
Dienstags im Koi - der Podcast von kulturmanagement.net
Im Podcast "Dienstags im Koi" bespricht die Redaktion von Kultur Management Network einmal im Monat aktuelle Kulturmanagement-Themen. Julia Jakob, die Chefredakteurin des Magazins, und Kristin Oswald, die Leiterin der Online-Redaktion, teilen darin ihre Gedanken zu Entwicklungen im Kulturbetrieb.
Seit der Pandemie arbeitet das Team von Kultur Management Network vor allem im Homeoffice. Nur der Dienstag ist der feste Bürotag und das bedeutet auch: Wir gehen zum Mittagessen ins Koi7, unser Weimarer Lieblingsrestaurant. Der Name Koi7 geht auf das altgriechische Wort Koine zurück, das gemeinsame Sprache bedeutet. Dazu passend besprechen wir im Koi7, was gerade in der Welt und im Kulturbetrieb passiert. Was läge also näher, als einen Podcast danach zu benennen?
Wie unsere Mittagspausen im Koi7 ist auch der Podcast ein Plausch, hier zwischen Jule und Kristin, hin und wieder begleitet von unserem Chef Dirk Schütz oder anderen Teammitgliedern. In den bisherigen, vor allem textgebundenen Formaten der Redaktion gab es keinen Platz für diese Gespräche. In "Dienstags in Koi" teilen Jule und Kristin ihre jahrelangen Erfahrungen und ihr Wissen über den Kulturbereich, ordnen aktuelle Themen ein und geben Einblicke in ihren Redaktionsalltag. Zudem veröffentlichen wir im Podcast Interviews, die die Redaktionsdamen mit Kulturschaffenden führen. Damit ist "Dienstags im Koi" einer der wenigen redaktionellen, spartenübergreifenden Kulturmanagement-Podcasts.
Unser Podcast “Dienstags im Koi” und die redaktionellen Inhalte auf unserer Website sind für unsere Hörer*innen und User*innen kostenlos. Dennoch braucht all das viel Liebe und Zeit. Deshalb freuen wir uns über jede finanzielle Unterstützung. Dafür habt ihr zwei Möglichkeiten:
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Ein Podcast der KM Kulturmanagement Network GmbH.
Dienstags im Koi - der Podcast von kulturmanagement.net
Folge 12: Nestbeschmutzung mit Fabian Burstein
In dieser Folge "Dienstags im Koi. Ein Podcast von kulturmanagement.net" ist Fabian Burstein zu Gast bei Kristin Oswald und Julia Jakob. Als erfahrener Kulturmanager teilt er neben Einblicken in seine neue Publikation auch Erkenntnisse aus vergangenen Projekten und prägende Erfahrungen. Zusätzliche werden Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Kulturwelt in Österreich und Deutschland unter die Lupe genommen.
Danke an die Kulturdirektion Erfurt, die uns den Raum für die Aufnahme zur Verfügung gestellt hat!
Fabian Burstein, Die Eroberung des Elfenbeinturms: https://www.kulturmanagement.net/Buecher/Eroberung-des-Elfenbeinturms-Streitschrift-fuer-eine-bessere-Kultur,2177
Fabian Burstein, Empowerment Kultur: https://www.kulturmanagement.net/Buecher/Empowerment-Kultur-Was-Kultur-braucht-um-in-Zeiten-von-Shitstorms-Krisen-und-Skandalen-zu-bestehen-Was-Kultur-braucht-um-inmitten-von-Shitstorms-Krisen-und-Skandalen-zu-bestehen,2282
Robert Menasse, Die Hauptstadt: https://www.suhrkamp.de/buch/robert-menasse-die-hauptstadt-t-9783518427583
Podcast Bühneneingang: https://open.spotify.com/show/2NBL4EmSnMtamK6tLB1mjh?si=c58077668f4b4d24
Spinelli Barracks Mannheim: https://www.buga23.de/die-parks/spinellipark/
Signa: https://signa.dk/about.html
Der Kulturinfarkt: https://www.kulturmanagement.net/Buecher/Der-Kulturinfarkt,886
Schnellkritik: https://www.instagram.com/schnellkritik/
Brucknerhaus-Affäre: https://www.derstandard.at/story/3000000233667/wie-sein-riesiges-luegenkonstrukt-klaus-luger-den-buergermeister-job-kostete
Magazin Ausgabe 180: Kulturstatistik: https://www.kulturmanagement.net/dlf/f23dc377c09c6374286d2598fd1eefb0,3.pdf
Transkription der Folge: https://www.buzzsprout.com/2204591/episodes/15969704
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Julia Jakob
Hallo, liebe Hörende und herzlich willkommen zu dieser zwölften Plauschfolge von Dienstags im Koi, einem Podcast von kulturmanagement.net. Wir nehmen heute am 8. Oktober auf und der Oktober ist für uns immer die zweite Reisesaison, weil wir da normalerweise immer in die letzte Tagungswelle des Jahres starten.
Heute ist unser Reiseanlass aber ein anderer. Wir sind nämlich wieder in Erfurt und nehmen den Podcast heute mit Fabian Burstein auf. Hallo Fabian, schön, dass du da bist.
Fabian Burstein
Hallo, freut mich sehr, dass ich dabei sein darf.
Julia Jakob
Ja, also schön wäre natürlich auch gewesen, nach Wien zu kommen, aber es hat sich sehr angeboten, dass du...
Fabian Burstein
Das nächste Mal.
Julia Jakob
Genau, das nächste Mal kommen wir dann nach Wien, dass du aus privaten beruflichen Gründen in Erfurt bist. Für alle, die dich nicht kennen, magst du kurz was zu dir und deiner Person sagen und was dich im Kulturbetrieb so bewegt?
Fabian Burstein
Gerne. Also mein Name ist Fabian Burstein, wie du so nett schon subsummiert hast bei deiner Einleitung. Ich bin Kulturmanager und Autor.
Auf der Kulturmanagement-Seite habe ich die letzten 10 bis 12 Jahre eigentlich in erster Linie in Deutschland verbracht. Bis Ende letzten Jahres war ich künstlerischer Leiter oder Leiter des Kultur- und Veranstaltungsprogramms der Bundesgartenschow 23 in Mannheim, den sehr starken Kulturschwerpunkt hatte. Davor war ich Kulturbüroleiter in Ludwigshafen, wiederum der Vorleiter des Forums in Mannheim.
Und auf Autorenebene habe ich in jüngerer Vergangenheit zwei Bücher geschrieben, also ich habe mehr Bücher geschrieben, aber die für das, was wir heute, glaube ich, besprechen relevant sind, nämlich Die Eroberung des Elfenbeinturms 2022 und Jüngst Empowerment Kultur.
Kristin Oswald
Die Titel versprechen ja schon sehr viel und die Schnittstelle zu dem, worüber Jule und ich normalerweise im Podcast sprechen, ist natürlich sehr groß. Nun würde es uns auch freuen, wenn du heute extra für uns nach Erfurt gekommen wärst, aber auch das ist nicht der Fall, sondern du hast morgen eine Buchpräsentation zu Empowerment Kultur hier in Erfurt. Worum geht es denn in dem Buch?
Fabian Burstein
In dem Buch geht es im Wesentlichen um die Ermächtigung des Kunst- und Kulturbetriebs. Und das kam so, dass ich im Rahmen einer Tagung, weil ihr gerade über die Tagungssaison gesprochen habt, ich bin immer wieder auf Tagungen und da habe ich einen Vortrag gehalten über das Thema „Welches Personal braucht Kulturpolitik“, glaube ich, war der Titel und ich habe einen flammenden Appell, so habe ich es sich zumindest empfunden, einen Appell für qualifiziertes fachpolitisches Personal gehalten, weil in Deutschland ist das ein bisschen anders, aber gerade in Österreich ist es so, dass in die Kulturpolitik so ein bisschen die Leute verräumt werden, die ansonsten keine Aufgabe mehr bekommen. Ich habe dir nicht umsonst gesagt, dass das eine Strafversetzung in die Kultur muss.
Und vor dem Hintergrund habe ich das halt so formuliert und nach mir war ein Politikberater, der auch einen Vortrag gehalten hat, der sehr freundlich war und der gesagt hat, das war alles interessant und er stimmt in allem zu, aber es ist ein kleiner Denkfehler in der ganzen Nummer drinnen. Kultur und das Phänomen ist ihm schon insgesamt aufgefallen, denkt immer nur fachpolitisch und nicht steuerungspolitisch. Das heißt, die Kulturleute wollen immer gute Kulturpolitiker, anstatt dass sie sagen, wir wollen gute Politiker, die von der Kultur aus die Gesamtgesellschaft gestalten und das war für mich ein totaler Erweckungsmoment und wenn man so will, in diesem letzten Buch geht es ein bisschen darum, wie wir das Selbstbewusstsein und die Mechanismen hinbekommen, dass uns das genauso gelingt.
Kristin Oswald
Und hast du von deinen bisherigen Erfahrungen aber tatsächlich den Eindruck, dass es in Deutschland anders ist? Weil mein Eindruck ist, dass man es einerseits ein bisschen differenzieren muss zwischen Kulturverwaltung und Kulturpolitik und in den Kulturverwaltungen sitzen glaube ich schon sehr oft Menschen, die einen entsprechenden Background mitbringen, aber in der Kulturpolitik glaube ich, würde ich dir sehr stark zustimmen, weil es, wenn ich an Stadträte zum Beispiel denke, ja ganz oder in den allermeisten Fällen so ist, dass dort in den Fachausschüssen ja Menschen sitzen, die eigentlich beruflich was ganz anderes machen und sich dann irgendwie auf diese Ausschüsse aufteilen. Von daher glaube ich, habe ich schon den Eindruck, dass es da auch ein bisschen so ist und das wird auch gerne, glaube ich, so referenziert, Kultur nicht unbedingt das ist, womit man sich Prestige verschafft, wenn man in der Politik tätig werden möchte.
