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Ep. #8 | Sozialismus und Kommunismus (Theorie)

January 31, 2022 linke theorie
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Ep. #8 | Sozialismus und Kommunismus (Theorie)
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In dieser Folge sprechen wir darüber, wie wir den Kapitalismus überwinden können. Wer den Kapitalismus kritisiert, wird ja häufig gefragt: ›Was willst Du denn besser machen? Wie soll es denn anders funktionieren?‹. Und wir zeigen in dieser Folge: Eine bessere Welt ist möglich! Und zwar nicht nur als Utopie, sondern als ganz konkrete Methode, hin zum Kommunismus. Ausgehend von Engels Behauptung, dass der Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft entwickelt wurde, sprechen wir über das Verhältnis der sozialistischen Wissenschaft zur sozialistischen Wirklichkeit. Wir gehen außerdem darauf ein, was die Klassiker des Marxismus unter ›Sozialismus‹ und ›Kommunismus‹ verstanden haben und warum er überhaupt notwendig ist – warum eine Sozialdemokratie, ein sozialerer Kapitalismus also nicht ausreicht. Dabei setzen wir uns auch etwas damit auseinander, was in sozialistischen Ländern – trotz aller Fehler – erreicht worden ist. Anschließend gehen wir auf zwei wichtige Teile einer postkapitalistischen Zukunft ein: Wir wir Politik demokratisch gestalten und wie wir eine Wirtschaft planen, also Planwirtschaft betreiben, können.

Wir erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Wenn euch etwas fehlt, ihr Kritik, Anregungen oder auch Lob loswerden wollt, schreibt uns gerne unter linketheorie@proton.me.

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Hier findet ihr unsere Transkripte zu den einzelnen Folgen.

Allen: A Reassessment of the Soviet Industrial Revolution.
Babiarz et al.: An exploration of China's mortality decline under Mao: A provincial analysis, 1950–80.
Brainerd: Reassessing the Standard of Living in the Soviet Union: An Analysis Using Archival and Anthropometric Data. 
Carr: The Bolshevik Revolution – 1917 - 1923.
Cockshott/Cottrell: Alternativen aus dem Rechner. Für sozialistische Planung und direkte Demokratie.
Cereseto/Waitzkin: Economic Development, Political-Economic System, and the Physical Quality of Life.
Cuba heute: Massenorganisationen.
Engels: Grundsätze des Kommunismus.
Engels: Revolution und Konterrevolution in Deutschland.
Foster: The Renewal of the Socialist Ideal.
Getty et al.: Victims of the Soviet Penal System in the Pre-war Years: A First Approach on the Basis of Archival Evidence.
Gregory: Socialist and Nonsocialist Industrialisation Patterns: A Comparative Appraisal.
Hermsdorf: Die kubanische Revolution.
Holz: Kommunisten heute.
Lenin: Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky.
Lenin: Gruß an die ungarischen Arbeiter.
Lenin: Unsere außen- und innenpolitische Lage und die Aufgaben der Partei.
Lenin: Über die Naturalsteuer.
Lenin: Staat und Revolution.
Lenin: Der „linke Radikalismus“, die Kinderkrankheit im Kommunismus.
Mandel: Marxistische Wirtschaftstheorie
Marx: Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung.
Marx: Das Elend der Philosophie.
Marx: Kritik des Gothaer Programms
Marx: Der Bürgerkrieg in Frankreich.
Marx: Kritik des Gothaer Programms.
Marx/Engels: Das Manifest der Kommunistischen Partei.
Mesa-Lago: The Economy of Socialist Cuba: A Two Decade Appraisal.
Murphy: Triumph of Evil.
Navarro: Has Socialism Failed? An Analysis of Health Indicators under Socialism.
Parenti: US Interventionism, the 3rd world, and the USSR.
Parenti: Blackshirts and Reds.
Ritschl/Vony: The roots of economic failure: what explains East Germany’s falling behind between 1945 and 1950?

(L) Herzlich willkommen zur achten Folge von linketheorie, dem Podcast in dem wir über den Kapitalismus reden, was an ihm schlecht ist und wie wir ihn überwinden können. 

(Y) Ja, willkommen auch von meiner Seite. Was der Kapitalismus ist und was wir an ihm kritisieren können, haben wir ja schon in den Folgen eins und drei unseres Podcasts grob angesprochen. Was es für Möglichkeiten gibt ihn zu überwinden, das sind wir bis jetzt schuldig geblieben. Deswegen holen wir das heute nach und sprechen darüber, welches System den Kapitalismus ablösen kann.

(L) Wir machen dabei heute etwas, was selbst in vielen Bereichen der linken Bewegung als eher unsexy und altmodisch gilt, wir werden nämlich über den Sozialismus und Kommunismus reden. Und darüber, warum sie DER Weg sind, um den Kapitalismus zu überwinden. Aber warum ist der Kommunismus eigentlich unsexy und altmodisch geworden? Die erste Antwort liegt auf der Hand: Viele der Länder, die einer kommunistischen Ideologie gefolgt sind, gibt es heute gar nicht mehr und die, die noch existieren haben oft mit großen Problemen zu kämpfen.

(Y) Aber es ist noch mehr als das. Denn wie alles andere, ist auch unsere Sicht auf den Sozialismus vor dem Hintergrund des aktuellen Klassenkampfs entstanden und deswegen kleben auch Klasseninteressen daran. Marx und Engels haben ja mal gesagt, dass die herrschenden Ideen einer Gesellschaft die Ideen der herrschenden Klasse sind. Das bedeutet dann auch, dass in einem kapitalistischen Land die Sicht auf sozialistische Länder davon geprägt ist, was die kapitalistische Klasse vom Sozialismus hält. Eine neutrale, sachliche Beschreibung werden wir hier also nicht finden.

(L) Wie auch immer. Wir stellen also gleich Sozialismus und Kommunismus vor. Dabei werden wir jetzt aber nicht auf alle Ansätze eingehen. Das liegt ganz einfach daran, dass wir das, was wir hier vorstellen, für den besten Weg halten und dass er die langfristigsten Revolutionen bisher gebracht hat, um eine postkapitalistische Zukunft aufzubauen. Natürlich gibt es auch nicht einen festen Weg für immer und überall. Aber wir sprechen heute einfach von einigen Grundideen, Aufgaben und auch Problemen für eine mögliche Gesellschaft der Zukunft. Wenn wir euch nicht überzeugen können, dann werdet ihr aber relativ einfach andere Ansätze finden und das ist auch ok.

(Y) Spulen wir zum Anfang mal ´n bisschen zurück. Im Jahr 1880 – also vor 140 Jahren – hat Friedrich Engels, der engste Mitstreiter von Karl Marx, eine Schrift veröffentlicht,  in der er von der Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft spricht. Wir verzichten jetzt erstmal darauf zu definieren, was genau der Sozialismus eigentlich sein soll und stellen ihn uns einfach vor als eine mögliche und bessere Gesellschaft, die auf den Kapitalismus folgen kann. Dann stellt sich aber die Frage: Was zur Hölle hat Engels gemeint, als er von einer Entwicklung von der Utopie zur Wissenschaft gesprochen hat?

(L) Eine Utopie ist ja, platt gesagt, eine heile Welt, in der alles gut ist. Es herrscht Frieden und niemand wird ausgebeutet. Das ist ja auch etwas, was häufig über Linke gesagt wird: Dass sie von einer Welt träumen, in der alles problemlos ist. Man hält sie eben für utopistich und für idealistisch.

(Y) Dass linken Menschen sowas vorgeworfen wird, zeigt nur mal wieder, dass Marx und Engels niemals gelesen wurden, von den Leuten, die sie kritisieren. Denn tatsächlich haben Marx, Engels und andere, die ihnen gefolgt sind, so ein Denken, so ein utopistisches oder idealistisches Denken auch kritisiert.  An den Sozialisten, die zu ihrer Zeit bekannt waren, wie zum Beispiel Saint-Simon, Fourier oder Robert Owen haben Marx und Engels kritisiert, dass diese Sozialisten sich zwar eine bessere Welt erträumt haben, aber keine gute Antwort darauf hatten, wie man genau zu dieser besseren Welt kommen könnte. Im Gegensatz dazu finden sich bei den Begründern des Marxismus Aspekte, mit denen ein wissenschaftlicher Weg zum Sozialismus möglich wird. Der eine Aspekt betrifft die Entwicklung von Geschichte, der andere bezieht sich auf den Umgang mit dem Sozialismus. Und wir werden jetzt beides mal anschauen 

(L)  Dass Marx und Engels eine bestimmte Vorstellung hatten, wie die Gesellschaft sich zum Sozialismus entwickelt, das hatten wir ja schon in unserer Folge sechs erklärt. Für unser Thema heute ist der zweite Aspekt aber wichtiger. Nämlich die Frage, wie wir den Sozialismus zu verstehen und zu betrachten haben.

(Y) Ja ich hab ja grade schon gesagt, dass Engels den Anspruch aufgestellt hat, dass der marxistische Ansatz wissenschaftlich ist, oder wissenschaftlich sein soll. Und um uns der Idee ´n bisschen zu nähern, ist es vielleicht erst mal hilfreich kurz zu überlegen: Wie macht man eigentlich Wissenschaft?

(L) Nehmen wir zum Beispiel eine Wissenschaftlerin, die bestimmen möchte, was ein Schwan ist. Diese Wissenschaftlerin wird dann vielleicht damit anfangen zu schauen, was haben andere Menschen schon dazu gesagt. Dann wird sie Schwäne beobachten und daraus vielleicht eine Theorie entwickeln. Diese Theorie, die sie dann aber entwickelt hat, muss danach immer wieder an der Wirklichkeit geprüft werden. Also: Sehen Schwäne immer noch so aus, wie die Wissenschaftlerin die vor zehn Jahren beschrieben hat, wenn wir die jetzt in der Natur beobachten? Und wenn sich dann zeigt, dass Teile eben nicht mehr passen, muss diese Theorie dann angepasst werden. Wenn ein Sozialismus wissenschaftlich sein möchte, dann muss er ganz genau so vorgehen.

(Y) Ja, in der Konzeption von Wissenschaft wird schon deutlich: für Wissenschaft ist der Bezug zur Wirklichkeit extrem wichtig. Das bringt jetzt für den wissenschaftlichen Sozialismus erst mal ´n Problem, denn wir sind ja in der Mitte des 19. Jahrhunderts und noch gibt´s gar keinen Sozialismus, der sich irgendwie beobachten lassen würde. Was Marx und Engels also zuerst machen ist, dass sie die Vergangenheit mit den Klassenkämpfen und die Gegenwart mit dem Proletariat analysieren und aus dem Ganzen  heraus überlegen, wie sich das weiter entwickeln könnte in der Gesellschaft.

c. Marx selber hat das klar erkannt, in welcher schwierigen Lage der Sozialismus, oder der wissenschaftliche Sozialismus Mitte des 19. Jahrhunderts ist. In seiner Schrift „Das Elend der Philosophie“ hat er nämlich gesagt, dass die Theoretiker*innen des Proletariats erst nur Utopisten sind, die sich Systeme ausdenken, wie es sein könnte.

