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Ep. #1 | Was ist der Kapitalismus? (Theorie)

October 18, 2021 linketheorie
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Ep. #1 | Was ist der Kapitalismus? (Theorie)
Show Notes Transcript

In dieser ersten Folge sprechen wir über die grundlegenden Prinzipien des Kapitalismus. Es geht um die Vorteile der marxistischen Perspektive auf den Kapitalismus, ums Kapital, um die Ware und um den Gewinn.

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Hier findet ihr unsere Transkripte zu den einzelnen Folgen.

Weiterlesen:
Amin, S. (1974): Accumulation on a World Scale. A Critique of the Theory of Underdevelopment (Volumes 1 and 2 combined). New York: Monthly Review Press.
Böcking, H.-J. (o.J.): Kapital. Definition: Was ist “Kapital”? Abrufbar unter:
https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/kapital-38061.
Cleaver, H. (2012): »Das Kapital« politisch lesen. Eine alternative Interpretation des Marxschen Hauptwerks. Wien: mandelbaum.
Fülberth, G. (2021): G Strich. Kleine Geschichte des Kapitalismus. 7. überarb. u. erw. Aufl. Köln: PapyRossa Verlag.
Harvey, D. (2015): Seventeen Contradictions and the End of Capitalism. London: Profile Books.
Harvey, D. (2017): Marx’ »Kapital« lesen. Hamburg: VSA.
Heinrich, M. (2013): Wie das Marxsche «Kapital» lesen? Leseanleitung und Kommentar zum Anfang des «Kapital» (Teil 2). 1. Aufl. Stuttgart: Schmetterling Verlag.
Heinrich, M. (2016): Wie das Marxsche «Kapital» lesen? Leseanleitung und Kommentar zum Anfang des «Kapital» (Teil 1). 3. durchg. Aufl. Stuttgart: Schmetterling Verlag.
Heinrich, M. (2018): Kritik der Politischen Ökonomie. Eine Einführung in «Das Kapital» von Karl Marx. 14. durchg. Aufl. Stuttgart: Schmetterling Verlag.
Krämer, R. (2015): Kapitalismus verstehen. Einführung in die Politische Ökonomie der Gegenwart. Hamburg: VSA.
Mankiw, N. G./Taylor, M. P. (2017): Grundzüge der Volkswirtschaftslehre. 7. Aufl. Stuttgart: Schäffer-Poeschel Verlag.
Marx, K. (1985): Das Kapital. Kritik der Politischen Ökonomie (Erster Band). 29. Aufl. Berlin: Dietz Verlag.
Marx, K. (1985): Das Kapital. Kritik der Politischen Ökonomie (Zweiter Band). 25. Aufl. Berlin: Dietz Verlag.

Anmerkung: im Podcast unterhalten sich zwei Personen. Diese werden nachfolgend als (L) und (Y) bezeichnet.

- Musik wird eingespielt - 

(L) Herzlich Willkommen zur ersten Folge von linketheorie, dem Podcast wo wir über den Kapitalismus reden, was an ihm schlecht ist und wie wir ihn überwinden können. In dieser Folge gehen wir der Frage nach, was den Kapitalismus ausmacht. Wir stützen uns vor allem auf marxistische Ansätze und steigen jetzt erst mal mit einem kleinen Gedankenexperiment ein.

(Y) Ja, ich hab mir da was kleines überlegt: Stellen wir uns mal vor, dass ein Team Forscher*innen von ´nem anderen Planeten auf die Erde kommt. Sie haben zuhause die Aufgabe bekommen herauszufinden, was die Menschen, die auf diesem Planeten leben, ausmacht. Das Erste, was sie sehen, sind ganz unterschiedliche Wesen. Große Menschen, kleine Menschen, blonde Menschen, schwarzhaarige Menschen, Menschen ohne Beine und Menschen, die Schriftzeichen auf ihrer Haut haben. Man könnte jetzt sagen, dass bei so unterschiedlichen Wesen falsch wäre zu versuchen, das alles auf einen Nenner zu bringen, aber ein paar wichtige Gemeinsamkeiten findet man. Zum Beispiel müssen alle Menschen atmen und brauchen Sauerstoff um zu überleben, sie müssen sich ernähren und so weiter. Genau das macht Forschung und genau das macht auch die marxistische Forschung zum Kapitalismus und die marxistische Theorie zum Kapitalismus. Die fragt nämlich nach dem Kern des Gegenstands und den Logiken, denen der Gegenstand folgt und das, was über alle Erscheinungen hinweg, Gemeinsamkeiten sind. 

(L) Und das versuchen auch wir heute zu machen. Es geht uns also nicht darum, den Kapitalismus irgendwie in einer kurzen Zeitepoche oder in der jetzigen, genauen Erscheinungsform anzuschauen, sondern zu schauen: was sind die Dinge, was sind die Prozesse, die den Kapitalismus über die Jahrhunderte hinweg charakterisieren? Also was sind die Grundprinzipien des Kapitalismus?

(Y) Ich will noch ein kleines anderes Element mit rein bringen. Stellen wir uns vor, dass die Menschen die Forscher*innen – ähm – weitgehend akzeptieren und dass sie ihnen glauben, weil die Forscher*innen auch wissenschaftlich ziemlich weit sind und deswegen ein ziemlich gutes Wissen vorweisen können und auch ganz gute Theorien über Menschen hervorbringen können. Stellen wir uns jetzt vor, dass diese Wissenschaftler*innen, oder diese Forscher*innen aus dem, was sie bei den Menschen sehen schließen, dass sie sagen „Menschen sind eigentlich von Grund auf gut. Menschen haben in sich was, in ihrer Biologie, oder sonst wo, das sie von Grund auf gut macht.“ und das veröffentlichen sie dann, oder sie sagen es den Menschen, wie sie die ganzen Daten interpretieren und die Menschen werden dann darauf reagieren, weil Menschen sind soziale Wesen und wir nehmen die Bilder auf, die andere sich über uns machen und wenn die Forscher*innen uns erforschen und sich denken „hieraus können wir schließen, dass Menschen gute Wesen sind.“, dann werden wir uns selber wahrscheinlich ja auch als gute Wesen wahrnehmen. 

(L) Genau und das unterscheidet uns Menschen auch von irgendwelchen Neutronen, bei denen ich berechnen kann, wenn ich jetzt irgendwie eine bestimmte Strahlung auf sie einwirken lasse, was dann passieren wird. Wenn wir das bei Gesellschaften machen, bei Menschen, dann können wir das nicht sagen. Denn Menschen haben ein Bewusstsein, sie denken eigenständig. Zwar kann ich irgendwie mit Wahrscheinlichkeiten rechnen und überlegen, was wahrscheinlich passiert, aber ich kann nicht vorhersagen, was sich für Dynamiken möglicherweise entwickeln und was wirklich tatsächlich zu 100% passieren wird.

(Y) Genau und von dem Beispiel aus können wir eigentlich auch ganz gut zu ´ner Kritik von der herrschenden Wirtschaftslehre kommen. Die die politische Ökonomie, oder die Volkswirtschaftslehre nicht als Sozialwissenschaft sieht, sondern sie als ´ne Art – äh – weitere Naturwissenschaft sieht.

(L) Genau, die herrschende Wirtschaftslehre die setzt universelle, unhistorische Gesetze voraus, oder sucht zumindest nach ihnen und benutzt dabei quasi quantitative Modelle und Voraussetzungen als wäre es keine Sozialwissenschaft, die mit Gesellschaften, mit Politik, mit Menschen zu tun hat und davon beeinflusst wird.

(Y) Genau, eigentlich löst sich die heutige Ökonomie, oder zumindest die heutige herrschende Ökonomie darin auf, dass sie mathematische Modelle macht und dass sie sich als ´ne mathematische Wissenschaft ansieht, die vermeintlich objektive und auch relativ zeitlose Wahrheiten und Gesetze aufdecken kann.

(L) Die Ökonomie ist aber tatsächlich sehr politisch, auch wenn sie sich gern unpolitisch gibt, denn die Voraussetzungen auf denen sie fußt, die sind höchst politisch, die sind künstlich geschaffen, durch Gesetze – sagen wir irgendwie – Steuern und das Geld überhaupt wird vom Staat definiert und gegeben und auch das Arbeitsverhältnis wird definiert und vor allem, dass es Privateigentum an Produktionsmitteln gibt – dazu werden wir später auch noch kommen – das ist mit Gesetzen festgelegt und wird mit Gesetzen und auch mit der Polizei verteidigt. Das heißt: die Grundprinzipien, auf denen die Ökonomie fußt, sind höchst politisch und sind umkämpft politisch und damit ist die Ökonomie eine politische Wissenschaft.