Fabian Burstein
Ja, da gibt es übrigens ein lustiges Buch, also es gibt von Robert Menasse ein Buch über die Hauptstadt, über das Treiben in Brüssel und da erzählt er die Geschichte über einen EU-Beamten, der gedemütigt wird, weil er in die Kultur muss. Also der erzählt das so wahnsinnig schön einfach, wie so in diesen ganzen Portfolios, wenn du in die Kultur, in die europäische Kulturverwaltung musst, dann bist du am Ende. Also ich würde das differenziert betrachten wollen.
Ich gehe jetzt mal so ein bisschen auf die Regierungsebene, also dort, wo die Spitzen der Kulturressorts sind. Dort ist es in Deutschland explizit wesentlich, geht es wesentlich kompetenter zu. Das hat mit einem, meiner Meinung nach auch mit dem Mechanismus zu tun, dass ja so Dezernentenstellen oder so beigeordneten Stellen tatsächlich ausgeschrieben werden.
Für österreichische Verhältnisse etwas völlig bizarres, eine ausgeschriebene Stadtregierungsstelle, so dass es gar nicht so selten vorkommt, wir reden ja hier von 80 Großstädten in Deutschland, dass wirklich Expertinnen und Experten von Städten, beispielsweise von den Spitzen der Kulturverwaltungen, in Dezernentenstellen wechseln, weil sie dafür schlicht und ergreifend die Bestqualifizierten sind, natürlich spielt der Parteizugehörigkeit immer wieder eine Rolle.
Also das brauchen wir nicht schönreden, müssen wir auch nicht schönreden, weil wir sind ja auch in gewisser Weise in einer repräsentativen Demokratie und da hat es schon so eine Berechtigung, dass die gewählten Fraktionen auch maßgebliche Ämter in den Regierungen besetzen. Aber das Zustandekommen dieser Besetzung erfolgt wesentlich kompetenter. Wir sehen das ja an den Bundesregierungen in Österreich, wo sich der noch amtierende Bundesminister für Kunst und Kultur eigentlich relativ unverhohlen äußert, fast augenzwinkernd, dass er überhaupt keine Ahnung von dem Thema hat, weil dafür hat er schließlich eine Staatssekretärin, so nach dem Motto.
Das ist die Regierungsebene. Dann auf der Abgeordnetenebene ist es gleich schlimm, aber da muss man schon auch ein bisschen sowas zur Verteidigung der Abgeordneten in deutschen Großstädten sagen, die sind meiner Meinung nach leider und völlig zu Unrecht oft eher ehrenamtlicher. Also das muss man sich einmal zu Gemüte führen.
Also die Geschicke von großen Städten werden von Menschen gelenkt, die sich da wirklich gegen eine relativ geringe Aufwandsentschädigung in das politische Metier reinwerfen. Und da, finde ich, wäre der Ansatz der, dass man denen helfen muss, sich politisch zu bilden. Während bei Hauptamtlichen habe ich weniger Verständnis.
Ja, weil wenn ich ein hauptamtlicher Abgeordneter bin, dann erwarte ich mir, dass ich das Portfolio, das ich da repräsentiere, von der Picke auf beherrsche und da von Tag eins an Gas geben kann. Da ist das Szenario, das du beschrieben hast, also bei den Ehrenamtlichen natürlich ist das so. Da warne ich nicht mehr davor, das zu zynisch zu sehen, weil das sind Leute aus der Zivilgesellschaft, die sich politisch engagieren.
Kristin Oswald
Ich wollte das auch gar nicht zynisch sehen, aber ich sehe ein gewisses Problem darin, wenn es um Kultur geht, einschätzen zu können, welche Themen, Bedarfe, Notwendigkeiten vielleicht, sagen wir, ein kommunaler oder auch ein Land in einem Kulturbereich auf Landesebene tatsächlich braucht und etwas, das wir in Deutschland eigentlich ziemlich häufig sehen ist, weil du steuerungspolitische Maßnahmen erwähnt hast und ich finde das total wichtig, dass es daran aber oft fehlt, weil quasi mit der Kunstfreiheit argumentiert wird, heißt, die Häuser können machen, was sie wollen, während steuerungspolitische Maßnahmen ja nicht bedeuten, dass man in das Programm zwingend Einfluss nimmt, sondern dass man eben die Steuerung, Organisation, Administration der Häuser auch steuert und nicht nur überwacht.
Und wenn ich da aber beispielsweise in einem Kulturausschuss in einer Kommune nur Menschen habe, die das nicht wissen und die auch nicht wissen, was bedeutet denn beispielsweise Publikumsdiversifizierung, was bedeutet denn, wir brauchen Fachkräfte mit neuen Kompetenzen, was bedeutet denn, wir müssen das Marketing anders aufstellen, wie sind überhaupt die Produktionsprozesse in den Häusern, dann kann ich auf die natürlich nicht steuernd Einfluss nehmen, sondern ich kann quasi nur schauen, was die mir erzählen und dem entweder zustimmen oder nicht. Und das sehe ich nicht zynisch, aber ich glaube, dass es ein Problem ist, weil es diese Zurückhaltung, den Kulturbereich auf einer administrativen Ebene zu steuern, sehr stark verringert, sondern eher dazu führt, dass man die so ein bisschen, was ja auch okay ist, in gewisser Weise frei laufen lässt, aber andererseits hört man ganz oft aus den Häusern, wir würden uns mehr Verständnis wünschen für das, was wir tun, wir würden uns mehr Unterstützung wünschen oder andererseits beispielsweise aus der Personalebene, wir würden uns wünschen, dass die Kulturpolitik der Führungsebene auch mehr vorgibt, in welche Richtung ein Haus entwickelt werden soll oder dass überhaupt ein Haus entwickelt werden soll oder dass Führungskompetenz entwickelt werden soll. Was glaube ich, daran scheitert zumindest manchmal, wenn von oben quasi niemand da ist, der da so ein bisschen eine Richtung vorgibt oder zumindest sagt, wir erwarten von euch, dass ihr in die Richtung arbeitet, dass ihr da was tut.
Julia Jakob
Hängt das vielleicht auch mit der von dir beschriebenen Diskrepanz zusammen, dass man Hauptamtliche und aber sehr viele Ehrenamtliche dann eben auch in der Kommunalpolitik hat, die entsprechende Dinge entscheiden müssen während ihrer hauptberuflichen Tätigkeit vielleicht außerhalb des Kulturbetriebs oder innerhalb, aber dass man da einfach so einen gewissen Wissensverlust hat oder dass dann mit der politischen Bildung, die du meintest, die man sich aneignen müsste, einhergeht?
Fabian Burstein
Ich glaube, die beiden Statements, die ihr jetzt da in die Diskussion eingebracht habt, die sind ganz eng miteinander verzahnt, weil das Phänomen, was du jetzt ausgeführt hast, zum Beispiel anhand des Themas der Freiheit der Kunst, das hat jetzt in mir ein sanftes, wohlwollendes oder wohliges Gefühl ausgelöst, weil ich tatsächlich, jetzt mache ich ein bisschen Cross-Promotion, in meinem Podcast Bühneneingang ein Gespräch geführt habe, das demnächst erscheint mit einem Verfassungsjuristen.
Warum habe ich das geführt? Weil mich dieses Argument der Freiheit der Kunst umtreibt, weil es mittlerweile an vielen Stellen missbräuchlich eingesetzt wird. Und um nachzuweisen, ob das eine Hypothese von mir ist oder von uns jetzt in dem Fall, dass das missbräuchlich eingesetzt wird, habe ich mir gedacht, naja, dann bespreche ich es mal mit einem bekannten Verfassungsjuristen und tue das mal sezieren.
Und da kommt sehr, sehr schön raus und das sind die Verfassungen von Österreich und Deutschland, was die Kunstfreiheit betrifft, haben da keine großen Differenzen. Was da ganz klar rauskommt, ist eben, dass das ein Missverständnis ist. Also, dass es nicht darum geht oder dass die Freiheit der Kunst nicht meint, dass man ein Haus nicht positionieren darf.
Mit positionieren heißt, man gibt ihm Aufgaben innerhalb einer zum Beispiel Stadtgesellschaft. Also man sagt, um das plakativste Beispiel zu nehmen, deine Aufgabe ist es, Kinder und Jugendliche an gesellschaftsrelevante Themen heranzuführen über die Instrumente des Theaters. Mit der Argumentation könntest du dann sagen, da wird dann bestellt ein Internat.
Er sagt, nein, hier herrscht die Freiheit der Kunst, hier wird nicht mehr für Kinder gespielt, hier wird für sich was gespielt. Das ist natürlich nicht der Fall. Ich darf natürlich politisch, sonst würde sich ja unsere repräsentative Demokratie-Art absurd umführen, natürlich darf ich sagen, wofür ist ein Haus da, in welchem Rahmen agiert es und so weiter und so fort.
