
Studio-Lookout-Salon: Der Podcast für Architektur, Design, Kunst und Soziokultur
Der Studio-Lookout-Salon ist ein interdisziplinärer Podcast aus der Schweiz, der inspirierende Gespräche mit Persönlichkeiten aus Architektur, Design, Kunst und soziokulturellem Wandel in den Mittelpunkt stellt. Jede Episode beleuchtet, wie kreative Köpfe ihre Haltung, Arbeitsweise und Wirkung in einer dynamischen Welt sichtbar machen.
Die Gespräche finden überwiegend im Studio Lookout Haus im Baselbieter Tafeljura statt – einem Ort, der durch seine offene Atmosphäre und den Blick in die Weite, Raum für respektvollen Austausch schafft. Die Hosts Maximilian Grieger und Roger Furrer empfangen hier Vordenker:innen, Künstler:innen, Architekt:innen und Unternehmer:innen, um Themen zu beleuchten, die unsere Gesellschaft nachhaltig prägen.
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Studio Lookout Salon: A Podcast Exploring Architecture, Design, Art & Sociocultural Perspectives
The Studio Lookout Salon is an interdisciplinary podcast from Switzerland featuring inspiring conversations with leading voices from the fields of architecture, design, art, and social transformation. Each episode explores how creative minds shape and communicate their values, practices, and impact in an ever-evolving world.
The conversations mostly take place at the Studio Lookout House, located in the Baselbieter Tafeljura – a space known for its open atmosphere and far-reaching views that invite meaningful dialogue. Hosted by Maximilian Grieger and Roger Furrer, the podcast brings together thought leaders, artists, architects, and entrepreneurs to explore topics that are shaping society in profound and lasting ways.
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Studio-Lookout-Salon: Der Podcast für Architektur, Design, Kunst und Soziokultur
»Der gefallene Mann« mit Künstler Valentin Magaro
Valentin Magaro, Künstler aus Winterthur ist zu Besuch im Studio Lookout Salon Podcast. Ausgangslage für das 35-minütige Gespräch von Maximilian Grieger und Roger Furrer mit Magaro ist dessen Lithographie «Der gefallene Mann». Die Geschichte des ungarischen Politikers und ehemaligen EU-Abgeordneten József Szájer, der 2020 während des Lockdowns an einer Sex- und Drogenparty mit rund 20 Männern erwischt und die von der Polizei aufgrund der Missachtung der Coronaregeln aufgelöst wurde. Verhaftet wurde der Politiker spärlich bekleidet bei einem Fluchtversuch entlang einer Dachrinne.
Gewaltige 3,60 Meter lang ist das faltbare Leporello «Der gefallene Mann» in seiner ganzen Länge, das vom 12. Februar bis 15. Mai 2022 im Kunsthaus Grenchen, Schweiz zu besichtigen ist. Anhand von Medienberichten über den Vorfall von József Szájer, erzählt Valentin Magaro eine fiktive Geschichte eines Mannes, der über einen öffentlichen Sexskandal strauchelt, dabei ums Leben kommt und wiedergeboren wird, um seinen Frieden zu finden. Szájer war in seiner Heimat Ungarn ein rechtspopulistischer Politiker der Fidesz-Partei von Viktor Orbán und hatte aktiv an der neuen Verfassung mitgearbeitet, die die Rechte gleichgeschlechtlicher Paare untergraben und das traditionelle Familienbild als gesetzeskonform verankert hat.
Magaro interessiert sich jedoch für mehr als nur die Geschichte, die für die Medien ein gefundenes Fressen war. Er hält uns den Spiegel unserer Gesellschaft vor und beschäftigt sich mit innerer Scheinheiligkeit, die sich am Scheitern des anderen ergötzt. Seine freizügige Darstellung von intimen Akten können aufregen oder vordergründige Schaulust befriedigen, doch darum geht es ihm nicht. Magaro interessiert sich mit viel Feingespür für diesen Mann, der mit seiner Doppelmoral unsere eigenen Moralvorstellungen bedient, ohne dabei plakative Kritik zu üben und verarbeitet die Thematik zu kunstvollen Bildkompositionen. Der Künstler ist seit Beginn seiner Schaffenszeit immer eng mit der LGBTQ+ Community verbunden. Er hat sich nicht das erste Mal mit einem Thema beschäftigt, welches in der radikalen Ansicht der heutigen Cancel Culture als problematisch angesehen werden kann. Genau hier setzt Magaro an, fordert uns mit seinen Bildern die eigenen Grenzen der Wahrnehmung zu überdenken und spricht sich gegen Diskriminierung sowie vor allem gegen öffentliche Ächtung aus.
Entstanden ist die Arbeit auf Papier in Zusammenarbeit mit dem Zürcher Drucker Thomi Wolfensberger in einem historischen Steindruckverfahren, gepaart mit modernster Technologie in der Druckvorbereitung. Im Podcast berichtet Valentin Magaro auch darüber, was ihn daran fasziniert mit einem Druckverfahren neue Möglichkeiten seines künstlerischen Schaffens auszuloten.
Unterstützt wird die Arbeit «Der gefallene Mann» von der Heinrich Hössli Stiftung, der Kulturförderung des Kantons St. Gallen, der S. Eustachius Stiftung, der Erna und Curt Burgauer Stiftung und der Fachstelle Kultur Kanton Zürich.
Grüezi miteinander.
Maximilian Grieger:Herzlich willkommen zum Studio Lookout Salon - dem Podcast von Studio Lookout. Heute zu Gast
Roger Furrer:Valentin Magaro, Künstler aus Winterthur.