(Y) Ja und das führt uns auch dazu, dass die – ähm – herrschende Wirtschaftslehre sich in gewisser Weise hinter ihren mathematischen Modellen und hinter der ganzen Statistik versteckt. Denn hinter dem Ganzen was irgendwie als Sachzwänge erscheint, oder als ganz natürliche Ergebnisse von ´ner logischen Argumentation, hinter dem Ganzen versteckt sich, wie du eben schon gesagt hast, dass die politische Ökonomie, die Volkswirtschaftslehre und genau so auch die Betriebswirtschaftslehre eigentlich ´ne zutiefst politische Disziplin ist. Denn das hat auch damit zu tun, dass die Ökonomie eben ´ne Sozialwissenschaft ist. Das heißt, es geht nicht um Prozesse, die unabhängig von den Menschen ablaufen, sondern es geht genau um die Menschen und um die Unternehmen und um andere Organisationen und um deren Verhalten und all das wird beeinflusst von den historisch bestimmten, gesellschaftlichen Bedingungen, von der Gesellschaft in der wir leben und von den verschiedenen Zwängen, Sachzwängen, von den verschiedenen Einflüssen, in denen wir leben. In den Blick genommen werden müssen deswegen auch die unterschiedlichen Stellungen, die Menschen einnehmen, in der Wirtschaft. Es gibt nämlich nicht einfach nur Menschen, die auf ´ner gleichen Ebene stehen und die gleiche Interessen haben, sondern es gibt verschiedene Positionen in der Wirtschaft, die Menschen einnehmen. Manche besitzen vielleicht Produktionsmittel, oder haben sehr viel Einkommen, haben sehr viel Geld. Andere haben kaum Einkommen oder kaum Vermögen, und besitzen eigentlich kaum was, außer ihrer Wohnung und ´nem Kühlschrank und vielleicht ´nem Sofa, auf dem sie dann schlafen können.

(L) Umgekehrt wirken wirtschaftliche Prozesse und Interessen auch wieder auf die gesellschaftlichen und politischen Bedingungen und Entwicklungen ein. Also es gibt eine gegenseitige Rückwirkung. Und damit ist auch das was in der Ökonomie passiert nicht unpolitisch und dort, wo sich die Ökonomie als unpolitisch ausgibt, setzt sie die herrschenden Verhältnisse eigentlich nur als unveränderbar gegeben voraus und verfestigt sie damit, also was wir irgendwie in der BWL, in der VWL sehen, was da an Prämissen vorausgesetzt wird. Ich weiß nicht, ob irgendjemand mal ´n Buch aufgeschlagen hat von dort, oder da mal da ´ne Vorlesung besucht hat, weil ihr studiert, da wird einfach so viel vorausgesetzt, was nicht mehr hinterfragt wird und genau das sind diese herrschenden Verhältnisse, diese kapitalistischen Produktionsverhältnisse, die vorausgesetzt werden, aber die ein Machtverhältnis darstellen und hochpolitisch sind. Wir wollen ja eben mit einem marxistischen Ansatz eben jetzt an den Kapitalismus herangehen. Wie machen wir das jetzt?

(Y) Genau, der marxistische Ansatz zeichnet sich eigentlich dadurch aus, dass er genau diese Machtverhältnisse und die unterschiedlichen Positionen, die Menschen in der Ökonomie einnehmen in den Produktionen, in der Produktion und auch im Austausch der Waren und Dienstleistungen. Genau das alles nimmt der in den Blick und weiß auch das Menschen unterschiedliche Interessen haben und die marxistische Analyse kann auch darauf hinweisen, dass der Kapitalismus eben nicht nur das schöne Bild ist, was die herrschende Wirtschaftslehre uns zeichnet, sondern dass der Kapitalismus, oder die kapitalistische Produktionsweise starke Widersprüche in sich beherbergt, die ihn angreifbar machen. Gehen wir aber zuerst mal darauf ein, wie genau der Marxismus, oder die marxistische Perspektive sich die kapitalistische Produktionsweise anschaut. Wir bewegen uns auch mit der marxistischen Analyse eigentlich auf ´nem sehr hohen Abstraktionslevel und das werdet ihr gleich noch sehen. Das haben wir auch ganz am Anfang gesagt. Wir wollen nicht die kapitalistische Produktionsweise anschauen, wie sie sich heute in diesem Jahr –äh – gestaltet und wir wollen auch nicht alle verschiedenen Einflussfaktoren betrachten, sondern wir wollen die wesentlichen, grundlegenden und auch die zeitübergreifenden Faktoren in den Blick nehmen, die über die gesamte Existenz des Kapitalismus leitend waren. Wir werden auch in ´ner anderen Folge nochmal auf die verschiedenen Formen des Kapitalismus eingehen, die er angenommen hat, aber heute nehmen wir erstmal ´ne übergreifende Perspektive ein. In unserer Analyse beziehen wir uns auf die marxistische Theorie, beziehungsweise vor allem auf Marx. Wichtiges Problem bei Marx ist natürlich, dass Marx sein Hauptwerk „Das Kapital“ vor 200 Jahren geschrieben hat und dass sich weil Geschichte und Gesellschaft sich immer weiter entwickeln, die kapitalistische Produktionsweise natürlich auch gewandelt hat. Vieles was wir bei Marx hören, ist mittlerweile in den Hintergrund gerückt, während anderes hinzugekommen, oder wichtiger geworden ist.

(L) Ja, trotzdem ist Marx für uns als Ausgangspunkt unverzichtbar und das ist so, weil die Vergangenheit erstens immer in der Gegenwart auch mit enthalten ist. Die Gegenwart ist ja nichts, was einfach da ist, sondern sie ist gewachsen und entspringt aus ´ner Gesellschaft, die davor schon da war. Und zweitens und das ist der weitaus wichtigere Punkt: wir leben immer noch im Kapitalismus und in der kapitalistischen Produktionsweise, die einen Kern besitzt, auf den wir immer stoßen werden. Egal wie sie sich gewandelt hat und wie sich die Gesellschaft weiterentwickelt hat, hat die kapitalistische Produktionsweise immer noch einen Kern, auf den wir dann eben jetzt auch eingehen wollen – die, solange der Kapitalismus besteht, auch bestehen bleibt. 

(Y) Wir haben jetzt die ganze Zeit von der kapitalistischen Produktionsweise gesprochen. Was ein bisschen ungewöhnlich ist, weil eigentlich, wenn man über den Kapitalismus spricht, dann nennt man ihn auch bei diesem Namen und zwar Kapitalismus. Was aber genau ist die kapitalistische Produktionsweise? Wenn von der kapitalistischen Produktionsweise gesprochen wird, geht’s nicht um die gesamte Gesellschaft, sondern es geht vor allem darum, wie produziert wird und wie die produzierten Waren und Dienstleistungen dann verteilt werden. Es geht also nicht um die kapitalistische Gesellschaft, die sich dann vielleicht noch daraus ergeben könnte.

(L) Marx spricht von Gesellschaften, in denen die kapitalistische Produktionsweise herrscht. Und damit verweist er darauf, dass die kapitalistische Produktionsweise durchaus auch schon vorher bestehen konnte, ohne dass sie eben die herrschende war. Sie wird aber dann zur herrschenden Produktionsweise, wenn die Mehrheit der Menschen auf Waren angewiesen sind, die kapitalistisch hergestellt werden. 

(Y) Genau und dadurch dass Marx eben darauf hinweist, dass selten eine kapitalistische Produktionsweise in der gesamten Gesellschaft vorkommt, sondern dass zwar eine Produktionsweise herrschend ist, aber gleichzeitig noch andere Produktionsweise existieren können, können wir auch den Kapitalismus ein kleines bisschen besser verstehen. Denn auch aktuell ist der Kapitalismus, auch wenn´s so scheint, nicht weltumspannend, sondern die kapitalistische Produktionsweise existiert gleichzeitig mit anderen, nicht-kapitalistischen Produktionsweisen. Und ein besonderes Merkmal von der kapitalistischen Produktionsweise ist, dass er mit denen nicht unbedingt in Konflikt gerät, sondern dass er die sich auch nutzbar machen kann, um selber weiter zu wachsen und um selber weiter zu bestehen. 

(L) Genau, also das bedeutet –der – die kapitalistische Produktionsweise ist zwar die herrschende, aber solange es eben nicht-kapitalistische Produktionsweisen gibt, die den Kapitalismus, oder kapitalistische Logiken nicht behindern, sondern vielleicht sogar unterstützen und vielleicht sogar von dem Kapitalismus nutzbar gemacht werden können, ist das kein Widerspruch. Zum Beispiel in der feministischen, marxistischen Analyse wird da oft Hausarbeit hergenommen. Das ist eigentlich keine kapitalistische Organisation von Arbeit, weil Hausarbeit keine Lohnarbeit ist. Trotzdem kann sie aber weiter bestehen, weil auch der Kapitalismus davon profitieren kann , dass eben eine Person im Haushalt kostenlos und ohne Lohn die Kindererziehung macht und die arbeitende Person des Haushalts pflegt und der Person quasi den Rücken freihält, weil dadurch diese Person ausbeutbarer wird.

