Studio-Lookout-Salon: Der Podcast für Architektur, Design, Kunst und Soziokultur

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch über Einsamkeit, Identität und das queere Altern

Roger Furrer & Maximilian Grieger

In dieser Episode des Studio Lookout Salon spricht Maximilian Grieger mit Prof. Dr. Udo Rauchfleisch – Psychologe, Psychoanalytiker, queerer Vordenker und Vorstandsmitglied von queerAltern Region Basel – über ein Thema, das viele betrifft und doch selten offen besprochen wird: Einsamkeit.

Warum erleben so viele Menschen Einsamkeit trotz digitaler Vernetzung? Was unterscheidet Alleinsein von Einsamkeit? Und welche Rolle spielen Lebensphasen, gesellschaftliche Entwicklungen und queere Identität dabei?

Das Gespräch beleuchtet Ursachen, Auswirkungen und Wege aus der Einsamkeit – mit besonderem Blick auf queere Lebensrealitäten, das Älterwerden und die Bedeutung von Gemeinschaft. Udo Rauchfleisch teilt Fachwissen, persönliche Erfahrungen und erzählt von seiner Arbeit bei queerAltern Region Basel.

Dieser Podcast ist in Kooperation mit queerAltern Region Basel entstanden.

📘 Udo Rauchfleischs Buch Einsamkeit – Die Herausforderung unserer Zeit ist erschienen im Patmos Verlag, 2. Auflage 2025

🏳️‍🌈 Informationen und Unterstützungsmöglichkeiten zu queerAltern Region Basel: www.queeralternbasel.ch

Maximilian Grieger:

Willkommen zu einer neuen Folge des Studio Lookout Salon für queerAltern Region Basel. Mein Name ist Maximilian Grieger. Heute sprechen wir über ein Thema, das viele betrifft, aber über das wenig gesprochen wird, das Thema Einsamkeit. Mein heutiger Gast ist Udo Rauchfleisch, Psychologie-Professor, Psychoanalytiker, Autor, queerer Vordenker und Unterstützer von queerAltern Region Basel. Er hat ein Buch mit dem Titel geschrieben »Einsamkeit– Die Herausforderung unserer Zeit«. Hallo Udo.

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Hallo, schönen Dank für die Einladung.

Maximilian Grieger:

Gerne, gerne. Udo, ich bin letzte Woche an einem Talk mit dir über dein Buch Einsamkeit, die Herausforderung unserer Zeit, in einer der grössten Bibliotheken in Basel gewesen. Die Veranstaltung war brechend voll. Die Besucher sassen auf den Treppen, weil keine Plätze mehr frei waren. Udo, warum interessieren sich so viele Menschen für das Thema

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Das ist eigentlich ein Thema, das Menschen schon seit unendlich langer Zeit beschäftigt, aber ganz stark ist es allen bewusst geworden oder erlebbar geworden während der Corona-Pandemie. Da haben ja eigentlich alle erlebt, wie es ist, wenn man von sozialen Kontakten ausgeschlossen ist, auf sich selber zurückgeworfen ist. Und es ist eigentlich in der Forschung auch schon lange Thema gewesen, aber eben erst in der Öffentlichkeit jetzt seit vielleicht acht oder zehn Jahren wirklich angekommen. Und im Grunde ist es ja ein Thema, das alle Menschen betrifft. Es ist ja nicht bestimmte Menschen nur, sondern alle Menschen kennen das Gefühl. Je nachdem, nach Trennung, nach Todesfällen, Berufswechseln, um nur ganz harmlose Beispiele zu nennen.

Maximilian Grieger:

Du hast es schon im Punkt angesprochen, und zwar, dass es verschiedene Lebensphasen gibt, in denen man sich einsam fühlen kann. Wenn man sich unsere heutige Zeit ansieht, wir sind so wahnsinnig gut vernetzt über die Social Medias. Wir führen keine regulären Telefongespräche mehr wie früher sondern wir machen Videocalls über FaceTime, über Zoom. Also man sieht sich beim Telefonieren trägt es nicht dazu bei, dass man näher zusammenwächst?

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Es kann Verbindungen herstellen, aber es sind oftmals nicht ganz persönliche Treffen, denn es ist ein enormer Unterschied, auch wenn ich telefoniere mit jemandem und die Person sehe, dann ist es ein Unterschied, ob ich direkt mit dieser Person in einem Raum bin oder ob das über technische geht.

Maximilian Grieger:

Also das heisst, die räumliche Distanz, die trägt zur Einsamkeit bei.

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Das ist ganz klar. Also räumliche Distanz führt zur Einsamkeit, wobei man muss sagen, definiert wird Einsamkeit dadurch, dass meine Erwartungen, Erwartungen an die Qualität, und das muss man unterstreichen, an die Qualität der Beziehung, dass diese Erwartungen abweichen von dem, was ich real erlebe. Es ist also nicht die Zahl von Kontakten, das wäre Alleinsein. Da kann man schon differenzieren, hat man einen Kontakt pro Woche oder zehn, aber Einsamkeit ist ein ganz subjektives Gefühl, eben meine Erwartungen an die Qualität von Beziehungen stimmen nicht überein mit dem, was ich real erlebe.

Maximilian Grieger:

Du hast es schon einen wichtigen Punkt angesprochen, und zwar der Unterschied zwischen Einsamkeit und Alleinsein. Alleinsein hast du angesprochen. Alleinsein ist eher ein äusserer Zustand und Einsamkeit ist ein innerer Zustand. Sehe ich das richtig?

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Ja, so kann man sagen. Und eben bei Alleinsein geht es mehr um die Quantität, die Menge von Kontakten. Und bei Einsamkeit geht es um die Qualität und eben darum ein ganz subjektives Gefühl. Das kann man nicht messen. Es gibt zwar verschiedene Fragebögen oder so, mit denen man das erfassen möchte, aber man kann es nicht messen.

Maximilian Grieger:

Es gibt aber auch die schöpferische Einsamkeit, also gerade Künstler nutzen das für sich, um in die Kreativitätsphase zu kommen. Eigentlich eine gewählte Form von Einsamkeit, die manche Menschen sich auch ganz geziel suchen.