Maximilian Grieger:Hallo Valentin
Valentin Magaro:Hallo Roger, Hallo Maximilian - vielen Dank für die Einladung
Maximilian Grieger:Valentin, Du bist ansässig in Winterthur
Valentin Magaro:Das ist richtig
Maximilian Grieger:Als Künstler, Maler, du hast dein Atelier dort. Kannst du uns ein bisschen dein Background berichten, soweit ich weiss bist du wissenschaftlicher Zeichner - wie bist du gestartet?
Valentin Magaro:Also, dass ich Künstler werden wollte, das hat eine lange Geschichte. Das habe ich mich entschieden mit 17 Jahren, dass ich diese Laufbahn starten möchte. Und für mich waren Künstler des Mittelalters und der Renaissance immer sehr wichtig. Und ich sozusagen als Start, als figürlicher Maler, als Vorbilder auch, Und da gab es in der Schweiz nur eine Möglichkeit, um sich mit den Problemen dieser Bilder auseinanderzusetzen, nämlich die Fachklasse für wissenschaftliches Zeichnen, damals noch an der Schule für Gestaltung Zürich. Heute ist das die Hochschule der Künste. Und dann habe ich also diese Ausbildung machen können von 92 bis 96. Dann war diese Ausbildung fertig und ich habe zuerst ein bisschen im Bereich Archäologie gearbeitet auf diesem Beruf, also um Geld zu verdienen. Das ist eine Möglichkeit, wenn man wissenschaftliches Zeichnen arbeitet. studiert hat, dann kann man unter anderem in der Archäologie arbeiten, was ich dann eben gemacht habe. Viel Scherben und Keramik musste ich darstellen.
Maximilian Grieger:Die Zeichnung als wissenschaftlicher Zeichner an sich ist ja, dass man sehr erklärend malt. Ist das richtig?
Valentin Magaro:Ja, also der wissenschaftliche Zeichner lernt, didaktische Zeichnungen zu machen, weil die Wissenschaft, egal ob es Botanik ist oder Astronomie oder Anatomie oder was auch immer, alle Wissenschaften brauchen Visualisierungen. Und die müssen so gemacht sein, dass sie jeder versteht und dass sie unmissverständlich sind. Dass sie einfach eine Idee illustrieren. Dazu gibt es eine lange Tradition. Also früher waren die Künstler auch wissenschaftliche Zeichner. Nehmen wir zum Beispiel Leonardo da Vinci. Der hat ja gleichzeitig ein Abendmahl gemalt für eine religiöse Gemeinschaft, aber auch sich Gedanken gemacht über die Umwelt und wie sie funktioniert. Und hat Zeichnungen gemacht als Illustration zu seinen wissenschaftlichen Studien oder Feldforschungen, wenn man so will. Also Leonardo da Vinci ist eigentlich ein klassischer wissenschaftlicher Zeichner, wenn man so will.
Maximilian Grieger:Interessant, interessant. Das spiegelt sich ja bis heute in deiner Arbeit wieder. Roger und ich, wir sind große Fans deiner Arbeiten. Danke. Und wir haben jetzt, glaube ich, das vierte Werk von dir gekauft, nämlich hier ein Leporello, der jetzt hier vor uns liegt. Ausgebreitet ist auf wie viel Meter?
Valentin Magaro:Es sind 360 Zentimeter in der Länge und 42 Zentimeter in der Höhe.
Roger Furrer:Vielleicht musst du kurz erklären, was ein Leporello ist, wie der entstanden ist, in welcher Zusammenarbeit du solche Projekte angehst.
Valentin Magaro:Also ein Leporello ist ein ganz spezielles Format. Das sind gefaltete Blätter. Man kann das Motiv wie eine Handorgel sozusagen auffalten. Das gibt es in verschiedenen Kulturen. Die Japaner zum Beispiel oder die Chinesen haben eine Ich habe viele Leporellos gemacht, neben gerollten Bildern auch, aber dieses Format kennt man auch schon von dort. Das heisst, wenn man es zusammenfaltet, dann ist es wie ein Buch, wie eine Buchseite. Und wenn man es auseinanderfaltet, dann gibt es, je nachdem nach Länge, wie man will, gibt es ein Panoramaformat. Das ist ein sehr spezielles Format, um damit zu arbeiten, weil man kann sozusagen in die Länge eine Geschichte erzählen.
Maximilian Grieger:Es ist toll für uns, weil es erstmalig ein Kunstwerk ist, das man, ich sage jetzt mal, wie aus dem Regal rausholen muss, um sich ganz aktiv damit zu beschäftigen. Kannst du uns ein bisschen was zu diesem Leporello inhaltlich erzählen? Das ist der gefallene Mann. Wie viele Exemplare gibt es von diesem Leporello?
Valentin Magaro:Das Leporello ist in der Technik der Lithographie gemacht und die Lithographie ist eine Drucktechnik und die Drucktechnik ermöglicht es, eine Auflage zu machen. Die Menschen haben die Drucktechnik erfunden, um zu vervielfältigen. Es gibt also nicht ein Original, sondern gleich mehrere. Und dieses Leporello, das wir jetzt neu gemacht haben, der gefallene Mann, da gibt es eine Auflage von zehn Nummerierten.
Roger Furrer:Wie geht so eine Arbeit von sich? Also du kannst ja das nicht alles alleine machen, sondern du brauchst einen Partner dazu, weil du selber ja keine Druckwerkstatt besitzt.