(Y) Wir werden jetzt noch näher auf die kapitalistische Produktionsweise eingehen, aber um euch das Ganze ein bisschen leichter zu machen, wollen wir erst mal ´ne kurze Definition von der kapitalistischen Produktionsweise geben. Und zwar ist die kapitalistische Produktionsweise dadurch gekennzeichnet, dass das Eigentum an den wichtigsten Produktions- und Zirkulationsmitteln Einzelpersonen gehört und dabei liegt der Fokus darauf Gewinn zu erzielen und dadurch das eigene Kapital zu vergrößern, beziehungsweise auch das Fremdkapital. Zentral ist dabei die Ware und die Warenform.

(L) Ja, aber –ähm – zuerst mal zum Kapital. Ich mein, das ist ja schon im Wort „Kapitalismus“ enthalten. Was ist denn das Kapital?

(Y) Vom Kapital haben wir ein paar Definitionen zusammen gesammelt. Wir haben erst mal die bürgerliche Kapitaldefinition und dann werden wir auf ein paar marxistische Definitionen eingehen. Bei bürgerlichen Kapitaldefinitionen wird meistens auf die Ausrüstung, auf die Anlagen, auf die Fabriken, auf die Maschinen, oder auch auf das Geld fokussiert. Die VWL zum Beispiel sieht Kapital – beziehungsweise, sie nennt´s Realkapital – als die Ausrüstung und die Anlagen an, die genutzt werden, um ein Gut zu produzieren. Das heißt: Kapitalgüter sind vor allem Maschinen in Fabriken, es sind die Gebäude, es sind Traktoren, Computer, Öfen, ganz viele verschieden Dinge. Die BWL schaut eher auf die Geldmittel. Also auf das Geld, das zur Verfügung steht und unterscheidet dabei das Eigen- und Fremdkapital. Eigentlich wird bei den bürgerlichen Kapitaldefinitionen schon deutlich, dass hier ein Problem vorliegt, wie das Kapital definiert werden kann. Bei den einen ist es irgendwie – sind es verschiedene Güter, - es – einerseits Gebäude können es sein, dann können´s Computer sein. Beim anderen ist es irgendwie Geld und auch in unserer Gesellschaft, oder im Alltagsverstand hat sich ja sowas eingebürgert, dass wir vor allem aufs Geld gucken. Eine marxistische Analyse geht in ´ne andere Richtung. Und zwar sieht ´ne marxistische Analyse das Kapital als Kapital an, wenn es eingesetzt wird um mehr zu werden. Also wenn Geld oder Waren, oder etwas anderes eingesetzt wird, um Gewinn zu erzielen und zu akkumulieren. Auf den Akkumulationsbegriff kommen wir gleich noch zu sprechen.

(L) Genau, Kapital ist quasi sich verwertender Wert. Also quasi alles, was eingesetzt wird um am Ende mehr Kapital zu bekommen. Kapital existiert quasi nur in seiner Vermehrung, oder in seinem Einsatz zur Vermehrung.

(Y) Genau und das macht eigentlich die Akkumulation aus. Dass wir ein konstantes Wachstum haben. Und Wachstum hat sich ja mittlerweile auch in der bürgerlichen Kapitalismuskritik sehr durchgesetzt. Aber warum ist das jetzt eigentlich ´ne bessere Definition vom Kapital? Wie wir vorhin schon gesagt haben: die bürgerlichen Kapitaldefinitionen können nicht wirklich fassen, dass das Kapital unterschiedliche Formen annehmen kann. Es kann Geld sein, es kann ´ne Fabrik sein, es kann ein Computer sein, es kann sogar Öl sein. Also es nimmt verschiedene Formen an und das genau kann die marxistische Analyse fassen, denn ´ne marxistische Analyse sieht das Kapital als ´ne Bewegung an und als viele verschiedene Bestandteile, die ein Ganzes bilden. 

(L) Genau, eben vor allem dieser Aspekt, dass es sich vermehren will und dass – es – der Sinn und Zweck die Vermehrung von sich selbst ist – ähm – ist ebenso wichtig und hilft uns auch den Kapitalismus einfach besser zu verstehen. Wieso er diesen Expansionsdrang hat und wieso er Mensch und Natur so sehr ausbeuten will. Es gibt für das Kapital unterschiedliche Weisen, Gewinn zu erzielen. Zum einen kann man zum Beispiel Geld gegen Zins verleihen, oder man kann Güter an einem Ort billig kaufen, an einem anderen teuer verkaufen und hat dadurch mehr Geld bekommen.

(Y) Genau, das ist auch ein wichtiger Punkt bei Kapitalismuskritik, oder sagen wir mal Kapitalkritik. Häufig wird das alles ´n bisschen zusammen geschmissen und häufig wird auch nicht ganz verstanden, worum es Marx eigentlich geht. Weil zum Beispiel, dass Geld gegen Zins verliehen wird, das gab´s eigentlich schon vorher. Und sowas wie ein Handelskapital, also dass – ähm – irgendwo eingekauft wurde, billig und woanders teuer verkauft wurde, das gab´s auch schon vorher. Zentral im Kapitalismus wird das industrielle Kapital und das ist ´ne ganz neue Art, wie Gewinn erzielt werden kann. Nämlich geht´s hier nicht mehr darum, dass Geld verliehen wird, oder – ähm – dass gehandelt wird, sondern Gewinn soll plötzlich im Produktionsprozess selber gewonnen werden. Und das steht im Zentrum der marxistischen Analyse und das ist auch ein Grund, warum Marx mittlerweile erweitert werden muss, weil das industrielle Kapital heute natürlich ´ne ganz andere Stellung eingenommen hat, gegenüber dem Handelskapital, oder dem zinstragenden Kapital. Gewinn hat´s also schon in früheren Gesellschaften gegeben, wie wir vorhin schon meinten: häufig wurde Geld gegen Zins verliehen, oder es wurde eben gehandelt. Das Besondere im Kapitalismus ist jetzt, dass der Gewinn nicht einfach nur noch benutzt wird, um ein geiles Leben zu führen, um irgendwie – ähm – sich was Schönes zu gönnen, um in ´nem schönen Haus zu wohnen, oder in ´nem – in ´nem äh – Schloss. Sondern der Gewinn wird mittlerweile dafür eingesetzt, um die Produktionsvoraussetzungen selbst zu erweitern. Es geht also darum, das Geschäft auszuweiten, um in Zukunft noch mehr Gewinn zu machen. Dass die Kapitalisten, oder die Kapitalist*innen, ihren Gewinn nicht mehr einfach verprassen, sondern plötzlich dafür einsetzen, ihr Unternehmen noch weiter wachsen zu lassen, ist übrigens nicht unbedingt in dem Begehren von den einzelnen Kapitalisten, oder Kapitalistinnen angelegt. Die Kapitalisten, oder Kapitalistinnen, werden in gewisser Weise gezwungen, dass sie immer mehr Kapital akkumulieren, denn rund um sie herum sind ganz viele andere Kapitalisten, oder Kapitalistinnen, die ihr eigenes Unternehmen führen und dabei ist ein ständiger Konkurrenzkampf. Und wenn die Kapitalisten, oder Kapitalistinnen selber nicht wachsen, dann kann´s sein, dass sie in Zukunft irgendwann von ´nem anderen Unternehmen geschluckt werden und dann stehen sie selbst auf der Straße und sind genauso eigentums- und besitzlos, wie die arbeitenden Klasse, die für sie arbeiten. 

(L) Genau und dieser Drang eben, immer besser zu sein und immer mehr zu machen, damit man bloß nicht abgehängt wird, der zwingt eben die Kapitalisten dazu, immer größer zu werden und immer mehr zu akkumulieren und das ist eben, das verweist eben auch auf diesen Expansionsdrang des Kapitals.

(Y) Hier haben wir übrigens noch einen anderen Punkt, der Marx ein bisschen einschränkt und auf den wir in der Zukunft sicher nochmal eingehen werden. Und zwar haben wir in der Entwicklung des Kapitalismus sehr viele Monopole auf- und abgehen sehen und wenn Monopole sich bilden, ist diese Konkurrenz zwischen den Kapitalist*innen gar nicht mehr so gegeben. Das heißt, wenn wir einen Monopolkapitalismus haben, ändern sich die Grundvoraussetzungen unter den Kapitalist*innen existieren und damit auch der Zwang zur Akkumulation. 

(L) Jetzt aber zurück zum Kapital. Einerseits hatten wir ja irgendwie, dass Kapital Bewegung ist, zum anderen kann´s ja irgendwie Geld, oder Güter gleichzeitig sein. Kannst du das nochmal genauer erklären, woher das kommt?