(L) Aber der Sozialismus ist nicht nur ein Gedankenkonstrukt, sondern eben auch eine reale

Bewegung. Und zwar weil es in der echten Welt Menschengruppen gibt, die ihn versuchen umzusetzen. Im Jahr 1871 gab es mit der Pariser Kommune einen Versuch, die sozialistischen Ideen in die Tat umzusetzen. Jetzt konnten viele wissenschaftliche Sozialist*innen endlich in der Realität schauen, was versucht wurde, was funktioniert hat und was nächstes Mal auch besser gemacht werden kann, also was davon gelernt werden kann. Genauso wie bei unserem Beispiel mit dem Schwan. Zuerst wird vielleicht ´ne Theorie aufgestellt, aber dann muss man schauen: wie sieht´s denn überhaupt in der Realität aus? Sobald der Sozialismus also einmal in der Welt ist, geht es im wissenschaftlichen Sozialismus darum, sich mit ihm auseinander zu setzen. Die Konzepte für den Sozialismus entwickeln sich durch die gemeinsamen Erfahrungen weiter und werden dadurch auch hoffentlich besser.

(Y) Ja, soviel erst mal zu der Idee von ´nem wissenschaftlichen Sozialismus. Wir versuchen uns jetzt mal, dem Sozialismus und dem Kommunismus ganz langsam zu nähern. Und um das zu machen, ist es hilfreich erst nochmal kurz zu überlegen, was den Kapitalismus überhaupt ausmacht. 

(L) Man kann sagen, dass der Mensch ein Lebewesen ist, das zur Herstellung von den Dingen, die er zum Leben braucht und haben möchte, Werkzeuge benutzt, mit denen er sie herstellt. Das ist zumindest ein ganz wichtiges Unterscheidungsmerkmal von Menschen zu Tieren, die Klauen haben, die Fell haben und so weiter. Früher waren das relativ einfache Werkzeuge, wie zum Beispiel ein Hammer, aber heute sind diese Werkzeuge meistens viel größer und teurer. Heute werden große, komplexe Maschinen benutzt zur Produktion, riesige Schiffe und Züge zum Transport und so weiter.

(Y) Ausgehend von dieser Grundtatsache des Menschen zeichnet der Kapitalismus sich jetzt dadurch aus, dass die Mittel zur Produktion  fast alle im Besitz von Einzelpersonen oder einzelnen Unternehmen sind. Die Menschen, die mit den Maschinen produzieren oder die zum Beispiel die Containerschiffe steuern, besitzen also gar nicht das, womit sie arbeiten. Durch dieses Privateigentum der kapitalistischen Klasse an den Produktionsmitteln entstehen dann verschiedene Probleme, von denen wir in unserer Folge zur Kritik am Kapitalismus schon einiges genannt haben und wenn ihr euch dafür interessiert, lohnt es sich vielleicht nochmal dahin zurück zu gehen.

(L) Die Voraussetzung für den Aufbau des Sozialismus überhaupt ist natürlich, dass die proletarische Klasse an die Macht kommt. Für heute lassen wir mal die Frage, wie sie das schaffen kann, zur Seite, falls euch sowas interessiert, schreibt uns wie immer gerne Vorschläge für Themenreihen, oder Podcasts. Aber zuerst mal kurz dazu, was die proletarische Klasse überhaupt ist. Das ist ganz einfach die Klasse, die nicht die Werkzeuge und die Produktionsmittel besitzt, um das eigene Überleben zu sichern und die deswegen für die kapitalistische Klasse arbeiten muss.

(Y) Im Sozialismus wird die proletarische Klasse jetzt das, was ihr fehlt und was sie von einem unabhängigen Leben trennt, aus den Händen der kapitalistischen Klasse reißen. Das heißt, sie nimmt die Produktionsmittel und das Kapital aus den Händen der kapitalistischen Klasse und bringt sie in gesellschaftlichen bzw. in staatlichen Besitz.

(L)  Wir gehen später noch auf die politische Seite und dabei vor allem auf den Staat ein, aber fürs erste nehmen wir den Staat einfach mal als Instrument in den Händen der proletarischen Klasse.

(Y)  Sobald die Produktionsmittel im gesellschaftlichen Besitz sind, werden dann so Probleme wie die, die durch Konkurrenz entstehen, beendet. Jetzt wird damit angefangen, dass die Wirtschaft nach einem gemeinsamen Plan durchgeführt wird. Wir gehen auch später nochmal darauf ein, wie so ´ne Planwirtschaft funktionieren kann.

(L) Die nächste wichtige Aufgabe entsteht dadurch, dass die Produktion der Gesellschaft ausgeweitet wird, dass Technik, Wissenschaft, Maschinen, usw. vorangebracht werden. Das Ziel ist ja eine Gesellschaft, in der mit möglichst wenig Arbeitsaufwand alles, was zum Leben notwendig ist, produziert werden kann. Alle Hebel in Bewegung zu setzen, dass man dahin kommt, das ist eine der wichtigsten Aufgaben im Sozialismus.

(Y) An der Stelle kommen wir zu Teil 3835 der Reihe, was für Lügen über Sozialist*innen und Kommunist*innen in der Welt existieren. Den beiden Gruppen wird ja ganz gerne vorgeworfen, dass wir faul wären und einfach den ganzen Tag entspannen wollen und dass wir uns nur deswegen gegen den Kapitalismus wehren. 

(L) Man könnte das denken, weil wir ´ne ganze Instagram- Page füllen, „das Kapital“ noch mal mehr mal weniger aufarbeiten und ´nen Podcast haben, also…

(Y) Entrepreneurship.

(L) Ja.

(Y)  Eigentlich wird es aber im Sozialismus so sein, dass alle Menschen zu Arbeitenden werden, nicht mehr nur eine einzige Klasse. Was im Sozialismus tatsächlich abgeschafft wird ist nur, dass die kapitalistische Klasse sich entspannen kann und alle anderen die Arbeiten machen lässt und von deren Früchten der Arbeit dann lebt. 

(L)  Wer sich schon so ´n bisschen mit marxistischer Theorie auskennt, hat bestimmt schon mal vom Mehrprodukt gehört. Und zwar ist es so, dass ein Mensch an einem Tag mehr produzieren kann, als er oder sie selber zum Überleben braucht. Im Kapitalismus wird das Mehrprodukt – also das, was er oder sie mehr produziert – von der kapitalistischen Klasse angeeignet und durch die Verwandlung in Mehrwert wird das dann dazu benutzt immer mehr Geld auf Seiten der Kapitalist*innen anzuhäufen.  Im Sozialismus wird es allerdings so sein, dass das Mehrprodukt gesellschaftlich angeeignet wird. Es geht nicht mehr an einzelne Menschen, die sich davon dann ein schönes Leben machen können,  oder die ihr Unternehmen erweitern, sondern es wird von der Gesellschaft eingesetzt, um das eigene Leben besser zu gestalten. Das bedeutet dann auch, dass es in den Händen der Gesellschaft liegt zu entscheiden, was man mit diesem Mehrprodukt macht. Gönnt man sich mehr Freizeit? Bringt man die Wirtschaft voran? Leistet man sich viele soziale Investitionen? Das sind jetzt nicht mehr Fragen, die einzelne treffen, sondern alle.

(Y) Wenn wir an der Stelle nochmal Engels Forderung ernst nehmen, den Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft zu bringen, dann ist natürlich klar, dass nicht von einem Tag auf den anderen alles besser und schöner wird. Gesellschaft – und das hatten wir in der letzten Folge schon mal besprochen – ist ja ´ne träge Sache und bei allen sozialistischen Versuchen haben wir gesehen, dass die neue Gesellschaft noch Spuren des Kapitalismus an sich tragen wird. Marx sagt dazu: “Womit wir es hier zu tun haben, ist eine kommunistische Gesellschaft, nicht wie sie sich auf ihrer eignen Grundlage entwickelt hat, sondern umgekehrt, wie sie eben aus der kapitalistischen Gesellschaft hervorgeht, also – und das ist wichtig – in jeder Beziehung, ökonomisch, sittlich, geistig, noch behaftet ist mit den Muttermalen der alten Gesellschaft, aus deren Schoß sie herkommt.” (Marx: Kritik des Gothaer Programms, S. 20) Das bedeutet auch – und darauf werden wir später noch zu sprechen kommen –, dass Menschen in der ersten Zeit, in der also noch Knappheit besteht, weil die Produktivkräfte noch nicht genügend voran gebracht wurden, dass in dieser ersten Zeit die Menschen wahrscheinlich erst noch nach ihrer Arbeitszeit bezahlt werden. Aber darauf gehen wir wie gesagt später noch ein. 

(L) Während des Aufbaus vom Sozialismus ist es außerdem nicht unwahrscheinlich, dass es Angriffe auf das neue System gibt. Darauf werden wir auch nochmal eingehen, aber halten wir für hier erstmal fest, dass es die Möglichkeit geben muss, den Sozialismus auch gegen solche Angriffe zu verteidigen. Wenn wir dann darauf eingehen nachher, werden wir auch argumentieren, dass dafür staatliche Strukturen notwendig sind.

(Y) Halten wir diesen Punkt aber erst mal fest. Der Sozialismus vergesellschaftet zwar die Produktionsmittel, aber er ist noch keine komplett freie Gesellschaft. Marx selbst spricht hier noch von einem Kommunismus auf niedrigerer Stufe. Aber der Sozialismus bzw. der Kommunismus auf niedriger Stufe wird sich auch nochmal weiterentwickeln. Die Produktivkräfte werden wachsen und mit der Zeit werden die kapitalistischen Muttermale verschwinden. Dann können wir von einem entwickelten Kommunismus sprechen, wo es kein Geld, keine Klassen und keinen Staat im heutigen Sinne mehr geben wird.

(L) Es gibt eine ganz wichtige Frage, die wir bisher noch gar nicht angesprochen haben, die aber extrem wichtig ist. Nämlich die Frage, warum wir uns das mit dem Sozialismus überhaupt antun sollten? Warum muss sich wegen so ein paar Problemen hier gleich alles verändern? Um euch davon zu überzeugen, dass der Sozialismus notwendig ist, versuchen wir es mit drei Ansätzen: einem geschichtlichen, einem theoretischen und einem praktischen Ansatz.

(Y) Für den geschichtlichen Ansatz machen wir es uns heute erst mal einfach und verweisen auf die letzte Folge, die ihr euch anhören könnt, falls euch das interessiert. Da haben wir ja angesprochen, dass der historische Materialismus die Geschichte als Entwicklung durch den Klassenkampf sieht und dass das Proletariat als die Klasse betrachtet, die den Sozialismus aus ihrem eigenen Interesse umsetzt. Beim theoretischen Ansatz werden wir gleich argumentieren, dass nur der Sozialismus die Probleme des Kapitalismus lösen kann. Und beim praktischen Ansatz werden wir dann nachverfolgen, was in sozialistischen Ländern erreicht worden ist.