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Eben, aber dann würden wir eigentlich wissenschaftlich nicht mehr von Einsamkeit reden, sondern ein selbstgewähltes Alleinsein. Und das ist ganz klar, also das ist für künstlerische kreative Prozesse, das gilt für meditative Prozesse, spirituelle Fragen etc., Aber das ist eben selbstgewählt, wie du gesagt hast, selbstgewähltes Alleinsein, würde ich sagen. Weil Einsamkeit hat eigentlich per Definition immer diesen Charakter von dem unangenehmen Ausgeschlossensein, nicht teilhaben an dem, was andere haben.

Maximilian Grieger:

Und unterscheidet sich eben von der negativen Vereinsamung, also sprich… Die quälende Einsamkeit, die man sich nicht aussucht und denkt.

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Und eben darum ist mit Einsamkeit eigentlich immer Ohnmacht verbunden. Also dass man sich einer Situation gegenüber sieht, in der man keine Möglichkeit sieht, wenigstens im Moment, wie könnte ich da rauskommen. Also Ohnmacht ist ein Gefühl, das sich ganz eng mit Einsamkeit.

Maximilian Grieger:

Es gibt aber noch ein anderes Gefühl, das... sich bemerkbar macht bei einsamen Menschen, das ist die Scham, dass man sich einsam fühlt.

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Ja, das ist eigentlich, das hat man lange Zeit übersehen, dieses Schamgefühl. Das liegt eigentlich auch nicht in der Person selber, die sich einsam fühlt. Es sind eigentlich die Umstände, weil wenn jemand sich einsam fühlt, dann kommt, oder es wird bekannt, dann kommt ganz schnell die Forderung, ja mach doch was, unsere Gesellschaft bietet ja dermassen viele Möglichkeiten, die vielen Vernetzungen, die vielen Angebote in der Gesellschaft, nutz das doch. Also dieser Anspruch, Und wenn ich mich dann einsam fühle, dann kommt natürlich Scham auf. Ja eben, die anderen haben ja recht, ich sollte eigentlich was machen, aber das Charakteristische ist gerade bei Menschen mit lang andauernden Phasen von Einsamkeit, die können sich nicht mehr aufraffen, dann irgendwas zu tun. Also man wird denen nicht gerecht, man versteht sie nicht in ihren Einsamkeitsgefühlen und man macht ihnen dann noch den Vorwurf, Ja, tu doch was und dann entsteht Scham und Schuldgefühle auch.

Maximilian Grieger:

Du hast vorhin angesprochen und zwar, dass die Corona-Pandemie ein ausschlaggebender Grund für die Einsamkeit wurde in den letzten Jahren. Es gibt aber auch, wenn man sich dein Buch genauer durchliest, dahingehend Ursachen wie zum Beispiel den Klimawandel, Es gibt gesellschaftliche Ursachen, individuelle Ursachen. Kannst du uns darüber ein bisschen was berichten?

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Also eben, ich habe bei der Planung von dem Buch mir überlegt, ich wollte erstmal ausgehen, nicht von den ganz individuellen Ursachen. Das ist einfach das Übliche. Wir schauen erst einmal auf die einzelnen Menschen und sagen, ja, liegt Einsamkeit da begründet, dass jemand krank ist oder dass jemand arm ist und so weiter. Aber ich habe gefunden, es geht auch darum, dass wir uns über die globalen Ursachen und dann gesellschaftliche und dann individuelle Ursachen gedeihen. Das heißt, die hat eigentlich alle Menschen betroffen, mehr oder weniger. Und Klimawandel auch. Der Klimawandel kann dazu führen und die auseinandersetzen und damit das einmal dieses Ohnmachtsgefühl auftaucht. Ja, was können wir da eigentlich dagegen tun? Und das interessanterweise oder tragischerweise bekannt ist, dass die AktivistInnen auch zum Teil unter Einsamkeit leiden, weil sie merken, wir kämpfen quasi gegen irgendetwas, was wir nicht können. etwas an, wo gar nicht durchsetzen können, also das kann auch in die Einsamkeit führen und dann die nächste Ebene wären dann die gesellschaftlichen Ursachen, du hast es schon erwähnt eben, zum Beispiel die Anonymität der Gesellschaft, also ein Soziologe hat das unsere Gesellschaft verglichen mit einem Hotel Garnier und hat gesagt, da sind Gäste, die nichts miteinander zu tun haben wollen, da gibt es Leute, die dort arbeiten und die sind uninteressiert an den Gästen, die wollen einfach Profit, also so etwas, Ähnlich läuft unsere Gesellschaft auf mangelnde Solidarität, auch die Komplexität unserer Gesellschaft, also dass vieles gar nicht recht überschaubar ist, gerade im politischen Bereich erleben wir das ja, Fake News und sowas, die auch verunsichern und die Menschen dahin bringt, sich mehr und mehr zurückzuziehen, weil sie nicht mehr teilhaben und nicht mehr begreifen, wie diese Welt funktioniert. Die Massenmedien haben Einfluss darauf, wie sie von Einsamkeit reden, wenn die vom Killer Einsamkeit oder vom Monstereinsamkeit reden, dann kriege ich natürlich einen Schreck, wenn ich denke, ich bin auch einsam. Und dann, ja, was ist Furchtbares? Was bin ich so eine unmögliche Person? Und dann gibt es die ganze Reihe von ganz persönlichen Ursachen.

Maximilian Grieger:

Die du vorhin angesprochen hast, wie Scheidung, Coming Out zum Beispiel.

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Coming Out zum Beispiel, eben. Das ist ja eigentlich eine Zeit Coming Out, die ganz besonders von Einsamkeit geprägt ist. Weil ich meine, da macht man ja mit sich selber aus, ja wie weit, erstmal wer bin ich überhaupt und wie stehe ich zu meiner sexuellen Orientierung oder zur Geschlechtsidentität, dann wem vertraue ich mich an und wie reagieren wohl die anderen darauf. Das ist eigentlich par excellence eine Zeit von großer Einsamkeit, natürlich unterschiedlich individuell, aber ich glaube niemand, der ein Coming-out durchlaufen hat, kann sagen, das habe ich überhaupt nie erlebt dabei. Und da gibt es natürlich alle möglichen anderen Gründe. Arm sein ist auch ein wichtiger Faktor, weil man dann auch ausgeschlossen ist von vielem, an dem andere teilhaben.