Die Freiheit der Kunst beginnt mit der Entscheidung, das und das wird jetzt produziert, jetzt sind die Künstler am Werk und jetzt in dieser Erarbeitung darf ich, wenn nicht irgendwas ganz Drastisches passiert, das gegen ihn ein Gesetz verstößt, nicht eingreifen. Oder nur sehr elaboriert, mit sehr elaborierten Argumenten. Zum Beispiel, dass auch die kuratorische Verantwortung von der Freiheit der Kunst erfasst ist.
Das muss man auch dazu sagen. Und dann trifft das auf das, was du im zweiten Nachgang gesagt hast, auf einen Geniekult, der natürlich bewusst kultiviert wurde, damit die Leute den Mund halten und ergriffen schweigen. Und dann treffen halt selbstbewusste Institutionsleitungen, die genau das vor sich hertragen, ich bin die Freiheit der Kunst, auf Bürgerinnen und Bürger in demokratischer Verantwortung, vielleicht gerade frisch gewählt.
In der Fraktion gab es niemanden, der die Kultur machen kann, deshalb werden die in den Kulturausschuss geschickt. So, und die staunen mal. Und mit diesem Staunen wird Zeit geschoben.
Und das ist einfach insgesamt ein, wie man sagen würde, systemischer Prozess, wo man vielen Ecken anpacken muss, aber insbesondere an der politischen Ebene, weil wenn ein Kulturpolitiker mit Verantwortung, also Brichen, Dezernatsleiter, ein Minister, eine Ministerin etc. sagt, pass auf Freunde, so ist das nicht. Das sind die Rahmendingen, das sind die Regeln, das ist der Umgang.
Wenn nicht einer mal beginnt, diese Verantwortung wahrzunehmen und das auszusprechen, werden wir ewig rund um Compliance und Publikums, werden wir ewig rumlabern zu dem Thema, wenn sich nicht jemand, wenn sich nicht einige ein Herz fassen und da Pflöcke einschlagen.
Kristin Oswald
Wenn das aber auch so ein bisschen systemisch eingebaut ist, wie ändern wir das dann? Also das ist, naja, das ist ja die große Frage. Also man ändert ja erst mal nichts an der ehrenamtlichen Ausschusstätigkeit beispielsweise.
Man ändert auch nichts, indem man sagt, in die Ausschüsse dürfen nur Menschen mit einem entsprechenden Background. Und ganz oft würde ich sagen, ändert sich auch an den Strukturen in den Häusern nichts. Also zumindest meiner Auffassung nach, meiner Beobachtung nach in den letzten zehn Jahren ist da an einzelnen Häusern was passiert, sicherlich.
Hängt aber immer von der Führungsperson ab, dass sich etwas ändert. Aber auf der kulturpolitischen Ebene, auf der Kulturverwaltungsebene sehe ich das eigentlich nur bedingt. Und ich glaube, dass das ein großes Problem ist, wenn quasi die Steuerung von keiner Ebene aus passiert.
Fabian Burstein
Also ich habe da ja ein bisschen ein Schweigen gehabt in jüngerer Vergangenheit. Also machen wir es mal an positiven Beispielen fest. Ich habe in Mannheim unter einem quasi Aufsichtsratsvorsitzenden der Buga-Gesellschaft, nämlich namentlich dem Peter Kurz, dem damaligen Oberbürgermeister der Stadt Mannheim, dieses Kulturprogramm geleitet.
Also wie man das auch nennen will, Leiter, Kurator, Intendant, was auch immer. Der Peter Kurz ist ein expliziter Kulturpolitiker, der auch aus dem Kulturdezernat kommt. Und einer der wenigen ist, wirklich einer der ganz wenigen, die aus dem Kulturdezernat den Sprung an die zentrale steuerpolitische Funktion des Oberbürgermeisters geschafft hat.
Und das natürlich dann auch gelebt hat. Und da kann man wunderbar durchdeklinieren, was das bedeutet. Nämlich anhand des Anwendungsfalles Bundesgartenschau.
Für mich jetzt in der Außenwahrnehmung war das kein Karrieresprung, weil die Leute haben gesagt, was, du übernimmst keine Institution von einer Art und Schau das Kunst- und Kulturprogramm. Dann hat man natürlich erklärt, das ist das unmittelbare Resultat einer nicht durchgeführten Kulturhauptstadtbewerbung, wo man sich entschieden hat, Kulturhauptstadtbewerbung oder Bundesgartenschau. Gesagt hat, wichtiger für die Stadtentwicklung ist die Bundesgartenschau, aber wir machen es wie Kassel. Wir schreiben aus einer Buga, die Dokumenta vorgegangen ist. Wir schreiben der Mannheimer Buga ein großes Kunst- und Kulturprogramm ein. Das war der Grund, warum ich es gemacht habe, aber es war schwer kommunizierbar, warum ich es gemacht habe.
Was mich getriggert hat, und das ist jetzt weiter durchdekliniert, ist, dass ich ein trojanisches Pferd bekommen habe. Das heißt, ich bin mit meinem Kunst- und Kulturthema in dem Format reingegangen, wo ich gewusst habe, es werden round about zwei Millionen Menschen kommen. Am Ende waren es 2,2 Millionen Menschen.
Und wenn ich es geschickt anlege, mit einer hohen Frequenz, einer hohen Breite, mit einer guten Zugänglichkeit, mit einer geschickten Mischung, werde ich wahrscheinlich jeden von diesen 2,2 Millionen Menschen irgendwie erwischen, auf irgendeine Art und Weise. Ohne, dass sie sich es aussuchen können. Gott sei Dank, haben sich das dann viel auch ausgesucht.
Aber das war mein Reiz und das ist für mich ein Paradigmenwechsel, wie ich mich diesem Kunst- und Kulturthema nämlich viel weniger als etwas, das ich den Leuten beibringen will, sondern wo ich mich reinschleiche und selbstverständlich, das ist auch Steuerungspolitik, da sagt man nicht, ich mache explizit das und das und das, sondern ich sage, in der Gesamtheit müssen die Menschen glücklich und zufrieden sein und friedlich miteinander leben.
Klingt jetzt romantisch, aber das ist es. Das ist das Wesen eines Steuerungspolitikers und das habe ich mir da angeeignet. Ja und die Effekte sind gleichzeitig auch faszinierend.
Was macht das mit einer Stadt? Wie verändert sich die sozio-demografische Struktur einer Bundesgartenschau? Ich kann sagen, es war eine Disruption, also wirklich eine völlig andere Publikumsstruktur, nämlich massiv verjüngt.
Was wird das machen mit so einer Gigabienale wie den BuGas? Also was werden die aus Mannheim mitnehmen? Man weiß es nicht.
Wahrscheinlich haben sie eher bestellt und gesagt, ach, endlich weg aus dem Mannnheim mit diesem ganzen Kulturwahnsinn, weil das ist natürlich schon extrem anstrengend für ein System, das nicht darauf gepolt ist, jetzt Kunst- und Kulturfestival in der Skalierung zu machen, sich ständig mit Leuten wie uns auseinanderzusetzen, um das abzuschließen. Ich glaube, das ist der Schlüssel. Also, dass man sich wegbewegt von einer reinen Institutionslogik und einer belehrenden Institutionenlogik hin zu einem selbstverständlichen Zugang in einem Lebensraum, in einer Lebensrealität.
Und das können aber im Übrigen auch Institutionen machen. Also, da geht es jetzt nicht darum, dass man die Institutionen sprengt, sondern sie müssen halt sich nur von der Vorstellung lösen, dass sie ultimativ etwas beizubringen haben, dem Idioten zu erklären, wie er die Kultur zu rezipieren hat. Lieber zu lernen, was treibt ihn um und wie kann ich ihm entsprechen und was funktioniert bei dem eigentlich eh schon?
Warum mache ich es dann nicht?
Kristin Oswald
Ich finde das ganz erstaunlich, wie du das erzählst, weil ja im Jahr vor Mannheim war ja Erfurt die Stadt der Bundesgartenschau. Das war natürlich pandemiebedingt nicht so einfach. Es gab große Einschränkungen, aber in dem Umfang, wie du das beschreibst, ist es hier tatsächlich nicht passiert.
Also, das muss ich sagen. Die Stadt hat sehr davon profitiert, weil es sehr viel Baumaßnahmen gab, weil sehr viel begrünt wurde, sehr viel Parkflächen ausgebaut wurden und solche Dinge. Aber ich sage mal, der Klassiker »Wir schauen uns Blumen an« war im Prinzip der Mittelpunkt dieses Jahres, wenn man so möchte.
Auch für durchaus teuer Geld, was ja auch ein wichtiger Aspekt ist. Aber im Prinzip stand das schon im Mittelpunkt und von daher finde ich ganz spannend, dass du sagst, dass ihr das so stark miteinander verknüpft habt. Zumal ja in Mannheim, wenn ich mich recht erinnere, aber ich bin mir nicht sicher, die Kulturpolitik, also steuerungspolitisch eh sehr stark ist.
Ich glaube, die haben schon vor zehn Jahren dieses Qualitätsmanagement-Du-nix-Modell eingeführt, das auch für die Kulturinstitutionen der Stadt gilt und die quasi dort mitgearbeitet haben, um die Kriterien zu entwickeln und zu schauen, das aber sowohl für die Arbeitsprozesse als auch für das Publikum und so weiter gilt. Das heißt, das ist ja tatsächlich ein Beispiel einer Stadt, in der die Kulturpolitik deutlich stärker auf der Arbeitsebene vorgibt, wie eigentlich die Kultureinrichtungen zu arbeiten haben. In einer Symbiose miteinander, wenn ich als Stadt sage, wir wollen Qualitätsmanagement einführen und zwar in einer Form, in der ihr es auch messen und evaluieren und schauen müsst.