(Y) Genau, das ist auch nochmal ein spannender Bestandteil von der marxistischen Theoriebildung, das vor allem David Harvey anführt. Und zwar ist das Kapital eben beides. Also einerseits ist es ´ne Bewegung, es ist ein Fluss, der ständig wechselt von verschiedenen, einzelnen – ähm – Zuständen. Andererseits nimmt es aber natürlich materielle Formen an. Mal ist es Geld, mal ist es ´ne Ware. Wenn wir uns jetzt mal die Zirkulation des industriellen Kapitals anschauen, dann sehen wir das Ganze. Sagen wir mal, ein industrieller Kapitalist, oder eine industrielle Kapitalistin fängt an, mit ´ner bestimmten Summe von Geld. Damit wird er, oder sie, sich Waren kaufen. Wahrscheinlich Produktionsmittel, das heißt ein Fabrikgebäude, ein paar Maschinen, oder vielleicht auch Taxis, wenn’s – äh – um Taxiunternehmen geht und Arbeitskraft. Das heißt, verschiedene Arbeiter*innen, die für sie arbeiten können. Die verschiedenen Waren packt sie jetzt irgendwie zusammen in ´nen Produktionsprozess. Dabei soll irgendwas geschehen, das heißt irgendwie wird gearbeitet und am Ende kommt ´ne Ware raus. Aber diese Ware soll eigentlich nicht das Gleiche sein, wie die Ware, die am Anfang gekauft wurde, sondern es soll ´ne Ware sein, plus nochmal ´n bisschen was dazu. Und diese Ware plus nochmal ´n bisschen was dazu soll dann verkauft werden und dann kriegt man Geld und nochmal, also das Geld vom Anfang, beziehungsweise nicht das gleiche Geld, sondern – äh – ´ne ähnliche Summe von Geld, plus nochmal ´n bisschen Geld dazu. Und dann soll diese ganze Bewegung wieder von vorne anfangen und durch diese ganzen einzelnen Bestandteile durchgehen.

(L) Genau und diese Zirkulation nimmt der Kapitalist auf sich, um Profit zu generieren. Es geht quasi darum, am Anfang hat man zum Beispiel Geldkapital, setzt es ein und am Ende dieser einen Runde, in der Produziert wurde, hat man mehr Kapital. Und dieses Kapital wird wieder eingesetzt um am Ende wieder noch mehr Kapital zu generieren. Es gibt quasi eine Zirkulation und jedes Mal vermehrt sich das Kapital weiter. Das Kapital ist quasi ein kontinuierlicher Wertfluss, durch verschiedene Momente und vollzieht dabei verschiedene Verwandlungen, also in verschiedene Materialformen, wie du ja eben erklärt hast, irgendwie Geld, dann werden damit Waren gekauft und so weiter. 

(Y) Ja und die verschiedenen Bestandteile sind natürlich auch voneinander abhängig. Das heißt, dass irgendwas zu ´ner Ware werden kann, also dass irgendwas sich verwandeln kann in Produktionsmittel, setzt voraus, dass das Geld da war. Und dass am Ende mehr Geld ist, setzt voraus, dass am Anfang – äh – Arbeitskraft gekauft wurde, dass Produktionsmittel gekauft wurden, also ´ne Fabrik und – ähm – Maschinen und so weiter und dass daraus ´ne Ware wurde. Also alles verweist irgendwie aufeinander und genau diese Bewegung ist eigentlich zentral für das Kapital, denn diese Bewegung, diese Bewegung zur Akkumulation, also diese Bewegung um immer mehr zu werden, muss es eigentlich ständig durchmachen, denn sonst stirbt es als Kapital. Wenn also jetzt ´ne Kapitalistin, oder ein Kapitalist sagen würde, dass er/sie das Geld, das eingesetzt wurde rauszieht aus der Produktion, also nicht mehr bei dem ganzen Spiel mitmachen möchte und sich lieber mit dem ganzen Geld ´n schönes Leben jetzt machen möchte, dann ist das Geld plötzlich kein Kapital mehr, sondern das Geld ist einfach nur noch Geld, das eingesetzt wird, um zu konsumieren. Und dadurch dass es ´ne Bewegung ist, ist auch die Geschwindigkeit wichtig. Denn diese verschieden Bestandteile der Bewegung können ja in unterschiedlichen Geschwindigkeiten durchgemacht werden. Der Produktionsprozess kann schneller oder langsamer passieren, oder der Verkauf der Ware kann schneller oder langsamer passieren und je schneller ich diese verschiedenen Bewegungen durchmachen kann, desto höher ist auch mein Jahresprofit.

(L) Denn ich hatte ja vorhin erklärt, dass jedes Mal, wenn diese Zirkulation passiert, dann wird das Kapital zu mehr Kapital, das wieder eingesetzt wird um wieder mehr Kapital zu werden. Und je öfter diese Zirkulation passiert, desto öfter vermehrt sich das Kapital, desto öfter wird das Kapital größer und desto größer ist das Kapital am Ende quasi.

(Y) Vielleicht machen wir das ganz kurz praktisch. Und zwar nehmen wir mal an, dass wir ´ne – Marx nennt das Umschlagszeit – nehmen wir an, dass wir ´ne Umschlagszeit von einem Jahr haben. Das heißt, jemand kauft Arbeitskräfte und Produktionsmittel, lässt produzieren und lässt damit ´ne Ware herstellen und verkauft danach diese Ware wieder. Und diese ganze Bewegung von Geld zu mehr Geld, dauert ein Jahr lang und am Ende hat er oder sie, sagen wir mal 10.000€ mehr. Wenn der oder die Kapitalist*in es jetzt schafft, dass diese Bewegung des Kapitals zwei oder drei Mal passieren kann im Jahr, indem zum Beispiel die Produktion abgekürzt wird, oder die Ware schneller verkauft wird, dann ist im Jahr der Gewinn nicht mehr bei 10.000€, sondern bei 20-30- oder noch mehr- tausend Euro. Einfach dadurch dass die Produktion oder der Verkauf schneller passieren konnte.

(L) Genau und damit diese Geschwindigkeit möglichst groß ist, ist es auch wichtig, dass die Übergänge in der Zirkulation problemlos sind. Also dass es quasi keine Barrieren in dieser Zirkulation und in der Produktion gibt. Zum Beispiel war ja dieses Jahr im Suez-Kanal dieses – ähm – Schiff stecken geblieben, was ein totales Problem war, weil einfach die Handelsrouten, die Handelsschiffe nicht mehr durchgekommen sind und damit die Zirkulation des Kapitals verlangsamt wurde, weil dann vielleicht manche Lieferungen zwei Wochen später erst abgesetzt werden konnten. Ein anderes Beispiel ist, was eher – ähm, ja – noch ´ne Hürde für das Kapital darstellt, ist das Wachstum von Pflanzen, die wir als Lebensmittel produzieren, das hat ja ´ne bestimmte Dauer, ist vielleicht sogar saisonabhängig und kann einfach nicht auf null reduziert werden. Und da gibt es ja auch schon Versuche, das zu beschleunigen. Es gibt Plastikplanen, Gewächshäuser, künstliche Beleuchtung, Wärmelampen und so weiter. Und nach und nach kommen auch schon irgendwie genveränderte Pflanzen, die dann schneller, praller wachsen auf den Markt, aber trotzdem konnte es noch nicht verringert werden. Aber es zeigt, dass eben dieser Zwang da ist, das schneller zu machen, nicht weil wir alle Menschen irgendwie sättigen wollen, darum geht´s gar nicht, weil das wäre ja schon längst möglich. Sondern es geht darum, einfach schneller abzusetzen, um dann wieder schneller zu produzieren und deswegen ist es auch ok, dass diese Lebensmittel dann im Kühlschrank verdorren, weil dann werden wir ja wieder neue kaufen. 

(Y) Und genau durch diese Dynamik vom Kapital, das eigentlich darauf zusteuert, dass die Umschlagszeit, wie ich´s vorhin genannt habe, immer schneller wird, können wir ganz viele verschiedene Phänomene, denen wir tagtäglich begegnen ´n bisschen besser verstehen. Zum Beispiel kennen wir mittlerweile alle die geplante Obsoleszenz, bei der verschiedene, vor allem technische Geräte, schon von Anfang an darauf ausgelegt werden, dass sie nicht so lange funktionieren, wie sie funktionieren könnten, nur damit wir schneller neue Waren einkaufen. Genauso ist es auch mit Innovationen. Dass immer neue Waren reingeschmissen werden, auf den Markt, liegt vor allem daran, dass immer neue Waren auch die Umschlagszeit des Kapitals verändern könnten.