Maximilian Grieger:

Auf dieses Thema Outing möchte ich gerne später nochmal im Bereich queerAltern Region Basel nochmal zu sprechen kommen. Ist es denn richtig, dass Menschen, die unter Einsamkeit leiden, eine geringere Lebenserwartung haben? Gibt es da Studien zu?

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Suizidalität zum Teil auch wegen der Einsamkeit, sondern auch körperliche, vor allem kardiovaskuläre Erkrankungen. Und man muss sich das so vorstellen, als ob Stress, vor allem lang andauernde Einsamkeitsgefühle, wie so ein Dauerstress sind für den Körper. Führt auch dann zu ungesunder Lebensweise.

Maximilian Grieger:

Sie sind eine chronische Erkrankung dann schon fast.

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Ja, also gerade kardiovaskuläre Erkrankungen, die dort ihren Ursprung haben können, eben weil das wie so ein Dauerstress ist für die Person.

Maximilian Grieger:

Udo, hast du den Eindruck, wir werden im Laufe unseres Lebens immer einsamer, umso älter wir werden?

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Das ist zumindest eine Idee gewesen, lange Zeit. Und man hat sich bei der Forschung über Einsamkeit fast ausschließlich auf die ältere Generation konzentriert, gerade auf die Hochbetagten. Da ist klar, da viele Menschen sterben aus der gleichen Generation und es kommen körperliche Gebrechen, die verhindern, dass man in vielem teilnehmen kann und so weiter. Aber der Irrtum ist, dass es vor allem die angeht, es geht genauso Jugendliche an, junge Erwachsene und Jugendliche. Und eigentlich, wie ich vorhin gesagt habe, eigentlich sämtliche Menschen können oder müssen sagen, ich habe das auch schon da oder da erlebt. Also Einsamkeit ist sehr weit verbreitet und nicht nur mit zunehmendem Alter wird man immer einsamer. Außerdem hängt das wesentlich daran, wie ich meinen Freundesbekanntenkreis organisiere.

Maximilian Grieger:

Ist es so, dass gleich viele alte Menschen wie gleich viele junge Menschen sich einsam fühlen, gibt es da eine Prozentzahl?

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Es ist ungefähr das gleiche, ja. Also die Zahlen differieren alle erheblich. Das hängt auch immer von den Befragungsarten ab. Ob ich jetzt eine Frage stelle, hast du dich in den letzten Wochen oder Monaten einsam gefühlt? Ich weiß nicht, von eins bis zehn. Oder ob ich drei oder vier Fragen stelle oder ob ich einen ganzen Fragebogen habe oder ein Interview. Aber man geht davon aus, dass ungefähr ein Drittel der Bevölkerung, und das sehr hoch, immer wieder mal unter Einsamkeit leiden. Und die Zahlen der Hochbetagten und der Kinder und Jugendlichen sind ungefähr gleich.

Maximilian Grieger:

Und warum gerade Kinder und Jugendliche?

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Ja, das scheint einerseits fast nicht vorstellbar, eben so vernetzt und die ganze Zukunft vor sich. Andererseits ist aber so, die haben ganz viele kritische Situationen, die sie durchleben. Sie gehen vom Elternhaus weg, sie gehen von der Schule weg, aus ihrem üblichen Freundinnenkreis. Sie gehen in einen Beruf, der enorm viel fordert von ihnen, sehr viel Unsicherheiten mit sich bringt. Und ich meine, sie gehen in eine Zukunft, die weiss Gott nicht so rosig aussieht, wenn man sich politische, ökologische Fragen, ökonomische Fragen anschaut. Also von daher sehr verständlich, dass sie verunsichert sind und etwas noch, gerade die sozialen, Social Media, die vermitteln vielleicht so eine Illusion, ich bin doch bestens vernetzt, aber in Wirklichkeit sind das zum Teil ganz, entweder anonyme oder ganz unverbindliche Kontakte. Und ausserdem ist es noch so, wenn ich mal Facebook angucke oder irgendwas, viele posten da Situationen, wo sie mit anderen unterwegs sind und wo sie gemeinsam essen und so weiter. Und wenn ich dann zu Hause sitze und sehe das und denke, ja, die haben es wohl gut, dann ist mein Eintamkeitsgefühl noch viel stärker.

Maximilian Grieger:

Ja, ich verstehe. Udo, zu dir. Du bist 1942 in Osnabrück geboren. Du hast an der Uni Kiel studiert, aber auch an der Uni Lubumbashi in der Demokratischen Republik Kongo. Wie kam es dazu, dass du in Lubumbashi noch studiert

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Ich wollte eigentlich in Kairo studieren. Ich habe Arabisch gelernt, sehr intensiv im Studium studiert. Aber an der Al-Azhar-Universität, das hätte mich interessiert, aber zu der Zeit, das habe ich erst viel später erfahren, konnte man als Nicht-Muslim gar nicht in Al-Azhar studieren. Das geht jetzt ja. Aber dann habe ich... Es ging dann endlos hin und her, ob ich einen Studienplatz bekäme dort. Und als das nicht klar war, habe ich mich umgehört. Und mir wäre irgendein afrikanisches Land lieb gewesen. Und da hat der Kongo mir ein Stipendium gegeben. Und ich habe gefunden, gut, dann nehme ich das. Am Tag, bevor ich abflog, kam von Kairo die Nachricht, ich hätte gehen können.

Maximilian Grieger:

Du hast dich dann trotzdem für Lubumbashi entschieden?

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Ja, es war ja alles vorgeplant.

Maximilian Grieger:

Hat diese Erfahrung auch dazu beigetragen, dass du dich heute auch für Flüchtlingsthemen mit engagierst?