(L) Kommen wir erstmal zu der Behauptung, dass nur der Sozialismus die Probleme des Kapitalismus lösen kann, also dem theoretischen Ansatz.  Warum sollte das so sein? Es gibt doch bestimmt einen super klugen Ansatz, um den Kapitalismus etwas netter zu gestalten. Eine gemäßigtere Idee, um das Gute des Kapitalismus zu behalten und trotzdem soziale Politiken durchzusetzen. Schließlich werden die liberalen Menschen des Westens von dem angezogen, was sie für den Mittelweg halten. Die Frage bleibt also: Gibt es einen Kapitalismus mit gewissen Vorzügen?

(Y) Ihr merkt schon, wir sind ein bisschen sarkastisch, aber die Frage ist natürlich ernst. Aus unserer Sicht gibt es aber aus mindestens zwei Gründen nur den Weg zum Sozialismus. Erstens haben wir in unseren Folgen zum Kapitalismus gezeigt, dass der Kapitalismus eine bestimmte Logik im Betriebssystem hat, die ihn zum Profit treibt. Die Probleme, von denen wir in unserer Folge zur Kritik am Kapitalismus gesprochen haben, liegen in der grundlegenden DNA des Systems. Das bedeutet, dass wir die Symptome des kapitalistischen Systems zwar bekämpfen können, aber solange die Ursachen nicht bekämpft werden, wird der Kampf dagegen nicht effektiv und solange haben wir die Probleme auch nicht endgültig beendet. Damit hängt auch zusammen, dass die Erfolge, die wir uns im Kapitalismus erkämpfen, immer extrem unsicher sind. Sobald das Kapital wieder stärker wird oder sich vielleicht bedroht sieht, wird es alles tun, um die Macht des Proletariats zu brechen.

(L) Man kann das auch ganz gut zur Zeit beobachten, wie das Kapital die Corona-Krise auch auszunutzen versucht, um z.B. die 40-Stundenwoche, den 8-Stundentag oder auch das Wochenende nach und nach aufzuweichen, immer mit dem Argument „Corona“. Aber das sind ja Arbeitsrechte, die wirklich in Jahrhunderten, Jahrzehnten erkämpfe wurden.

(Y) Ja, die Zeit des Neoliberalismus nimmt da ja auch nochmal eine besondere Stellung ein. Bei keinem Erfolg, den wir heute erkämpfen ist es sicher, ob er die kommenden Jahre oder Jahrzehnte überhaupt überdauert. Dazu auch kurz nochmal ein anderer Punkt: Wir sollten auch nicht unterschätzen wie wichtig eine sozialistische Gesellschaft für andere emanzipatorische Kämpfe ist. Im Kapitalismus – und das haben wir schon mal versucht nachzuzeichnen – gibt es ´ne bestimmte Notwendigkeit für die Ausbeutung von Frauen, von Schwarzen oder anderen Menschen. Und weil die sozialistische Revolution den Kapitalismus abschafft, schafft sie auch die Notwendigkeit zu diesen Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnissen ab und bringt dadurch neue Möglichkeiten für die Kämpfe wirklich grundlegende Veränderungen zu bringen.

(L) Der zweite Grund, warum ein sozialerer Kapitalismus nicht möglich ist, ist, dass soziale Politik hier auch immer abhängig davon ist, dass es dem Kapital gut geht. Wenn man einen Wohlfahrtsstaat oder ein gutes Gesundheitssystem aufbauen möchte, dann ist man auf Steuereinnahmen angewiesen. Und damit diese Steuereinnahmen fließen, muss es den Unternehmen gut gehen. Sobald wir dann anfangen radikal umzuverteilen, bedroht das die kapitalistische Maschine, die den Reichtum produziert und wir können dann gar keine sozialen Maßnahmen mehr treffen. Die kapitalistische Klasse hebt oder senkt also den Daumen auf alles, was wir tun und im schlimmsten Fall verschwindet sie mit ihrem Besitz einfach ins Ausland.

(Y) Genau, das war also der theoretische Ansatz, warum ein “guter Kapitalismus” nicht möglich ist und nur der Sozialismus einen tatsächlichen Ausweg aus dem kapitalistischen Prinzip der Ausbeutung ermöglicht. Kommen wir jetzt zum zweiten, nämlich zum praktischen Ansatz. Wir würden dafür argumentieren, dass der Sozialismus zwar offensichtliche Probleme hatte, aber dass er eben auch in wichtigen Bereichen vorangegangen ist und Erfolge vorweisen konnte.

(L) Dass wir aber davon sprechen, was gut lief, soll natürlich nicht heißen, dass wir die sozialistischen Länder als Paradies auf Erden sehen. Aber weil westliche Gesellschaften ganz gerne ein Bild vom bösen Kommunismus zeichnen, glauben wir, dass es für einen entspannteren Umgang helfen kann, ein bisschen auch auf die Erfolge und Vorteile zu schauen, auch um davon zu lernen.

(Y) Genau, aber bevor wir darauf eingehen können, hilft es vielleicht, nochmal einen Gedanken mitzunehmen: Es kommt ja nicht selten vor, dass wir sozialistische Länder wie Kuba mit reichen kapitalistischen Ländern wie Deutschland vergleichen. Das lässt aber ein paar wichtige Punkte weg: Erstens müssen wir uns nämlich immer fragen, von wo die sozialistischen Ländern herkommen, in welcher Lage sie also waren, als sie sozialistisch geworden sind. Nehmen wir zum Beispiel Kuba, das zum Zeitpunkt der Revolution ein Land mit extrem viel Armut war, das sich von Jahrhunderten von Kolonialismus, Unterwerfung und Ausbeutung befreit hat. Wenn wir von dieser Frage ausgehen – also woher die sozialistischen Länder gekommen sind –, dann können wir auch besser beurteilen, was sie erreicht haben. Wenn wir verstehen wollen, was der Sozialismus in einem Land bringen kann, müssen wir sie also mit Ländern auf dem gleichen Niveau vergleichen und nicht mit den großen Industrienationen. Dazu auch nochmal ein zweiter Punkt: es muss nämlich auch beachtet werden, dass sozialistische Länder ihre Erfolge ohne imperialistische Ausbeutung erreicht haben. So Länder wie Deutschland, England und die USA hatten nicht nur teils Jahrhunderte Vorsprung, sondern sie haben in dieser Zeit auch die Natur, die Reichtümer und die Menschen anderer Länder ausgebeutet und ihren eigenen Reichtum darauf aufgebaut. Sozialistische Länder können nicht nur nicht auf so eine Ausbeutung zurückgreifen, sie werden auch noch regelmäßig sanktioniert, isoliert, offen angegriffen oder mit Putschen versucht zu destabilisieren. 

(L) Ich finde, das sind alles Punkte, die kann man nicht häufig genug aufzählen und sagen und Menschen daran erinnern, wenn man über real existierende, sozialistische Länder spricht. Aber wie gesagt, es gibt auch berechtigte Kritik an sozialistischen Systemen. Aber diese Probleme auf den Sozialismus als System an sich zu beziehen greift zu kurz und ignoriert auch ziemlich viel anderes, was in der Weltgeschichte in und um sozialistische Staaten herum passiert ist.

(Y) Genug gelabert, kommen wir zu den Hard-Facts. Wenn wir erstmal allgemein anfangen, dann kann uns eine Studie aus dem American Journal of Public Health weiterbringen. Da wurde nämlich mit Daten der Weltbank aus den 80er Jahren gearbeitet und es wurde die Lebensqualität in sozialistischen Ländern mit der Lebensqualität in kapitalistischen Ländern verglichen. Die Forscher*innen Cereseto und Waitzkin haben dabei herausgefunden, dass die Menschen in sozialistischen Ländern eine höhere Lebensqualität haben, als Menschen in kapitalistischen Ländern, auf der gleichen ökonomischen Stufe.

(L) Ähnlich wurde das zum Beispiel auch in einem internen Bericht des US- amerikanischen Geheimdienstes, der CIA, dargestellt und die kann jetzt ganz sicher nicht als kommunistische Propagandamaschine gesehen werden. Die CIA hat da bestätigt, dass die Nährstoffzufuhr in der Sowjetunion besser war, als in den USA. Eine weitere Studie im International Journal of Health Services hat das Ganze auch nochmal gestützt, indem darin nachgewiesen wurde, dass es in sozialistischen Ländern besser gelungen ist, die Gesundheit der Menschen zu fördern.

(Y) Wir können hier jetzt natürlich keine umfassende Darstellung von irgendwelchen sozialistischen Ländern machen und darum kann´s auch gar nicht gehen, wir werden aber uns ein paar Beispiele aus einzelnen Ländern anschauen, bezogen auf wichtige Themen. Zum Beispiel hört man ja häufig, dass sozialistische Länder ökonomische Nieten waren und dass ihr Wirtschaftssystem nicht funktioniert hat. Und das ist ja auch ein extrem wichtiger Punkt, weil er genau auf den Kern des Sozialismus zielt. Denn der Sozialismus unterscheidet sich ja gerade durch seine Wirtschaftsweise vom Kapitalismus.

(L) Um diesem Vorwurf zu begegnen, müssen wir uns einfach nur mal die Sowjetunion anschauen. Russland war vor der Revolution im Jahr 1917 noch ein von einem Zar geführtes Land, das vor allem von Bauern und Bäuerinnen bewohnt wurde und in dem ein Großteil der Bevölkerung extrem arm war. Es war also noch nicht mal wirklich industrialisiert und auch den damals europäischen Ländern weit unterlegen. Nach der Revolution hat es dann noch einen jahrelangen Bürgerkrieg und auch Angriffe durch Großmächte wie z.B. Deutschland gegeben. Aber trotz dieser schlechten Ausgangslage hatte die Sowjetunion im 2. Weltkrieg den größten Anteil daran, dass das faschistische Deutschland geschlagen wurde. Und noch mal mehr als das: nach dem 2. Weltkrieg hat sich Russland dann in einem Konflikt mit der Großmacht USA wiedergefunden, die sich als vorderste Kämpfer gegen den Kommunismus gesehen haben und immer noch sehen und trotzdem konnte das Land mehrere Jahrzehnte standhalten.

(Y) Aber machen wir das Ganze noch mal in Zahlen fest: Vor dem Kommunismus hatte Osteuropa einen deutlich geringeren ökonomischen Output pro Person als Westeuropa und die USA. Das Bruttosozialprodukt pro Person hat in Russland zum Beispiel 1913 nur ein Zehntel von dem betragen, was in den USA erreicht wurde und 1917 war es dann noch mal weniger, durch den Krieg. Unter dem Sozialismus ist es dann auf ein Drittel von dem der USA angestiegen und das trotz Invasion, Bürgerkrieg und Weltkrieg. Nachdem die Sowjetunion 1990 dann kapitalistisch geworden ist, hat das Bruttosozialprodukt pro Person sich wieder halbiert. Außerdem ist die Wirtschaft in sozialistischen Ländern auch schneller gewachsen als die in kapitalistischen Ländern, die 1928 noch auf einem ähnlichen Level der ökonomischen Entwicklung waren. Einen Großteil der Zeit ist die Wirtschaft sogar schneller angewachsen, als die der USA.