(L) Ja, zum Beispiel sehen wir das wirklich jedes Jahr wird ´n neues iPhone und ´n neues iPhone pro und ´n neues iPhone pro max und was weiß ich noch alles, auf den Markt geworfen, obwohl es vielleicht reichen würde, alle paar Jahre irgendwie ein neues iPhone zu entwickeln, dann wirklich mal Neuerungen einzubauen und nicht einfach nur die Kamera, statt übereinander, quer zu stellen. Aber es motiviert einfach Menschen, sich dann eben dieses neue iPhone zu holen und das wäre vielleicht sonst nicht so.

(Y) Genauso ist es dann auch mit veränderter Mode zum Beispiel. Dass Mode mittlerweile nicht mehr nur für jedes Quartal des Jahres relevant ist, sondern mittlerweile fast wöchentlich verändert wird, hat auch seinen Grund darin, dass damit immer mehr Waren produziert und verkauft werden können. Aber gehen wir vielleicht mal zur nächsten Definition vom Kapital. Wenn wir vom Kapital sprechen, dann meinen wir häufig auch die kapitalistische Klasse. Dazu müssen wir vielleicht kurz ausholen, was überhaupt Klassen sind. Alle bisherigen Gesellschaften, die auf der Welt gewandelt sind, oder zumindest seit dem Urkommunismus, sind Klassengesellschaften. Dabei stehen sich zentral zwei Klassen gegenüber. Bestimmend, was die Klassen sind und wie die Klassen aussehen und wie die Klassen sich zueinander verhalten, ist wie die Eigentumsverhältnisse in der jeweiligen Gesellschaft sind. 

(L) Genau, wir gehen jetzt da nicht genauer auf ältere Gesellschaften ein, das ist vielleicht nochmal ein extra Thema. Wichtig ist jetzt hier, dass im Kapitalismus die Klassen bestimmt werden dadurch, wer Privateigentum an Produktionsmitteln hat und wer das nicht hat. Und die kapitalistische Klasse ist eben diese Klasse, die das Privateigentum an Produktionsmitteln hat und damit die Menschen, die das nicht haben und sich deswegen nicht ernähren können, arbeiten lassen kann, um ihr Kapital zu vermehren. Und diese kapitalistische Klasse wird auch oft irgendwie durch das Kapital verallgemeinert und dahinter steht aber eigentlich die Kapitalbewegung. Also das Kapital ist die Logik und nicht die einzelnen Menschen, die einzelnen Kapitalisten sind irgendwie die Bösewichte. Sie sind vielleicht schlechte Menschen, die das ausnutzen, aber eigentlich folgen sie nur einer Logik, die dem System enthalten ist.

(Y) Wir wollen noch eine letzte Deutung des Kapitals mit reinbringen, die zwar auch aus dem marxistischen Bereich kommt, aber ´n bisschen abweicht von dem, was andere sich darunter vorstellen. Und zwar kommt diese Deutung des Kapitals aus dem operaistischen Spektrum, die sich vor allem auf den Klassenkampf fokussieren und dabei speziell von Cleaver. Und zwar sagt Cleaver, dass das Kapital eigentlich ´ne Beziehung ist. Und zwar ´ne Beziehung zwischen der kapitalistischen Klasse und zwischen der Klasse der Arbeitenden, oder der Klasse der Lohnabhängigen auf jeden Fall. Und zwar kommt das dadurch, dass die kapitalistische Klasse versucht, den Arbeitenden die Warenform aufzuzwingen. Das heißt, sie möchten die Arbeitenden dazu zwingen, dass sie ihre Arbeitskraft verkaufen und dass sie auch alles, was sie zum Überleben brauchen kaufen, beziehungsweise auch wieder verkaufen. Die kapitalistische Klasse möchte also dadurch ´ne Zwangssituation schaffen, um die Arbeitenden, oder die Lohnabhängigen, zum Arbeiten zu zwingen.

(L) Genau und das Kapital wird wie gesagt als Beziehung zwischen Kapital und Arbeiter*innklasse angesehen und ein Grund dafür ist, dass eben die Arbeiter*innenklasse, die ja für das Kapital arbeitet um zu überleben, selbst Teil der Reproduktion des Kapitals ist. Denn die Arbeitenden produzieren ja Güter und Dienstleistungen und daraus wird dann wieder eben mehr Kapital generiert und damit kann das Kapital – also mit diesen Gütern und Dienstleistungen, die die Arbeiter*innen produziert haben – kann das Kapital die eigene Position als herrschende Klasse wiederum aufrecht erhalten. 

(Y) Cleaver sagt, dass die Arbeit in toter Form in gewisser Weise die Arbeit in lebendiger Form beherrscht. Das heißt, dass die Arbeit in toter Form, das heißt sowohl der Käse, der im Supermarkt liegt – denn auch dort ist Arbeit reingeflossen, aber mittlerweile praktisch in toter Form – als auch die Maschinen, mit denen wir arbeiten – denn auch dort ist lebendige Arbeit reingeflossen und dann erstarrt zu toter Arbeit – dass diese Arbeit in toter Form dann die Arbeit in lebendiger Form, - das heißt die Arbeitskräfte, das heißt die Arbeitenden selber – beherrscht, indem sie die Arbeit in toter Form dann als Waren kaufen müssen, bedienen müssen und sich diesen unterwerfen müssen.

(L) Ich mein, klingt jetzt ´n bisschen kompliziert, aber die Grundaussage davon ist, dass – ja, dieses – diese Arbeit der Arbeiter*innenklasse ja selbst dafür zuständig ist, dass dieses Klassenverhältnis aufrechterhalten wird und dieses Klassenverhältnis sich reproduziert.

(Y) Genau und das impliziert natürlich dann auch die widerspenstige Position der Arbeiter*innenklasse, denn wenn die selber Teil des Kapitals sind, dann können sie sich auch von innen dagegen wehren. Wir haben die Definition einfach mal aufgenommen, nicht weil wir sie für korrekt halten, aber weil sie zumindest einen wichtigen Bestandteil mit reinnimmt. Nämlich dass das Klassenverhältnis selber reproduziert wird, indem die Arbeitenden für die kapitalistische Klasse arbeiten, die kapitalistische Klasse dann die Arbeitsprodukte aufnimmt, verkauft und dadurch die eigene Position sichert. Die Arbeit in toter Form, von der Cleaver spricht, begegnet uns im Alltag meistens als ´ne Ware. Das heißt, wenn wir in den Supermarkt gehen, dann sehen wir überall Waren. Wenn wir in ein Kleidungsgeschäft sehen, dann sehen wir überall Waren. Eigentlich begegnen uns im Kapitalismus, wenn wir raus gehen, jeden Tag so gut wie nur Waren und andere Menschen. Aber vielleicht sollten wir kurz erst mal sprechen, was ist überhaupt ´ne Ware?

(L) Genau, also erstmal: ja wir sind in unserer Gesellschaft davon abhängig, Waren zu produzieren, überall sind Waren. Und unsere Gesellschaft beruht eben auf der Warenproduktion, das ist eine kapitalistische Gesellschaft. Und das bedeutet, dass Menschen ohne das Kaufen und Verkaufen von Waren nicht überleben könnten. Die Menschen erzeugen also die von ihnen genutzt Güter nicht selbst, also sie bauen die Lebensmittel nicht selber an, sondern sie kaufen sie im Supermarkt, im Internet, oder sonst wo. Das war aber nicht immer so. Also das ist nicht, wie die bürgerliche Ökonomie uns gerne erzählen will, eine Grundvoraussetzung jeder Gesellschaft.

(Y) Genau, die bürgerliche Ökonomie erzählt uns, wenn´s um die Entstehung von Geld geht, gerne ´ne kleine Geschichte. Und zwar erzählt sie da ´ne Geschichte von so ´nem kleinen Dorf, wo alle ihre Waren austauschen. Der eine gibt ein paar Maiskolben, der andere gibt ein Stück Rindfleisch und das tauscht man dann in ´ner bestimmten Relation zueinander aus und daraus entsteht dann ganz natürlich Geld. Aber David Graeber, das ist ein Anthropologe, hat in seinen Studien gezeigt, dass das eigentlich ´ne ziemlich falsche Vorstellung ist, wie Menschen miteinander umgehen. Menschen sind nicht rational handelnde Wesen, sondern die ersten Beziehungen zwischen Menschen, oder wie Güter ausgetauscht wurden, ist vor allem über so ´ne Art Schulden entstanden. Und zwar hat dann vielleicht Nachbarin A sich gedacht „Oh Mist, ich brauch noch Maiskolben.“, ist zu Nachbar B gegangen und hat gesagt „Hey, ich brauch ´n paar Maiskolben, kannst du mir welche geben?“ und Nachbar B hat Nachbarin A natürlich gegeben, weil die beiden sind Nachbar*innen und als Nachbar*innen hilft man sich einfach. Und Nachbar B wusste auch, wenn er irgendwann mal Rindfleisch braucht, kann er zu Nachbarin A gehen, denn Nachbarin A hat Rinder und gibt ab und zu mal Rindfleisch weg. Das heißt, man hat so ´ne gewisse freundschaftliche, kollegiale Beziehung gepflegt und da hat man sich einfach gegeben, man hat nicht rational getauscht.