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Unter anderem auch. Ich habe in einem Studentenheim gewohnt, das hat mich sehr geprägt. Und zwar waren zehn Zimmer, also ganz klein, und es war die Ideologie dort, es sind alles Doppelzimmer und immer ein Ausländer und ein Deutscher zusammen. Und das war sehr prägend und dadurch habe ich auch dann zu arabisch sprechenden Studierenden Kontakt gehabt und habe die Sprache gelernt, kannte einige Jahre, Jahrzehnte lang sehr enge Freunde aus dem afrikanischen Bereich und das hat schon sehr geprägt und auch die Zeit im Kongo, weil einfach konfrontiert zu sein mit ganz fremden Kulturen, fremden Sprachen und auch zu erleben, vielleicht auch mal in Richtung Einsamkeit, das war aber nicht so quer, nur zu erleben, ja, es gibt auch ganz andere Wege. zu leben, sich zu äussern, zu empfinden. Und das fand ich immer spannend. Und es ist ja so, wenn man mit Fremden konfrontiert wird, entweder findet man es interessant und sagt, das möchte ich besser kennenlernen, oder man lehnt es ab und sagt, ja, ich will nichts mit dem zu tun haben und es kommt zu aggressiver Ablehnung. Aber insofern ist das mein Interesse auch an Flüchtlingsbegleitung, auch gerade was Queer angeht, bei Queeramnestie.

Maximilian Grieger:

International engagierst du dich für Queeramnestie?

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Ja, von Amnesty International, eine Untergruppe, Queer Amnesty, wo wir Flüchtlinge begleiten und ich das auch seit vielen Jahren mache.

Maximilian Grieger:

Die hier in die Schweiz kommen und die du mit betreust.

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Die hier in die Schweiz kommen und dann hier wegen ihres queer seins nochmal natürlich in einer schwierigen Lage sind. In ihrem Heimatland verfolgt werden deshalb, dann hierher kommen und etwa wie ich von jemandem gehört habe der in Zürich in einer Asylunterkunft gelebt hat mit neun Landsleuten zusammen. Und war sicher, dass alle neun anderen anti-queer waren, also sehr queerfeindlich waren. Und er wusste, er darf kein Wort darüber jemandem sagen, dass er queer ist.

Maximilian Grieger:

Sonst hätte er ein richtiges Problem.

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Ja, er wäre zusammengeschlagen worden. Also das auch von daher, das Schwierige sind doppelte Belastungen.

Maximilian Grieger:

Du hast dann 1970 in Kiel promoviert, bist im gleichen Jahr dann nach Basel gekommen und bist gestartet an der Psychiatrischen Polyklinik in Basel als Psychologe. Und du hast in Freiburg im Preisgau dann dich als Psychoanalytiker ausbilden lassen und warst ab 1978 fast 30 Jahre Professor an der Uni Basel für klinische Psychologie. Wann, Udo, hast du dich begonnen, mit dem Thema Geschlechtsidentität zu beschäftigen oder daran zu forschen?

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Ja, quasi am ersten Tag meiner Arbeit hier in Basel. Und zwar, ich hatte null Ahnung von Geschlechtsidentitäten. Im Studium habe ich kein einziges Wort gehört. Ich habe auch kein Wort, Gott sei Dank, über Homosexualität oder Bisexualitäten gehört, weil das wären Horrorgeschichten gewesen früher. Ich kam aber hierher und wir haben dann ganz schnell in der Polyklinik einzelne Anmeldungen gehabt von Transpersonen. Wir hatten null Ahnung, alle eigentlich hatten null Ahnung und ich habe dann mit anderen zusammen, haben wir aufgebaut eine Gruppe von denen, die Transpersonen begleiten und behandeln, also über Endokriniologie, Chirurgie und so weiter. Und Ich bin langsam da hineingewachsen und habe dann einfach gemerkt mit der Zeit, dass unsere Bilder total falsch sind, was nämlich Literatur uns vermittelt hat, hieß mit dem sogenannten Transsexualismus, schwerstkranke Menschen mit schwerer Identitätsstörung und so weiter. Und ich habe gemerkt, je mehr ich kennenlernte, die sind so unterschiedlich wie andere auch und enthalten das ganze Spektrum von Gesundheit bis Krankheit. Aber das ist über diese jetzt 54 Jahre so nach und nach dann vollkommen klar geworden. Das ist heute in der Fachwelt mehr oder weniger. Allgemein anerkannte Haltung, aber im Moment ist es ein Backlash, der ziemlich massiv ist, wo plötzlich wieder alte Konzepte ausgegraben werden und man sehr feindselig, auch von Fachseite, zum Teil gegenüber Transmenschen

Maximilian Grieger:

Also man merkt es gerade jetzt, was in Amerika los ist, durch die neue amerikanische Administration.

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Ja. Ja, und auch bei uns. Also jetzt ist mehr natürlich immer wieder das Gespräch von Jugendlichen, die kommen und sagen, ich bin trans und ich möchte vielleicht auch nur schrittweise irgendwelche Angleichungen machen. Und dagegen haben sich jetzt zum Teil massive Gegenströmungen

Maximilian Grieger:

Du hast selbst ein persönliches Outing hinter dich gebracht. Du hast irgendwann gemerkt, dass du ein homosexueller Mann bist. Du bist dreifacher Vater, mehrfacher Grossvater . Kannst du uns ein bisschen was über diese Zeit erzählen, wie das für dich war? Du hast dich bestimmt einsam gefühlt, gehe ich von aus. ich von aus. Eben, also das meinte ich auch mit, also ich denke, Coming-out-Zeiten sind immer Zeiten von Einsamkeit. Ich habe das ganz grosse Glück gehabt und immer noch, dass ich eine Umgebung gehabt habe, wo ich einmal im Freundeskreis immer Personen gekannt habe, mit denen ich offen reden konnte, auch in der Ehe sehr früh darüber gesprochen habe und ich bin Jetzt abgekommen von diesen Kategorienbildungen. Ich denke, wir brauchen einerseits schon... dass wir uns zuordnen können und sagen, ich bin ein schwuler Mann oder ich bin eine bisexuelle Person oder ich bin eine Transperson oder ich bin binär oder nicht binär. Aber im Letzten, denke ich, ist das nicht das reale Leben. Und ich bin ganz begeistert gewesen, jetzt hat es kürzlich eine Studie aus Stockholm gegeben, wo Personen über 20, 30 Jahre, glaube ich, begleitet worden sind und man hat festgestellt, das, was auch immer schon wieder gerade von der Queer-Theory betont wird, getont worden ist, wir Menschen sind flexibel und wandelbar und wir können gar nicht sagen, ich bewege mich in Richtung Homosexualität oder Heterosexualität oder Cis oder Trans, sondern es gibt Umstände im Leben, da stimmt das so und bei mir war es so, die Ehe hat vollkommen für mich gestimmt, das war nicht, weil ich dachte aus äusseren Gründen, es wäre sinnvoll in die Ehe zu gehen, aber in dieser Konstellation hat das vollkommen gestimmt und dennoch war für mich und Und zwar nicht da erst, eigentlich immer irgendwo schon klar, mich interessieren Männer eigentlich, ja, ich weiß nicht, ich kann nicht mal sagen, genauso in anderer Weise wie in dieser Ehe, aber ich denke, dass es eben, wie gesagt, innerhalb dieser Plastizität und der Wandelbarkeit von uns Menschen sind das einfach Wege gewesen und die waren gut so. Und ich bin sehr froh, dass es nach wie vor mit Kindern, Enkelkindern und Ehefrau sehr gut klappt. Auch mit meinen Männern. Also ich habe eine Partnerschaft gehabt mit einem Partner, 14 Jahre lang, der gestorben ist. Und da war auch die Beziehung sehr gut. Und jetzt mit dem jetzigen Ehemann auch. Und ich weiss auch, dass dein heutiger Mann auch ein sehr gutes zu deiner Frau hat.

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Ja, das meine ich. Das ist doch toll. Ja, ja, das ist sehr, sehr gut von beiden Seiten. Ja, eben. Es könnte auch sein, dass er sagt, was habe ich mit denen zu tun? Nein, aber ich denke, das sind sehr glückliche Umstände, dass das so geht und das freut mich

Maximilian Grieger:

In welchem Jahr hast du dich geoutet?

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Ich kann das nicht so jahrmässig festlegen. Im Gespräch zwischen meiner Frau und mir ist das sehr früh gewesen. Einfach darüber zu reden, dass ich ein Bedürfnis habe, auch Beziehungen zu Männern zu haben und dass mich das anspricht. Und dann haben wir abgesprochen wegen der Kinder, wann oute ich mich äusserlich. Denn ich meine, so wie ich in der Öffentlichkeit auch was publiziere, ein Buch oder ein Artikel geht noch. Aber zwei, drei in der Richtung, dann fragen sich alle ja, wieso macht er das?

Maximilian Grieger:

Wieso macht er das?

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Also es fragt sich niemand, ich habe viel über die Dissozialität publiziert - hat aber niemand gefragt, bist du auch dissozial. Aber sowie man was über sexuelle Fragen publiziert ist sofort die Frage, hast du auch was damit zu tun. Und das haben wir dann abgesprochen, bist die Kinder ein bisschen älter sind. Weil die ja auch gefragt werden - es ist ja nicht nur ein Coming Out einer einzelnen Person, sondern das ganze Umfeld macht das mit. Das machen die Eltern mit, das machen die Verwandten oder Freundeskreis.

Maximilian Grieger:

Also du du hast es angestossen, aber die anderen müssen es auch mitnehmen.

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Und die müssen dann irgendwie mit.

Maximilian Grieger:

Du engagierst dich im Vorstand für die Organisation queerAltern Region Basel. Was war für dich der ausschlaggebende Grund für dein Engagement?

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Also einmal, dass ich mich gerne engagiere für alles, was irgendwie queere Society in die Öffentlichkeit bringt und wo wir uns auch bemerkbar machen und dadurch, dass ich selber älter bin, ist ein queer Altern für mich auch tatsächlich ein wichtiges Thema. Aber so wie ich mich für Queer Amnesty interessiere und für andere queere Fragen, ist das ein Arbeitsbereich gewesen und ich bin ganz am Anfang, als wir es gegründet haben in Basel, dazugekommen und habe gefunden, ja, es ist eine sehr konstruktive Zusammenarbeit und wir können und müssen viel bewegen, also gerade was Ausbildung, es gab ja einige Studien in der Schweiz, die gezeigt haben, die Menschen, die in den Heimen und Pflegeinstitutionen arbeiten, die sind praktisch überhaupt nicht vorbereitet auf das Thema. Praktisch überhaupt nicht. Also wenn eine Antwort kam, damals zum Beispiel, wir waren mit diesem Problem noch nicht konfrontiert, dann spricht aus dieser Formulierung schon sehr, sehr viel. Mit diesem Problem noch nicht konfrontiert. Und eben das ist auch bestens bekannt, auch in Deutschland sind die ein bisschen weiter, aber ich habe gerade kürzlich gehört, wo etliche KollegInnen gesagt haben, nein, auch da nur in den grossen - in vielen Bereichen auch dort nicht. Und das ist uns ja in dem Queeraltern auch wichtig, dass genau da Forschung auch ein Stück getrieben wird und vor allem auch Praxismenschen ja das Thema Queer in die Öffentlichkeit und gerade auch in die Fachwelt dort in den Heimen und Pflegeinstitutionen kommt.

Maximilian Grieger:

Auf das Leben queerer älterer Menschen möchte ich gleich noch zu sprechen kommen. Aber vielleicht wäre es nicht schlecht, Udo, wenn wir mal den Begriff queer klären. Das Thema ist und zwar, wir haben ja vor ein paar Jahren uns noch ausgedrückt mit LGBTIQ+. Und viele kommen jetzt mit dem Begriff queer nicht klar. Und das ist ein inklusiver Begriff, wenn man es so sagen darf.