Valentin Magaro:Ich arbeite seit 2012 mit dem Drucker Tommi Wolfensberger in Zürich zusammen. Er ist ein sehr bekannter Drucker und arbeitet mit vielen Künstlern zusammen. Wir alle Künstler sind sehr happy, dass wir mit ihm zusammenarbeiten können, weil er ist nicht nur ein hervorragender Handwerker, sondern er hat die Gabe, dass er sich auf jeden Künstler einlassen kann. Und jeder Künstler funktioniert ja anders, hat andere Ideen und andere Vorstellungen. Seine Gabe ist es, dass er heraus spürt, wie die Künstler ticken und ihnen dann auch im entscheidenden Moment zu helfen. Der Druckprozess selbst, da gibt es viele Hürden zu nehmen oder auch Entscheidungen zu treffen. Da hilft er den Künstlern während dem Druck.
Roger Furrer:Wie entstehen denn diese mehrfarbigen Werke von dir? Du zeichnest die auf Papier, die werden digitalisiert. Zeichnest du schon in Farbe oder zeichnest du nur schwarze Umrisse, die nachher gefüllt werden mit Farbe?
Valentin Magaro:Noch ganz kurz muss ich vielleicht am Anfang sagen, die Lithographie ist ja eigentlich ein Steindruck. Das ist ein Druckverfahren, das es wahrscheinlich seit etwa 200 Jahren gibt. Und es ist weder ein Hoch- noch ein Tiefdruckverfahren, sondern ein Flachdruckverfahren. Es wird mit Äzungen gearbeitet und die Farbe bleibt an einem bestimmten Ort hängen, wo es mit Fett und mit Wasser wird gearbeitet, dass die Farbe überhaupt hängen bleibt. Im Gegensatz zu einem Tief- oder Hochdruckverfahren, wo die Farbe nur an einem bestimmten Ort ist, weil man Aussparungen gemacht hat. Vielleicht hast du kurz vorausgesagt. Jetzt ist es so, dass was ich hier mache, ist nicht eine klassische Lithographie, weil traditionell wäre, dann würde ich das Motiv direkt auf den Stein zeichnen. Und dann würde der Stein geätzt werden und dann mit der Druckmaschine die Druckbogen abgezogen. Ich hatte das Glück, dass ich sechs Wochen lang durfte das Medium kennenlernen, die Lithographie, weil ich habe ein Stipendium bekommen vom Kanton Thurgau damals. Und Tommi Wolfensberger hat mir fast alle Möglichkeiten gezeigt, was man machen kann mit seiner Druckmaschine. Und er ist ein innovativer Drucker im Sinne von, dass er alle Möglichkeiten ausschöpfen will mit den Künstlern, was mit dieser Maschine eigentlich möglich ist. Unter anderem hat er mir eben auch gesagt, dass ich Motive mitbringen kann, die auf ein anderes Format oder in einem anderen Medium gezeichnet sind. Die kann man einlesen und dann wird das auf eine Aluminiumplatte übertragen. Und diese Aluminiumplatte wird dann auf den Stein geklebt in der Maschine. Und von dieser Aluminiumplatte werden dann die Abzüge gemacht. Ja, also nur damit man versteht, es ist nicht wirklich eine klassische Lithographie. Jetzt konkret für dieses Leporello hier. Wenn es zusammengefaltet ist, dann gibt es, oder auch offen, dann sind es zwölf Einzelseiten. Jede von dieser Zeichnung habe ich im Original geklebt. gezeichnet auf Papier, vergrössert. Der Grund ist, dass es gibt für mich immer einen bestimmten Bereich, wo ich nicht mehr ins Detail gehen kann, weil für mich wie kleiner geht es nicht. Und wenn ich es grösser zeichne, habe ich die Möglichkeit, mehr Details zu zeichnen. Versteht ihr das? Wenn man es dann wieder verkleinert, da gibt es mehr Details, die ich eins zu eins so gar nicht hätte machen können. Also jedes Blatt, was jetzt hier im Format A3 ist, habe ich im Format A2 gezeichnet. Da gibt es also von jedem Blatt eine Originalzeichnung in Schwarz-Weiss. Die hat man dann eingelesen, eingescannt und am Computer sind die zusammengebaut worden. Dann hatte ich also am Computer das fertige Band, digital. Und dann habe ich in ungefähr sechs Wochen Arbeit gemacht. habe ich dort mit einem Computerprogramm die Farbebenen entwickelt zusätzlich. Das ist eine reine Computeranimation.
Roger Furrer:Was aber bei dir, also ich kann deine Arbeit nicht schon seit rund 25 Jahren nachverfolgen. Ich kenne deinen Weg. Du bist ja eigentlich ein Künstler, der ein bisschen aus der Zeit gefallen ist. Du arbeitest ja sonst nicht mit digitalen Techniken. Bei dir ist ja alles in Handarbeit. Das ist ja irgendwie interessant, dass dann eigentlich die Digitalisierung dir hilft, die Handarbeit wieder in einen sehr traditionellen Druckprozess, der heute sonst eigentlich keine Verwendung mehr findet, einzubringen und daraus dann wieder was zu entstehen. Es beeinflusst ja eigentlich dann schon auch deine Art und Weise, wie du damit arbeitest. Ich finde auch spannend, wie du sagst, dass du grösser arbeitest, um dann den Kosmos quasi wieder kleiner zu machen. Weil deine Bilder, sie erscheinen mir ein bisschen wie Wimmelbilder für Erwachsene. Deine Themen sind nicht sehr jugendfrei. Das eigentlich schon sehr lange, seit ich dich kenne, was ich absolut spannend finde bei dir, dass du eigentlich der Gesellschaft immer einen sehr ungeschminkten Spiegel vorhältst. Du aber als Mensch, wenn ich das so sagen darf, eigentlich ein Mensch mit grossen Prinzipien bist, ein treuer Mensch. Wir kennen uns jetzt 25 Jahre und es gibt nicht viele Freundschaften, die ich über 25 Jahre habe, so wie mit dir, wenn man sich auch mal näher, mal weniger weit ist. Und das finde ich irgendwie wahnsinnig toll. Du bist dir wirklich immer treu geblieben. In deiner Art und Weise, wie du die Welt siehst und wirklich, wie du auch sagst, im Spiegel vorher, der halt nicht gefiltert ist. Und gerade jetzt in der heutigen Zeit, wo von Cancel-Debatten, wo alles irgendwie gemainstreamt werden muss in eine ganz eigenartige Art und Weise. denke ich, da kannst du mir zustimmen, da springst du schon immer noch den Rahmen. Und trotzdem bleibst du dir da treu, nimmst dann auch mit dem Tommy Wolfensberger zusammen ein Abenteuer auf sich, das ja auch finanzielle Aspekte hat, sowas zu drucken. Du hast es jetzt gerade erzählt, das ist ein grosser Aufwand, den man auf sich nimmt. Trotzdem machst du es. Wie wirst du denn von aussen wahrgenommen mit dem, was du machst und wie du es machst, mit dieser Verweigerung auch gegenübergewiesen Erwartungshaltungen, die man vielleicht an einen Künstler hat, vor allem heutzutage?