(L) Wir wollen jetzt noch auf die DDR zu sprechen kommen, die im deutschen Bewusstsein ja ganz gerne als Unrechtsstaat bezeichnet wird und manchmal stellt man die DDR sogar auf eine Stufe mit dem Dritten Reich. Wir wollen hier gar keine Gesamtbewertung der DDR machen, dafür bräuchte man eine ganze Menge Zeit, sondern wir wollen nur auf zwei Punkte aufmerksam machen. Nämlich dass alle Antifaschist*innen und alle Feminist*innen die DDR sich mindestens zwei Mal anschauen sollten.

(Y) Wir machen nochmal ´nen Zeitsprung und zwar gehen wir mal zurück ins Deutschland 1945. Wir sind also in ´nem Land, das mehrere Jahre mit Nazis und Krieg hinter sich hat. Der Krieg ist vorbei, aber die Nazis sind noch da. Was macht man in so ´ner Situation am besten? Man könnte zum Beispiel nicht gleich wieder Nazis in Machtpositionen setzen  In der BRD im Westen klappt das Ganze nicht ganz so gut. Konrad Adenauer zum Beispiel, der erste Kanzler nach dem Krieg war ein Erzkonservativer und hat vor dem Krieg noch zu einer Koalition mit den Nazis aufgerufen. Dann gibt´s da noch seinen persönlichen Berater, Hans Globke, der war sogar aktives Mitglied der NSDAP und hat unter anderem im sogenannten Judenreferat unter Eichmann als oberster juristischer Berater gearbeitet. Ludwig Erhard, der zweite Kanzler war unter anderem im Institut für Industrieforschung tätig, die von der Firma finanziert wurden, die auch das Zyklon B zur Vergasung von Juden und Jüdinnen herstellten. So könnte man das noch mit einigen dutzenden wichtigen Namen der BRD machen, aber das sollte erst mal reichen.

(L) Wenn man sich das jetzt in der DDR anschaut, dann sieht man in den Führungspositionen eher Menschen, die entweder aus Nazi-Deutschland ausgesiedelt waren, oder sogar im aktiven Widerstand waren und teilweise Jahre in Konzentrationslagern verbracht haben. Der erste Ministerpräsident der DDR, Otto Grotewohl, wurde mehrere Male von den Nazis eingesperrt, der erste Generalsekretär der SED, Walter Ulbricht, ist ins Exil in die Sowjetunion gegangen und Erich Honecker, der zweite Generalsekretär wurde 1935 von der Gestapo abgeholt und saß die zehn Jahre bis zum Ende des Kriegs im Nazigefängnis. Zumindest kann man hier von Menschen reden, die auch tatsächlich für ihre Ziele eingestanden sind. Und auch hier könnte man das Spiel nochmal weitertreiben.

(Y) Aber auch im Kampf um Frauenrechte war die DDR ganz vorne mit dabei. Vielleicht magst du dazu nochmal was sagen?

(L) Zentral für die Emanzipation der Frau ist ihre ökonomische Unabhängigkeit und der beste Weg dahin ist vor allem ein eigener Beruf mit einem eigenen festen Einkommen. Die Erwerbstätigenquote ist in der DDR nach dem Krieg bis Mitte der 80er um 40 Prozentpunkte auf 91 % angestiegen. Im Vergleich dazu ist sie in der kapitalistischen BRD erst gefallen und war Mitte der 80er immer noch bei ca. 50 %. Dabei arbeiteten die DDR-Bürgerinnen in allen möglichen Bereichen. In den 80ern waren zum Beispiel 50 % der Richter*innen Frauen und ein Drittel der Frauen arbeiteten in technischen Berufen. Das sind Zahlen, die in der heutigen BRD, die sich gern als emanzipiert gibt, nicht mehr erreicht werden. Auch die sehr gute Versorgung mit Kita-Plätzen hat dazu beigetragen. Im Familiengesetzbuch von 1965 wurde das Recht für Frauen eingeführt eine eigene Berufskarriere einzuschlagen und entsprechende Ausbildung zu nutzen. Außerdem hat es die Scheidung auch extrem erleichtert, wodurch die Scheidungsrate in der DDR immer über der der BRD lag.

(Y) Ja, du hast ja gerade schon den Vergleich zur BRD ´n bisschen geschlagen und ich finde es extrem wichtig, den Stand der BRD da immer gegenzuhalten, um das Ganze besser zu verstehen. In der BRD waren die Männer ja bis 1976 noch die alleinigen Besitzer von Eigentum, sie hatten das alleinige Entscheidungsrecht bezogen auf Kinder und die verheirateten Frauen durften nur mit der Erlaubnis ihrer Männer arbeiten. Und im Vergleich dazu war die DDR einfach meilenweit voraus.

(L)  1972 wurde in der DDR außerdem die Abtreibung legalisiert und alle Frauen über 16 haben kostenlose Verhütungsmittel bekommen. Und ich würde auch noch dem zustimmen, was du gerade gesagt hast: Man muss die DDR mit dem vergleichen, was die BRD in der gleichen Zeit war und nicht einfach mit heute, weil wir so einen direkten Vergleich haben von zwei Ländern, die davor auf dem gleichen Stand waren. Denn auch gerade Frauenrechte, die es inzwischen in der BRD gab – wie zum Beispiel die Abtreibung – wurden erst nach der Wiedervereinigung umgesetzt, auch weil Frauen, die in der DDR groß geworden sind und ihre Rechte kannten, nicht dazu bereit waren, die wieder abzugeben, oder da Kompromisse zu machen. 

(Y) Wir machen jetzt ´ne kleine Weltreise, direkt vor die Küsten der USA. Denn auch Kuba ist ein gutes Beispiel dafür, was sozialistische Länder erreichen können. Was haben die denn so geschafft?

(L) Ja, laut den Vereinten Nationen ist Kuba z.B. an der vordersten Front der sogenannten Entwicklungsländer – wenn man dieses Wort benutzen will –  im Bereich der Lebensqualität. Es hat eine Alphabetisierungsrate von 99,7 % und eine Lebenserwartung die mit 79 Jahren nur leicht unter denen von den USA, dem Vereinten Königreich und Deutschland liegt. Das ist eine extreme Steigerung im Vergleich zur Zeit vor der Revolution. 1961 – also kurz nach der kubanischen Revolution – wurde dort eine nationale Alphabetisierungskampagne gestartet und dabei wurde 700.000 Menschen das Lesen beigebracht. Man hat die  Analphabet*innenrate dabei in wenigen Jahren von 23 % auf 4 % gedrückt.

(Y) Auch das kubanische Gesundheitssystem ist extrem bemerkenswert, wenn wir die  internationale Lage mit beachten, in der sich das kleine Land befindet. Nach der Revolution wurden in Kuba ein nationales Gesundheitssystem und Gesundheitsdienste auf dem Land eingeführt. Bis dahin hatten nämlich nur 8 % der Landbevölkerung Zugang zu Gesundheitsdiensten. Laut der Weltgesundheitsorganisation WHO ist Kuba übrigens auch das erste Land, das die HIV-Übertragung von der Mutter zum Kind und die Übertragung von Syphilis komplett eliminiert hat. Die gleiche WHO schreibt zu Kuba – und das ist jetzt ´n Zitat –: “In den letzten 50 Jahren wurden durch umfassende Programme zur sozialen Sicherung Armut und Hunger weitgehend beseitigt. Nahrungsbezogene soziale Sicherungssysteme umfassen einen monatlichen Essenskorb für die gesamte Bevölkerung, Programme für Schulessen und Mutter- Kind-Gesundheitsprogramme.” Zitat zu Ende.

(L) In einer aktuellen Untersuchung argumentiert außerdem Jason Hickel, dass Kuba das am meisten nachhaltig entwickelte Land ist.

(Y) Fliegen wir wieder ´n bisschen zurück Richtung Osten und zwar auf den afrikanischen Kontinent. Man kann nämlich nicht über die Erfolge sozialistischer Länder reden, ohne auf Burkina Faso und den Revolutionär Thomas Sankara zu sprechen zu kommen. Thomas Sankara hat nämlich in den 80er Jahren das Land Burkina Faso ziemlich umgekrempelt, bis er dann im Zuge von ´nem Coup ermordet wurde. In Burkina Faso wurden damals innerhalb von wenigen Wochen 2,5 Millionen Kinder gegen Meningitis, Gelbfieber und Masern geimpft; es wurde – wie in Kuba schon – eine Alphabetisierungskampagne gestartet, durch die die Alphabetisierungsrate in vier Jahren von 13 auf 73 % gehoben wurde, es gab außerdem ´ne riesige Aufforstungskampagne, weibliche Genitalverstümmelung wurde verboten und Frauen wurden aktiv in Regierungsämter geholt und haben ´nen großen Anteil in den Regierungsämtern ausgemacht.

(L) Heute hat man ja oft das leicht rassistisch geprägte Bild von den Autoritären Diktatoren und Oligarchen auf dem afrikanischen Kontinent, aber wenn man sich anschaut woher die kommen und wer die in´s Amt gesetzt hat und wen sie davor geputscht haben, dann ergibt sich ja teilweise auch echt ´n anderes Bild, also gerade wenn man sich Burkina Faso anschaut, das auch damals unter Thomas Sankara echt auf dem Weg zum sozialistischen Aufbau war, aber das ist auch kein Einzelfall auf dem afrikanischen Kontinent.  Wir haben jetzt also gesehen, dass einige sozialistische Länder trotz aller Widrigkeiten und Probleme gerade im sozialen Bereich wirklich erhebliche Verbesserungen in teilweise auch sehr kurzer Zeit durchsetzen konnten.

(Y) Atmen wir ganz kurz durch, denn die Basics von Kommunismus und Sozialismus haben wir damit hinter uns. Wir versuchen jetzt aber genauer zu werden. Als wir die Episode geplant haben, haben wir ´n bisschen überlegt und uns gedacht, dass die zwei wichtigsten Punkte wahrscheinlich die Politik und die Wirtschaft sind. Wir gehen also erst auf die Politik in sozialistischen Ländern ein und dann auf Möglichkeiten, wie die Wirtschaft sozialistisch gestaltet und geplant werden kann. Wir würden sagen, dass sozialistische Länder vor zwei zentralen Aufgaben in der Politik stehen, die manchmal in Konflikt miteinander geraten können und auch miteinander in Konflikt geraten sind.