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Das Schwierige ist einfach nur, es ist sowieso ein sehr verwirrendes Thema. Und gerade die Terminologie, die wechselt ja auch immer wieder. Und wenn man, wie du jetzt gesagt hast, wenn man sagt LGBTIA, und dann noch ein Plus, aber ich meine, wer möchte in so eine Restkategorie eingereiht werden? Also man könnte dieses LGBTIQ immer weiterführen. Ich habe mal in einer Publikation 17 Stellen entwickelt und dann hast du noch immer nicht alle drin. Ich meine, da haben wir noch nicht die Objektsexuellen und die Pansexuellen und die Asexuellen mit dem A, ja, aber sonst haben wir die nicht drin. Ich denke, einerseits ist es schon okay, jeder Mensch möchte irgendwo auch benannt werden und ich möchte, wie gesagt, nicht in so eine Restkategorie. Da kommen wir mit dem Plus oder dem Sternchen. Aber andererseits ist es auch so, dass diese Abgrenzungen auch zu Ausgrenzungen führen können. Und das müssen wir ehrlich zugeben. In der Community ist ja nicht eitel Sonnenschein und Akzeptanz rundherum. Und insofern ist einerseits so ein Begriff wie queer, der ein Oberbegriff wäre für all diese Untergruppen.

Maximilian Grieger:

Der Begriff, glaube ich, war auch mal ein Schimpfwort.

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Ja, wie schwul auch. Ja, natürlich, es ist ein Oberbegriff, der eigentlich negativ konnotiert ist, aber der jetzt so wie schwul auch so ein bisschen mit so einer dennoch trotzigen Identität gesagt wird, ja, wenn ihr meint, wir sind so queer, so schräg - dann, ja okay, wir benutzen diesen Begriff. Und der eignet sich schon als Oberbegriff.

Maximilian Grieger:

Und ich glaube, um es für unsere Zuhörer einfach zu machen, also der Begriff Queer schließt eben Menschen ein, die nicht heterosexuell sind oder cisgender sind.

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Genau, also alle Menschen, die hinsichtlich sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität nicht der Mehrheitsgesellschaft entsprechen. Ja genau, die nicht heterosexuell und nicht cisident sind.

Maximilian Grieger:

Du hast vorhin schon angesprochen und zwar, dass queere Betagte kaum eine Stimme haben aktuell. Also gerade in Alters- und Pflegeheimen, die sind überhaupt nicht darauf vorbereitet. Fühlen sich queere Menschen grundsätzlich, egal ob jung oder alt, tendenziell einsamer?

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Ja. Es gibt einige Studien dazu, die das eindeutig belegen, dass die Zahl unter queeren Personen insgesamt, egal welche Altersstufe, mehr Einsamkeit empfinden. Und das Interessante ist, obwohl doch eigentlich, das ist in einer Studie aus Köln extra hervorgehoben worden am Ende, obwohl eigentlich queere Menschen besser vernetzt sind als heterosexuelle und cisidente.

Maximilian Grieger:

Fühlen die sich trotzdem einsam?

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Ja, aber ich denke, es liegt daran, wir nutzen nicht genug. die Möglichkeiten, die wir haben und insofern ist Queeraltern etwa, solche Organisationen und Vereine so wichtig, weil der bietet dann Möglichkeiten zur Vernetzung und macht uns klar, aha, es gibt so viel, ich meine, es gibt verschiedene, es gibt queere Sportvereine, es gibt verschiedene Parteien, die alle ihre queeren Gruppen haben und so weiter und Berufsgruppen, aber ich denke, wir nutzen die nicht genug, nur es ist noch interessant zu wissen, eigentlich hätten wir sehr viele Möglichkeiten.

Maximilian Grieger:

queerAlternregion Basel hat jetzt, glaube ich, um die 150 Mitglieder. Das ist eine hohe Zahl, wenn man sich überlegt, dass es den Verein erst seit dreieinhalb Jahren gibt.

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Ganz genau, ja.

Maximilian Grieger:

Das ist schon sehr gut.

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Erstaunlich und für eine Stadt wie Basel, die auch nicht so gross ist.

Maximilian Grieger:

Was macht queeraltern Region Basel speziell, um die Gemeinschaft und die Vielfalt zu fördern?

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Verschiedene Dinge. Also wir haben uns jetzt in Basel einerseits sehr stark darauf ausgerichtet, in die Heime zu gehen, für die Weiterbildung zu und haben dort schon auch erste Versuche gemacht und das ist sehr gut rausgekommen. Das ist ein wichtiges Thema, dann auch Vernetzung allgemein im sozialen Bereich, also wir haben zum Beispiel eine WhatsApp-Gruppe, wo man sich mitteilen kann, ich gehe heute Abend ins Kino, wer hat Lust mitzugehen, also irgendwelche Aktivitäten, es gibt eine Gruppe für Besuch von Museen, es gibt eine Tanzgruppe, es gibt alle Möglichkeiten eben, eben wie man ältere Menschen und ältere und jüngere auch vernetzen kann. Und beim ESC gibt es jetzt eine, du bist da sehr maßgeblich beteiligt, eben auch eine Initiative, in dem eben auf Grossleinwand dann übertragen wird und es gibt ein Podium.

Maximilian Grieger:

Bei dem du mit dabei bist.

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Bei dem ich auch mit dabei bin, ja. Also insofern, das ist unsere Aufgabe hier und ich denke, die ist sehr wichtig.

Maximilian Grieger:

Einen inklusiven Raum zu schaffen.

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Ganz genau, weil eben auch ältere Menschen sich manchmal von sich aus zurückziehen. Und gerade im queeren Bereich, dass da manche auch ja aufgewachsen sind in einer Zeit, wo über Homosexualität und Trans und sowas gar nicht geredet wurde und gerade die ältere Generation auch mit enormen Hemmungen aufgewachsen ist. Und das wirkt sich dann auch so aus, dass manche sich eben jetzt auch nicht so leicht äussern und vernetzen und da ist sowas wie Queeraltern absolut notwendig.

Maximilian Grieger:

Was muss unternommen werden, um ein würdevolles queeres Altern zu ermöglichen.

