
Studio-Lookout-Salon: Der Podcast für Architektur, Design, Kunst und Soziokultur
Der Studio-Lookout-Salon ist ein interdisziplinärer Podcast aus der Schweiz, der inspirierende Gespräche mit Persönlichkeiten aus Architektur, Design, Kunst und soziokulturellem Wandel in den Mittelpunkt stellt. Jede Episode beleuchtet, wie kreative Köpfe ihre Haltung, Arbeitsweise und Wirkung in einer dynamischen Welt sichtbar machen.
Die Gespräche finden überwiegend im Studio Lookout Haus im Baselbieter Tafeljura statt – einem Ort, der durch seine offene Atmosphäre und den Blick in die Weite, Raum für respektvollen Austausch schafft. Die Hosts Maximilian Grieger und Roger Furrer empfangen hier Vordenker:innen, Künstler:innen, Architekt:innen und Unternehmer:innen, um Themen zu beleuchten, die unsere Gesellschaft nachhaltig prägen.
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Studio Lookout Salon: A Podcast Exploring Architecture, Design, Art & Sociocultural Perspectives
The Studio Lookout Salon is an interdisciplinary podcast from Switzerland featuring inspiring conversations with leading voices from the fields of architecture, design, art, and social transformation. Each episode explores how creative minds shape and communicate their values, practices, and impact in an ever-evolving world.
The conversations mostly take place at the Studio Lookout House, located in the Baselbieter Tafeljura – a space known for its open atmosphere and far-reaching views that invite meaningful dialogue. Hosted by Maximilian Grieger and Roger Furrer, the podcast brings together thought leaders, artists, architects, and entrepreneurs to explore topics that are shaping society in profound and lasting ways.
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Studio-Lookout-Salon: Der Podcast für Architektur, Design, Kunst und Soziokultur
Identität unter Druck: Der gesellschaftliche Umgang mit trans* Personen – Gespräch mit Prof. Dr. Udo Rauchfleisch
In dieser Folge des Studio Lookout Salon Podcasts spricht Host Roger Furrer mit dem renommierten Psychologen und Autor Prof. Dr. Udo Rauchfleisch über den gesellschaftlichen Umgang mit Transidentität.
Wie hat sich die Wahrnehmung von trans* Personen in den letzten Jahrzehnten verändert? Was bedeutet es heute, non-binär oder trans zu sein – im Spannungsfeld zwischen persönlichem Identitätsgefühl und gesellschaftlichen Normen?
Anhand aktueller politischer Entwicklungen in der Schweiz, Europa und den USA – etwa durch Aussagen von Elon Musk oder Massnahmen unter US-Präsident Donald Trump – diskutieren wir über medizinische Versorgung, gesellschaftliche Akzeptanz, die Rolle von Angehörigen und die Gefahren eines gesellschaftlichen Backlashs.
Weitere Themen:
🌈 Nemo – der non‑binäre ESC‑Gewinner 2024 aus der Schweiz
🎭 Repräsentation in Film & Medien – »Paris is Burning«, »Pose« & Co.
📚 Transitionsprozesse und Detransition – psychologische Perspektiven
💬 Was Eltern, Angehörige und Freund:innen wissen sollten
🏳️⚧️ Warum Solidarität von CIS-Personen heute wichtiger denn je ist
Ein Podcast für alle, die verstehen wollen, warum Identität nie nur privat ist – sondern auch politisch.
Dieser Podcast ist in Kooperation mit queerAltern Region Basel entstanden.
📖 Buchempfehlungen von Udo Rauchfleisch:
- Transidentität. Transgender. Transitionsprozesse begleiten und gestalten (Vandenhoeck & Ruprecht Verlage, 2024, 6. Auflage)
- Transgender verstehen. Ein Ratgeber für Angehörige, Freund:innen und Kolleg:innen (Patmos, 2023)
Aufzeichnung Podiumsdiskussion: Von Abba bis Nemo - queere Generationen im ESC-Spiegel
Schweizweite Organisation von und für trans* Menschen: Transgender Network Switzerland
Grüezi miteinander und herzlich willkommen zum Studio Lookout Salon Podcast für queerAltern Region Basel. Mein Name ist Roger Furrer, und ich freue mich, heute im Studio Lookout Haus bei mir als Gast Professor Doktor Udo Rauchfleisch begrüssen zu dürfen. Salut, Udo,
Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:hallo Roger.
Roger Furrer:Unser heutiges Thema steht unter dem Titel Identität unter Druck der gesellschaftliche Umgang mit Transpersonen. Udo, kannst du uns bitte kurz deinen beruflichen und persönlichen Bezug zu Transidentität und Transgender aufzeigen?
Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:Ja gerne. Das ist eine lange Geschichte, eigentlich also zeitlich lang. Ich bin 1970 nach Basel gekommen. Ich hatte früher im Studium und in der psychotherapeutischen Ausbildung nie ein einziges Wort davon gehört. Ich bin eigentlich auch froh, weil das wären schreckliche Theorien damals gewesen. Als ich nach Basel kam, haben wir in der psychiatrischen Polyklinik, in der ich war, 1970 angefangen, Transidente damals nannten wir sie eben transsexuelle Menschen zu begleiten und Indikationen für hormonelle Behandlung, Operationen zu stellen. Und in diesen jetzt 54 Jahren habe ich kontinuierlich mehr und mehr mit Transpersonen zu tun gehabt, Und da hat sich natürlich wahnsinnig viel geändert. Damals eine hochpathologische Diagnose mit der Transsexualität, heute Gott sei Dank eigentlich einhellige Meinung unter den Fachleuten, das hat nichts mit Krankheit zu tun. Und eben im Verlauf der Zeit war es so, dass ich nicht nur beruflich mit Transpersonen zu tun hatte, sondern mehr und mehr auch im privaten Freund:innenkreis, Und das schärft natürlich den Blick und zeigt auch, dass die Situation vielfältig ist und dass es nicht, wie wir früher angenommen haben, eine Art von Menschen gibt, und die sind Transident, sondern dass Transidente so unterschiedlich sind wie Cis-Personen auch.