(L) Die erste Aufgabe ist eigentlich relativ logisch: Wir haben die Revolution hinter uns gebracht, die ausbeutenden Klassen wurden enteignet und als nächstes wollen wir eine Gesellschaft bauen, die möglichst lange existiert. Aber mit unserer Revolution haben wir einige Menschen ziemlich sauer gemacht. Da gibt es die kapitalistische Klasse in unserem Land, die ihren Besitz verloren hat und jetzt auch auf ihr Luxusleben verzichten muss und auf internationaler Ebene gibt´s ganze Länder, oder auch dort die herrschenden Klassen, denen der Sozialismus nicht gefällt. Die erste Aufgabe ist also, dass wir es irgendwie schaffen müssen, dass der Sozialismus und alles was wir vielleicht erreicht haben, nicht wieder zerstört werden oder unsere Regierung geputscht wird, und so weiter.

(Y) Die zweite politische Aufgabe ergibt sich dann aus dem Anspruch des Kommunismus. Wenn wir zu einer kommunistischen Gesellschaft kommen wollen, dann sollten keine Menschen in dieser Gesellschaft andere Menschen von oben herab behandeln, oder unterdrücken können. Es braucht also – und das ist die zweite Aufgabe – demokratische Strukturen, damit die Menschen die sozialistische und die kommunistische Gesellschaft mitbestimmen können.

(L) Wir versuchen mal erst auf die Aufgabe der Sicherung des Sozialismus einzugehen, dann auf die Aufgabe der Demokratie und am Ende sagen wir dann noch ein paar Gedanken zur Vermittlung.

(Y) Wenn wir uns so ´ne halbe Stunde zurück erinnern, dann haben ja schon gesagt, dass der Aufbau einer kommunistischen Gesellschaft nicht einfach durch den Umsturz des alten Systems erreicht ist, sondern dass es eine lange Phase geben muss, in der wir noch Spuren vom Kapitalismus finden und in der wir nur nach und nach den Kommunismus aufbauen. In dieser Phase gibt es neben der Wirtschaftsplanung eben die wichtige Aufgabe, den sozialistischen Aufbau vor Angriffen zu schützen. Denn – und das hast du ja gerade schon gesagt – wir können damit rechnen, dass sich die kapitalistische Klasse nicht einfach so und erst Recht nicht ohne Widerstand fügt und ihren früheren luxuriösen Lebensstil hinter sich lässt, nur weil ihre Politiker*innen jetzt abgesetzt wurden.

(L) Ganz genau und die kapitalistische Klasse wird auch direkt nach der Revolution immer noch sehr mächtig sein: Und das jetzt nicht nur wegen ihrem Kapital, das wir, solange es sich in den Grenzen unseres Herrschaftsgebietes befindet,  auch einfach enteignen können. Sondern sie verfügt auch über gute internationale Verbindungen, wir müssen also damit rechnen, dass sie auch von ausländischen Kapitalisten und kapitalistischen Ländern unterstützt wird. Das ausländische Kapital und deren Staatsmänner und Staatsfrauen werden auch deswegen ein Interesse am Sturz der neuen sozialistischen Regierung haben, ja weil sie vielleicht selber in dieses Land investiert und die Arbeitskraft dort ausgebeutet haben oder weil sie Angst haben, dass der Sozialismus auf die eigenen Bürger*innen anziehend wirkt und dann einen Dominoeffekt auslöst. 

(Y) Ja, aus den Gründen brauchen wir wahrscheinlich staatliche Strukturen, um eben zum einen die Interessen der Bevölkerungsmehrheit durchzusetzen und ein sozialistisches System zu etablieren und zum anderen um die Macht der rebellierenden kapitalistischen Klasse zu begrenzen. Marx und Engels sprechen da von der “Diktatur des Proletariats”. Das versteht man vielleicht am besten, wenn man weiß, dass die Beiden den Staat als eine Möglichkeit der herrschenden Klasse sehen um ihre eigenen Interessen gegenüber den anderen Klassen durchzusetzen. Der Staat ist also immer eingebunden in die Klassenherrschaft und eng verbunden mit der herrschenden Klasse. Wenn das Proletariat – also die Bevölkerungsmehrheit – jetzt zur herrschenden Klasse wird, wird der Staat zu ihrem Instrument, um die enteignete kapitalistische Klasse nieder zu halten.  Solange es also Klassenstrukturen gibt, muss es einen Staat geben, der die Klassenherrschaft ausübt. Der Staat ist demnach immer eine Diktatur der einen über die andere Klasse.

(L) Im Umkehrverhältnis bedeutet das aber dann auch, dass ohne Klassen kein Staat mehr nötig ist. Und genau das ist das Ziel des Sozialismus: Die Klassen sollen sich nach der Revolution auflösen. Wenn es dann keine Ausbeutung mehr gibt, keine Ungleichheit mehr und auch kein Eigentum, dann werden sich diese Klassenstrukturen auch mit der Zeit auflösen. In der höchsten Stufe des Kommunismus wird es dann auch gar keinen Staat mehr – in dem Sinne wie wir ihn jetzt kennen – geben. Umgekehrt ist aber, solange es Klassen gibt, ein Staat notwendig. Auf der anderen Seite aber ist, solange es noch Klassen gibt, auch ein Staat wichtig.  Im Sozialismus übernimmt die Klassenherrschaft aber die Mehrheit der Bevölkerung, also die Lohnarbeiter*innen, die nicht-kapitalistische Klasse. Der Staat wird hier genutzt, um die kapitalistische Klassengesellschaft aufzulösen. Wenn sich die Klassen auflösen, dann wird auch sukzessive der Staat absterben, ganz einfach weil er nicht mehr gebraucht wird.

(Y) Und das korrigiert dann auch ´n typisches Missverständnis vom Verhältnis von Anarchist*innen und Kommunist*innen. Das Ziel ist nämlich von beiden eigentlich, dass sich der Staat auflöst, oder dass der Staat abgeschafft wird. Die Anarchist*innen wollen ihn aber sofort abschaffen, Kommunist*innen würden dagegen sagen, dass es für den Übergang zu einer klassenlosen Gesellschaft erst noch staatliche Strukturen braucht und eine koordinierte sozialistische Politik, unter anderem eben um die Organisation der Gesellschaft aufrechtzuerhalten und sich gegen die Versuche der kapitalistischen Klasse – die ja die Revolution rückgängig machen würde – zu verteidigen.

(L) Ja man kann sagen, ganz einfach deswegen, weil wir glauben, dass sich eine gerechte Gesellschaft nicht aus dem Nichts schaffen lässt. Jetzt ist aber der Begriff der Diktatur des Proletariats erstmal ziemlich abschreckend, weil wir damit autokratische oder faschistische Regierungen verbinden. Tatsächlich geht es aber darum, dass die arbeitende Klasse in dieser Diktatur des Proletariats endlich eine wirkliche Demokratie einführen kann. Zwei Ansätze, wie eine Demokratie im Sozialismus gestaltet werden könnte, sind die Rätedemokratie und die direkte Demokratie. Schauen wir uns also zuerst mal die Rätedemokratie an.

(Y) Der grundlegende Ansatz der Rätedemokratie ist, dass die Arbeitenden in kleineren Basiseinheiten, wie z.B. in ihrem Betrieb oder auch in ihrer Wohneinheit organisiert sind und Räte und Rätinnen entsenden, die dann Gesetze machen, regieren und auch die Aufgaben des Gerichts übernehmen. Dabei gibt es verschiedene Ebenen von Räten, oder Sowjets, wie wir sie in der Sowjetunion hatten. Die Räte der einzelnen Betriebe entsenden Menschen in den örtlichen Rat, von dem dann wieder Menschen eine Ebene höher delegiert werden, bis hoch zur staatlichen Ebene. So soll dann gesichert werden, dass die Anliegen der Menschen von allen Ecken des Landes aus der Basis bis ins Zentrum gebracht werden.

(L)  Wichtig war dabei spätestens seit der Erfahrung der Pariser Kommune im Jahr 1871, dass die Abgeordneten direkt verantwortlich sind, dass sie auch  darauf hören müssen, was ihre Wähler*innen ihnen auftragen und dass sie im Prinzip die ganze Zeit abrufbar sind. Außerdem sollen die Abgeordneten nur genau so viel verdienen wie normale Arbeitende. In der Vergangenheit können wir sehen, dass solche Räte relativ häufig eingesetzt wurden.  Zum Beispiel wurden in Russland nach der Revolution 1905 – also der erste Versuch einer sozialistischen Revolution –  da wurde ein Rätesystem aufgebaut, dass dann nach der Revolution 1917 auch zentral geworden ist, aber spätestens in den 30er Jahren hat´s dann auch wieder seine Bedeutung verloren. Auch in Deutschland gab es während der revolutionären Zeit um 1918 – also in der Umbruchsphase nach dem ersten Weltkrieg – verschiedene Versuche, Rätesysteme umzusetzen.

(Y) Auch heute würden vielen Sozialist*innen und Kommunist*innen, wenn man sie fragt, wie genau sie sich eigentlich ´ne Demokratie im Sozialismus vorstellen, sagen: Als ´ne Rätedemokratie, also durch Sowjets, durch Räte. Wenn wir uns die Geschichte aber anschauen, hatten Rätesysteme auch einige Probleme. Zum Beispiel konnten die Räte einen existierenden Staat nur dann wirklich stürzen, wenn sie von einer organisierten Gruppe entschlossener Revolutionäre angeführt wurden. Wenn das nicht der Fall war, blieb die bestehende Staatsmacht unkontrolliert und die Räte lösten sich irgendwann selbst auf oder wurden zerstört. Das war zum Beispiel bei der Pariser Kommune oder in der portugiesischen Revolution der Fall. Dazu kommt dann noch ´n Problem, nämlich dass der Weg der Rätedemokratie sehr klar formuliert werden muss, weil sie ansonsten entweder in einen Einparteien-Staat umschlägt oder in einen bürgerlichen Parlamentarismus, wie man ihn heute schon kennt. Auch die Möglichkeit – von der du gerade gesprochen hast – dass die Abgeordneten einfach abberufen werden können, wenn sie nicht mehr tun, was die Bürger*innen von ihnen verlangen, war in der Praxis relativ eingeschränkt. Und aus der geschichtlichen Erfahrung führt das Prinzip der Abberufbarkeit noch nicht zu der Praxis der Abberufbarkeit und ist eher ein seltenes Ereignis. In den USA gibt´s auch einzelne Staaten, die heute das Prinzip der Abberufbarkeit haben, das aber im Prinzip relativ leer ist.

(L) Eine andere Möglichkeit wäre die einer direkten Demokratie. Gegen eine solche direkte Demokratie gibt es häufig den Einwand, dass man ja heute schon sieht, dass nicht alle Menschen politisch interessiert sind oder genug Wissen haben. Aber wenn man die Forschung dazu anschaut, dann sieht man auch, dass das eng mit der Klassenlage verbunden ist. Politisches Interesse und Wissen sind also nichts natürlich gegebenes, sondern können gezielt gefördert werden. Die aktuelle Demokratie ist einfach sprachlich und auch strukturell darauf ausgelegt, dass nur Menschen mit genug Mitteln daran teilnehmen können.