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Akzeptanz. Und das ist auch was, wofür wir uns ja auch dann von dem Verein einsetzen. Und ich denke, was allgemein wichtig ist, wir müssen einfach dahin kommen, dass möglichst viel, also total werden wir das nie schaffen, aber möglichst viel Akzeptanz besteht gegenüber erst mal Menschen generell, die anders sind und jetzt in dem Fall ganz speziell gegenüber Menschen, die hinsichtlich Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung anders sind. Und dass sie, das wäre das Allerbeste, dass Gesellschaft insgesamt begreift, Vielfalt ist Bereicherung. Und nicht so zähneknirschend, ja gut, das akzeptieren wir jetzt auch noch, sondern wirklich der Überzeugung ist und das auch spürt, es ist eine enorme Bereicherung, wie einfach alles, was uns fremd ist, müssen wir ja nicht mitmachen unbedingt, aber es ist immer eine Bereicherung, weil es bringt uns ganz neue Perspektiven und das habe ich auch eben im Studium im oder an anderen Stellen viele Reisen in Länder, wo ich dann Arabisch sprechen konnte. Das Fremde fordert immer heraus und dann können wir uns sagen, ja, das von unserem ist ganz gut, aber jenes ist auch noch spannend, wenn wir das auch nochmal aufnehmen und es mit dem auseinandersetzen.

Maximilian Grieger:

Man kann viele verschiedene Aspekte dann für sich in sein Leben einbeziehen.

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Und insofern für die Gesamtgesellschaft - Vielfalt als Bereicherung zu empfinden.

Maximilian Grieger:

Ist im Alter auch das Thema bei queeren Menschen die fehlende Familie?

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Das kann auch sein, ja, weil viele, also gerade die ältere Generation zum Teil, haben Angehörige gebrochen mit denjenigen im Moment ihres Coming Out. Dann, je nachdem, wenn jemand auch keine Kinder hat, wobei ich denke, Kinder zu haben ist ja nicht eine Garantie, im Alter Kontakte zu haben. Und wenn Menschen, denke ich vor allem, sich mit ihrer gleichen Generation nur abgeben, das ist dann egal, ob hetero oder trans oder cis, das ist natürlich immer problematisch, denn dann wird es mit zunehmendem Alter immer kleiner, die Gruppe von Bezugspersonen.

Maximilian Grieger:

Udo du hast in der Forschung das Konzept der Transdifferenz erwähnt - eingeführt, um die Fluide zwischen den Geschlechtskategorien zu beschreiben. Du bist heute noch tätig und zwar in deiner eigenen Praxis als Psychotherapeut. Wenn du mit Menschen konfrontiert bist, die im Alter feststellen, sie sind trans, wie gehst du mit diesen um?

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Ich gehe mit denen so um wie mit allen Rat suchenden, den ich denke ich kann von aussen ohnehin nicht - es stellen sich vielleicht manche so vor, wir würden als TherapeutInnen dann irgendwelche Ratschläge geben. Ich kann eigentlich nur Begleiter sein, jeder Art von Psychotherapie oder Begleitung, Begleiter sein in einem Prozess von Selbstfindung. Und insofern gehe ich mit Transpersonen, egal welchen Alters, eigentlich immer gleich um. die kommt, weiß in der Regel schon sehr genau, also gerade Erwachsene, wissen sehr genau, was sie wollen und was sie sind, aber sie machen sich dann Gedanken und das gilt ja für Lesben, Schwule, Bisexuelle auch, wie gehe ich damit um und wie setze ich das in meinem Leben um, wie bringe ich das meiner Umgebung bei. Also dann geht es darum, dass wir gemeinsam herausfinden, welches könnten nächste Schritte sein und wie könnten die eingefädelt werden und das kann man ja zusammen entwickeln Wobei... Das war früher ganz anders. In den 70er, 80er Jahren, denke ich, haben wir viele Personen, die trans waren, aber nicht unbedingt den ganzen Weg der Transition körperlich auch machen wollten, haben wir eigentlich auf diesen Weg gedrängt. Und zwar, weil zu dieser Diagnose Transsexualismus gehörte, die Person möchte ihren Körper auch angleichen. Anders, ganz binär, andere Geschlechter. Und das ist heute nicht mehr so? Ich habe gesagt, hören Sie, lassen Sie sich doch Zeit, machen Sie einfach den Schritt, den Sie im Moment für richtig halten. Und das kann sein, eine hormonelle Behandlung vielleicht oder es kann sein, weil die Brust sehr stört, weil jemand so schnell als Frau gelesen wird, wenn eine deutlich sichtbare Brust da ist. Wenn Sie das mal erst schauen, ob Sie mit dem fertig werden und dann können Sie weitere Schritte gehen. Das finde ich sehr viel sinnvoller und diesen Weg zu begleiten, ja.

Maximilian Grieger:

Und diese Menschen fühlen sich wahrscheinlich ganz besonders einsam, gerade in der Zeit, in der sie für sich entscheiden, diesen Schritt auch zu gehen.

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Und dass sie wissen, dass in unserer Gesellschaft, und das scheint im Moment ja immer noch schlimmer zu werden, auch sehr viel Transfeindlichkeit besteht. Und zwar jetzt dann ganz speziell noch gegenüber den nicht binären Personen, weil das bringt viele dann total in der Bevölkerung durcheinander, dass nun plötzlich, dass ein Mann sagt, ich bin eine Frau oder eine Frau sagt, ich bin ein Mann, das ist noch gerade akzeptabel. Aber dass jemand sagt, ich lasse mich gar nicht in diese beiden Kategorien einordnen, da hört es für manche auf. Obwohl ich manchmal denke, vielleicht ist das für uns Menschen das Ursprüngliche. Dass wir eigentlich und auch genetisch, es gab vor einiger Zeit eine große genetische Studie und die haben gesagt, wir sind ja so vielfältig angelegt, dass wir eigentlich alles leben könnten, aber durch Evaluation und durch unsere genetische Komponenten, die wir haben und durch soziale Einflüsse gehen wir in die und die und die Richtung. Aber insofern denke ich, Nicht-Binarität ist nicht so etwas Aussergewöhnliches. Unsere Kultur ist sehr binär und die Sprache auch. Also das fällt uns dann sehr schwer.

Maximilian Grieger:

Pronomen wegzulassen.

