den derzeitigen Einsatz – noch Einsatz – von Deutschland in Mali hinterfragen. Also Mali ist ein Land, das sich gegen die europäische Einmischung wehrt, aber ich glaube, wenn wir zu sehr auf die Beispiele eingehen, das führt uns dann von dem Punkt weg, weil wir dann doch kein Geschichts-Podcast sind. Es ist auf jeden Fall ein Muster, das sich in den letzten Jahrzehnten durchzieht und die Menschenrechte sind ja, wie man sieht, die neue Rechtfertigung für Krieg. 

(Y) Okay, jetzt wollen wir ja eigentlich nicht nur immer deprimieren. Also was bringt uns das jetzt, das Wissen und wie gehen wir damit um, was meinst du?

(L) Ich glaube das wichtigste ist, dass wir als politisch engagierte Menschen, die Rechte für Menschen wollen und eine gerechte gute Welt, dass wir uns nicht instrumentalisieren lassen. Wir lesen dann in den Medienberichten was über Menschenrechtsverbrechen anderer Staaten und sind wahrscheinlich zurecht empört. Aber trotz dieser Empörung müssen wir trotzdem kurz halt machen. So nach dem Motto: warte, wieso wird mir das jetzt erzählt? Wieso höre ich so viel von den Menschenrechtsverbrechen in genau diesem Land, aber wieso erzählen die mir nichts von Menschenrechtsverbrechen in westlichen Ländern, oder in Ländern, die mit den USA verbündet sind? Weil es die ja auch gibt, diese Menschenrechtsverbrechen. Das heißt, von welchen Menschenrechtsverbrechen mir erzählt wird und von welchen nicht, das fügt sich in globale Zusammenhänge ein und das müssen wir versuchen einzuordnen. Also vor welchem Hintergrund gibt es gerade diese öffentliche Empörung für Menschenrechtsverbrechen?

(Y) Das ist finde ich total schwierig, erst mal zurückzutreten, weil so eine Empörung ja vielleicht sogar zu Recht ist. Aber Politik im aktuellen globalen Weltsystem ist leider immer Machtpolitik und das was wir lesen, ist immer auch Propaganda. Und viele Menschen, die über Berichte zu Jugoslawien empört waren und laut aufgeschrien haben, haben dem Angriffskrieg Rückendeckung gegeben. 

(L) Ja und wir machen den Punkt nicht, weil wir sagen, Menschenrechte sind was Schlechtes und die sollte man nicht durchsetzen. Wir sind – wie gesagt – absolut für die Durchsetzung von Rechten für Menschen! Der Punkt, den wir machen wollen ist, dass es den westlichen Staaten nicht und überhaupt nicht um Menschenrechte geht und das ist das Gefährliche. Und deswegen sollten wir immer genau hinschauen, wenn jemand das Argument der Menschenrechte nennt, sich aber selber nicht so daran hält. Es wird nämlich genau deswegen mit Menschenrechten argumentiert, weil man so auch die Menschen, die Frieden wollen und eine bessere Welt, weil man auch die dann hinter sich vereinen kann. Die tatsächlichen Gründe, die aber dahinter liegen, dass sind leider aber immer solche, wie die Sicherung von Rohstoffen, von Handelswegen, Investitionen und hegemoniale Machtansprüche. Aber wenn man das jetzt sagen würde, „wir wollen jetzt dieses Land ein bisschen destabilisieren, weil es da ein Machtvakuum hat“, ich glaube damit könnte man linke Menschen, die für eine gerechte Welt kämpfen, die könnte man damit nicht mobilisieren und vor allem hätte man die wahrscheinlich ziemlich stark gegen einen und deswegen sind die Menschenrechte halt einfach eine super Begründung, weil man überall Menschenrechtsprobleme findet.

(Y) Ja, vor allem wenn man so offen über die eigenen Ziele sprechen würde, dann würden sich wahrscheinlich die Straßen ziemlich schnell füllen. Also ich hoffe es zumindest.

(L) Ja, die Menschenrechte lassen sich einfach super für Weltmachtpolitik benutzen, aber genau das bedeutet im Grunde auch den Verrat an ihnen selbst.

(Y) Wir ziehen mal ein Schlussfazit und können festhalten: wir sollten immer wachsam sein, wenn Leute von Menschenrechten in so einem abstrakten Sinn sprechen. Gerade wenn sie von denjenigen genutzt werden – du hast es gesagt –, die selber Probleme mit Menschenrechten haben, oder sogar aktiv in den UN Menschenrechte blockieren. Wer das Narrativ, also die Erzählung von diesen Ländern stützt, dass sie es wären, die Menschenrechte bringen und dass auch sie es wären, die das Recht haben, Menschenrechte durchzusetzen, wer so eine Erzählweise, so ein Narrativ stützt, dass sie entscheiden, was Menschenrechte sind und nicht zum Beispiel der UN-Menschenrechtsrat, oder irgendein neutrales Überprüfungsgremium, der oder die macht sich immer auch mitschuldig. Mitschuldig an dem Verrat an Menschenrechten und mitschuldig vor allem an den Kriegen, die mit ihnen geführt werden. Und genau davor sollten wir uns bewahren.