Roger Furrer:Während des Eurovision Song Contest in Basel im Frühjahr 2025 veranstalteten wir gemeinsam mit queerAltern Region Basel eine öffentliche Podiumsdiskussion zum Thema von ABBA bis Nemo - queere Generationen im ESC-Spiegel. Dabei bezogen wir uns auf den Schweizer ESC-Gewinner NEMO, der sich als non-binär identifiziert, und warfen zugleich einen Blick zurück auf die Zeit von ABBA. Aus deiner Sicht von ABBA bis heute, wie hat sich der Blick auf Transpersonen und jener ihres Umfelds verändert?
Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:Auf der einen Seite ist Gott sei Dank die Entpathologisierung ziemlich weit gekommen. Also anfangs war es eine Diagnose Transsexualismus, die eine schwere Identitätsstörung beinhaltete. Dann gab es eine Geschlechtsdysphorie-Diagnose. die sagte schon, es geht nicht darum, dass die Identität krankhaft ist, sondern Leiden entsteht durch die Diskrepanz quasi zwischen innen und außen, und in Zukunft wird dann irgendwann einmal die ICD-11 kommen, und da ist dann von der Geschlechtsinkongruenz die Rede. Das heißt, das hat nichts mehr mit psychischer Krankheit zu tun, sondern einfach eine Diskrepanz zwischen dem empfundenen und dem zugewiesenen Geschlecht. Also insofern hat sich sehr viel verändert. Es ist auch in der Öffentlichkeit sind Transmenschen sichtbar geworden.
Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:Das hat viel zur Akzeptanz von Transidenten beigetragen. Man muss sagen, leider geht es nicht immer bergauf, und es wird nicht immer alles besser. Vor allem in letzter Zeit hat sich ja gezeigt, dass es einen Backlash gibt ganz gewaltiger Art, sodass Transpersonen ein ziemlich eisiger Wind entgegenweht. Also es hat sich insgesamt etliches zum Guten verändert. Aber es ist auch so immer, wenn Gruppen nicht sichtbar sind, wenn sie klein sind, wenn man über sie weg sieht, dann werden sie eher auch noch akzeptiert. Aber wenn Gruppen dann irgendwann sichtbar werden und Rechte einfordern das ist eben auch noch die Sache wenn sie Rechte einfordern für sich, die ihnen zustehen, dann kann es sehr leicht sein dass dann plötzlich heftige Aggressionen ihnen entgegenkommt.
Roger Furrer:Du schreibst in deinem Buch Transidentität Transitionsprozesse - Transitionsprozesse begleiten und gestalten, welches letztes Jahr, im Jahr 2024, in der sechsten, vollständig überarbeiteten Auflage erschienen ist. Ich finde es sehr interessant die erste Auflage war, glaube ich, 2006. Da hast du wieder völlig alles überarbeitet, weil du sagst, es ist im Moment so viel Bewegung drin, was mich sehr beeindruckt hat, wenn ich das Buch gelesen habe dass es immer wieder um die Außenwahrnehmung geht, mit der wir natürlich alle umgehen müssen. Nur denke ich, wenn wir in einer Persönlichkeit sind, stellen wir uns gar nie die Frage wie könnte ich denn anders wahrgenommen werden? Und der Prozess, wahrgenommen zu werden, wie man gerne wahrgenommen werden möchte, ist etwas, das du immer wieder beschreibst dass diese Außenwirkung, die auf einen zurückkommt und dann auch in der Identitätsfindung, sich auch nicht immer positiv auswirkt.
Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:Ich denke schon. Es ist ein ganz schwieriger Prozess. Wenn jemand cisident ist, also nicht trans ist, dann ist das empfundene Geschlecht und das zugewiesene stimmen ja überein, und dann taucht für diese Personen gar nicht die Frage auf was bin ich denn, und wie werde ich wahrgenommen und entspricht das meiner Selbstwahrnehmung? Aber für Transpersonen ist das eine ganz zentrale Frage, weil eben das zugewiesene und das empfundene Geschlecht nicht übereinstimmen und sie über lange Zeit, zumindest solange sie nicht ihr Coming-out haben, auch nicht als die wahrgenommen werden, die sie sind. Sie werden auch misgendered, zum Beispiel, man verwendet die falschen Pronomen, die Umwelt weist sie einem Geschlecht zu, das ihnen aber eigentlich gar nicht entspricht, und das ist eine sehr zermürbende und für viele Transpersonen eigentlich sehr belastende Erfahrung, die sie machen, die sie über viele Jahre machen, oftmals lebenslang. Aber für viele dann mit dem Coming-out und mit eventuell einer sozialen Transition dann auch wird es weniger dramatisch, als es vorher war. Ganz stark ist das für nicht-binäre Personen, die noch viel mehr zu kämpfen haben mit den Vorurteilen der Umwelt.
Roger Furrer:Auch interessant, wie du schreibst immer wieder darüber, dass das wahrgenommene Geschlecht manchmal nicht dem entspricht, wie sich eine Person fühlt. Wahrgenommene Geschlecht manchmal nicht dem entspricht, wie sich eine Person fühlt, und genau in diesem Kontext, auch im Wandel, wenn man sich einem anderen Geschlecht zugehörig fühlt und diese Transition durchlebt, dass da manchmal dann ein Außenbild nicht dem entspricht, was man innen fühlt. Das fand ich sehr eindrücklich, wie du immer wieder darauf hingewiesen hast, dass wir eigentlich in diesen Kategorien denken Da gibt es Mann und Frau, wie ja jetzt auch gerade in Großbritannien das festgeschrieben wurde per Gesetz, dass es nur Frau und Mann gibt.
Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:Ja, und ich denke, die Schwierigkeit ist die, dass Transmenschen in dieser Gesellschaft aufwachsen und mit den Fremdbildern konfrontiert sind und die auch dann verinnerlichen, sodass dann bei ihnen innerlich auch noch eine Auseinandersetzung braucht ist nun das Bild, was ich empfinde, von mir, oder ist das Bild, was mir von außen vorgespiegelt wird? ist das jetzt das Relevante, müssen diesen ganzen Prozess der Selbstfindung quasi durchmachen, um zu dem Punkt zu kommen, dass sie sagen ja, von außen werde ich so wahrgenommen, aber meine innere Wahrnehmung, mein empfundenes Geschlecht ist ein anderes. Und dann ist es natürlich ganz schlimm, wenn wir jetzt in der UK, wenn dann plötzlich sogar per Gesetz vorgeschrieben wird, wir akzeptieren nur biologische Frau oder Mann und alle anderen ich weiß nicht ja, gelten dann als pathologisch oder als nicht existent. Und das ist ja eines vom Schlimmsten, was man jemandem antun kann, dass die Person gar nicht mehr als existent wahrgenommen wird.
Roger Furrer:Ich glaube, dazu passt ganz gut, dass Elon Musk öffentlich kommuniziert hat mein Sohn ist tot, getötet vom Woke Mind-Virus, und er bezieht ja diese Formulierung auf seine transidente Tochter, die Vivian Jenna Wilson, welche sich öffentlich von ihrem Vater distanziert und seine Haltung scharf kritisiert. Wie nimmst du das wahr im Umgang jetzt gerade aktuell, mit Transgender-Personen, transidentitären Personen, die vielleicht auch gerade in der Umwandlung sind? Wie geht es ihnen dabei?
Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:Schlimme Meldung, weil erstmal ist Elon Musk ein bekannter Mann, der jetzt zwar auch sehr an Prestige verloren hat in letzter Zeit. ich muss sagen, gott sei Dank, denn diese Äußerung über seine Tochter ist wirklich dermaßen schlimm, dass sie fürradiert wird, die Existenz von jemandem, nur weil diese Person sagt, das mir zugewiesene Geschlecht entspricht mir einfach nicht, die sich dann ja auch fragen müssen ja, was ist denn mit unserem Kind? egal, ob das nur noch ein Kind oder Jugendlicher oder Erwachsener schon ist, die sich dann auch fragen oder auch Vorwürfe bekommen Ja, habt ihr was falsch gemacht in der Erziehung? Wieso ist denn eigentlich das euer Kind jetzt sagt mein empfundenes Geschlecht entspricht nicht dem Zugewiesenen, und so weiter. Das sind schlimme Signale, die von außen kommen, die immer auch eine gewisse Wirkung haben. heißt Verletzung in dem Fall.
Roger Furrer:Du beschreibst auch immer wieder dieses von außen gespiegelt werden und dieses ja im Moment, diese äußeren Einflüsse, auch wenn man mit sich selbst im Reinen ist, wenn man vielleicht auch sich einen soziokulturellen Raum aufgebaut hat, wo diese Thematik offen behandelt wird, mit viel Wohlwollen. Man kann ja nicht einfach nur nennen wir es jetzt mal, wie Musk das nennt in dieser Woke-Wolke unterwegs sein. Man muss ja raus. Man ist mit Ämtern konfrontiert, man ist mit Ärzten konfrontiert, man ist mit Nachbarn, mit Berufskollegen konfrontiert, die vielleicht eine ganz andere, vielleicht auch sehr ablehnende Haltung dagegen einnehmen.
Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:Merkst du, dass im Moment sich Leute es vielleicht doppelt überlegen, diesen Weg zu gehen, diesen Weg anfängt zu beschreiten, dann ist wirklich der Moment gekommen, dass die Person sagt, egal, was jetzt passiert, es gibt nur noch diesen Weg weiter nach vorne. Das nicht. Aber der Weg ist schwieriger dadurch geworden, wie du sagst, weil dann eventuell Menschen im Umfeld negativ reagieren, wobei man muss sagen, einerseits bei Trans weiß man nie, wie das Umfeld reagieren wird, man hat die ganze Palette Bei Menschen, wo dann etwa jemand eine Trans-Person denkt, da werde ich kein Problem haben, die kann plötzlich massive Front machen bei Menschen, die eher ablehnend waren der Person gegenüber, dass die dann ja, ich denke, respekt bekommen und bewundern den Mut, den jemand hat, diesen schwierigen Weg zu gehen. Ich weiß von einigen Beispielen, wo Transpersonen gesagt haben ja, es gab meinetwegen im politischen Bereich Gegner oder Gegnerinnen, die sie mit keinem Wort angesprochen haben früher im Moment ihrer Transition, aber kamen und gesagt haben bei all unseren Divergenzen, die wir haben, aber wir bewundern ihren Mut, den sie haben, diesen Schritt zu machen.
Roger Furrer:Wie siehst du aktuell dieses Wohlwollen? auch von nahestehenden Personen Verändert sich das? weil der Druck von außen größer wird. Werden manchmal auch die Transpersonen dazu gedrängt, sich quasi weniger ins Rampenlicht zu stellen.
Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:Ja, ein Stück weit. Also, auf jeden Fall hat es für Angehörige eine erhebliche Wirkung, dass jetzt so viel Negatives in der Presse steht oder auch solche Gerichtsurteile vorliegen, weil sie Angst haben. Es ist zum Teil auch Sorge um ihre Transangehörigen, dass sie sagen ja, musst du denn wirklich jetzt diesen Schritt gehen? und tatsächlich, ja, willst du das nicht ein bisschen geheim halten? Nur, ich denke, man kann trans nicht geheim halten.
Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:Im Moment, wo jemand die soziale Transition macht, also der als Mann zugewiesene die Person sagt, ich bin Frau und kleide mich weiblich, da ist es auf dem Tisch. Also man kann nicht sagen, ich halte das ein bisschen geheim und lebe das praktisch nur im privaten Bereich. Das möchte jemand, wer trans ist, nicht Die Person möchte anerkannt werden in der Öffentlichkeit und nahen Bezugspersonen als trans und das auch leben können. Also es macht im Moment die Situation eindeutig schwerer, aber es muss nicht heißen, dass die Umwelt, also die nähere Umwelt, besonders ablehnend würde. Aber die bekommen mehr Angst und Sorgen. Und ich kenne auch Transpersonen, die jetzt sagen, ich überlege mir ganz ernsthaft, wenn es mal hier so schlimm wird, nehmen wir an, wie in den USA im Moment, wohin soll ich dann gehen? Ich habe gerade kürzlich mit einer Freundin gesprochen, einer Transfrau. Die sagt, ja, ich überlege mir, wo könnte ich denn hingehen? Neuseeland, hat sie gesagt, wäre vielleicht nur eine Variante, aber Neuseeland möchte keine Menschen aus anderen Ländern aufnehmen.
Roger Furrer:Du hast die USA angesprochen, der Präsident Trump verfolgt, seit er im Amt ist, im Januar 2025. Ja, eine aggressive Politik gegen Transpersonen hat die sofortige Entlassung von bis zu tausend offenen Transzidenzen SoldatInnen angeordnet. Es gibt ein Verbot für geschlechtsangleichende Behandlungen. Das Pentagon hat alle genderangleichenden medizinischen Behandlungen für Militärangehörige gestoppt, und eine Executive Order, die vom Präsident Donald Trump unterzeichnet wurde, verpflichtet aktuell alle Bundesbehörden, das biologische Geschlecht ändern, ohne psychologische Gutachten. Wie siehst du diese Entwicklung jetzt aus den USA? Du hast gerade gesagt, es gibt Leute, die sich dann überlegen wohin kann ich denn noch, damit ich mich sicher fühle, es ist?
Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:Eine fatale Entwicklung. Nur ist also einerseits zu hoffen, dass manche Dekrete ja offenbar auch von Gerichten wieder zurückgefiffen werden können, und insofern hoffe ich, dass manches von dem, was sich gegen Transmenschen oder überhaupt gegen Menschen mit anderen sexuellen Orientierungen und Identitäten usw richtet, dass das nicht auf die Art durchführbar ist. Aber das Schlimme ist, dass sowas überhaupt offiziell vertreten wird, und dann noch von einem Präsident und auch von einer nicht wahrscheinlich so geringen Zahl von Personen in der Öffentlichkeit. Die haben ihn ja auch sehr viele gewählt. Also man kann nicht sagen, es ist nur diese Person, es ist ein Geist, der dort herrscht, der auch in unseren Ländern ja gemäßigter, aber auch hier spürbar ist. Also von daher eine sehr schlimme Zeit und eine Zeit, die gerade Transpersonen oder ihnen nochmal wieder Nichtbinäre unter ganz besonderen Druck bringt.
Roger Furrer:Bei unserer Panel-Diskussion am Finalabend des Eurovision Song Contest mit Queeraltern Region Basel haben wir genau darüber gesprochen über die Brüche, aber auch über die Chancen für mehr gegenseitiges Verständnis. Mit auf dem Podium waren unter anderem Katha Baur, eine non-binäre Person, die queere Rapperin Soukey, eine junge Stimme of Color, und die Genderforscherin Fleur Weibel. Moderiert wurde die Diskussion vom jungen Kulturschuljournalisten Josia Jourdan. Es ging darum, was es heute heisst Community wirklich zu leben, mit Mitgefühl, mit Verantwortung füreinander, mit der Bereitschaft, zuzuhören und voneinander zu lernen. Udo, du bist diesen Weg ja schon länger gegangen als ich, zu Zeiten, in denen nicht nur Transidentitäten gesellschaftlich geächtet waren, sondern auch Homosexualität als krank galt. Wie nimmst du es heute wahr, dass es auch innerhalb einer selbstgewählten Community immer wieder Abgrenzungen, spannungen und Kämpfe gibt? Warum fällt es uns manchmal so schwer, uns gegenseitig Raum zu geben und gemeinsam für Rechte und Anerkennung einzustehen, uns gegenseitig Raum zu geben und gemeinsam für Rechte und Anerkennung einzustehen? Wie siehst du diese Entwicklung, dass man innerhalb einer selbstgewählten Community sich einander das Leben schwer macht oder voneinander abgrenzen will?
Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:Also, ich denke, dass eine der schlimmsten Kränkungen und am schmerzlichsten, wenn man aber jetzt sage ich, der Illusion anhängt, in der Community oder Family, wie das so schön heißt, oft da sei alles ganz anders, einerseits tatsächlich, es verletzt wahnsinnig, weil genau da sollte man eigentlich erwarten, es würde Solidarität herrschen, es würden Synergien genutzt und so weiter, aber andererseits ich denke, darum habe ich gesagt, illusion es ist wahrscheinlich etwas blauäugig anzunehmen, hier in der Community wäre es anders als in anderen Gruppen.
Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:Es gibt überall, in allen Gruppierungen gibt es Gräben, und Menschen wollen als Alphatiere das Sagen haben und so weiter, dass es zwischen den LGBTIQ+-Gruppierungen, dass es da mehr Zusammenarbeit gäbe, mehr Verständnis und Solidarität. Und es ist gerade von der Queer-Theorie ja immer wieder betont worden, und ich unterstreiche das sehr auch dass jede Abgrenzung gleichzeitig auch Ausgrenzung heißen kann. Wenn wir eben davon reden ja, schwule sind so und möchten das, lesben möchten jenes, transpersonen wollen jenes, oder von den Nichtbinären, die wollen noch was anderes, heißt das, einerseits ist es wichtig, dass man sich benennen kann und dass man auch irgendeinen Namen für sich hat und auch von außen so benannt wird, andererseits aber eben alle Abgrenzungen und Kategorisierungen auch gleichzeitig zu Ausgrenzungen führen können. Also insofern sollten wir uns, glaube ich, sehr bemühen, ein Stück weit die Kategorien, wenn die der Identitätsfindung helfen, ja da akzeptieren, aber sonst dann endlich uns mehr auf das Gemeinsame besinnen.
Roger Furrer:Ich finde es spannend, dass lange kaum darüber gesprochen wurde, wer eigentlich an vorderster Front der Stonewall-Bewegung 1969 stand. Die gängige Erzählung lautete es waren schwule Männer, die sich gegen die Polizei gewehrt haben. Erst in den letzten Jahren wurde diese Geschichte kritisch hinterfragt und neu erzählt, denn heute wissen wir, dass es vor allem Transfrauen of Color waren, menschen wie Marsha P Johnson und Silvia Rivera, die damals gesagt haben es reicht. Sie hatten keine Lust mehr, als Menschen zweiter Klasse behandelt zu werden. Sie wollten endlich die Rechte, die ihnen zustehen, weil sie Menschen sind.
Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:Ja, das ist lange Zeit so unter den Tisch gewischt worden. Ich habe auch lange Zeit nicht wahrgenommen, wusste ja, stonewall, ja, und dann Aufbegehren gegen die Razzien der Polizei und alles, aber ich habe nicht gewusst, dass es Transgender waren. Das habe ich auch erst vor zehn Jahren oder so bewusst wahrgenommen, und ich denke, das ist auch etwas, was zeigt, dass auch unsere Reflexionen unserer eigenen Geschichten, gerade der queeren Community, dass die auch gesteuert sind zum Teil vom Zeitgeist, und wenn man Transmenschen nicht so wahrnimmt und nicht so zentral sehen möchte, dann hat man das so weggeschoben Und hat davon geredet. Ja, es waren die schwulen Männer, die da aufgestanden sind. Nein, du hast recht, es sind Transpersonen gewesen in erster Linie, die gesagt haben nein, es reicht jetzt.
Roger Furrer:In diesem Zusammenhang ist auch der Film Paris is Burning aus dem Jahr 1990 interessant, ein Dokumentarfilm, der inzwischen auch kritisch betrachtet wird. Die Regisseurin Jenny Livingston, eine weisse Cis-Frau, wurde später dafür kritisiert, dass sie als Außenstehende die queere Boll-Culture filmisch dokumentierte, ohne selbst Teil dieser Community zu sein. Manche Stimmen warfen ihr vor, marginalisierte Menschen, insbesondere Transfrauen of Color, in einer Weise dargestellt zu haben, die eher zur exotisierenden Beobachtung als zur echten Repräsentation beiträgt. Gleichzeitig gilt Paris is Burning als einer der ersten Filme, der einem breiteren Publikum die queere Ballroom-Szene New Yorks nähergebracht hat, eine Subkultur, in der queere Menschen, oft mehrfach marginalisiert durch Mode, performance und Wettkämpfe in sogenannten Balls, einen eigenen Raum der Sichtbarkeit, zugehörigkeit und Selbstbestimmung geschaffen haben.
Roger Furrer:Spannend ist ja auch, dass vor einigen Jahren Serien wie Pose eine echte Veränderung in der Darstellung gegeben haben. Dort wurden Transrollen von Trans-SchauspielerInnen gespielt und schwule Charaktere von schwulen Schauspielern Ein grosser Schritt in Richtung authentischer Repräsentation. Und auch Orange is the New Black war ein Meilenstein. Dort hat mit Lovern Cox erstmal eine schwarze Transfrau in einer grossen Hollywood-Produktion eine zentrale Rolle übernommen und dabei eine Transfrau gespielt. Das war ein wichtiger Moment für Sichtbarkeit im Mainstream.
Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:Ich denke, es ist schwierig. Ich habe eine sehr gemischte Meinung dazu. Ich denke, man kann es übertreiben, wenn einfach nur noch im Schauspiel, oper und so weiter, da werden immer Personen durch irgendjemand dargestellt, aber es ist ja nicht die Person selber, die sich spielt und ihren eigenen Charakter oder ihre eigenen Gefühle spielt, sondern die Schauspieler spielen eine Person, und die muss ihnen irgendwie affin sein, aber sie können alle möglichen Personen spielen. Also ich finde, man kann es übertreiben. Wenn es heißt, dann, es darf nur noch der meinetwegen der Schwule darf einen Schwulen spielen, die Lesbe, eine Lesbe, eine nicht-binäre Person, eine nicht-binäre Person und so weiter.
Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:Ich verstehe sehr gut, dass es eben in zurückliegender Zeit einfach immer andere waren. Es waren immer Cis-Personen, es waren keine queeren Personen, die queere Charaktere gespielt haben. Also, dass man darauf achtet, dass es mehr authentisch wird, das finde ich sehr gut. Aber wenn man daraus eine Regel macht, es darf nicht mehr dies oder jenes, das geht mir persönlich ein bisschen weit. Und wie ich gesagt habe, es ist so, im Schauspiel spielen verschiedene SchauspielerInnen ganz unterschiedliche Charaktere, und man kann nicht sagen, die spielen nur sich selber.