Aber wir sprechen gemeinsam zum Beispiel über Indikatoren, über die Frage, wie können wir das denn? Wie können wir überhaupt die Qualität von Kultur messen? Das ist ja immer ein Riesenproblem, zu sagen, ist es jetzt gute Kultur, ist es jetzt schlechte Kultur?
Was zeichnet das aus? Aber dann hast du ja in Mannheim quasi einfach wunderbare Voraussetzungen gehabt.
Fabian Burstein
Also das würde ich auch wirklich so sagen. Und ich müsste es nicht sagen, weil ich bin ja jetzt nicht mehr dort im Soll. Und dass ich auch grundsätzlich kritische Worte zu gewissen Dingen finden kann, weiß man ja, wenn man meine Bücher liest.
Ich muss aber wirklich sagen, von den Grundvoraussetzungen, und da meine ich eben die systemischen Grundvoraussetzungen, war Mannheim sehr stark. Ich würde es jetzt gar nicht so sehen auf der Steuerungsebene der Institutionen, das kann man sicher diskutieren, aber vor allem auf der Steuerungsebene der Stadtentwicklung. Also sprich, dass man sich zum Beispiel ein Quartier von einem kulturellen Herz aus angeschaut hat und rund um dieses Pochen des Herzens begonnen hat, die einzelnen Schichten des Körpers aufzubauen.
Also das ist eine andere Herangehensweise. Und letztendlich auch die Ästhetik unseres Geländes damals auf den Spinelli Barracks, also eine ehemalige US-Army-Kaserne mit einer U-Halle, die sehr rau war, auch sehr wenig klassisch behübschende Elemente einbezogen hat, wo bewusst auch der rohe Beton stehen gelassen wurde bei den Wänden der U-Halle, wo sehr viel einfach gemacht wurde. Auch die Stahlträger wurden einfach so belassen, wie sie sind.
Das sind alles Ästhetiken und Narrative, Erzählungen, die sind nur an so einem Ort möglich. Also ich könnte mir vorstellen, einem klassischen Gartenschau-Publikum, das da mal für einen Tag kurz reingeschaut hat, denen ist mal die Lade runtergefallen. Einfach, weil das war sehr, sehr speziell.
Und gleichzeitig haben sie das, aber glaube ich auch, hat man das immer wieder gehört, dass die Leute gesagt haben, schon, schaut arg aus. Also ganz speziell, ganz besonders. Natürlich sind da auch wieder diese Blumenschau-Geschichten, das darf man nicht vergessen.
Aber diese Relikte der Amerikaner zu sehen, wie sie am Lehm gelassen wurden, wie reingebaut wurde in Heizzentralen, Dinge, ja, weil man bewusst gesagt hat, wir machen das nicht glatt und tun dann irgendwas behübscht drauf, sondern wir lassen das Ding in seiner Charakteristik. Das funktioniert halt nur an solchen Orten. Und wenn wir uns überlegen, über was gerade diskutiert wird in der Mannheimer Stadtpolitik, dann ist es die kulturelle Nachnutzung des Spinelli-Barracks.
Das ist gerade das zentrale Thema und das ist kein Zufall.
Kristin Oswald
Jetzt haben wir darüber gesprochen oder vieles von dem, was du gesagt hast, zielt ja so ein bisschen auf eine Publikumsorientierung ab, auf Quartiersentwicklung, auf die Rolle von Kultur in der Stadt jenseits von Institutionen, also auch Breitenkultur und solche Dinge. Ist das auch das, worauf dein zweites Buch abzielt? Raus aus dem Elfenbeinturm, der Titel klingt ja auf jeden Fall erst mal danach.
Fabian Burstein
Ja, wobei ich nicht diesem neuen Dogma folge, dass ich ständig alle Institutionen rauslagen will. Das erzähle ich ja auch so ein bisschen in dem zweiten Buch. Und dafür war ja auch das, was wir da gemacht haben, also quasi ein halbes Jahr auf einer, eigentlich auf dem Acker hinstehen, temporäre Kunst- und Kulturflächen, auch ein Riesenversuchslabor.
Rausgehen sollen nur die, die für den Ortswechsel bereit sind. Und die, die es nicht sind, sollen das einfach sagen und dann schauen, wie sie ihre Läden in Gang bringen von mir aus. Also ich habe da keinerlei Wertung.
Aber dieses Posaunen, wir wollen raus zu den Menschen, was mittlerweile wirklich in jeder Intendantenpräsentation, seit die Hearing Concerts, was uns an der Gewinnerin, an dem Gewinner so fasziniert hat, sein Konzept, raus zu den Menschen zu gehen. Und bei 95 Prozent gehen dann eh nicht raus zu den Menschen. Oder wir haben das Szenario, und das habe ich in, wir haben ich glaube, 3.000 Kulturveranstaltungen gemacht, von Hochkulturorchester, große Theater bis hin zu freier Szene, Tanz und so weiter und so fort. Und ich habe alle Schattierungen erlebt, von großen Institutionen, die meistens aufgrund von entsprechenden Führungspersönlichkeiten völlig unprätentiös gearbeitet haben, mit einem Hedonismus, die Dinge gemacht haben, die kann man in keinem Kollektivvertrag abbilden. Ich möchte zum Beispiel, also um es beim Namen zu nennen, zum Beispiel die Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz. Der Beate Fehlmann ist jetzt dafür jetzt schon bekannt, und ich kann es nur bestätigen.
Also Orchester sind normalerweise anspruchsvoll. Sagen wir es so. Oder?
Ich glaube, das darf ich schon so sagen.
Julia Jakob
Das ist ja kein Geheimnis.
Fabian Burstein
So, und wie der Beate halt mit der Herangehensweise, die er gehabt hat, die haben zum Beispiel das längste Konzert, das sie in jüngerer Vergangenheit gespielt haben, nämlich über zwölf Stunden haben sie gespielt und haben dafür die ganze Fläche, haben sie unterbaut. Also völlig guerrilla-haft auf unserer Fläche bewegt, ja. So, das ist das eine.
Und dann habe ich halt auch wirklich erlebt, dieses klassische, wir gehen raus, wir wollen zu den Menschen. So, und dann ankommen und sagen, wie wird jetzt hier unser Theater bitte nachgebaut? Möglichst prototypisch, ja.
Wer macht bitte den Einlass so, wie das immer gemacht wird bei uns im Theater? Und dann sagt, ja, wir hätten uns gedacht, bei 30 Leuten in einer kleinen Produktion, das kriegen wir schon irgendwie hin. Aber das sieht der Theaterbetrieb so nicht vor.
Dann sage ich, das ist mir auch alles recht, ich möchte es nicht werten, aber da muss es im Theater bleiben. Weil wir können nicht die Leute draußen terrorisieren, weil das ist dann der nächste Abschreckungs- und Entfremdungseffekt, dass sich die Menschen fragen, was sind denn das für prätentiöse Sachen? Und das ist ein Riesenschaden, weil das spricht sich rum, da haben die Leute dann keinen Bock mehr.
Julia Jakob
Es ist so unnahbar, ne?
Fabian Burstein
Es ist so unnahbar, ja.
Julia Jakob
Hast du, also du hast ja schon gesagt, es war jetzt nicht auf Zwang, die Leute, die nicht raus wollten, mussten nicht raus. Aber hattest du das Gefühl, dass diese Experimentiermöglichkeit dann bei vielleicht jenen, die so ein paar Berührungsängste hatten, dann doch auch ganz neue Möglichkeiten eröffnet hat? Oder dass das erstmal schwierig war, so out of the box zu denken?
Fabian Burstein
Nein, absolut. Also es gab für mich einen hochgradig emotionalen Moment, auch mit einem Orchester, mit dem Haifa Symphony Orchestra und einem Elektronikmusiker, dem Ziggy Has Ardeur und einem eh sehr bekannten Indie-Pop-Musiker, den Konstantin Gropper von Get Well Soon, die komponiert haben aus ihrer Elektronik, Popkultur, Sozialisation für ein Orchester. Und das Orchester, nämlich bewusst nicht Crossover, das ist ein Unterschied, die haben nicht irgendwelche Stücke genommen, dann haben sie ein Crossover gemacht, also Streicher drüber gelegt über den Popsong und dann war es symphonisch, sondern die haben in einem Eineinhalbjährigen Prozess für ein Orchester mit ihrem Wissen komponiert und dieses Orchester musste sich auf diese Logiken einlassen.
Und als das bei der Eröffnung aufgegangen ist und auch zu merken, was das mit den Akteurinnen gemacht haben, wie auch seither ihre unterschiedlichen Wege verlaufen sind, wie sie sich in neue Schwerpunkte eingearbeitet haben, wie sie Inszenierung, also das Stück wiederholt haben an anderer Stelle mit anderen Orchestern, weil das ein interessantes Stück Orchesterliteratur geworden ist. Das ist natürlich eines von vielen Beispielen, wo es aufgeht. Und gleichzeitig muss man auch sagen, es gibt viele Beispiele, wo es überhaupt nicht aufgeht, wo das Publikum sagt, interessiert mich nicht oder befremdet mich, das was noch besser ist, interessiert mich nicht.
Oder wo auch Institutionen wieder schreien, die in ihre Bubble zurückgelaufen sind und gesagt haben, nie mehr wieder. Die machen das dann natürlich fest an dem Format, aber es hatte meistens nichts mit dem Format zu tun, sondern mit den Rahmenbedingungen, die einfach so wirklich eine spezielle Geschichte mit sich bringt und die sie nicht wollten, was im Übrigen auch legitim ist.