Valentin Magaro:Diese Frage, finde ich, ist enorm schwierig zu beantworten aus meiner Perspektive. Da müsstest du eigentlich Leute fragen von aussen. Ich merke einfach, wie die Resonanz ist. Aber ich höre selten, dass Leute sich negativ äussern in meiner Gegenwart.
Roger Furrer:Das hat mit deiner Überzeugung zu tun, weil du Was ich also sehr schätze an dir, in deinem Werk, wie auch du als Mensch, der hinter dem steht, was er ja tut. Du stehst ja absolut dahinter. Ich glaube, auch wenn man mit dir nicht einverstanden ist oder jetzt das nicht gut findet, was du machst oder die Themen, diesen Kosmos. Spannend ist auch, dass du ja sagst, du kommst aus der Archäologie. dass du immer wieder, jetzt wie hier beim gefallenen Mann, vielleicht kannst du kurz erklären, wie du diese Geschichte eigentlich aufgearbeitet hast, die du zusammengesetzt hast, aus ganz vielen Puzzleteilen.
Maximilian Grieger:Und das ist eigentlich das Spannende an Valentin, weil ich kenne ihn jetzt nicht seit 25 Jahren, wie du, Roger, sondern ich kenne ihn jetzt erst seit 10 Jahren. Und du bist einer der wenigen Künstler, der sehr gut über seine eigene Arbeiten sprechen kann. Deshalb wäre es jetzt ganz spannend, wenn du uns einen Einblick gibst, um was es sich denn bei dem gefallenen Mann handelt, wie es zu dieser Geschichte kam und was der Inhalt dieser Leporello Es gibt viel zu erzählen.
Valentin Magaro:Ich fange mal an, wie ich auf die Idee überhaupt gekommen bin. Im Dezember 2020 gab es eine internationale Zeitungsmeldung, die auch ich gelesen habe. Ich habe diesen Artikel hier aus dem Internet ausgedruckt und dieser Artikel hieß in der Headline «Auf Abstand– ungarischer Politiker stürzt über Corona-Sexpartner». Ich habe diese Geschichte gelesen und war von Anfang an weg. Wie soll ich das sagen? Diese Geschichte hat in mir Anklang gefunden, aus verschiedenen Gründen. Und weil ich vorhin schon zwei Leporellos gemacht habe, war ich gerade so sozusagen im Schuss drin, um ein neues Leporello zu machen mit dieser Geschichte. Diese Geschichte ist unglaublich absurd, auf verschiedenen Ebenen. Also nur schon, was in dieser Geschichte erzählt wird, wie ein Leporello. Ein ungarischer Politiker aus einer konservativen Partei, von der Partei von Orbán, der selber offenbar an der Verfassung mitgearbeitet hat, die 2011 in Ungarn in Kraft getreten ist, wo man permanent auf Minderheiten drückt. dass dieser Mann in Brüssel an einer Party erwischt wurde unter Homosexuellen und dann versucht hat, über die Dachrinne zu flüchten. Und dort an der Dachrinne halbnackt mit einem Rucksack erwischt wurde. Und das sind einfach so wie lustige Geschichten, wie das alles abgelaufen ist. Übrigens hat man ihn auch nur erwischt an dieser Party, weil die gängigen Massnahmen zur Bekämpfung der Pandemie, zu dieser Bekämpfung hat Brüssel ein Versammlungsverbot gehabt. Also nur fünf Leute durften sich treffen an einem privaten Fest. Und offenbar... war so ein Lärm an dieser Party, dass Nachbarn haben die Polizei gerufen und so ist das aufgeflogen.
Maximilian Grieger:Lass uns nochmal zu diesem Politiker zurückkommen. In Person heisst er Jozsef Szajer.
Valentin Magaro:Richtig, ja.
Maximilian Grieger:Kannst du uns ein bisschen mehr über den Jozsef Szajer erzählen.