(L) Genau, das war natürlich nicht in jeder Urgesellschaft gleich, aber zumindest verweisen Graebers Ansätze darauf, dass es eher so war, als wie die bürgerliche Ökonomie erzählt, dass es irgendwie einen rationalen Tauschhandel gab und einen rational organisierten Markt, auf dem sich Menschen als gleiche Warenproduzenten begegnet sind. Jetzt aber mal weg von der Warenproduktion und hin zur Ware. Das erste, was uns bei der Ware auffällt ist, dass sie ein Bedürfnis befriedigt. Also wir wollen diese Ware ja vielleicht haben. Und das ist der Gebrauchswert, also dass ist eine qualitative Eigenschaft, die die Ware hat und die sie für uns nutzbar macht.

(Y) Genau, das ist auch zwischen einzelnen Gütern richtig unterschiedlich. So ein Stuhl, der erfüllt ein anderes menschliches Bedürfnis und hat deswegen auch ´ne andere qualitative Eigenschaft, als es zum Beispiel ein Buch hat. Auf einen Stuhl werd ich mich setzen und ein Buch werde ich eher lesen. Diese verschiedenen Gebrauchsweisen der Dinge zu entdecken, ist – sagt Marx - eine geschichtliche Tat. Das heißt, dass wir uns auf einen Stuhl draufsetzen, das ergibt sich eigentlich nicht von alleine, sondern das haben wir als Gesellschaft irgendwie so festgelegt. Und bei den meisten Dingen verwirklicht sich der Gebrauchswert dann im Konsum. Das heißt, wenn ich mir den eben schon genannten Käse aus dem Supermarkt holen werde und ihn esse, dann hab ich den Gebrauchswert, nämlich dass er mich ernähren kann, dass er mir bestimmte Nährstoffe gibt, dass er mir lecker schmeckt, den habe ich dann im Konsum verwirklicht und damit ist der Gebrauchswert weg, weil ich ihn dann verdaue. 

(L) Genau, so einen Gebrauchswert haben Güter, wenn wir sie zumindest benutzen, immer. Anders ist es beim Tauschwert. Tauschwert haben sie nur unter bestimmten, gesellschaftlichen Bedingungen. Der Tauschwert ist ein quantitatives Verhältnis, eine Proportion, von Waren zueinander, die deutlich wird im Tausch. Also wie viele Bücher muss ich dir geben, damit du mir einen Stuhl gibst?

(Y) Ja und Marx argumentiert im Kapital, dass der Tauschwert, das heißt, dass ´ne bestimmte Menge von Stühlen sich gegen ´ne bestimmte Menge von Büchern austauschen lassen, dass diese Tatsache eigentlich darauf verweist, dass etwas gleiches in den Waren existiert, was sie austauschbar macht. Er sagt, dass der Gebrauchswert, also das was die Dinge für uns nützlich macht, dass das eigentlich nicht das sein kann, was sie vergleichbar macht, denn gerade da sind sie ja qualitativ verschieden. Also ein Stuhl unterscheidet sich ja genau darin, dass er zum Sitzen gebraucht wird, gegenüber ´nem Buch, das man zum Lesen benutzt. Das heißt, der Gebrauchswert kann nicht das gleiche sein, was sie vergleichbar macht. Der Tauschwert ergibt sich daraus, dass vom Gebrauchswert abstrahiert wird, also dass eben nicht auf den Gebrauchswert geschaut wird. Hier macht Marx erst mal ´nen Sprung in seiner Argumentation und den machen wir jetzt auch erst mal. Indem er sagt, dass das was in den Waren das Gleiche ist, das ist, dass sie Arbeitsprodukte sind. Das heißt, jemand musste arbeiten um sie herzustellen und genau dadurch, dass jemand Arbeitszeit aufgebracht hat, um sie zu produzieren, dadurch besitzen sie einen Wert.

(L) Genau und dabei ist aber nicht gemeint, dass der Wert der Ware sich daraus ergibt, wie lang ich jetzt da rumtrödel, diesen Stuhl zusammen zu meistern, dann würde er ja doppelt so viel wert werden, wenn ich genau so lang brauche. Sondern es geht um die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit. 

(Y) Das ist erst mal ein komplizierter Begriff, aber wir wollen kurz darauf eingehen, was gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit eigentlich ist. Gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit ergibt sich so ´n bisschen aus dem wo ´ne Gesellschaft sich gerade befindet. Das heißt, wie ist die Geschicklichkeit von Menschen im Durchschnitt von den Leuten, die in dem Sektor produzieren, zu dem aktuellen Zeitpunkt? Wie gut können sie die Ware, oder die Dienstleistung herstellen? Wie schnell können sie´s vor allem? Aber vor allem auch – und das ist sehr wichtig – wie ist aktuell die Technik? Das heißt, vor 200 Jahren dürfte man ´nen Stift in sehr längerer Zeit produziert haben, als man´s heute hat. Denn heute hat man ganz andere Maschinen, die benutzt werden können, um ´ne Ware herzustellen, oder um diesen spezifischen Stift herzustellen. Und das ist auch ein riesiger Antrieb in der Entwicklung der Technik und Wissenschaft, die wir in den letzten 200, 300, 400 Jahren erlebt haben. Denn Technik und Wissenschaft werden auch deswegen weiterentwickelt, weil die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit ein riesiger Faktor dabei ist, wie viel Gewinn erzielt werden kann, von einzelnen Kapitalist*innen. Aber darauf gehen wir später nochmal genauer ein. Um das nochmal zusammenzufassen: der Wert einer Ware, verhält sich also zum Wert der anderen Ware, wie die Arbeitszeit die notwendig ist zur Produktion der einen Ware, zu der Arbeitszeit die notwendig ist, zur Produktion der anderen Ware. Und in diesem Verhältnis werden sie sich im Durchschnitt austauschen.

(L) Ja, vielleicht sollten wir nochmal auf den Unterschied zwischen konkreter und abstrakter Arbeit eingehen. 

(Y) Ja, das ganze ergibt sich so ´n bisschen aus dem was wir vorhin schon gesagt haben. Und zwar haben wir ja gesagt, dass die Ware etwas Doppeltes ist. Sie ist einerseits Gebrauchswert und Wert. Aber wenn die Ware etwas Doppeltes ist, dann muss auch die Arbeit, die diese Ware produziert, zwei Seiten haben. Das heißt, in gewisser Weise muss die Arbeit einerseits die Ware als Gebrauchswert produzieren, andererseits muss sie aber auch Wert produzieren. Marx sagt dazu, dass die Arbeit einerseits die Verausgabung menschlicher Arbeitskraft im körperlichen Sinne ist. Also die ganz konkrete Arbeit, die ich vollführe, zum Beispiel Tischlerei, oder auch Taxifahrerei. Aber andererseits ist sie auch abstrakt Menschliche Arbeit und da bildet sie den Warenwert. Als abstrakt menschliche Arbeit wird genau davon abstrahiert, was diese konkrete Arbeit eigentlich macht und wie sie aussieht. Und es wird einfach nur darauf fokussiert, dass es hier darum geht, dass eine Person Arbeitszeit aufgebracht hat. Und hier haben wir so eine kleine Spaltung in der marxistischen Theorie und wir werden in unserem Podcast wahrscheinlich noch ein paar Mal drauf stoßen und zwar die Frage „Wie genau wird eigentlich konkrete Arbeit zur abstrakten Arbeit?“. Passiert das schon während der Warenproduktion, oder passiert das erst, wenn Menschen miteinander handeln und dadurch eigentlich ihre Arbeit miteinander gleichsetzten? Aber wir werden auf jeden Fall nochmal ´ne Folge zum Arbeitswert – oder zur Werttheorie machen, je nachdem aus welcher Richtung man kommt – und darauf genauer eingehen.

(L) Genau, wir haben ja jetzt den Wert der Ware auf dem Markt, eben als Tauschwert beschrieben, der sich aus der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit ergibt. Dem würde die bürgerliche Ökonomie jetzt widersprechen. Die bürgerliche Ökonomie sagt nämlich, das hat nicht wirklich was mit Arbeit zu tun, sondern einfach mit Angebot und Nachfrage. Also dass sich – ja – je nachdem wie viel Angebot und Nachfrage es von einer Ware gibt, dementsprechend ändert sich der Preis, oder auch das was eben dann ein Gut wert ist. Ja, Marx räumt zwar ein, dass Angebot und Nachfrage ´ne Rolle spielen, aber der Punkt ist, dass sie nicht erklären, warum Schuhe eben im Durchschnitt teurer sind, als Papier. Also auch wenn sich Angebot und Nachfrage eben im Gleichgewicht dann befinden und sich auf einen Preis geeinigt haben, dann gibt es immer noch einen Unterschied zwischen dem was ein Schuh wert ist und dem, was ein Papier wert ist. Die marxistische Theorie würde dann eben sagen, dass die Produktion von Wert dem Voraus geht. Also die Produktion von Wert wird durch die Arbeit – ähm – verwirklicht und auf dem Markt wird dann quasi der Preis ausgehandelt. Und das innerhalb eines Rahmens, da spielen dann Angebot und Nachfrage schon noch eine Rolle, aber der Rahmen wird eben vorgegeben von dem Wert des Produkts. Denn niemand würde einen Schuh produzieren, wenn er dafür weniger Geld bekommt, als er reingesteckt hat und sein Kapital nicht vermehren kann. Und das definiert sich eben dadurch, was der Wert ist. Und deswegen kann die Angebots- und Nachfragekurve nichts über den Wert eines Produktes aussagen. 