Kristin Oswald
Mich würde ja interessieren, wie ist das denn in Österreich? Für uns Deutsche ist ja Österreich an sich so ein bisschen prätentiös. Ja, im Habitus.
Aber das ist natürlich auch was zum einen, was glaube ich sehr auf das Milieu auch ankommt. Ich sage mal, wenn wir als AkademikerInnen auf österreichische AkademikerInnen treffen, dann ist das natürlich noch mal was anderes als sicherlich die breite Bevölkerung. Aber würdest du sagen, so dieses Verhältnis gerade von öffentlichen Kultureinrichtungen und Bevölkerungen, Nahbarkeit oder Nicht-Nahbarkeit, ist ähnlich wie in Deutschland oder anders?
Also hat zum Beispiel Oper ein anderes Ansehen in der breiten Bevölkerung, eine andere? Wirkt es zugänglicher? Oder besteht da diese Befremdung, die wir glaube ich in Deutschland schon für breite Teile so mal in den Raum werfen können?
Würdest du sagen, die besteht in Österreich auch?
Fabian Burstein
Das ist eine sehr komplizierte Frage. Ich glaube die Grundprobleme… also das sind Probleme, wie die Darstellungsformen sind aus der Zeit gefallen. Da geht es auch um eine Ausstrahlung, was strahlen Institutionen aus? Ist das Willkommenskultur oder ist das eher was, bleib fern, wenn du mich nicht anbetest?
Also das sind alles ganz, ganz ähnliche Themen. Und im Detail gibt es dann schon Unterschiede. Um jetzt mal mit etwas Positivem zu meiner Heimat zu beginnen, weil ich manchmal bei mir zu Hause, vor allem in Wien, wird mir der Vorwurf um die Ohren geschmettert, ich würde Deutschland idealisieren und zu kritisch mit meiner Heimat umgehen.
Darum sage ich jetzt wirklich explizit etwas sehr Positives. Die Kulturfinanzierung steht in Österreich auf wesentlich, wesentlich, wesentlich solideren Beinen als in Deutschland. Das heißt, wenn wir uns allein den Bundeshaushalt anschauen in Österreich, der ist mit massiven Budgetaufstockungen im Kunst- und Kulturbereich verbunden.
Und auch insgesamt, wenn man Wien anschaut, gibt es einen ganz stabilen Konsens dahingehend. Kunst und Kultur wird finanziert. Das ist natürlich, das ist Segen, aber auch ein bisschen Fluch.
Weil wenn die Leute weniger kommen, wird geschrien, ja dann braucht man mehr Geld von der öffentlichen Hand und es wird gewährt, weil es den Leidensdruck minimiert, mich mit mir auseinanderzusetzen und mit Veränderungen auseinanderzusetzen. Also das ist schon so ein bisschen eine zwiespältige Gemengelage. Und dann muss man natürlich unterscheiden, Großstädte wie Wien, das muss man nochmal mit einem anderen Auge betrachten.
Das ist eine 2-Millionen-Stadt in einem 8-9-Millionen-Land. Das ist einfach wirklich eine sehr zwiespältige Situation zwischen enormer Größe. Es gibt nur eine deutsche Stadt, die größer ist als Wien, nämlich Berlin.
Sonst gibt es keine in einem witzig kleinen Land. Und in dieser Millionenstadt hat Oper auch eine Bedeutung für Tourismus. Und zwar wirklich.
Oder das Bundesmuseum, eine richtige Bedeutung für den Tourismus. Aber natürlich stellt sich dann sofort die Frage, ja Entschuldigung, aber warum ist Kulturfinanzierung für den Tourismus zuständig? Also da gibt es schon so ein paar seltsame Wertschöpfungsdiskrepanzen.
Und ja, das ist so für mich der größte Unterschied. Also stabile Finanzierung in Österreich versus einer sehr instabilen Finanzierungslage in Deutschland. Exakt dieselben Probleme und natürlich eine sehr viel widersprüchliche Inhomogenität auf der Art und Weise, wie dieses kleine Land Österreich strukturiert ist.
Es ist schon leichter 80 Großstädte. Da gibt es schon viele Modelle, die miteinander konkurrieren, die man sich abschauen kann. Da ist schon mehr Routine und Weltgewandtheit auch da.
Kristin Oswald
Wie ist es denn in Österreich außerhalb der Städte?
Fabian Burstein
Naja, sehr komplex. Also Innsbruck am Landestheater, abgesehen davon, dass dort ein Machtkampf tobt zwischen der künstlerischen Intendanz und der wirtschaftlichen Leitung. Beklagt man derzeit schwerere Einbrüche, beispielsweise bei Theaterbesuchen.
Aus Wien hört man wiederum große Probleme in der Kleinkunstszene. Also die Blockbuster gehen, aber what else? Die Theaterdichte im Land bei uns in Österreich ist wesentlich geringer.
Also ein kleines Bundesland wie das Burgenland, wer das nicht kennt, das ist etwas östlich von Wien an der ungarischen Grenze, hat nicht einmal ein klassisches Theaterhaus. Also es gibt es dort einfach nicht, auch nicht in der Landeshauptstadt. Also das sind schon große strukturelle Unterschiede.
Während man hier in Deutschland, wo wir jetzt gerade sitzen, ein sehr engmaschiges Netz an kommunal-ruraler Kulturinfrastruktur aufgebaut hat, gibt es da schon relativ große Lücken auf der Kunst- und Kulturlandkarte in Österreich.
Kristin Oswald
Wobei man, glaube ich, für Deutschland auch sagen kann, wir haben 80 Großstädte, wahnsinnig viele mittelgroße Städte. Aber trotzdem außerhalb von diesen Städten ist es auch sehr dünn. Und das ist ja auch ein Thema, das hier durchaus in den Debatten auch immer wieder aufkommt.
Denn die Frage, wer fährt denn vom Dorf ins Theater? Selbst wenn es vielleicht gar nicht so weit weg erscheint, aber wer tut es? Und ist es nicht auch ein Problem, dass es im Prinzip in den Städten primär sich das kulturelle Leben abspielt?
Auch etwas ist, worauf wir ja in Deutschland auch keine Antwort haben und wofür wir auch bisher nur bedingt Lösungen kennen oder es eigentlich nur relativ wenig Ansätze dahingehend gibt, zu sagen, dann gehen wir mal raus aus den Städten, als Theater zum Beispiel, und suchen uns andere Spielorte. Das gibt es natürlich, aber immer die Ausnahme, es ist nur die Regel. Von daher, glaube ich, ist das dahingehend schon ähnlich, nur dass es natürlich mehr Städte gibt in Deutschland, was aber sicher auch mit der Größe zusammenhängt.
Aber im Prinzip, wenn ich mir überlege, ich sage mal so, das Alpenland, seinen kleinen Dörfern, ist es dann dort eher, so wie ich mir das vorstelle, in dem Stereotypenbild in meinem Kopf. Von Heidi. Von Heidi, genau.
Sound of Music. Naja, wie das bei uns im Prinzip auch ist. Bei uns hast du halt auf dem Dorf dann so etwas wie Kirmes oder Schützenfeste oder vielleicht mal einen Faschings- oder Karnevalverein.
Und das war's. So vielleicht noch die Landfrauen. Aber davon abgesehen gibt es eigentlich nur sehr wenig.
Und das, was es gibt, ist natürlich sehr, und das meine ich gar nicht abschätzig, aber sehr volkstümlich, wenn man so möchte, auch veranlagt.
Julia Jakob
Ich habe da gerade noch einen Gedanken zu Thüringen. Also weil ich finde, Thüringen macht gerade mit sehr viel Schlagzeilen nur nichts Gutem. Aber das wäre eigentlich so, was die kulturelle Dichte anbelangt, insbesondere Theaterhäuser, voll das Vorbild sein könnten, weil es vor allem in kleineren Städten ja auch Theaterhäuser gibt, die immer noch bespielt werden, die auch wiederum eine sehr gute Anbindung an die ländlichen Räume in den Regionen haben.
Und man da viel mehr daraus machen könnte oder sich das viel mehr anschauen sollte. Und Thüringen da vielleicht beispielhaft vorangehen könnte, um das auch anderen zu zeigen. Und wer natürlich auch da sehr groß ist, die ländlichen Räume zu bespielen, ist die freie Szene, die diese Lücken für sich zu nutzen weiß und die Gastspieltheater.
Fabian Burstein
Ja, also um da wieder die Vergleichbarkeit heranzuziehen, auch wir haben diese Modellregionen, wenn man so will. Also wenn man sich das Bundesland rund um Wien, Niederösterreich anschaut, auch dort hat man es geschafft, sehr engmaschig und dezentral zum Beispiel Spielstätteninfrastruktur und Festivalinfrastruktur aufzubauen. Mit welchen politischen Motiven, ist eine andere Geschichte.
Aber lasst uns mal sozusagen nur festhalten, da gibt es schon was. Und da haben sich auch Menschen Gedanken gemacht, wie man das dezentral gestalten kann. Ich würde es ehrlich gesagt gar nicht so sehr immer an der Form der Institution festmachen.
Also ob da jetzt ein Theater steht oder ein Kulturzentrum oder was auch immer. Mich interessiert vielmehr, welche kulturellen Ausdrucksformen funktionieren denn sowohl in der Stadt und am Land. Und da habe ich immer ein ganz banales Beispiel, das ist Netflix.