Valentin Magaro:Ja, dazu muss ich sagen, wie ich, haben viele Leute in ihrem ganzen Leben noch nie von diesem Jozsef Szajer gehört. Und auf einmal liest man in der Zeitung, auch in der NZZ übrigens, und wir reden ja hier nur von der Schweizer Presse, also ich meine, es ist eben, wie gesagt, eine internationale Zeitungsmeldung, lesen auf einmal alle diese Geschichte, diese lustige Geschichte von Jozsef Szajer. Und auf einmal gehen natürlich alle recherchieren, wer ist dieser Mann überhaupt und so. Und für mich hat das eine Relevanz in der heutigen Zeit, weil viele Männer werden in der Tagespresse wie auf die Schlachtbank geführt. Er hat eigentlich eine Familie, ist mit einer Frau verheiratet und hat Kinder. Ja, also man muss es so sagen, ich war noch nie selber in Ungarn und ich kann nur... über diese Person lesen, was ich im Internet erfahre und in einem Zeitungsartikel. Und ich finde, da muss man immer wahnsinnig vorsichtig sein. Aber was man über ihn erfährt in diesen schriftlichen Quellen ist, dass er zu Hause mit einer Richterin verheiratet ist, mit einer bekannten Richterin, also selber sozusagen im Recht des Landes mitbeteiligt ist und dass sie zusammen eine Tochter haben.
Maximilian Grieger:Und das ist eigentlich die Ausgangsbasis für den Leporello, also die klassische Familiensituation mit einer Frau und einer Tochter in Ungarn und damit startest du den Leporello.
Valentin Magaro:Also ich habe nicht explizit Jozsef Szajer als Figur eingesetzt, sondern habe selber einen Mann erfunden, weil es ist ja so, dass ich möchte nicht mit dieser Geschichte auf den Jozsef Szajer rumdrücken, weil jede Sekunde… passiert auf der Welt so eine Geschichte. Es ist nichts Aussergewöhnliches, was Jozsef Szajer gemacht hat. Und diese Doppelmoral, nicht nur von Jozsef Szajer selbst, sondern auch von uns, die wir solche Geschichten lesen und uns lustig machen, dass jemand gestolpert ist. Das ist eigentlich das Thema, dieses Leporellos. Und dementsprechend habe ich auch einen erfundenen Schluss, wo ich versucht habe, mich nicht über ihn lächerlich zu machen. Aber es fängt an in einem Haus. Man sieht eine Familiensituation, aber es ist eine erfundene Familiensituation, weil es gibt mehr Kinder. Also die Frau hat das Kind an der Brust und es gibt die diese beiden Kinder, ein Junge und ein Mädchen. Die findet man übrigens im letzten Bild auch wieder, weil vielleicht seht ihr, das Haus ist einfach gespiegelt. Und die Geschichte fängt an mit der Regenrinne und hört auf mit der Regenrinne. Weil natürlich hat diese Regenrinne auch ein witziges Element in dieser ganzen Geschichte. Ihr mögt euch sicher noch erinnern an die Politikerin Timoschenko.
Maximilian Grieger:Ja, du hast ihr so eine Frisur gegeben, der Frau. Also ich bin jemand, der saugt immer Sachen auf, was ich irgendwo lese. oder sehe und versuche dann seine Bilder einzubauen und ich wollte eigentlich schon immer einmal diese Frisur irgendwo einbauen und hier habe ich die Möglichkeit gehabt. Das ist dieser Zopf, der so zusammengebunden ist zu einem Kranz.
Valentin Magaro:Richtig, genau. Und dann verlässt er sein Haus auf dem zweiten Blatt und ihr seht ja auch noch, wie die Familie ihm Tschüss winkt und dann steigt er in diesen Flieger ein und fliegt dann in eine Stadt. Also das muss nicht Brüssel sein. Ich war auch selber noch nie in Brüssel übrigens, aber ich habe dann gesehen, dass er es gibt dieses Atomium in Brüssel. Ich habe Skizzen gemacht von diesem Atomium, weil ich wollte es mit einbauen, damit jeder merkt, es ist Brüssel. Aber ich habe dann davon abgesehen, weil ich eben fand, also es gibt hier übrigens noch Überresten von diesem Atomium, darum sind hier diese Blatern. Aber ich habe dann irgendwann gefunden, nein, das wäre ein bisschen zu plakativ. Weil ich wollte ja eben nicht unbedingt Jozsef Szajer als Aufhänger nehmen, sondern überhaupt einfach... Einen Mann, der auf Geschäftsreise geht. Genau, und vielleicht auch das Motiv des Doppellebens. Ich finde, irgendwie haben wir alle Menschen ein Doppelleben. Also nur schon im Sinn von, dass wir verschiedene Persönlichkeiten haben. Und wenn wir mit bestimmten Menschen reden, sind wir eine andere Person, als wenn wir mit anderen Menschen reden. So, versteht ihr, was ich meine? Also wir müssen uns ja permanent aufsplitten. in bestimmten Kontexten zu bestehen oder ein Problem zu lösen oder was auch immer. Also die Frage nach dem Doppelleben, also auch als Spiegelung für den Betrachter von diesem Leporello, dass er sich überlegt, wer bin ich und was habe ich selber für verschiedene Persönlichkeiten in mir drin. Jetzt vielleicht noch kurz zu diesem Flieger hier. Also es ist so, dass auf dem Weg zu meinem Atelier komme ich manchmal an so Gratiskisten vorbei. Und dort habe ich einmal so einen Spielzeugflieger gesehen, die Kleinkinder im Sandkasten haben.
Maximilian Grieger:Also bei Gratiskisten muss man dazu sagen, das sind die, die Leute vor ihr Haus stellen und dann alten Hausrat dort reingeben, der zu verschenken ist, den man gratis mitnehmen kann.