(Y) Aber das ist übrigens nicht der einzige Grund, warum politische Bildung extrem wichtig ist im Sozialismus. Wir brauchen politische Bildung auch um transparenter zu machen, was da gerade eigentlich passiert im Sozialismus. Maurice Merleau-Ponty, der ein französischer Philosoph war und eng mit so Leuten wie Sartre und Beauvoir, hat mal gesagt, dass die Diktatur der Wahrheit für jede*n, der oder die diese Wahrheit nicht klar erkennt, nichts anderes ist, als nackte Autorität. Was bedeutet das? Das heißt: Selbst wenn die sowjetischen Anführer*innen z.B. in allem richtig lagen war eines ihrer großen Probleme, dass ihr Handeln für einen großen Teil der Bevölkerung nicht wirklich durchsichtig war und deswegen wie ´ne reine Autorität erschienen ist. Eine ausgedehnte politische Bildung im Sozialismus und ´ne demokratische Teilhabe können dann sicherstellen, dass der Sozialismus nicht in eine Rechtfertigungskrise kommt.

(L) Okay, wie aber könnte sowas in der Praxis aussehen? Ja, für bestimmte Entscheidungen, bei denen das möglich ist, könnte man im Fernsehen und Internet übertragene Debatten veranstalten und durch elektronische Abstimmungen abstimmen lassen. Für alle anderen öffentlichen Belange, Einrichtungen und Entscheidungen könnte man dann auch hier wieder Räte einsetzen, z.B. die Wasserbehörde, die Post, die Bahn und so weiter. Die würden dann auch wieder unter Aufsicht solcher Räte stehen. Die Mitglieder dieser Räte könnte man unter den Arbeitenden insgesamt oder unter denjenigen, die die Sache direkt betrifft, auslosen.

(Y) Allerdings sehen wir auch bei diesem Konzept wieder ein paar Probleme, mit denen umgegangen werden muss. Das erste betrifft die Verteidigung des sozialistischen Systems. Wir hatten ja gerade eben schon gesagt, dass ein sozialistisches System, das die kapitalistische Klasse ernsthaft gefährdet, sehr wahrscheinlich angegriffen wird. Ob so eine Verteidigung mit der Struktur der direkten Demokratie tatsächlich möglich ist, halten wir für unsicher. Vielleicht muss man das dann kombinieren mit einer Instanz, die sich ausdrücklich mit der Aufgabe der Verteidigung auseinandersetzt und aus einem Kader besteht.

(L) Ähnlich machen es ja manche sozialistischen Systeme. In Kuba gibt es einerseits eine demokratische Kultur -darauf gehen wir auch gleich nochmal ein –, andererseits gibt es aber noch die Kommunistische Partei, die vor allem dafür da ist, den Sozialismus und die sozialistischen Prinzipien zu verteidigen.

(Y) Natürlich entstehen dadurch auch wieder Probleme, aber so funktionieren politische Systeme. Es gibt bestimmte Probleme, mit denen man dann in der Praxis umgehen muss und deren Lösung man in der Praxis finden muss.

(L) Ein zweites Problem hängt mit Angriffen von außen und ihrer Verteidigung zusammen. Und zwar haben wir in der Vergangenheit gesehen, dass Länder wie vor allem die USA mithilfe von Undercover-Aktionen und der Finanzierung oppositioneller Bewegungen in den sozialistischen Ländern ständig versucht haben innerhalb der Bevölkerung Stimmung gegen den Sozialismus zu machen. Auch das wäre eine Herausforderung, die sich für die direkte Demokratie aber auch den Sozialismus im Allgemeinen stellt.

(Y) Soweit erst mal zu den abstrakten Lösungen der Aufgaben im politischen System. Um jetzt aber nicht nur im Abstrakten zu bleiben, gehen wir am besten noch auf ein Beispiel ein. Und zwar wollen wir darauf eingehen, wie Demokratie in Kuba praktiziert wird. Daran kann man dann vielleicht erkennen, wie auch innerhalb von ´nem parlamentarischen Systems Demokratie sozialistisch gestaltet werden kann.

(L)  Kommen wir erstmal zu den Wahlen. In Kuba gibt es, wie auch bei uns, freie Wahlen für das Parlament und für Gemeindevertretungen, an denen alle Menschen ab 16 Jahren teilnehmen können. Seit der Verfassungsreform von 2018 wählen diese Abgeordneten dann den Präsidenten oder die Präsidentin, die höchstens 10 Jahre, das sind zwei Amtszeiten, regieren darf. Im Unterschied zu westlichen Demokratien, stellen sich Menschen nicht im Rahmen von Parteien auf. Sie machen also keine Parteienkarriere und werden auch nicht von Parteien in eigener Abstimmung auf Listen gesetzt, sondern direkt gewählt.

(Y) Um außerdem auszuschließen, dass Reichtum zu mehr Macht führt, ist es in Kuba verboten, Geld für die Werbung von Kandidat*innen auszugeben. Auch die Kommunistische Partei darf nicht für ihre Kandidat*innen werben. Den Kandidat*innen bleibt also nur, dass sie mit ihrem Auftreten und mit ihren Argumenten überzeugen.

(L)  Ich finde, gerade das ist so ein sinnvoller Punkt, nicht nur weil sich Reiche oder wirtschaftsnahe Kandidat*innen auch mehr Werbung leisten können, sondern auch weil sich die Kandidat*innen dann vielleicht mehr auf Inhalte konzentrieren als auf leere Plakatsprüche und damit unsere Straßen und Briefkästen zumüllen.

(Y) Das war keine Anspielung auf unsere politische Realität. Wenn wir uns die Wahl von 2018 mal anschauen, dann gab es damals ´ne Wahlbeteiligung von 83 %. Von den Abgeordneten, die gewählt wurden, waren 53% weiblich. Damit hat Kuba nach Ruanda den höchsten Anteil von Frauen im Parlament. Auch hier lohnt sich mal der Vergleich zu Deutschland, denn in Deutschland gibt es nur 35% Frauen im Parlament und auch eine niedrigere Wahlbeteiligung – und das trotz der Wahlwerbung, der man kaum entgehen kann.

(L)  Ein weiterer wesentlicher Bestandteil in der kubanischen Demokratie sind Massenorganisationen. Es wird generell versucht, dass man Menschen auch unabhängig von Wahlen aktiv in das politische Geschehen mit rein holt und dazu gibt es eben dort solche Massenorganisationen, die ganz zentraler Bestandteil vom politischen System sind und auch bei wichtigen Themen mitreden können. Fast alle Kubaner*innen sind Teil von solchen Organisationen, teilweise sogar von mehreren und diese Organisationen halten dann Versammlungen ab, bringen Vorschläge in die Politik und werden – ja, wie gerade schon gesagt – in Entscheidungen auch mit eingebunden, die die Menschen betreffen.

(Y) Als Beispiel für die Einbindung in wichtige Entscheidungen von der Bevölkerung können wir uns die Erarbeitung neuere Leitlinien für die Wirtschafts- und Sozialpolitik im Jahr 2010 anschauen. Da wurde der Entwurf nämlich in mehr als 160.000 Versammlungen in Betrieben, Universitäten und in Stadtteilen diskutiert, aus denen dann fast 800.000 Änderungsvorschläge kamen.  60 % der ursprünglichen Vorschläge für die Leitlinien wurden dann auch tatsächlich – basierend auf den Änderungsvorschlägen – abgeändert.

(L) Das reicht jetzt mit Politik! Halten wir einfach zum Schluss fest, dass es verschiedene Aufgaben für eine sozialistische Politik gibt, aber genauso auch Lösungsansätze. Dabei ist es ja gar keine Besonderheit der sozialistischen Politik, dass es verschiedene Anforderungen in der Realität gibt. Wie genau dann eine sozialistische Politik aber gestaltet wird, das können nur die Menschen, die sich in einer sozialistischen Gesellschaft befinden,  entscheiden und dabei können sie inzwischen aus sehr viel Erfahrungen und auch klugen Ideen lernen und auf die Möglichkeiten zurückgreifen, die uns auch das 21. Jahrhundert und die Digitalisierung gebracht haben.

(Y) Kommen wir zu unser aller Lieblingsthema, nämlich zur Wirtschaft. Auch den wirtschaftlichen Part haben wir so aufgeteilt, dass wir uns zwei größere Aufgaben anschauen, die ein sozialistisches Land lösen muss. Die erste haben wir einfach mal überschrieben mit “Wo zur Hölle bekomme ich meine Tomaten her?”. Was damit gemeint ist kann man vielleicht ganz gut verstehen, wenn man an unseren Alltag denkt. Viele von uns gehen ja arbeiten, bekommen am Ende vom Monat Geld und können sich dann davon etwas kaufen. Der Kommunismus zielt ja darauf ab, dass es letztlich kein Geld mehr gibt und dass genug von allem da ist, dass auch keine Mechanismen existieren müssen, mit denen der Zugang zu den Gütern reguliert wird. Aber wie ist das eigentlich im Sozialismus, also in der Phase, wo eben noch nicht genug von allem da ist?

(L) Die zweite Aufgabe ist dann ein bisschen umfassender. Wenn sich der Sozialismus dadurch kennzeichnet, dass nicht der Markt alles bestimmt, sondern die Wirtschaft geplant wird, dann brauchen wir einen Weg die Wirtschaft zu planen.

(Y) Aber kommen wir erstmal zur Aufgabe Nummer 1: Lea, wo bekomme ich meine Tomaten her?

(L) Wie manche von euch vielleicht wissen, geht der Marxismus davon aus, dass der Reichtum unserer Gesellschaften auf der Natur beruht und durch Arbeit produziert wird. Alles, was wir an Waren und Dienstleistungen kaufen können, wurde und wird durch Arbeitskraft hergestellt, also indem jemand Arbeitszeit zur Herstellung verwendet hat. Klar gibt es Maschinen, aber die schaffen keinen neuen Wert, sondern verlieren den eigenen Wert im gleichen Maß, wie sie ihn an die produzierten Güter abgeben. Der erste Schritt zu einer sozialistischen Verteilung von Gütern wäre also, dass wir die Arbeit als das anerkennen, was sie ist: und zwar als das einzige Element, das wirklich Reichtum schafft.

(Y) Marx hat als Grundprinzip des Kommunismus erhoben, dass jede nach ihren Fähigkeiten leistet und jeder nach seinen Bedürfnissen bekommt. Aber wir brauchen ein Grundprinzip, das wir festhalten, solange der Kommunismus noch nicht erreicht wurde und wir uns noch im Sozialismus befinden.  Und das Grundprinzip wäre, dass jedes Mitglied der Gesellschaft sich so viel Arbeit aneignen kann, wie es selbst bereitstellt. Natürlich gibt es verschiedene Anpassungen von diesem Prinzip, aber auf die kommen wir gleich noch zu sprechen. 