Und das ist deshalb nicht banal, weil leider Netflix im Gegensatz zum Privatfernsehen der 90er Jahre nicht saublöd ist, sondern sehr, sehr, sehr gut gestrickte Serien hat. Sowohl Fiction als auch Non-Fiction, dramaturgisch sehr interessant arbeitet. Ein Riesenfaktor ist für die Musikindustrie und zwar für eine wirklich elaborierte Musikindustrie, eine richtig gute Musikindustrie für Virtuosen, die für Netflix mitproduzieren.
Das heißt, hier ist ein Mikrokosmos, der wurscht, ob auf dem Land oder in der Stadt funktioniert. Und sich anzuschauen, da geht es nicht darum, zu schauen, wie funktioniert Fernsehen oder Streaming, sondern da geht es darum, was machen die richtig? Warum treffen die auch in Auslandungsprozessen, alle großen gesellschaftlichen Ereignisse, es sind in Dokumentationen oder Serien auf Netflix aufgearbeitet?
Mal besser, mal schlechter. Warum schaffen die das?
Julia Jakob
Weil sie datenbasiert arbeiten. Das ist, glaube ich, wirklich eine der Hauptantworten darauf, weil sie es irgendwie geschafft haben, Daten immer wieder auch in ihre Entscheidungen fließen zu lassen, zu gucken, was will das Publikum, das Publikum damit eben in den Fokus zu stellen und dafür zu produzieren und nicht für die Tonne. Und gleichzeitig aber auch natürlich so Nischen den Raum zu geben, zu sagen, ja, das kann ja auch stattfinden, halt nicht ganz so groß.
Und im Vergleich zu anderen Streaming-Plattformen hat Netflix es irgendwie sehr gut rausbekommen, wunderbare Benutzeroberfläche zu schaffen, wo man dann nicht irgendwie nach dem X-ten -Durchlauf irgendwie gewillt ist, die App wieder zu schließen. Oder zu sagen, ja, gut, okay, dann gucke ich doch ins Fernsehen, was da so in der Mediathek kommt oder im linearen Fernsehen dann tatsächlich. Das wäre meine Antwort.
Ich glaube, es ist die Vielfalt.
Kristin Oswald
Da bin ich ganz bei dir. Wenn ich mir unseren häuslichen Netflix-Account angucke, dann ist der eine bunte Mischung aus Kinderserien, Animes, japanischen Filmen und altenglischen romantischen Serien, wobei ich jetzt mal außen vorlasse, wer bei uns was schaut. Aber es ist im Prinzip, es gibt etwas für jeden Geschmack, weil es einfach sehr international ist, glaube ich, und weil sehr viel Mut besteht für neue Stoffe.
Und es ist natürlich etwas, das ich zu Hause konsumieren kann. Ich glaube, das darf man nicht unterschätzen. Und ich habe das in der Pandemie sehr oft gedacht, als die deutschen Theaterintendanten und Intendantinnen immer sagten, wenn das Theater zu ist, gibt es keine Kultur.
Was ich für vermessen halte, für unglaublich arrogant, weil eben auch Film, auch Serie, auch das Buch natürlich, also das Buch als Kulturform, die ich zu Hause genieße, glaube ich, für eine absolute Mehrheit der Menschen eine essenzielle Rolle spielt, wenn es um die kulturelle Versorgung geht, dessen, was ich mache. Aber das sind natürlich auch Kulturformen, die ich eben zu Hause genießen kann. Also ich muss nicht in die Stadt fahren.
Natürlich möchte ich für das Theater auch in die Stadt fahren vielleicht. Oder es muss ja nicht mal das Theater sein, das Musical. Wie viele Leute in Deutschland reisen nach Hamburg, um sich die großen Musicals anzuschauen und nehmen, also das Touristische, was du sagst, die sich allerdings selbst finanzieren.
Aber da nimmt man 500 Kilometer Distanz in Kauf, wo man die 20 Kilometer Distanz zum nächsten Theater vielleicht nicht in Kauf nimmt. Aber das ist ja nochmal eine andere Form. Aber ich bin da total bei dir, aber ich bin irgendwie in meinem Kopf in der Frage, wie lässt sich das übertragen?
Stoße ich immer in so eine innere Wand, die mir nicht erlaubt, diese Frage oder die es mir nicht ermöglicht, eine Antwort auf diese Frage zu finden? Wie kann ich diese sehr individuellen Kulturformen und das, was die können, auf das eher Institutionelle übertragen? Was kann ich daraus lernen?
Fabian Burstein
Für mich war die entscheidende Antwort da wirklich in einem Satz. Es ist das grundständige Interesse, mich auf Daten zu stützen. Weil Daten heißt ja nichts.
Das ist ja im Moment hat das einen eher negativen Einschlag. Aber wir können es auch so sehen. Daten bedeuten, dass ich mich für dich interessiere.
Und wir müssen ja auch genau diese Konkurrenzbeziehung sehen. Warum ist eine historische Kulisse in einem Theater nicht mehr der Bringer wie vor 50 Jahren? Naja, weil es eben diese andere Welt gibt, die mir diese Kulisse viel realer gibt.
Also das, was mich früher in eine, wie man so schön gesagt hat, in eine andere Welt entführt, da kriegen nachrückende Generationen einen Lachkram. Weil diese Welten selbst in ihrer gamifizierten Welt, in ihren Computerspielen raffinierter, elaborierter, komplexer nachgezeichnet sind. Und da gibt es halt schon einen, ja, es ist Elitarismus.
Und das wollen wir weghalten. Ich habe wirklich auch beim Thema Theater ein Initiationserlebnis gehabt auf einem alten Kasernengelände mit der dänischen Gruppe Signa, die bekannt ist für Theaterinstallationen, die quasi, die bauen eine Lebenswelt nach und in etwa die Anzahl der Spieler*innen entspricht derjenigen, die in dieser Installation sind. Und die leben zusammen für zwölf Stunden.
Und ich habe einmal sechs Stunden mit Signa in einer Sekte gelebt. Also, in einer Sekte, das gesamte Gebäude, das war, glaube ich, ein unglaublicher Aufwand. War nicht nur mit kleinen Requisiten, das war ein Sektenhauptquartier.
Ich habe dort geschrubbt, gearbeitet, bei einer Geburt geholfen, viele wirklich verstörende Dinge erlebt. Und es ist nicht die Form, dass jeder das machen muss, aber die haben ganz viel verstanden auf genau dieser Ebene. Was bewegt mich?
Da geht es um Abhängigkeit, um Angst, um Machtausübung. Es geht um Manipulation. Ganz viele Themen unserer Jetztzeit waren da drinnen.
Das sich Verlieren in der Manipulation zu spüren. Innerhalb von zwei Stunden haben mich die geknackt. Die haben mich geknackt.
Die hätten mich sogar soweit dazu gebracht, dass ich mich am Ende nackt taufen hätte lassen, wenn ich nicht gewusst hätte, das Versprechen war, dass ich dann über Nacht bleiben darf, quasi noch in der Sekte. Und ich wusste von anderen Teilnehmer*innen, da haben sie einen Notausgang. Also, dass sie nicht wirklich unverständlich.
Das wusste ich leider. Ansonsten wäre ich reingefallen und hätte mich, wie ich es gesagt habe, dort taufen lassen, nur um zu erleben, wie geht es jetzt weiter? Wie geht es jetzt weiter?Was passiert jetzt?
Julia Jakob
Also, diesen Plot Twist auch da übertragen zu bekommen. Susi, unsere andere studentische Werkstudentin, hat in Avignon auf dem Theaterfestival, vielleicht kriegen wir sie noch für den O-Ton irgendwie ran, dass wir das reinschneiden können, hat sie mir jedenfalls erzählt, dass sie dort auch ein Theaterstück gesehen hat, die es irgendwie hinbekommen haben, diese Netflix-Ästhetik auf die Bühne zu übertragen. Und sie war die ganze Zeit so gebannt und meinte, also Theater macht schon was mit ihr, aber so sehr berührend wie Filme und Serien hat es bisher noch nicht geschafft.
Und dieses Stück hat es aber geschafft. Und da müsste sie aber jetzt noch mehr Einblicke geben. Also, es kann funktionieren.
Susanne Eger
Ja, ich war in Avignon bei dem Stück »Lacrima« von Caroline Guiela Nguyen tatsächlich sehr gerührt. Und ich gehe oft und gerne ins Theater, aber dass ich so zu Tränen gerührt bin, das habe ich dann doch selten. Und ich glaube, dass diese Netflix-Ästhetik auf jeden Fall eine große Rolle spielt, weil sie eben diesen Sog ermöglicht und so völlig diese Grenze aufweicht, die sonst im Theater ja noch präsenter ist.
Und das Stück hat oder die Regisseurin hat verschiedene Serienelemente genutzt, wie zum Beispiel auch einen Vor- und einen Abspann. Es gab viele Bildschirme auf der Bühne und eine Live-Kameraführung, die dann ermöglicht hat, dass man zum Beispiel auch Nahaufnahmen sehen kann. Oder sie haben verschiedene Orte dargestellt und Zoom-Meetings gezeigt über diese Kameraführung und diese Live-Bildschirme.
Und das ermöglicht natürlich irgendwie eine Art Sog. Und eben auch, glaube ich, mehrere Perspektiven und dadurch irgendwie eine gewisse Nähe. Ansonsten spielt, glaube ich, auch die Storyline eine große Rolle, weil die auch sehr, ja, fast Thriller-mäßig aufgebaut war.