Valentin Magaro:«Gratis zum Mitnehmen« steht meistens. Und in einer solchen Kiste war eben so ein Flieger, um im Sandkasten zu spielen. Und diese Form hat mich sehr fasziniert. Also da geht es auch um mein Interesse für Bildgestaltung. Wie viel braucht es eigentlich, um einen Flieger zu machen, auch wenn es überhaupt nichts mit einem Flieger zu tun hat und auch mit Abstraktionen von Elementen. Aber das habe ich gefunden, das passt irgendwie noch. Diese Verniedlichung von diesem Flieger nimmt der ganzen Story ein bisschen wie die Schärfe. Weil hier ist noch Friede, Freude, Eierkuchen. Und dann fliegt er sozusagen in diese Stadt. Diese Frau, die ihr hier seht, ist sozusagen die Empfangsdame von der Stadt, von der urbanen Welt. Und hier verschwindet er in einem Art Wimmelbild, in einem Stadtwimmelbild. Hier sieht man ihn noch im Zug. Und hier ist er an einer Konferenz, die er leitet. Und hier kann man sich natürlich schon auch fragen. Also es ist auch eine gesellschaftskritische Arbeit für uns alle, weil Ihr seht hier zum Beispiel, er leitet diese Sitzung. Und das Thema ist das Klima. Aber habt ihr mal gesehen, was hier rundherum steht? Habt ihr das mal entziffert? Das Klima kann warten. Und das ist so wie, also alle diskutieren die ganze Zeit über das Klima, aber niemand macht wirkliche. Und so, vielleicht zeigt das auch einen Menschen, der eine Arbeit macht, wo er selber merkt, dass sie eigentlich gar keinen Sinn hat. Und dann, um sich abzulenken, geht er in diesen Club rein, schaut noch verstohlen, ob ihn jemand sieht. Also so eine klassische Rotlicht-Milieu-Situation. Und er geht in diesen Club rein und da habe ich diese Treppe gezeichnet. Das finde ich ein sehr wichtiges Element, diese Treppe, weil diese Treppe bietet dem Betrachter dieses Leporeller die Möglichkeit, auf einen Weg mit ihm zu gehen.
Maximilian Grieger:Lass uns doch noch mal ganz kurz die Situation anschauen, wie er bei diesem Club klingelt. Du hast rechts neben dem Clubeingang einen Mülleimer gezeichnet, bei dem Flaschen eingeworfen sind. Zwei gebrauchte Masken liegen davor. Also man sieht, es ist Pandemiezeit. Aber parallel sieht man auch und zwar noch eine Dame mit zwei Hunden beim Spazierengehen, eine andere Dame, die einen Kinderwagen davor schiebt. Das ist eine andere Welt, in die er jetzt gleich geht. Das möchtest du zeigen und auch noch verbinden, dass es sich aktuell um die Pandemiezeit handelt. Sehe ich das richtig?
Valentin Magaro:Wir leben ja jetzt in dieser Pandemie seit zwei Jahren und das hat Konsequenzen auf ganz viele Sachen, unter anderem eben die weggeschmissenen Masken. Und es gibt auch andere Sachen neben der Pandemie, die ich versucht habe einzubauen, was ein bisschen auch die Sackkasse zeigt, in der sich unsere westliche Gesellschaft eigentlich befindet. Mit der einzigen Religion, die wir haben, ist einfach das Konsumverhalten. Und darum gibt es hier diese doofen Schlagwörter, wie zum Beispiel Free Wi-Fi oder Oder online. Oder san. Einfach so blöde Wörter, die uns immer von den Plakaten entgegenschlagen. Und ja, das sind eigentlich wie die Mantras von unserer Konsumregion, die aber eigentlich wirklich nirgends hinführt. Also so kann man es auch ein bisschen als Gesellschaftskritik verstehen, diese kleine Stadt, die ich hier inszeniert habe.
Maximilian Grieger:Gehen wir nochmal weiter. Jetzt steht er vor der Tür und klingelt, um Einlass in diesem Club zu bekommen. Du hast die Treppe beschrieben, die er jetzt nutzen wird. Was passiert als nächstes, Valentin?
Valentin Magaro:Ja, dann schreitet er durch einen Türrahmen und das ist ein bisschen ein Kunstgriff, den ich hier gewählt habe, dass es nur der Türrahmen ist, weil er soll eigentlich nur symbolisieren, dass er sich verwandelt in diesem Moment. Wie ich schon gesagt habe, es ist mir auch wichtig, die ganze auch humorvoll zu zeigen. Darum habe ich immer wieder so kleine Details mit eingebracht. gebaut, wie die Krawatte, die wegfliegt. Und hier passiert einfach, dass er die männlichen Triebe einfach die Überhand nimmt. Und das ist ja auch nichts Schlimmes, das haben wir ja alle irgendwie. Also die Frauen haben auch ihre Triebe, aber einfach, dass er sich sozusagen in das sexgeladene Ding verwandelt.
Maximilian Grieger:Das heisst also, er betritt diesen Türrahmen und ein Teil seines Körpers ist noch im Anzug und der andere Teil ist, dass er jetzt nackt ist.