(L) So, wie können wir uns das praktisch vorstellen? Die Menschen könnten zum Beispiel ihren Lohn nicht mehr als Geld bekommen, sondern als Zeiteinheiten auf einer z.B. Arbeitskreditkarte. Wenn du also zum Beispiel eine Hose herstellst Yannic, für deren Produktion die Menschen im Schnitt zwei Stunden brauchen, dann kriegst du auf deiner digitalen Karte zwei Stunden gutgeschrieben und dafür könntest du dir dann Essen im Supermarkt gegenüber kaufen, deren Herstellung durchschnittlich auch zwei Stunden gebraucht hat.

(Y) In der Praxis würden die Menschen aber nicht komplett das an Arbeit zurückerhalten, was sie selber eingebracht haben. Ein Teil des Ertrags der gesellschaftlichen Arbeit müsste z.B. verwendet werden um Menschen die nicht arbeiten können zu versorgen, nehmen wir etwa alte Menschen, oder kranke Menschen. Gleichzeitig könnte auch ein Teil verwendet werden um die Produktion usw. auszuweiten. Diese verschiedenen Abzüge, die dazu kommen, könnten etwa durch eine Einkommenssteuer geregelt werden. Im Idealfall sollte und könnte die Höhe und die Verwendung der Abzüge durch demokratische Verfahren gelöst werden, wie wir sie vorhin skizziert haben.

(L) Mit solchen Arbeitskreditkarten gäbe es also in der ersten Phase des Sozialismus noch eine Art Markt. Wenn wir mal einen Schritt zurückgehen, dann könnten solche Sachen, die zur gesellschaftlichen Teilhabe notwendig sind, wie zum Beispiel die Bildung, kostenlos bereitgestellt werden. Um darüber hinaus aber möglichst viel Freiheit zu bieten, könnten Konsumgüter dann über einen Markt mit Arbeitskreditkarten verteilt werden.

(Y) Diese Arbeitskreditkarten haben auch verschiedene Vorteile gegenüber dem Geld, auf die wir hier jetzt nicht näher eingehen, aber man könnte die Arbeitsgutschriften z.B. mit ´nem Verfallsdatum ausstatten, sodass Menschen sie nicht horten können, man könnte sie unübertragbar machen, oder dass sie direkt bei der Einlösung verfallen. Aber kommen wir jetzt mal zu ein paar Problemen, die einem bei dem Konzept vielleicht in den Kopf kommen. Der erste mögliche Einwand ist, dass Menschen doch unterschiedlich stark ausgebildet sind. Sollten sie dann nicht auch mehr Geld bekommen? Die bessere Bezahlung von ausgebildeten Arbeitskräften wird oft ja damit gerechtfertigt, dass diese Menschen einige Jahre mehr zurückgesteckt hätten und deswegen einen besseren Lohn verdienen würden.

(L) Zu allererst wollen wir das mal kurz problematisieren: das Studium ist nicht zu vergleichen mit ´nem dreckigen Job und man hat in der Zeit oft viele Freiheiten und kann – zumindest nicht in der Klausurenphase – Party machen und sich entfalten, wie selten sonst im Leben.  Menschen die direkt arbeiten, finden sich im Gegensatz dazu nicht selten in anstrengenden und ja auch dreckigen Arbeiten wieder.

(Y) Auch das Argument, das häufig vorgebracht wird, dass Studierende auf Geld verzichten würden, zieht in einer sozialistischen Gesellschaft nicht mehr wirklich. Hier würden Bildung und Ausbildung vom Staat übernommen werden. Schließlich ist Lernen eine wertvolle und gesellschaftlich notwendige Form der Arbeit, die am Ende qualifizierte Arbeitskräfte produziert. Sie würde also durch ein normales Einkommen genauso entlohnt werden, wie andere Arbeitsstellen. Großartige Lohnunterschiede werden also durch die Ausbildung nicht wirklich gerechtfertigt im sozialistischen System.

(L) Kommen wir zum zweiten Problem: Was tun wir, wenn in irgendeinem Bereich Arbeitende fehlen? Schon im Kapitalismus gibt es ja Arbeitsbereiche, in denen auf kurze oder lange Zeit Arbeitskräfte fehlen. Hier werden dann Menschen nicht selten durch subtile Formen der Arbeitslenkung in die Bereiche gebracht, indem die Person z.B. keine andere Möglichkeit hat, als eine bestimmte Arbeit anzunehmen.

(Y) In sozialistischen Gesellschaften ist es dann auch ähnlich vorgekommen, dass auch hier Menschen zu bestimmten Arbeiten zugewiesen wurden, dabei aber durch den Staat. Das ist eine extreme Möglichkeit, aber definitiv auch eine Notfallmöglichkeit. Es stellt sich trotzdem die Frage, inwiefern man damit tatsächlich über die Probleme des Kapitalismus hinausgeht.

(L) Es gibt auch andere Möglichkeiten mit diesem Problem umzugehen: Man könnte in bestimmten Bereichen akzeptieren, dass Menschen eben nicht dort arbeiten möchten und dann warten, bis die Technik so weit ist, dass diese Arbeiten automatisiert werden und vielleicht auch genau in die Technikentwicklung in dem Bereich investieren. Das klappt natürlich nicht in allen Bereichen. Man könnte auch ein gesellschaftliches System schaffen, in dem Beispielsweise Mitglieder einer Kommune regelmäßig die Aufgabe der Müllentsorgung übernehmen und das so ´n bisschen wechselt. Das schafft nicht nur eine gerechte Aufteilung gesellschaftlich notwendiger Arbeiten, die kein Mensch in Vollzeit übernehmen möchte, sondern es schult auch das Bewusstsein. Ähnliche Ansätze gab es zum Beispiel in der DDR. Notfalls könnte man dann aber auch mit verschiedenen Anreizen arbeiten.

(Y) Ein drittes und letztes Problem, auf das wir hier eingehen wollen ist das, wie man damit umgeht, dass manche Menschen fleißiger arbeiten, als andere. Wenn man Fleiß nämlich nicht belohnt, dann riskiert man, dass sich lieber alle ein entspanntes Leben machen, bezahlt werden sie ja sowieso.  Im Kapitalismus wird die Produktivität unter anderem durch die Gefahr der drohenden Arbeitslosigkeit gesichert, aber in sozialistischen Ländern kam es dann häufig vor, dass die Menschen angespornt wurden, weniger produktiv zu arbeiten.

(L) Eine Zeitlang könnte man im Sozialismus vielleicht auf die Begeisterung der Menschen bauen, die nicht mehr für die kapitalistische Klasse, sondern für eine bessere Gesellschaft für alle und jeden und auch damit für sich selbst und ihre Nachkommen arbeiten. Andererseits können wir uns aber nicht darauf verlassen. Eine realistische Möglichkeit, die ergriffen werden könnte, wäre, dass zuerst noch auf eine Bewertung der Arbeit in Kategorien gesetzt wird. Arbeitende, die z.B. schneller sind als andere würden dann ´n bisschen mehr bekommen als der Durchschnitt und Arbeitende, die langsamer sind, vielleicht etwas weniger. Man dürfte das dann aber nicht mit einer Stigmatisierung von denjenigen, die langsamer arbeiten, einhergehen lassen. Also da müsste man dann schon schauen, dass man das richtig kommuniziert. Die Arbeitenden haben sich ja einfach dazu entschieden etwas ruhiger zu arbeiten und dafür entsprechend weniger Arbeit zurückzuerhalten.

(Y) Dafür, dass sowas notwendig ist, spricht auch, dass die Produktivität in den realsozialistischen Ländern eben nicht mit der in den kapitalistischen Ländern mithalten konnte. Am Ende muss der Beginn des sozialistischen Aufbaus in allen Bereichen wahrscheinlich durch so ´ne Mischung von Kompromisslosigkeit auf der einen Seite und Pragmatismus auf der anderen Seite geprägt sein. Einerseits muss in zentralen Bereichen ´ne feste Grundlage für den sozialistischen Aufbau gelegt werden, andererseits haben wir es eben noch mit Menschen aus einer kapitalistischen Gesellschaft zu tun, die die Entlohnung von Produktivität sozialisiert bekommen haben.

(L)  Kommen wir jetzt noch zur zweiten wichtigen Aufgabe der sozialistischen Wirtschaft, nämlich der Frage, wie man eine Wirtschaft überhaupt planen kann.

(Y) Schauen wir dafür kurz zurück auf die Erfahrungen der sozialistischen Systeme. Spätestens im 20. Jahrhundert ist deutlich geworden, dass die Wirtschaft eines der wichtigsten Felder ist, damit der Sozialismus weiter besteht. Das kann man besonders gut in der Sowjetunion in den ersten Jahren nach der Revolution sehen. Eigentlich hatten die Revolutionäre und Revolutionärinnen da nämlich darauf gesetzt, dass die sozialistische Revolution innerhalb kurzer Zeit auch in anderen Ländern ankommt. Aber die Hoffnungen der russischen Revolutionäre sind mit der Zeit aber zerstört worden und man fand sich dann plötzlich wieder in einer Welt, wo man als wirtschaftlich schwaches Land unter lauter kapitalistischen Ländern war.

(L) Noch aus einem anderen Grund hat man schnell gemerkt, dass die Ausweitung der Wirtschaft wichtig für das Überleben war. In den ersten Jahren im sozialistischen Russland hat man es in dem Land, das gerade aus dem ersten Weltkrieg kommt und noch relativ arm ist, mit einem sogenannten Kriegskommunismus zu tun. Einerseits werden kommunistische Ideale wie das Ende des Geldes umgesetzt, andererseits geht das aber auch mit einer großen Armut einher. Es hat sich dann damals auch die Frage gestellt:  Wollen wir gleich sein, aber arm, oder akzeptieren wir, dass wir für eine Zeit auf unsere kommunistischen Ideale verzichten müssen, um voranzukommen und in der Zukunft einen wirklichen Kommunismus zu errichten?

(Y) Die Frage wird damals von einer großen Auseinandersetzung in der kommunistischen Bewegung begleitet. Die Bolschewiki nehmen schließlich Abstand von ihrem Versuch den Kommunismus in einer Hauruck-Aktion umzusetzen und führten mit der sogenannten Neuen Ökonomischen Politik wieder ´n paar marktwirtschaftliche Elemente ein. Das Ganze ist natürlich auch bei den russischen Revolutionären nicht ohne Widerstand passiert.

(L) Lenin selber hat in der Diskussion die Position vertreten, dass der Kriegskommunismus eigentlich ein Rückschritt gegenüber dem Kapitalismus wäre und in seiner Broschüre mit dem Namen „Über die Naturalsteuer“ hat er folgendes gesagt. Ich zitiere ihn jetzt: “Es gilt, auf jede Art und um jeden Preis den Umsatz zu entfalten, ohne Furcht vor dem Kapitalismus [...] alle Hebel müssen in Bewegung gesetzt werden, um den Umsatz der Industrie und der Landwirtschaft zu beleben, koste es, was es wolle” (Lenin: Über die Naturalsteuer, S. 366ff.).