Das Stück beginnt mit einem ziemlichen Schock, der einen natürlich total abholt. Und das Stück erklärt dann, wie es zu diesem Schock kommt. Und insgesamt glaube ich auch, dass natürlich das Schauspiel, das wirklich perfekt war, eine große Rolle spielt, dass man eben ganz vergisst, dass diese Grenze da ist.
Wie bei einer Netflix-Serie eben auch. Was dann am Ende diesen krassen Sog ermöglicht.
Kristin Oswald
Ich denke die ganze Zeit an Live-Action-Roleplay. LARP, ja. Das war lange so ein Thema.
Ich wusste, dass das existiert. Und ich mag ja sehr Fantasy, von daher hat das irgendwie auch so eine Faszination für mich. Und ich habe mal eine Podcast-Folge darüber gehört, in der so ein bisschen das erzählt wurde.
Und das ist ja im Prinzip genau das. Also Menschen mieten sich eine Burg für vier Tage und dann verbringen die Monate damit, Kostüme zu schneiden. Das ist wie ein bisschen Dungeons & Dragons.
Es gibt diese Welten-Erzählung, da wird definiert, was sind Rollen, was machen Diener, was machen Herrscher, was machen Krieger. Und dann wird das alles quasi zu Hause vorbereitet und dann lebt man da vier Tage in dieser Rolle. Und zwar alle. Und macht da, also was auch immer quasi dann die Geschichte vorsieht oder was der Ausgangspunkt ist, ist natürlich viel auch immer Improvisation. Aber man lebt das und wird da auch so, wie du es beschreibst, so reingesogen und nimmt das total auf. Man ist Teil der Handlung und man akzeptiert auf einmal auch Dinge, die man im normalen Leben niemals akzeptieren würde.
Und ich finde das ganz faszinierend, weil das ja auch im Reenactment ist es ähnlich, nur meistens nicht ganz so, also ganz so lange ausgeprägt, sondern zumindest versucht man das sehr historisch stark zu kontextualisieren. Aber so ein bisschen dieses Sich-Verlieren darin und auch die Gegenwart zu vergessen darin scheint ja das zu sein, was all das gemeinsam hat. Was ja auch der Film, der mich aufsaugt, das Buch, das mich anspricht, all das hat ja dieses Ich-Verlier-Mich so ein bisschen da drin.
Und ich muss ehrlich sagen, im Theater hatte ich das noch nicht. Und als Museumsmensch, der ich bin, habe ich das so aber auch im Museum nicht, muss ich sagen. Wobei ich glaube, im Museum, weiß ich nicht, ob du kennst das bestimmt, da ist es die berufliche Brille, die das auch ausbremst.
Also ich laufe durch das Museum und analysiere die Ausstellungen, die Objekte, die inszeniere, ich gucke mir das genau an, so dieses Fallenlassen finde ich da schwieriger. Aber tatsächlich schaffen das bei mir zumindest die klassischen Kulturinstitutionen nicht dieses Gefühl in mir hervorzurufen.
Julia Jakob
Was schade ist, oder? Also dieses, dass man total traurig ist, wenn es vorbei ist, habe ich gerade so gedacht. Wie oft hat man ein Buch oder eine gute Serie oder einen Film, mir geht es zumindest ganz oft so.
Fabian Burstein
Oder ein Konzert.
Julia Jakob
Oder ein Konzert, genau, ein populäres Konzert vor allem. Das ist mir das auch sehr gut, dass man dann so richtig, oh nein, jetzt ist es schon vorbei. Und man zögert es dann, vielleicht mein Buch kann man es rausziehen, zögert das Ende raus oder liest es dann nochmal, einfach damit es nicht endet.
Aber ja, Museumsbesuch.
Fabian Burstein
Ja, das ist schön, wie du das beschreibst. Erstens einmal, tatsächlich, das Museum würde ich auch als die zweite große Krisenwelt neben dem Theater beschreiben aus ähnlichen Gründen. Weil etwas, was halt in der Darstellung faszinierend war vor ein paar Jahrzehnten, jetzt einfach mit neuen Realitäten lächerlich geworden ist.
Kristin Oswald
Absolut.
Fabian Burstein
Richtig gehend, ja. Und aber ja, ich glaube, und das ist diesen hedonistischen Ausgangspunkt, den müssen wir uns immer wieder zurückholen. Das ist auch letztendlich das, was mich antreibt, muss ich ganz ehrlich sagen.
Der Moment, wie ich als 13-jähriger Oasis gehört habe. Oder auch tatsächlich, wie ich vor nunmehr zehn Jahren in der Sekte von Signa war. Und, und, und, ja, also ich glaube, diese Momente, die darf man sich schon völlig unzynisch als die großen Initiationsriten vorstellen.
Weil gesellschaftlicher Wunsch gerade in unserer Blase ist natürlich, dass man sagt, ich war, da war ich in der Staatsoper und dann habe ich das erste Mal das und das gehört und als diese Ari zu Ende hat, wusste ich, ich werde für immer am Stehplatz bleiben und mir das an. Also ich meine, solche Geschichten höre ich laufend. Und da denke ich mir, Alter, das ist nicht maßgeblich, das ist Fantum.
Und Fantum ist gut, aber es geht darum, etwas professionell sinnstiftend für die Allgemeinheit zu erschaffen. Davon sind auch wir nicht ausgenommen. Und das ist vielleicht auch etwas, was mein Leben ein bisschen kompliziert macht.
Tatsächlich jetzt mit diesen verschiedenen Rollen, weil ich, mein Ausgangspunkt immer der ist, ich möchte sozusagen eine Gesellschaft, einen Ort zum Besseren verändern. Und die Werkzeuge, die mir dafür gegeben wurden, das hat jeder andere, kommen aus dem Kunst- und Kulturbereich. Aber wie ich diese Werkzeuge einsetze, ist mir letztendlich nicht so wichtig.
Also ich bin nicht fixiert, das hat mir auch schon geschadet in meiner Laufzeit, ich bin nicht fixiert nur auf das Theater oder nur Bücher schreiben oder nur Festivals machen. Sondern ich glaube, die Palette muss unterschiedlich angewandt werden. Und das ist jetzt was mich persönlich, weil wir sind in einem Kulturmanagement-Podcast, was mich auch dann antreibt, neben diesen Aspekten, die du gesagt hast, also einfach dieses Menschen sowas zu ermöglichen irgendwie.
Julia Jakob
Du hast jetzt gerade auf einen guten Punkt angesprochen, dass du mit den Mitteln der Kunst und Kultur versuchst, die Welt zu etwas Besserem zu machen oder etwas Besseres beizusteuern. Damit stößt du ja aber wahrscheinlich nicht allzu oft oder nicht nicht immer auf Wohlwollen, sondern der Untertitel deines aktuellen Buchs heißt ja auch, was Kultur braucht, um in Zeiten von Shitstorms, Krisen und Skandalen zu bestehen, weil du das am eigenen Leibe erlebt hast. Darfst du darüber noch ein bisschen was erzählen?
Wie man auch mit sowas umgehen kann, wenn beispielsweise die Bild-Zeitung eine Schmutzkampagne gegen einen fährt?
Fabian Burstein
Ja, also ich meine, der Fall ist schnell erklärt. Ich bin quasi als ultravoguer Links-Kultur-Mensch gebrandmarkt worden, weil ich bei einem Auftritt einer Senior*innen-Tanzgruppe interveniert habe, dass gewiss Stereotype, die in Bezug auf verschiedene Bevölkerungsgruppen, Asiaten und so weiter angewandt wurden, dass die so nicht auf eine große Bühne kommen. Das war es schon.
Also das war das, was passiert ist. Genau das ist aber ein Sinnbild, muss man auch ehrlich sagen, für viele Kulturkämpfe, die im Hier und Jetzt auch geführt werden. Also man kann das nicht bagatellisieren.
Das ist ein großes Thema für Menschen. Ich selbst habe da einen denkbar unterkomplexen Zugang dazu gehabt. Nämlich für mich stand außer Frage, dass wir jetzt, Status 2023, an einem Punkt sind, dass sich Menschen trauen zu sagen, dass sie sich beleidigt fühlen, wenn ihre Kulturen auf die eine oder andere Art nachgespielt werden.
Das steht im Raum und das ist erstmals verbalisierbar. Und das höre ich und denke mir, dann muss ich es ja nicht machen. So, mehr ist es nicht.
Also es ist bei mir entgehende Vermutungen, war keine hyperkomplexe identitätspolitische Herangehensweise. Im Übrigen so handhabe ich es auch mit dem Gendern in meinen Büchern. Erstens einmal ist es ein glaubhaftes Anliegen, dass wir so etwas wie Gendergerechtigkeit erreichen müssen, langfristig.
Und wir haben Menschen, glaube ich, versichert, Sprache ist ein wichtiges Instrument dorthin und deshalb interessiert mich das Thema und deshalb experimentiere ich mit Sprache auf ganz einfache Weise, weil ich wissen will, was hat das für eine Konsequenz, Punkt. Und aus diesem unterkomplexen Status heraus habe ich interveniert. Und das hat einen einfach, man kann es nicht anders sagen, einen bundesweiten Megashitstorm ausgelöst.