Valentin Magaro:Und dann kommt diese Szene hier mit diesen Männern, die Sex haben. Und ich finde übrigens auch interessant bei diesen Zeitungsartikeln, die ich gelesen habe, in einem anderen Artikel stand, als Zwischenheadline der Gangbang von Brüssel. Niemand von uns war an dieser Party und die Journalisten sowieso nicht. Und ich glaube, in unseren Köpfen entsteht so viel, was vielleicht gar nicht war. Also ich meine, man kann über diesen Jozsef Szajer, kann man denken, der hat das verdient, dass er ein Pranger gewesen ist oder ist, weil er eben im eigenen Land predigt er Wasser und im Ausland trinkt er Wein. Das ist natürlich moralisch verwerflich. Aber vielleicht waren an dieser Party zehn Männer mit nacktem Oberkörper und haben sich eine Pille geschmissen oder einen Drink genommen. Das wissen wir alles nicht, aber in der Zeitung steht der Gangbang von Brüssel. Was macht das bei uns? Es macht all diese Sachen hier. Technisch habe ich es so gelöst, dass es gibt hier diese Bubbles, die ein Eigenleben entwickeln. Mit diesen Bubbles wollte ich visualisieren, wie diese Männer hier an dieser Party, Party in den Rausch verfallen. Und dann gibt es hier viele so kleine lustige Details. Ich habe einfach immer Freude an Bilderfindungen, die Realität zu nehmen und dann viele Sachen damit anzustellen, wie zum Beispiel eben dieses gestickte Ding über dem Penis oder auch sind Werdenzeichen diese Pflanzen aus den Penissen herausgewachsen. Das hat ja auch etwas so fast Durmystisches, wie wenn aus diesen Penissen jetzt das Leben raus wäre. Und dann gibt es auch viele Sachen, die hier gar nichts verloren haben. Irgendwelche Gänse oder Enten. Ja, oder auch die Katzen natürlich. Das finde ich ein sehr schönes Detail. Ein beliebtes Motiv bei dir, die Katzen. Die Katzen, genau, ja. Oder hier dieser Hirsch. Das ist unser Sofa zu Hause im Wohnzimmer, was ich eine unglaublich schöne Form finde. Und hier habe ich die Möglichkeit gehabt, um diese Form in ein Bild einzubauen. Und dann gibt es hier diese Pflanze. Es ist eine erfundene Pflanze, aber natürlich habe ich versucht, die sehr erotisierend zu zeichnen. Das soll auch das ganze Gefühl Dann geht diese Party so weit, bis die Polizei kommt. Und hier habe ich die Bubbles extra rausgelassen. Also bis hier sind die Bubbles und das ist dann wieder sehr klar gezeigt.
Maximilian Grieger:Da ist die Realiät dann.
Valentin Magaro:Da werden sie sozusagen wieder von der Realität eingeholt. Und dann flüchtet er aus dem Fenster, klettert dann über die Regenrinne runter. Also bis hier ist eigentlich die Geschichte, wie sie vermeintlich war, Und interessant ist auch, wenn ich das noch kurz einfügen darf, ich habe diese Originalzeichnungen gezeichnet und die wurden der Grafikerin von der Wolfensberger AG gegeben, damit sie die zusammenbaut am Computer. Sie hat mir im Nachhinein erzählt, dass sie hat angefangen, diese Bilder zusammenzubauen und hat gedacht, mein Gott, was hat jetzt Valentin wieder für ein Problem? Sie hat früher schon mit mir gearbeitet und kennt, wie ich solche Arbeiten mache. Aber hier hat sie auf einmal gedacht, mein Gott, jetzt verstehe ich, das ist der Ungar. Weil sie hat diese Geschichte gekannt und hat sich ergötzt an dieser Geschichte, wie viele andere Leute auch. Und hat selber gemerkt, um was es geht. Und das war für mich auch ein bisschen ein Kompliment, nämlich ich wusste, die Geschichte funktioniert, ohne dass ich sie erklären muss. Jemand hat herausgefunden, um was es geht. Okay, gut, aber in meiner Geschichte lasse ich ihn sterben. Und er ist ja eigentlich auch gestorben, weil die Partei hat ihn fallen gelassen, weil so einen kannst du nicht gebrauchen. Wenn er wieder zurückgeht nach Ungarn. Genau, also was mit ihm ist, du liest nichts mehr, er ist einfach von der Bildfläche verschwunden. Also müsste man eigentlich nach Ungarn gehen, zu ihm nach Hause und mal schauen, was ist eigentlich mit diesem Jozsef Szajer geworden. In meiner Geschichte stirbt er und wird vom Tod sozusagen mitgenommen. Es gibt eine Auferstehungsgeschichte. Und er landet nachher wieder im gleichen Haus, was die Ausgangslage war, aber hier sind die Rollen wie vertauscht. Jetzt ist er auf dem Schoss von der Übermutter sozusagen und darf an ihrer Brust saugen, wie ein kleines Kind. Das interpretiere ich selber so, dass er sozusagen hier am Ort ist, wo er wohnt. wohlbehütet ist mit dieser ganzen Geschichte, die zu ihm auch gehört. Weil die Menschen sind die Menschen mit all ihren Sachen, die sie haben und man möchte doch gerne auch akzeptiert sein mit all seinen Sachen. Versteht ihr, wie ich das meine? Also es ist wirklich, ich wollte ihn nicht lächerlich machen, sondern eigentlich uns allen aufzeigen, dass wir haben alle unsere Abgründe und unsere Geheimnisse und so weiter und das müssen wir alles irgendwie auch, in unserem Kopf muss das alles irgendwo haben.
Maximilian Grieger:Du gibst ihm ja mit dem letzten Teil des Leporellos den Frieden zurück.
Valentin Magaro:Eigentlich ja, genau, richtig, ja.
Maximilian Grieger:Du hast mal in einem Interview gesagt, wir haben heute eine grosse Diskrepanz zwischen liberalen Selbstanspruch und einem moralisierenden Eifer.
Valentin Magaro:Der Journalist hat das unglaublich gut gelöst, weil ich habe es nicht in diesen guten Worten gesagt. Klingt unglaublich professionell.
Maximilian Grieger:Er hat es auf den Punkt gebracht.
Valentin Magaro:Ich habe es ihm anders erklärt, ich habe ihm einfach gesagt wir sind in einer zerrissenen Gesellschaft, wir sehen es zum Beispiel darin - oder in einer Gesellschaft wo die Zeiger nicht weiter auseinander gehen könnten.