(Y) Kommen wir nochmal kurz zurück zur Warenform. Die war ja auch bei Cleaver relativ zentral und jetzt können wir vielleicht auch nochmal genauer da reinschauen. Denn, dass alles zur Ware geworden ist und dass die Menschen nicht mehr einfach selbst produzieren können, was sie zum Überleben brauchen, das führt in gewisser Weise auch dazu, dass das Verhältnis zwischen kapitalistischer Klasse und zwischen Arbeiter*innenklasse immer neu hergestellt wird. Denn die Arbeitenden werden immer wieder zum Arbeiten gezwungen, die kapitalistische Klasse bekommt immer wieder neuen Gewinn, die Arbeitenden müssen Waren kaufen, anstatt selber das herzustellen, was sie zum Überleben brauchen und deswegen sich aus der Arbeit abkapseln zu können. 

(L) Genau, aber dieses Verhältnis gibt´s eben nicht schon immer, sondern es ist spezifisch für den Kapitalismus und ist geschichtlich Entstanden.

(Y) JA, wir wollen da jetzt nicht so genau drauf eingehen, denn wir werden uns die Geschichte des Kapitalismus, wie gesagt, nochmal genauer anschauen. Vielleicht an der Stelle nur kurz: Marx spricht zum Beginn der kapitalistischen Produktionsweise von der sogenannten „ursprünglichen Akkumulation“. Dabei nimmt er Adam Smith so ´n bisschen aufs Korn, der nämlich davon gesprochen hatte, dass zum Beginn der kapitalistischen Produktionsweise ´n paar Leute einfach härter gearbeitet haben und deswegen so ´ne ursprüngliche Akkumulation von Reichtum geschehen ist und, dass diese Leute deswegen verdient haben, dass sie jetzt mehr haben und deswegen verdient haben, dass sie zur kapitalistischen Klasse gehören. Marx weist aber darauf hin, dass das Ganze gar nicht so gewaltlos stattgefunden hat, sondern dass die Bauern und Bäuerinnen, die vorher noch Land besessen haben, um die Ernährung, die sie gebraucht haben, selbst herzustellen, dass die jetzt auf einmal enteignet wurden und deswegen ohne Land waren und praktisch dazu gezwungen wurden zu arbeiten, oder ihre Arbeitskraft zu verkaufen und alles was sie brauchten, als Waren zu kaufen. 

(L) Genau, es gab da eben so ´ne Bodenreform und da wurde eben alles Land privatisiert. Die Menschen konnten jetzt nicht einfach mehr an eine bestimmte Stelle gehen und sagen „Ok, ich bau jetzt hier Möhren an und – ähm – Kartoffeln und kann mich davon ernähren“, sondern sie mussten wenn dann dieses Land kaufen, oder eben pachten, oder sie konnten sich einfach Waren kaufen. Für alle drei Möglichkeiten sich zu ernähren, haben sie Geld gebraucht und dieses Geld konnten sie nur bekommen, indem sie ihre Arbeitskraft als Ware verkauft haben. Und sie waren jetzt zwar frei, sie waren nicht mehr leibeigene Bauern und Bäuerinnen, aber sie waren eben auch frei von diesem Land, das sie vorher bestellt haben. Sie waren jetzt frei von den Produktionsmitteln und damit gezwungen, ihre Arbeitskraft zu verkaufen. 

(Y) Hier wollen wir kurz versuchen, aus dem eurozentristischen Bild ´n bisschen auszubrechen, denn im Kolonialismus hat sich das Ganze ´n bisschen anders dargestellt. In Europa ist ja gerade die Situation, dass die ehemaligen Bauern und Bäuerinnen dazu gezwungen wurden, ihre Arbeitskraft als Ware zu verkaufen und alles andere auch als Ware zu kaufen. Im Kolonialismus war´s teils eher so, dass die Macht der herrschenden Klasse dadurch entstanden ist, dass die Warenform nicht vollständig durchgesetzt wurde. Denn häufig war´s so, dass die Menschen noch einen Großteil des Überlebensnotwendigen selbst herstellen konnten und dass deswegen weniger Lohn gezahlt werden konnte. Dass die Menschen ihre Arbeitskraft verkaufen mussten, wurde dann hier eher dadurch durchgesetzt, dass direkter Zwang eingesetzt wurde, oder dass Steuern eingeführt wurden, damit die Menschen Geld verdienen mussten, um dann die Steuern bezahlen zu können. Generell müssen wir darauf hinweisen – und wir werden auch später in anderen Folgen nochmal darauf eingehen – dass die Situation für Länder in der imperialistischen Peripherie häufig ´ne andere ist, als für die Länder im imperialistischen Zentrum.

(L) Genau und es war auch in kolonisierten Ländern und Gebieten natürlich nicht einheitlich und gleich und auch über die Jahrhunderte hinweg hat sich das total verändert und es gab verschiedene Arten und Weisen, Herrschaft auszuüben und auszubeuten. Aber das ist eben ein Aspekt, der in kolonialen Gebieten oft so war, dass die Menschen gleichzeitig noch ihre Subsistenzmittel selber angebaut haben und sich selbst ernähren konnten und dann der Lohn gedrückt werden konnte. Zumindest da, wo es Lohnarbeit gab.