(L) Ja und auch wir sollten es besser machen, wir sollten nicht über die Menschenrechte im Abstrakten sprechen. Wenn wir den Kapitalismus nämlich überwinden wollen, dann wollen wir Rechte für Menschen und wir wollen die Emanzipation von Menschen. Aber wir müssen auch das Menschenrecht auf Eigentum, also auf Eigentum an Produktionsmitteln, das müssen wir angreifen, weil das ist nämlich die allerstärkste Legitimation für den Kapitalismus und das stärkste Argument gegen sozialistische Länder.

(Y) Ja, ich glaube das ist ein ziemlich gutes Schlusswort, aber vielleicht wollen wir nochmal kurz zusammenfassen, worum es in der Folge ging. Man kann auf jeden Fall sagen, dass die eurozentrische Geschichte der Menschenrechte nicht gerade rühmlich ist und schon gar nicht irgendeine Überlegenheit von der europäischen Geschichte zeigen würde. Die europäischen Menschenrechte waren nämlich von Beginn an ausschließend und nie für alle Menschen gedacht, sondern für den bürgerlichen, weißen, wohlhabenden Mann. Außerdem ist ein zentraler Bestandteil der Menschenrechte, seit der ersten Menschenrechtserklärung von 1789, das Recht auf Eigentum und das Privateigentum an Produktionsmitteln ist dann die allerwichtigste Voraussetzung für den Kapitalismus. 

(L) Die erste Generation von Menschenrechten ist heute in der allgemeinen Menschenrechtserklärung und im Zivilpakt verankert. Es gab in der Folgezeit viele Arbeiter*innenbewegungen und dadurch wurden dann auch soziale Menschenrechte durchgesetzt, für die gibt es heute den Sozialpakt. Durch die antikolonialen Bewegungen wurden dann auch noch kollektive Rechte für Gesellschaften und Völker in die Menschenrechtspakte mitaufgenommen. Genau die werden aber immer wieder gebrochen. Also das Selbstbestimmungsrecht der Völker und die nationale Souveränität werden dann in sogenannten „humanitären Interventionen“, also militärischen Eingriffen, mit der Rechtfertigung von Menschenrechten gebrochen. Und das ist zynisch, also das Argument haben wir zumindest gemacht, weil durch einen Krieg nicht nur selber Menschenrechte gebrochen werden, sondern Staaten auch nachhaltig zerstört werden und es dadurch nach den Interventionen meistens noch schlechter aussieht.

(Y) Aber es geht dabei auch nicht um Menschenrechte. Wir haben ja vorhin aufgezählt, was die westlichen Staaten selber für Probleme mit den Menschenrechten haben. Der Grund für so militärische Aktionen sind immer ökonomische, oder machtpolitische, also lasst euch da nicht verarschen und für die Rechtfertigung von imperialistischen Kriegen missbrauchen. 

(L) Also jetzt reicht es aber langsam. Wir hoffen, euch hat die Folge ein bisschen was gebracht. Menschenrechte sind jetzt kein typisches Theorie-Thema, aber gerade mit dem US-Präsident Joe Biden, nimmt die Menschenrechtspolitik ja wieder zu, die bei Trump noch alle ziemlich stark kritisiert haben, als Machtpolitik. Weil er, statt mit Menschenrechten zu argumentieren zugegeben hat, dass es ihm eigentlich nur um „America first“ geht. Ja, also um endlich mal Schluss zu machen: schreibt uns gerne, wie ihr die Folge fandet.

(Y) Schreibt uns auch gerne, wieder Fragen zur Gesprächsfolge, wenn wir die nämlich rechtzeitig bekommen, dann können wir sie in der nächsten Folge wieder mitaufnehmen und die dann beantworten.

(L) Und an der Stelle noch die Bitte an euch, uns weiterzuempfehlen, wenn ihr mögt, uns auf social media zu teilen und uns fünf Sterne auf Spotify, oder Apple Podcasts zu geben. Sowas hilft uns einfach total, dass wir von neuen Menschen gefunden werden und anderen Menschen vorgeschlagen werden. Außerdem freuen uns über eine kleine Spende auf ko-fi, wenn ihr mögt, um ein paar laufende Kosten zu decken. Den Link findet ihr wie immer in den Shownotes. Wir grüßen dieses Mal Franz Fanon und hoffen, dass der Kampf um die Unabhängigkeit Algeriens, Früchte in der gesamten kolonialisierten Welt trägt. 

- Musik wird abgespielt -

Entstehungsgeschichte der Menschenrechte
Menschenrechte im Völkerrecht
Marxistische Kritik der Menschenrechte
Drei Generationen von Menschenrechten
Westliche Doppelstandards
Menschenrechtsimperialismus
Was tun?
Schlussworte