Roger Furrer:Es ist toll zu sehen, wie du hier gleich auf 3,60 Meter ein Lehrstück geschrieben hast, was eine Außenwirkung einer Person betreffen kann, wie diese zerstört werden kann, mutwillig von außen durch Verdächtigungen, durch Annahmen, die wir alle selber nicht steuern können. In 25 Jahren, was mich immer wieder sehr bei dir beeindruckt, ist diese Ernsthaftigkeit, die du solchen Menschen, solchen gefallenen Menschen gegenüberbringen kannst. Diese Liebe, die du auch auf bringen kannst, diese unglaubliche Arbeit auf dich zu nehmen und etwas daraus Kreatives zu erschaffen, dass du dann auch Tommy Wolfensberger einen Partner gefunden hast, der das dann auch unterstützt mit seiner Expertise und dass daraus dann ein eigenständiges Werk entsteht, das, wie du vorher gesagt hast, auch ohne deine Erklärungen eigentlich verstanden wird. Die fasziniert mich immer wieder. Ich Ich denke, das ist heute etwas, das vielfach einfach verloren geht, dass man sich sehr schnell das Bild, dass man sich von jemandem, von einer Person vor allem auch lächerlich macht und diesen bloßstellt. Du hast ja diesen Herrn hier eigentlich, den du da erfunden hast, auch bloßgestellt auf diesem Leporello und trotzdem hast du ihm eine unglaubliche Würde gegeben, dass er am Schluss wirklich, wie Maximilian gesagt hat, seinen Frieden gefunden hat, ich finde auch seine Würde wiederbekommen hat. Und ich denke, das ist etwas extrem Wichtiges in der heutigen Zeit, Menschen auch, wenn sie quasi in der öffentlichen Meinung gefallen sind, eine Würde zu lassen und die auch zuzugestehen.
Valentin Magaro:Übrigens habe ich in diesem Bild hier...
Roger Furrer:Da wo er auf der Regenrinne flüchten will.
Valentin Magaro:Genau, hier hinten seht ihr ein Haus.
Maximilian Grieger:Und viele Leute schauen aus dem Fenster.
Valentin Magaro:Genau, das sind die Gaffer. Das sind wir, die diese Artikel lesen. und uns eigentlich lustig machen, uns selber auch darin spiegeln in so einer Geschichte und denken, mein Gott, Den hat es erwischt und nicht mich. Das sind wir hier, die Zuschauer, die gerne den Moralfinger heben und sagen, der gemacht.
Maximilian Grieger:Was man auch sieht auf diesem drittletzten Teil des Leporellos, den Tod eben, also er stirbt und man sieht ein Skelett. Du hast dich viel in vorigen Arbeiten mit dem Thema Totentanz beschäftigt. Richtig, ja. Du hast hier das Thema Totentanz auch wie integriert, sehe ich das richtig? Kannst du so ein bisschen was zu dem Thema Totentanz generell unseren Zuhörern berichten?
Valentin Magaro:Also ich bin nicht unbedingt ein Experte auf Totentanz. Es gibt, das ist eine eigene Disziplin innerhalb der Kunstgeschichte. Das ist ein Motiv, die in sehr vielen Kulturen weltweit vorkommt, dass die Menschen Bilder geschaffen haben, in denen Skelette vorkommen und mit denen sie auch darstellen möchten, dass eben das Leben endlich ist. Ich mag Totentanzdarstellungen sehr gerne aus der Kunstgeschichte, weil ich habe gerne diese groteske Skelette. Für mich haben sie aber auch etwas Humorvolles. Ich schaue diese Bilder nicht an und habe jedes Mal in mir die Botschaft, dass ich auch vergänglich bin, sondern für mich ist es wie ein Karneval eigentlich, wo diese Skelette auch darin vorkommen. Und hier habe ich es natürlich aber auch benutzt, sozusagen, den Übergang zum Tod und den Übergang Tod zu illustrieren.
Maximilian Grieger:Ja, und dann auch wieder zum Leben zurück eigentlich.
Valentin Magaro:Wenn man so will, ja. Genau, ja.
Maximilian Grieger:Valentin, wir haben jetzt einen guten Einblick bekommen in den, ich glaube, das ist dein dritter Leporello den du gemacht hast, oder?
Valentin Magaro:Richtig.
Maximilian Grieger:Was für Arbeiten hast du denn aktuell in petto, die du uns demnächst präsentieren wirst? An was arbeitest du im Moment?
Valentin Magaro:Okay, also ich bereite mich vor auf ein großes Bild. Das ist dann aber ein Einzelbild, nicht ein Leporello. Ein großes, zwei Meter großes Bild und bin viel am Zeichnen. Dazu warte noch auf einen Moment, wo ich mit einem Modell zusammenarbeiten kann, wo ich die Modellzeichnung dann ins Bild integriere und dann kommt ein langer Prozess. Prozess von Kompositionsfindung, bevor ich es dann male. Das ist so im Moment das, wo ich dran bin.
Maximilian Grieger:Wie kann man dich denn weiter verfolgen? Hast du eine Internetseite?
Valentin Magaro:Also ich habe eine Webseite, ja. Dort kann man meine Arbeiten s ehen.
Maximilian Grieger:Wie heisst die Domain?
Valentin Magaro:www.valentinmagaro.ch
Maximilian Grieger:Perfekt, das haben die Zuhörer jetzt notiert. Die können sich dann zukünftig weiter informieren über dich.
Roger Furrer:Vielen herzlichen Dank, Valentin, für das aufschlussreiche Gespräch und deinen Besuch bei uns im Studio Lookout.
Maximilian Grieger:Wir freuen uns, dich das nächste Mal zu einer neuen Arbeit interviewen zu dürfen, vielen Dank Valentin.
Valentin Magaro:Das wäre super. Vielen Dank. Dankeschön.
Roger Furrer:Tschüss.