Roger Furrer:Aktuell gibt es auch diesen wunderbaren Schweizer Dokumentarfilm Queer, der das Leben einer selbstgewählten queeren Community in einem kleinen Lederschneideratelier in Palermo porträtiert. Ich war an der Vorpremiere hier in Basel-Land, und eine der Protagonistinnen, die anwesend war, ist eine junge Transfrau. Sie hat sehr offen über ihre Erfahrungen gesprochen und darüber, wie dankbar sie ist, in Zeiten des gesellschaftlichen Backlashes als Frau gelesen und anerkannt zu werden gesellschaftlichen Backlashes, als Frau gelesen und anerkannt zu werden. Sie sagte, ich passe vom Aussehen, von der Stimme her in das, was viele Menschen unter weiblich verstehen. Gleichzeitig betonte sie, dass das längst nicht allen so geht. Viele ihrer Freundinnen, die nicht in diese binären oder stereotypen Vorstellungen passen, erleben offene Anfeindungen. Sie werden beschimpft, beleidigt, angegriffen. Es geht also nicht nur um Selbstwahrnehmung, sondern auch um den Blick von außen, der oft brutal über Identität urteilt, gerade in Momenten, in denen man ohnehin mit sich selbst ringt.
Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:Also diejenigen tatsächlich, die ein gutes Passing haben, also diejenigen tatsächlich, die ein gutes Passing haben, und das sind oft diejenigen, die einmal vom Körperbau her sehr fraulich schon wirken, und dann vor allem jüngere, also jüngere Transpersonen, gerade Transfrauen, die als Jugendliche, junge Erwachsene Transition machen. Da ist das Passing oft sehr, sehr gut, wie auch offenbar bei der Person. Wie ist die Situation da aus? Wie unterscheidet sie sich von transidentitären Personen? Da gibt es in dieser Hinsicht einen ganz markanten Unterschied. Es hat früher dieses Konzept Nicht-Binarität gar nicht gegeben. Das kam erst in den 2000er Jahren hier in Europa an.
Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:Aber ich habe immer Menschen erlebt, die mir gesagt haben, sie konnten nicht sagen, ich bin nicht binär, sondern sie haben das so umschrieben. Wissen Sie, ich kann mich nicht so zuordnen. Ich bin Mann und Frau. Ich muss zugeben, das haben wir früher total falsch interpretiert. Wir haben das interpretiert. Das ist so eine grandiose Vorstellung. Ich bin alles. Aber ich denke, wenn man das Konzept Nichtbinarität nicht hat, ist das die perfekte Umschreibung. Ich bin Mann und Frau, ich bin weder das noch das, sondern irgendwo dazwischen oder beides.
Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:Und das ist in den letzten Jahren dann auch in der Öffentlichkeit viel bekannter geworden. Aber ich denke, gerade nicht binären Menschen weht ein so eiskalter Wind entgegen. Das verstehe ich ein Stückchen, weil natürlich Binarität in unserer Kultur ist dermaßen dominierend. Unsere Sprache legt fest männlich oder weiblich, wir haben die Pronomen und sind gewöhnt, in einem Satz nicht dreimal den gleichen Namen zu sagen, sondern sagen dann ja, sie meint, er meint und so weiter. Aber ich denke, es ist eine Frage vom Respekt, und es würde auch eine Erweiterung, denke ich, für uns alle sein, wenn wir dieses Binaritätskonzept mal ein Stückchen zurückstellen und sagen die Welt ist viel bunter, und die ist viel weiter und größer, als diese Binarität uns das vorspiegelt. Und es gibt viele Kulturen, es gibt einen Überblick über, ich glaube, über 80 Kulturen in der Welt, die Nichtbinarität als vollkommen selbstverständlich haben.
Roger Furrer:In diesem Kontext finde ich jetzt auch noch interessant die Nadia Brönimann, eine der bekanntesten Transfrauen der Schweiz. Sie hat ja öffentlich ihre Entscheidung zur Geschlechtsangleichung bereut und befindet sich nun in einem Prozess der Detransition. Kannst du uns das erklären, was das heißt?
Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:Ja, wir reden eben nicht mehr von Re-Transition, sondern von De-Transition, weil Re, man kann nie im Leben zurückgehen an einen Punkt, an dem man schon mal war. Das ist wie ein Fluss. Wenn ich hier im Rhein einsteige, dann kann ich nicht sagen, ich bin gleichzeitig oder ich gehe wieder an den Ursprung zurück. Das geht nicht. Es fließt immer. Wie die Griechen schon gesagt haben panta rhei, alles fließt, und wir können nicht zurück an einen Ort, an dem wir mal waren.
Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:Darum De-Transition Bei der Nadja Brönnimann. Die hat ja am Anfang in allen Talkshows schon sehr heftig sich negativ geäußert, vor allem gegen die chirurgischen Maßnahmen, die gemacht worden sind, wegen der chirurgischen Maßnahmen, die gemacht worden sind, die unbefriedigend gewesen seien. Sie hat auch beklagt, sie hätte keine psychologische Begleitung gehabt. Das hätte sie ja haben können. In der Zeit gab es psychologische Begleitung, aber es ist, denke ich, jeder Person frei, dass sie irgendwann vielleicht finden mag nein, das war vielleicht nicht der beste Weg. Ich möchte einen anderen Weg jetzt einschlagen. Was mich sehr stört daran, ist, dass sie das jetzt formuliert als eine Regel, die für alle gelten soll.
Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:Sie ist ja vehement gegen die Transition von transidenten Menschen, und ich denke, das geht sie eigentlich gar nichts an, was andere entscheiden, und ich habe ein Interview mit ihr gelesen, wo ich am Ende habe schmunzeln müssen und dachte ja, was sie da schildert, ist plötzlich so wie Nicht-Binarität. Wenn sie sagt nämlich ja, ich bin keine Frau, nein, ich bin ja auch kein Mann. Sie meint das wahrscheinlich körperlich, aber ich habe gedacht ja, sieh an, dann ist sie vielleicht doch nicht binär. Nur, ich will nochmal zu sagen, was jemand individuell entscheidet, ist wirklich die Sache der Person. Da sind auch unsere Kommentare absolut überflüssig. Nur, was mich stört, ist dann der Moment, wo sie sagt, das gilt allgemein, es sollten keine Transitionen körperlicher Art mehr gemacht werden.
Roger Furrer:Wie beurteilst du aus psychologischer und ethischer Sicht die aktuelle Entwicklung, dass jungen Transmenschen unter dem Deckmantel des Schutzes von Kindern und Jugendlichen zunehmend der Zugang zu Beratung, medizinischer Behandlung oder selbstbestimmten Entscheidungen erschwert oder gar verweigert wird, wie etwa durch politische Vorstöße von Regierungsräten wie Nathalie Reckli in Zürich? Welche Folgen kann diese Haltung für das psychische Wohlbefinden betroffener Jugendlicher haben, und was rätst du Eltern, der minderjähriges Kind transident, trans oder nonbinär empfindet, insbesondere in einer gesellschaftlichen Stimmung, die zunehmend von Unsicherheit, verunsicherung oder gar Ablehnung geprägt ist?
Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:Das ist ein hochproblematischer Entscheid, den die Regierungsrätin Nathalie Rickli da getroffen hat, und zwar ist es extrem verunsichernd für Jugendliche, für ihre Eltern, für das gesamte Umfeld, und ich denke, aus dem spricht eigentlich nur vehemente Ablehnung von Transmenschen. Dass nun gerade die Gruppe von sehr vulnerablen Jugendlichen das Ziel geworden ist, ist doppelt tragisch, weil es einfach verunsichernd ist. Und das, was dort auch in diesem Votum von der Regierungsrätin gesagt wird, da sind ganz viele Halbwahrheiten drin, es ist wenig fundierte Information da, und ich denke, deshalb ist es auch so gefährlich, dass so etwas publiziert wird und dass dann das Ganze geplant war, auf Bundesebene zu heben. Das heißt, dass es dann womöglich gesamthaft für die Schweiz Ablehnung solcher Maßnahmen gibt, und das entspricht auch gar nicht den Erfahrungen die alle Fachleute im In und Ausland mit der Behandlung, Begleitung von Jugendlichen machen.
Roger Furrer:Was rätst du aktuell Eltern, die im Umfeld sind, wo ihre Kinder sich als non-binär, trans oder transident bezeichnen? Wie steht es um diese Pubertätsblocker, die aktuell so in der Kritik stehen?
Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:Ja, das ist eine ganz spezielle Frage. Diese Pubertätsblocker, wie der Name sagt, pubertätsblocker, die sollen die Pubertät nicht total aus der Welt schaffen, sondern die unterbrechen die pubertäre Entwicklung. Das heißt, dass den biologischen Mädchen keine Brüste wachsen, dass nicht die Menarche eintritt, monatliche Blutungen, dass bei den Buben kein Stimmbruch erfolgt, dass der Bartwuchs nicht weiter voranschreitet. Man unterbricht die Pubertät, und wenn man die Mittel wegnimmt, kann die Pubertät vollkommen normal wieder durchlaufen werden.
Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:Das Einzige, was man kritisch sagen könnte, ist, dass die Pubertät nicht in dem Moment durchlaufen wird, wo sie altersmäßig eigentlich dran war. Aber wenn man erwachsene Transpersonen hört es gibt praktisch keine erwachsene Transpersonen hört es gibt praktisch keine erwachsene Transperson, die nicht sagt, dass sie die schlimmste Zeit ihres Lebens erlebt hat, während der Pubertät, wo sie gemerkt hat, wie ihr Körper sich verändert. Und bei Vorträgen sage ich oft, es sollten sich die Cis-Männer mal vorstellen, es würden plötzlich ihre Brüste wachsen und sie würden monatliche Blutungen haben. Und die Cis-Frauen sollten sich vorstellen, sie bekämen Stimmbruch und Bartwuchs, da würden auf die Barrikaden gehen. Und das ist eben auch das Belastende für Transjugendliche. Und ob binär oder nicht binär, ist in dem Fall sogar egal.
Roger Furrer:Was ist dein spezieller Rat an Eltern von Kindern?
Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:Ja, ich meine, wenn Jugendliche an den Mut haben zu sagen, ich konzentriere mich nur auf mein Kind und auf das, was dieses Kind möchte, und folge diesem Kind. Und es gibt auch sehr viele Forschungsbefunde, die sagen, das Wichtigste bei der Transition ist, dass möglichst Eltern dahinterstehen. Und so ist es auch in der Arbeit. Es wird kein seriöse Therapeutin oder Therapeut oder Klinik werden Kinder behandeln gegen die Eltern, sondern man wird die Eltern immer einbeziehen und dann die Eltern hoffentlich zu den Weggefährten machen, die die Kinder unterstützen.
Roger Furrer:Mit deiner Erfahrung aus der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, die sich in dieser Phase befinden. Was kannst du ihnen mit auf den Weg geben im Umgang mit ihrer Umwelt und ihren Eltern?
Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:Einmal denke ich, dass sie ihren Eltern klar machen, was in ihnen abläuft. Das ist ja klar. Ich meine für Eltern, die plötzlich mit dem konfrontiert werden, die vielleicht nie an das gedacht haben, die sind erstmal schockiert oder verunsichert. Also, dass die Kinder und das machen ja auch Jugendliche und Kinder ihren Eltern erklären, so und so fühle ich mich eben, wie ich gesagt habe, mit genauen Abklärungen diesen ganzen Prozess durchlaufen und auch fachlich gut begleitet werden und von daher eigentlich ihren Weg gehen. Und dann ist ja auch durch die Pubertätsblockade ist ja auch Zeit gewonnen, wenn man die etwa zwei Jahre lang gibt. Dann kam die jugendliche Zeit, sich mit sich auseinanderzusetzen. Sie können mit ihren Eltern die ganze Sache klären, die Fachleute können das Ganze begleiten. Das ist eben auch ein Vorteil, dass man Zeit gewinnt.
Roger Furrer:Oder aus beruflicher Sicht. Wo können sich Betroffene und Angehörige wenden, wenn sie Rat brauchen?
Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:Auf der einen Seite ist wichtig, Fachleute aufzusuchen, die sich in der Begleitung, Behandlung von Transidenten auskennen. Das sind eigentlich die großen Kliniken, die Universitätskliniken in den großen Städten Und zum anderen denke ich, ein ganz wichtiger Ansprechpartner wäre Transgender Network Switzerland, TGNS, weil dort ganz viel profundes Wissen besteht, auch über rechtliche Situationen. Es gibt Angebote von Selbsthilfegruppen, auch für Kinder und für Jugendliche und Eltern und so weiter. Also Transgender Network Switzerland ist ein sehr wichtiger Ansprechpartner.
Roger Furrer:Aus deiner langen Karriere und deiner langen, langen Erfahrung mit transidenten Menschen. Was sind für dich so die wichtigsten Sachen, die du uns auf den Weg geben kannst, gerade in der aktuellen Situation?
Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:Es sind verschiedene Sachen. Ich denke, das eine ist mal, dass wir uns immer wieder Rechenschaft darüber ablegen, es wird nicht alles immer besser, und das betrifft die verschiedensten Bereiche im Leben, aber gerade auch diese Bereiche. Es wird nicht immer alles besser, sondern es nicht sagen. Sexualität, identität, das ist eine Privatsache, das wird zur öffentlichen Sache im Moment, wo dann zum Beispiel solche Gesetze wie in den USA über den Haufen geworfen werden oder wo plötzlich diskriminierende Gesetze erlassen werden. Also dass wir hellhörig bleiben, dass wir uns politisch engagieren und ich denke, dass wir uns eine gewisse Offenheit bewahren oder die entwickeln mit der Zeit und dass Menschen, die anders sind, egal in welcher Hinsicht, für uns nicht etwas Lästiges nur sind, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen, sondern dass die bereichernd sein können, und dass die Vielfalt, die Buntheit des Lebens und das betrifft auch die Sexualität und die Identitäten dass es etwas Bereicherndes ist. Wenn wir das beherzigen, dann haben wir, glaube ich, viel erreicht.
Roger Furrer:Aus deiner Sicht? was sollen aktuell Transpersonen tun, wenn sie mit diesem Backlash konfrontiert werden?
Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:Oder was sollen sie überhaupt tun, um nicht ins Kreuzfeuer zu geraten und dabei dann auch Schaden zu nehmen? was sie können und tun ja auch, dass sie Unterstützung in der Gesamtbevölkerung suchen und finden. Und da sind wir vor allem als CIS-Personen gefragt. Also, ich denke, wir sind gefragt, uns zu solidarisieren und mit denen gemeinsame Sachen zu machen, von denen wir wissen, dass es nichts mit Krankheit zu tun hat, dass es auch eine Bereicherung für uns alle ist, krankheit zu tun. das ist auch eine Bereicherung für uns alle.
Roger Furrer:Professor Dr Udo Rauchfleisch hat zwei Bücher geschrieben zum Thema. Das eine ist ein Fachbuch für Fachpersonen, das nennt sich Transidentität Transgender Transitionsprozesse begleiten und gestalten, ist erschienen 2024 in der sechsten vollständig überarbeiteten Auflage bei Vandenhöck und Rupprechte Verlage. Es gibt auch ein Buch von Udo für Angehörige. Das Buch nennt sich Transgender Verstehen ein Ratgeber für Angehörige, freundinnen und Kolleginnen und ist 2023 erschienen im Patmos Verlag. Gibt es noch etwas Spezielles, auf das du hinweisen möchtest?
Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:Nein, ich habe noch ein paar andere Sachen geschrieben, auch über Trans, aber ich denke, das sind die wichtigen, wobei ich gemerkt habe, dass dieser Ratgeber für Angehörige wirklich gut ankommt, bei Angehörigen, die sich zum Teil entlastet fühlen, weil sie sagen, aha, jetzt erfahre ich mal, was ist das, und auch ihre Sorgen ernst genommen werden. denn viel Ablehnung oder oftmals Ablehnung von Transpersonen aus familiären Kreisen kommt von der Sorge her, die Eltern haben, die Angehörige haben. ja, hoffentlich wird das Leben nicht zu schwierig für die Transpersonen und so weiter. Also darum habe ich den auch geschrieben, weil ich denke, es ist wichtig, dass Angehörige mitziehen, denn das ist eine von den wichtigen Erfahrungen, die wir auch wissenschaftlich haben Die Transition gelingt umso besser, je solidarischer Angehöriger und ein Freund in den Kreis ist.
Roger Furrer:Vielen Dank, Udo, für das aufschlussreiche Gespräch.
Prof. Dr. Udo Rauchfleisch:Ja, schönen Dank dir.
Roger Furrer:Vielen Dank.