(Y) Fassen wir den Punkt kurz zusammen: Das Schlachtfeld der wirtschaftlichen Entwicklung ist also auch eine Form des Klassenkampfes, wo das junge sozialistische Land sich nach außen hin verteidigen muss. Weil die sozialistischen Revolutionen bis jetzt vor allem in den besonders armen oder ausgebeuteten Ländern ausgebrochen sind, stand die Wirtschaft einfach im Mittelpunkt. Das ist eine ziemlich langwierige Anstrengung, die nur noch wenig mit der Aufregung des gesellschaftlichen Umsturzes zu tun hat, aber trotzdem extrem wichtig ist, um den Sozialismus aufrechtzuhalten

(L) Damit hätten wir auf jeden Fall geklärt, warum eine gute Wirtschaftsplanung wichtig ist. Aber wie genau kann man eine solche Planung der Wirtschaft umsetzen?

(Y) Ja, wir haben uns entschieden, dass wir den Teil möglichst einfach halten. Das bringt einerseits den Vorteil, dass es hoffentlich verständlich bleibt und ihr euch nicht mit Mathe und technischen Fragen rumschlagen müsst. Andererseits hat das aber auch den Nachteil, dass wir an der Oberfläche kratzen. Wer mehr zu dem Thema erfahren will, muss also im Anschluss selber einsteigen ins Thema oder auf eine ausführlichere Folge dazu von uns warten.

(L) Fangen wir mit der grundlegendsten Ebene an: In einer sozialistischen Gesellschaft sollten die grundlegenden Bedürfnisse der Menschen gedeckt sein, durch die sie an der Gesellschaft dann auch teilnehmen können. Das umfasst so Sachen wie die Bildung, das Gesundheitswesen, Kinderbetreuung und so weiter. Das würde durch Steuern finanziert und vom Staat gestellt werden.

(Y) Ein zweiter wichtiger Bereich ist die Ernährung, die vor allem auf der Landwirtschaft aufbaut. Hier ist die Wissenschaft mittlerweile ja weit genug um bestimmen zu können, wie viel von bestimmten Lebensmitteln und Nährstoffen für ein gesundes Leben gebraucht wird. Mit der Information könnte eine sozialistische Gesellschaft dann bestimmen, wie viel Arbeitskraft sie für die Landwirtschaft aufbringen muss.

(L) Das sind also als die zwei Basics. Um jetzt aber trotzdem die Wahlfreiheit der Menschen möglichst offen zu halten, könnte man überlegen, ob man mit einem eingeschränkten Markt arbeitet. Das haben wir ja mit den Arbeitskreditkarten schon angesprochen.

(Y) Bei der Steuerung davon, wie viel wir von allen Produkten brauchen, könnte eine sozialistische Gesellschaft dann auch auf die Nachfrage nach den Gütern reagieren. Das bestimmt ja mit, wie viel von den Produkten produziert wird. Man könnte das so aufbauen, dass die Planungsbehörde von den Betrieben nach der Erfahrung eine bestimmte Menge von Tischen bestellt, um sie an die Bürger*innen weiter zu verkaufen. Der Preis der Tische wäre dann die Arbeitszeit, die in die Herstellung des Tisches reingeflossen ist.

(L) Die Arbeitszeit umfasst übrigens nicht nur die direkte Arbeitszeit, sondern auch indirekte Arbeitszeit. Zum Beispiel die Arbeitszeit, die in die Herstellung der Rohmaterialien die man braucht reingeflossen ist und zum Teil auch ein Stück der Arbeitszeit, die in die Ausbildung der Arbeitenden gesteckt wurde.

(Y) Genau, wenn jetzt die Nachfrage nach den Tischen das Angebot übersteigt, dann könnte der Preis erstmal angehoben werden und die Planungsbehörde würde mit einer größeren Bestellung reagieren, um der Nachfrage gerecht zu werden. Andersherum könnte man es dann machen, wenn die Nachfrage unter dem Angebot bleibt. Dann lagert man das erst mal ein, bis wieder die Nachfrage steigt.

(L) Natürlich fließen in die Endprodukte auch verschiedene Zwischenprodukte. Wenn wir mal annehmen, dass 10.000 Tische benötigt werden, dann braucht das auch eine Menge an Strom, an Holz und so weiter. Um zu berechnen, wie viel von welchen Rohmaterialien wir brauchen, um die Produktionsziele zu erreichen, könnten wir mithilfe von sogenannten Input-Output-Tabellen und modernen Computern Berechnungen durchführen. Mit der richtigen Methode ist das für moderne Hochleistungsrechner auch gar kein großes Problem und mit der Weiterentwicklung von Quantencomputern zieht das Argument, das ja oft gebracht wird, dass eine Planwirtschaft zu komplex für die Berechnung ist, schon lange nicht mehr.

(Y) Weil die konkrete Planung aber natürlich tatsächlich relativ komplex ist, sollten Teams von offiziellen Ökonom*innen alternative Pläne erstellen und die Pläne werden dann dem Planungsausschuss vorlegt, der schließlich dann daraus auswählt. So grundlegende Entscheidungen, wie die Höhe von Steuern und die Verteilung von Arbeitskraft auf die verschiedenen Bereiche der Gesellschaft könnten dann aber demokratisch entschieden werden.

(L) Und mal nebenbei: Die Wirtschaft wird für die Menschen auch verständlicher werden, wenn wir nicht mehr die abgehobene Logik der Wirtschaftswissenschaften nehmen, sondern die Arbeitszeit, die wir alle selber erfahren, was das bedeutet in den Mittelpunkt stellen. Wir haben es in einem sozialistischen Land ja mit einer Menge Menschen zu tun, die eine bestimmte Zeit in der Woche arbeiten. Wenn wir die Arbeitszeit aller Menschen der Gesellschaft zusammenrechnen, dann kommen wir auf die gesellschaftliche Gesamtarbeitszeit, die in einer Woche, einem Monat, oder einem Jahr aufgebracht wird. In dieser Arbeitszeit können verschiedene Güter und Dienstleistungen dann produziert werden.

(Y) Wichtig ist jetzt die Frage, wie viel der Gesamtarbeitszeit für Teilbereiche der Gesamtproduktion verwendet wird.

(L) Ein erster Teilbereich ist der des Konsums. Wie viel der gesellschaftlichen Arbeitszeit soll also dafür verwendet werden, um die Dinge, die wir konsumieren, herzustellen.

(Y) Ein zweiter Bereich betrifft alles Soziale: Wie viel der Gesamtarbeitszeit verbringen wir also zur Versorgung mit Gesundheit, Erziehung, oder gesellschaftlicher Kinderbetreuung.

(L) Der dritte Teilbereich baut darauf auf, dass die Produktion möglicherweise ausgebaut oder weiterentwickelt werden soll, damit wir die Sachen die wir zum Leben brauchen in der Zukunft einfacher und schneller herstellen. Wie groß ist also der Anteil der Gesamtarbeitszeit, den wir darauf verwenden.

(Y) Und am Ende bleibt als viertes die Frage, wie groß der Anteil sein soll, für einen möglichen Handel mit anderen Ländern.

(L) Im Sozialismus wäre all das keine Frage mehr vom Markt und vom größtmöglichen Profit, sondern eine gesellschaftliche Frage, die auch direkt-demokratisch oder in Räten bestimmt werden könnte.

(Y) An der Stelle noch ein letzter Punkt, der gerne gegen den Sozialismus vorgebracht wird. Wichtig in einer Wirtschaft ist natürlich auch die Frage der Innovation. Und der Kapitalismus schreibt sich ja groß auf die Fahne, dass in ihm die Innovation stark vorangebracht wird. Das ist auch teils richtig.

(L) Letztendlich ist Innovation aber einfach ein Bereich der Arbeitsteilung, in den mehr oder weniger Arbeitskraft und Ressourcen reinfließen können. Eine sozialistische Gesellschaft könnte sich also trotzdem entscheiden hier rein zu investieren. Dazu könnte man dann auch die Erziehung und Ausbildung darauf ausrichten, dass Innovationen gefördert und schnell in die Ausbildung aufgenommen werden, damit die Arbeitskräfte mit den Neuerungen umgehen können.

(Y) Natürlich müssten auch Pläne aufgestellt werden, in denen man die Ergebnisse der aktuellen wissenschaftlichen Forschung und Technologie weiterdenkt und plant. Um Entscheidungen zu treffen, welche Bereiche vorangetrieben werden, könnte hier dann eine Gruppe von Spezialist*innen eine Reihe von machbaren Optionen für die weitere Industrieentwicklung aufzeigen, die dann öffentlich debattiert werden und über die abgestimmt wird.

(L) So viel Input für heute. Die Theorie zum Sozialismus und Kommunismus ist natürlich nochmal viel viel größer, als das was wir jetzt hier vorstellen konnten. Aber wir versuchen eben immer unsere Folgen auf jeden Fall unter eineinhalb Stunden zu halten. Wenn ihr euch aber noch mehr dafür interessiert, könnt ihr gerne mal in die Literatur reinschauen, die wir auch immer in die Podcast-Beschreibung reinstellen.

(Y) Wie immer ein großes Dankeschön an alle, die uns bis hier hin zugehört haben. Wir freuen uns, wenn ihr Rückmeldungen an unser Instagram-Profil oder an die Mails in den Shownotes schreibt. So können wir uns dann weiter verbessern.

(L) Wir freuen uns natürlich auch, wenn ihr uns weiterempfehlt oder uns fünf Sterne bei Apple Podcasts und Spotify dalasst. Wenn ihr uns darüber hinaus auch noch finanziell unterstützen möchtet, bei den regelmäßige Ausgaben, die für so ´nen Podcast anfallen, dann findet ihr in den Shownotes einen Link zu unserem ko-fi Account.

(Y) Wer schon mehrere Folgen von unserem Podcast gehört hat, sieht es schon kommen: Als nächstes gibt es wieder eine Gesprächsfolge, wo wir über das Thema von heute sprechen. Wenn euch irgendwelche Fragen in den Kopf gekommen sind, über die ihr uns gerne sprechen, oder diskutieren hören wollt, dann würden wir uns sehr freuen, wenn ihr uns die schreibt. Und wenn wir sie rechtzeitig bekommen, dann können wir sie in unsere Gesprächsfolge aufnehmen.

(L) Wir grüßen heute Michael Parenti und hoffen, dass dir endlich jemand eine Kamera ohne Gelbstich und ein funktionierendes Mikro schenkt. 

- Musik wird abgespielt - 

Begrüßung und Allgemeines
Wissenschaftlicher Sozialismus
Allgemeines zu Kommunismus und Sozialismus
Warum Sozialismus?
Politik im Sozialismus
Wirtschaft im Sozialismus
Schlussworte