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Ja, die Pronomen wegzulassen und da muss man halt den Namen immer wiederholen. Aber an das kann man sich gewöhnen. Also ich kenne sehr viele jetzt mittlerweile sowohl aus dem beruflichen Bereich, auch als privat, die nicht binär sind. Und nicht binäre Personen sind auch nicht beleidigt, nach meiner Erfahrung, wenn man sich mal versieht.

Maximilian Grieger:

Wenn man einen Fehler macht bei der Ansprache.

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Aber was sie natürlich sehr verletzt, ist, wenn sie spüren, und das gibt es durchaus, dass jemand konsequent er oder sie sagt und weiss, die Person möchte aber nicht so eingeordnet werden.

Maximilian Grieger:

Udo, wir sind ziemlich am Schluss unseres Podcasts. Wir haben viel zu Beginn über das Thema Einsamkeit gesprochen oder eigentlich hat sich das Thema Einsamkeit über den gesamten Podcast durchgezogen. Was würdest du den Menschen empfehlen, die sich einsam fühlen? Was kann man dagegen tun?

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Es muss einen Schritt früher anfangen, denke ich. Nämlich da, dass wir alle eigentlich aufgerufen sind und das gilt natürlich für Angehörige, für FreundInnen und so weiter, dass wenn wir wahrnehmen, irgendjemand jemand könnte einsam sein, dass wir einfach die Person ansprechen, nicht darauf, du bist wohl einsam, das ist unverschämt und löst natürlich Scham erst richtig aus, sondern einfach sagen, das was man Zeitgeschenke auch nennt, einfach sagen, komm, lass uns mal einen Spaziergang machen, du hast Lust mit ins Kino zu gehen, irgendwas gemeinsam zu machen und auch, ich meine, es gibt ein riesiges Angebot, es gibt Hohlangebote und Bringangebote, bei den Hohlangeboten Da muss man natürlich rausgehen, also irgendwelche Weiterbildungen oder Kurse oder sowas. Und es gibt Bringangebote, da kommt jemand ins Haus, also wie Spitex-Dienste und so weiter. Aber dass man für die, wo man sich was holen muss, auch nicht sagt, guck mal, da gibt es die und die und die Angebote, das können manche nutzen, aber andere, die sehr vereinsamt sind, können sich nicht aufraffen, das zu tun. Da muss man auch sagen, horch zu, das hat mir kürzlich bei einem Vortrag jemand gesagt, die Frau ist zu dem Vortrag gekommen, und hat ihrer Nachbarin gesagt, von der sie meint, sie ist sehr einsam, komm, du gehst jetzt mit. Und dann hat die erst gezögert, dann ging sie mit und die war total begeistert, dass sie den Schritt gemacht hat. Aber nicht weil sie das allein, hätte sie das nie fertig gebracht.

Maximilian Grieger:

Aber man muss schon eine gewisse Sensibilität haben, um zu spüren, hey, die Person könnte einsam sein.

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Ich glaube nicht, dass man eine grosse Sensibilität braucht. Man muss offen sein dafür. Man muss bereit sein, hinzuschauen und hinzuhören, wie es mit Menschen geht. Denn ich denke, man spürt durchaus, vielleicht ist es auch gar nicht Einsamkeit, vielleicht ist es irgendwas anderes, aber es geht jemandem nicht Das ist gut. Und dann würde ich eben auch nicht ansprechen drauf, was ist denn los mit dir, sondern einfach sagen, okay, wir machen was zusammen. Und wenn die Person vielleicht wirklich selbst gewählt allein sein möchte, wird die sagen, du bist nett von dir, schönen Dank. Aber ich denke, es geht darum, wahrzunehmen und dann was zu m achen.

Maximilian Grieger:

Und dann, wenn man eben zusammen Zeit verbringt, kann es auch gut sein, dass die Person sich öffnet.

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Und dann öffnet sich die vielleicht und sagt sogar, ja, ich fühle mich hundselend und allein.

Maximilian Grieger:

Und vielen Dank hast du mich kontaktiert, dass wir jetzt eben was gemeinsam unternehmen.

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Sie mus nicht mal schönen Dank sagen, sondern sie wird das sehr honorieren und wird froh sein, dass jemand sie da mal rausgebracht hat. Und wie gesagt, es gibt so viel, es gibt meinetwegen Queeralter in Basel, das ist ein Grund auch sowas zu bilden und es gibt ja zig lesbisch-schwule Transferorganisationen und Vereinigungen und es gibt auch für andere Menschen, es gibt zig, zig Angebote, aber man muss sie nutzen können Und da braucht man oft jemanden, der hilft, diese Hürde zu übersteigen.

Maximilian Grieger:

Ganz zum Schluss habe ich noch eine persönliche Frage an dich. Denn du bist nicht nur für unsere Community, sondern grundsätzlich für Menschen ein Vorbild beim Älterwerden. Was machst du, dass du so fit und gesund bleibst und gut innerlich älter wirst?

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Ich kann keine Antwort eigentlich darauf geben. Du hast kein Ritual. Ich probiere schon, mich körperlich gesund zu halten und gesund zu leben. Aber ich denke, es ist einmal wirklich eine Frage der Konstruktion. Und entweder ist man gesund und das kann sich blitzschnell ändern. Ich habe das große Glück, ja, sowohl körperlich als auch psychisch einigermaßen gut immer über die Runden gekommen zu sein und bin froh an dem Punkt zu sein. Aber ich kann kein Rezept angeben, warum ist das so oder was könnte Mann, Frau tun, um so zu leben. Das ist einfach... Glück.

Maximilian Grieger:

Super Udo, ich wünsche dir weiterhin viel Gesundheit und ich danke dir für das Gespräch.

Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:

Ja, danke dir für das Gespräch.

Maximilian Grieger:

Sehr gerne Udo, vielen Dank. Das Buch Einsamkeit, die Herausforderung unserer Zeit, erschienen im Patmos Verlag, findet ihr mit den Bestellmöglichkeiten auf der Homepage von Udo Rauchfleisch, www.udorauchfleisch.ch und wenn ihr euch über queerAltern Region Basel informieren oder die Organisation unterstützen möchtet, findet ihr weitere Infos auf www.queeralternbasel.ch

Maximilian Grieger:

Bis zum nächsten Mal.