(Y) Ich glaube, wir können daraus auch wichtiges für den antikapitalistischen Kampf lernen. Denn häufig versuchen Menschen ja dem kapitalistischen Wachstumszwang und der Warenform zu entkommen, indem sie einfach selber im Garten ein paar Tomaten anbauen und alles, was sie eben an Lebensmitteln brauchen. Aber wir sehen im Kolonialismus, dass die Warenform eigentlich nicht immer das Zentrale ist, sondern das kapitalistische System als Ganzes. Denn solange die kapitalistische Klasse und die kapitalistische Produktionsweise fortbesteht, ist es relativ egal, ob so ein paar Menschen ihre eigenen Lebensmittel herstellen. Denn wenn sie ihre eigenen Lebensmittel herstellen, kann es auch einfach dazu führen, dass der Lohn gesenkt wird. Denn die Arbeitgeber*innen werden dann sagen „Ja, aber ihr habt ja alles Lebensnotwendige und alles was ihr jetzt darüber noch braucht, dafür kriegt ihr ´n bisschen Lohn, aber letztendlich seid ihr ja versorgt“. Und häufig zielen antikapitalistische Maßnahmen darauf, einzelne Symptome des Kapitalismus zu lösen, aber nicht das kapitalistische System als Ganzes umzustürzen. Und das kapitalistische System als Ganzes, wird immer seine Wege finden, solange es besteht. Denn, wie wir vorhin schon gesagt haben: der Kern des Kapitalismus ist die Kapitalakkumulation. Der Kern des Kapitalismus ist nicht die Warenform und die Warenform ist nur ein Mittel derer sich die kapitalistische Klasse bedient. Aber sie wird im Notfall auch auf andere Mittel zurückgreifen. Wir haben vorhin schon angesprochen, dass die Besonderheit in der kapitalistischen Produktionsweise darin liegt, dass Gewinn im Prozess des industriellen Kapitals hergestellt wird. Das heißt nicht durch Handel und nicht durch zinstragendes Kapital, sondern dadurch, dass etwas produziert wird. Marx zeichnet in seinem Hauptwerk „Das Kapital“ nach, wie Gewinn beim industriellen Kapital entstehen kann. Das Ziel ist ja, dass Geld eingesetzt wird, von ´nem industriellen Kapitalisten, oder ´ner industriellen Kapitalistin, dass dafür Waren gekauft werden und, dass die Ware dann am Ende dann wieder verkauft wird und man mehr Geld hat, als man am Anfang hatte. Marx argumentiert jetzt, dass es auf gesamtgesellschaftlicher Ebene nicht möglich ist, dass alle Kapitalist*innen einfach ihre Waren einfach über Wert verkaufen. Denn wenn zum Beispiel jetzt ein Kapitalist, oder eine Kapitalistin die Ware über Wert verkauft, dann kriegt er oder sie mehr Geld, als ihm oder ihr zusteht und das Ganze wird dann durch die Gesellschaft weiter getragen und kommt am Ende auch wieder zurück zu ihm oder ihr. Das heißt, Marx geht davon aus, dass alle Waren zu ihrem Wert verkauft werden und das macht es eigentlich nochmal extra schwierig. Denn wenn Waren zu ihrem Wert verkauft werden, wie kann es dann möglich sein, dass erst ´ne Ware zu ihrem Wert gekauft wird, für eine bestimmte Summe an Geld und die Ware dann danach auch wieder verkauft wird und zwar zu ihrem Wert, aber man am Ende mehr Geld hat, als man am Anfang reingesteckt hat? Marx schaut dafür jetzt genauer in den Produktionsprozess rein und wir wollen das auch mal machen. Im Produktionsprozess und wir gehen jetzt ganz klassisch von – äh – von Fabrikarbeiter*innen aus, aber es lässt sich auch ganz gut auf andere Arbeiter*innen und Angestellte übertragen. In ´ner Fabrik haben wir verschiedene Arbeitende, die ihre Arbeitskraft einsetzen und wir haben verschieden Produktionsmittel, das heißt, wir haben das Fabrikgebäude, wir haben Maschinen, wir haben Rohstoffe, wir haben Strom und so weiter. Marx sagt, dass der Wert der Produktionsmittel eigentlich 1:1 auf den Wert der Ware übertragen wird. Das heißt, gehen wir mal davon aus, dass der Kapitalist, oder die Kapitalistin ´ne Maschine kauft für 10.000€ und diese Maschine produziert 10.000 Waren in ihrer gesamten Lebenszeit. Das heißt, von ihrem Wert wird sich ein Euro übertragen auf die Ware, aber hierdurch kann eigentlich kein Mehrwert entstehen, den wir ja brauchen, um am Ende mehr Geld zu haben. Um das Rätsel zu lösen, nimmt Marx jetzt die Arbeitskraft in den Blick und das Zentrale ist – wir wollen da jetzt nur kurz drauf eingehen, weil wir auch in ´nem anderen Podcast auch noch mal genauer darauf eingehen – das Zentrale ist, dass die Ware Arbeitskraft mehr Wert produziert, als sie selber wert ist. Das heißt, sie kann an einem Tag mehr an Wert produzieren, als sie selber braucht, um zu überleben. Der Arbeitstag ist also in gewisser Weise aufgeteilt in zwei Teile. Es gibt den einen Teil, der die notwendige Arbeit umfasst. Das heißt, das ist die Arbeit, die notwendig ist, um Waren oder Dienstleistungen zu produzieren, die sich dann für so viel Geld verkaufen lassen, wie der Kapitalist, oder die Kapitalistin aufgebracht hat, um den Lohn zu bezahlen. Darüber hinaus wird aber nochmal mehr Arbeit geleistet. In dieser Zeit der Mehrarbeit wird mehr Wert produziert. Und dieser Mehrwert ist dann das, woraus der Kapitalist, oder die Kapitalistin Profit schöpfen kann.

(L) Genau und dieser Mehrwert kann auf verschiedene Arten und Weisen gesteigert werden. Zum einen kann der absolute Mehrwert gesteigert werden, indem – die – ja, der Arbeitstag verlängert wird. Das bedeutet, dass mehr Zeit für Mehrarbeit aufgewendet wird und dadurch auch ganz einfach mehr Mehrwert daraus fließt. Auf der anderen Seite kann auch der relative Mehrwert gesteigert werden. Ich meine, irgendwann hat der Arbeitstag ein Ende, entweder durch gesetzliche Schranken, oder aber auch weil der Tag ein Ende hat, weil die Arbeitskraft sich reproduzieren muss, also schlafen und ernähren und so weiter. Und der relative Mehrwert bedeutet, dass die Produktivität der Arbeit gesteigert wird, also das was in der Arbeitszeit, die die Arbeitskraft leistet, produziert wird. Und das kann zum Beispiel passieren durch bessere Maschinen, aber auch durch bessere Koordination der Arbeitenden und das zeigt uns eben auch schon, wieso grade im Kapitalismus, die Bedeutung von Technik und Wissenschaft so groß ist. 

(Y) Um den Gewinn noch ´n bisschen besser zu verstehen, wollen wir uns noch kurz bei Schumpeter bedienen. Der hatte nämlich noch ´n paar Sachen eingebracht, die sich unserer Meinung nach zwar gut eingliedern lassen in die marxsche Theorie, aber zumindest ein paar Kleinigkeiten darüber hinaus bringen. Und zwar hat er gesagt, dass Gewinn auch dadurch entstehen kann, dass sogenannte „neue Kombinationen“ durchgesetzt werden. Das heißt, man kann zum Beispiel auch Gewinn dadurch bekommen, dass man ein neues Gut produziert, oder dass man ´ne neue Qualität von ´nem bestehenden Gut produziert. Oder, was sich auch beim relativen Mehrwert von Marx wiederfindet: dass ´ne neue Produktionsmethode eingeführt wird und dadurch Sachen schneller, oder besser produziert werden. Was auch möglich ist, dass zum Beispiel ein neuer Absatzmarkt gefunden wird, dass ´ne neue Bezugsquelle von Rohstoffen, oder Halbfabrikaten gefunden wird, oder dass generell die gesamte Landschaft der Unternehmen neu organisiert wird. Zum Beispiel, was wir vorhin schon angesprochen hatten, dass ein Unternehmen ´ne Monopolstellung einnimmt und dadurch Gewinn abschöpfen kann. Es gibt also verschiedene Gewinnarten. Es gibt den Handelsgewinn, was wir angesprochen hatten, das zinstragende Kapital, das durch den Verleih von Zinsen Gewinn produziert. Es gibt den Mehrwert, der bei Marx angesprochen wird, es gibt auch den Gewinn nach Schumpeter, der, wie gesagt – äh – sich gut vereinbaren lässt, unserer Meinung nach, mit den verschiedenen Mehrwertsteigerungen bei Marx. Und es gibt auch den Monopolgewinn, der eigentlich nur daraus entsteht, dass jemand ´ne Monopolstellung hat und dadurch teurer verkaufen kann. Diese verschiedenen Gewinnarten haben jetzt im Verlauf des Kapitalismus unterschiedlich starke Bedeutungen und wir werden in unserer geschichtlichen Betrachtung nochmal näher darauf eingehen. 

(L) Und damit sind wir auch schon am Ende von unserer kurzen Zusammenfassung davon, was die kapitalistische Produktionsweise ausmacht. Es gibt inzwischen unzählige Werke von marxistischen Autor*innen, deswegen sind bei unserer Darstellung jetzt natürlich sehr sehr viele Punkte offen geblieben. Der Kapitalismus steht aber ja im Grunde im Mittelpunkt jeder einzelnen Folge von unserem Podcast, also werden wir auch auf einige der angesprochenen Punkte noch genauer zurück kommen. Für heute aber merken wir uns, dass das Kapital ein sich verwertender Wert ist, das heißt, das Kapital wird zu seiner eigenen Vermehrung eingesetzt. Und die zentrale Quelle dafür im Kapitalismus ist die Ausbeutung der Arbeitskraft, bei der eine Person eine mehr Wert produziert, als sie dann eben bezahlt bekommt. 

(Y) Und der Grund dafür, dass das überhaupt möglich ist, ist das Klassenverhältnis im Kapitalismus. Das heißt, wir haben eine Klasse von den Besitzenden, die die gesamten Produktionsmittel, die notwendig sind und die gesamten Zirkulationsmittel, besitzen. Und wir haben ´ne Klasse von Menschen, die arbeiten müssen, um zu überleben. Das heißt, sie müssen ihre Arbeitskraft verkaufen, um dafür Lohn zu bekommen, um dafür Waren zu kaufen. 

(L) Ja, ansonsten cool, dass ihr unsere Folge bis zum Ende gehört habt. Das ist ja unsere erste Folge, wir sind ja ein junger Podcast quasi. Und da wir deswegen auch noch ein bisschen Support gebrauchen können, freuen wir uns, wenn ihr uns fünf Sterne auf iTunes gebt und uns weiter empfehlt an eure Freunde, Familie und wir euch sonst noch so einfällt.

(Y) Wenn ihr außerdem Rückmeldung habt – äh – freuen wir uns, wenn ihr uns ´ne Mail an die E-Mail-Adresse in den Shownotes schickt. In der nächsten Folge beschäftigen wir uns dann mit der Frage, warum der Kapitalismus zum Scheitern verurteilt ist. Wir freuen uns, wenn ihr uns wieder zuhört.

(L) Außerdem grüßen wir unsere guten Freunde uns Sponsoren, Che Guevara, Fidel Castro und alle anderen Kämpfer*innen in der Sierra Maestra.