Inklusive Titelseite der Bild-Zeitung, inklusive sehr schwieriger Bedrohungslagen, muss man dazu sagen, und zwar nicht nur von rechtsextremer Seite, da natürlich auch ganz stark, aber eigentlich aus so einer Wutbürgermitte, die sagen, von so einem wie dir lassen wir uns nicht verbieten, wie wir im Karneval gehen. So, also das ist so, oder wahrscheinlich möchte einer wie du mir auch verbieten, ein Zigeunerschnitzel zu essen. So, auf dem Niveau geht das, aber nicht von sogenannten Bildungsfeindenschichten.
Man googelt ja manchmal auch die Leute, die das nicht an und mir machen und es zieht einem die Schuhe aus, mit welcher Offenheit die bürgerliche Mitte einen beschimpft und wirklich mit solchen saublöden Argumenten kommt. Und ja, das war eine sehr schwierige Phase, wo man auch gleichzeitig immer darauf achten muss, und das ist, glaube ich, für unser Thema auch interessant, dass man aber nicht in so einen moralischen Narzissmus fällt, also sich moralisch überlegen fühlt. Das war es tatsächlich nicht und das Gefühl hatte ich auch wirklich nicht gegenüber den Frauen, die diese Vorführung hatten.
Also da gab es zwei, drei wirklich unbedachte, sture und auch renitente und meiner Meinung nach auch nicht gefesstigte, also ideologisch nicht gefesstigte Personen, die das halt beeinflusst haben und viele wirklich liebenswürdige, rührige Menschen, die nichts Böses wollten und die diese Debatte auch spannend fanden. Das muss man ja auch dazu sagen, die zugehört haben und die gesagt haben, ah, wirklich, so kann das empfunden werden und so weiter, und dann aber übertönt wurden, wie das so ist, von denen, die halt am lautesten rumschreiten. Und das macht mich auch sehr optimistisch.
Also mit viel Kommunikation, das waren Fehler quasi meinerseits oder unsererseits, dass wir geglaubt haben, die Situation zu kalmieren, indem man quasi schweigt. Wir steigen nicht ein in den Kampf, sondern wir schweigen. Wir machen die Mauer mit bestem Wissen und Gewissen, aber es ist mir wichtig zu kommunizieren, so funktioniert das nicht.
Wenn der Moment da ist, heißt es, Zähne zusammenbeißen und reden und reden und reden. Denn das bedeutet, nur über das Thema zu reden, auch wenn es widerlich ist und so weiter. Man muss draufbleiben, bis es ausgestanden ist.
Weil sonst übernehmen die andere die Deutungshoheit.
Kristin Oswald
Es hilft ja auch nicht zu vermeiden. Also das ist ein Thema, das ich... Ich habe ja zwei Interviews geführt zum Thema, wie umgehen mit rechter Kulturpolitik.
Und beide waren sich einig, Vermeidung ist auch nicht die Lösung. Also zu sagen, in deinem Fall jetzt zum Beispiel, dann sage ich nichts. So, dann lasse ich die Damen machen und wir stellen es so auf die Bühne und was soll's.
Oder im Fall einer Institution, dann thematisieren wir bestimmte Punkte gar nicht. Dann machen wir keine Kolonialismus-Ausstellung, dann machen wir kein Stück über Rassismus. Wir lassen das alles außen vor, um uns ja nicht irgendwie angreifbar zu machen.
Aber das funktioniert ja auch nicht, weil einerseits will man ja gesellschaftlich relevant sein. Und das bin ich halt nur, wenn ich relevante Themen auch thematisiere. Und vielleicht auch aus unbequemen Perspektiven thematisiere.
Und wenn ich auch dazu stehe, zu der Perspektive, wie du sagst, die ich dann eben eingenommen habe. Weil das ja meistens aufgrund einer Grundlage, einer Basis passiert. Aber indem man es einfach vermeidet, macht man sich zum einen gar nicht angreifbar.Weil es gibt immer Angriffsflächen. Das lässt sich, glaube ich, nie irgendwie gänzlich umgehen. Und es ändert ja dann auch nichts.
Und wenn man wirklich den Anspruch hat, etwas zu ändern, und ich glaube schon, dass das für die meisten Kulturschaffenden zutrifft, dann muss ich mich dem stellen, wie du sagst. Von daher finde ich das sehr gut zu sagen. Also nicht schweigen und auch nicht thematisieren. Oder Dinge einfach außen vor lassen oder so stehen lassen, wie sie sind.
Fabian Burstein
Ja, ja, ein wichtiger Punkt. Also zu sagen, wir haben 50 Prozent von dem richtig gemacht, was du gesagt hast. Ich glaube es genauso.
Also ich glaube nicht, dass es Sinn macht, dann einfach so wegzuschauen und zu sagen, okay, winken wir es durch und wird schon nichts passieren. Oder wir gehen das Thema gar nicht an. Und dann auch, wie du gesagt hast, im zweiten Schritt.
Und das muss man eben entschieden anders machen. Wenn die Debatte losbricht, muss man rein. Also da gibt es kein Entkommen und da darf man niemand anderen die Deutungshoheit überlassen.
Im Übrigen hast du ein sehr interessantes Thema am Anfang angesprochen, die Freiheit der Kunst. Die war dann natürlich auch das Thema. Wo ich heute auf dem Standpunkt stehe, was man auch ganz klar kommunizieren muss bei so etwas, das war eine Schiene für Vereine.
Das war quasi eine Freizeitgruppe von einer Seniorentruppe. Und da müssen wir schon klar bleiben und sagen, okay, also die Freiheit der Kunst, die kann nicht für alles herangezogen werden.
Julia Jakob
Ja, die steht nicht über der Würde des Menschen.
Fabian Burstein
Ja, sie steht nicht über der Würde des Menschen. Und sie ist auch nicht auf alles anwendbar, nur weil ich zwei Töne singe zum Beispiel. Oder weil ich ein paar Tanzschritte mache.
Also da muss man schon sehr differenziert sein, denn wir merken natürlich auch, du hast angesprochen, rechte Kulturpolitik, die Provokationssignale aussenden, die zwar unter Umständen von der Meinungsfreiheit absolut gedeckt sind, also wo es eine Abwägungsfrage gibt innerhalb der Grundrechte, die ein Mensch hat, die aber argumentiert werden mit der Kunstfreiheit. Das ist sehr heikles Terrain, das wir auch hier nicht auflösen werden. Es werden immer Einzelfallentscheidungen sein.
Auch damit müssen wir uns abfinden. Es gibt nicht die eine Regel, sondern das hat mir auch wirklich sehr schön dieser Verfassungsjurist klargemacht. Natürlich gibt es eine Judikatur, die Leitplanken vorgibt, aber wir müssen uns damit abfinden, es wird immer wieder Einzelfallentscheidungen geben müssen, wo wir die Themen ausstreiten, wie es gehört.
Das ist auch keine Schwäche.
Kristin Oswald
Das gilt ja auch, finde ich, für Themen innerhalb des Kulturbetriebs. Also nicht nur nach außen mit einer Öffentlichkeit, sondern auch wir unter uns. Also all diese Streitthemen, die es ja dann auch gibt, über was ist der richtige Führungsansatz, was sind Probleme in Häusern, wie können wir das angehen, in die Wunden pieken.
Das machen wir ja sehr gerne und das machst du ja auch sehr gerne. Tatsächlich, das gehört ja auch dazu, dass man unschöne Dinge auch mal ausspricht, auch mal thematisiert und aufs Tableau bringt. Und ich würde aber gerne wissen, ob du das Gefühl hast, dass das etwas ist, das dir schon mal negativ ausgelegt wurde.
Fabian Burstein
Ja, natürlich. Also es gibt, also auch da gibt es eine ganz klare Binnenscheidung zwischen den Ländern. In Deutschland nimmt man das wirklich sehr sportlich.
Also da ist das irgendwie Teil eines Diskurses. Da findet man Dinge richtig oder nicht richtig, aber also eigentlich ist man da noch kaum jemand begegnet, der das unter Anführungsstrichen persönlich genommen hat, im Sinne von, ich bin ja mitgemeint mit dieser Institution oder wie auch immer, sondern also „that's the name of the game“. Das ist so ein bisschen die Grundhaltung.
Während es zum Beispiel in meiner Heimat, insbesondere in Wien, wirklich in so eine polarisierende Ecke geht. Also da gibt es welche, die feiern das und dann gibt es welche, die sagen, das ist eine Nestbeschmutzung.
Das ist ein klassisches Wort, ein klassischer Wiener Mechanismus, Nestbeschmutzung, ja, und diese beiden Welten, das ist auch für mich manchmal sehr, sehr schwierig, muss ich ganz ehrlich sagen, diese zwei Welten zu vereinen, weil ich da, sag ich mal, ich habe keine Berührungsängste gegenüber denen, die sagen, das ist jetzt Nestbeschmutzung, aber da geht auch eine ganz starke Diskursverweigerung meistens mit einher, ja, und das ist nicht immer angenehm, und gleichzeitig aber eine, finde ich, sehr lohnende, eine sehr lohnende Arbeit, weil ich permanent mit aufregenden Standpunkten, Situationen, Begegnungen irgendwie konfrontiert bin, ja, also das ist schon ein Riesenprivileg, muss man auch sagen, ja, die sich mit dem, mit diesem Benennen auch aufgetan hat, also da gibt es schon das eine, dieses, die Wunden lecken und manchmal tue ich mir auch leid und sage, mein Gott, ich habe, ich erzähle nur die Wahrheit und dann seht ihr so böse zu mir und so, also da geht auch mir dann kurzfristig der Sportgeist aus und ich fühle mich als Opfer quasi einer Remittenten, bösen Kulturlobby, die keine Veränderung zulassen will, das stimmt bis zu einem gewissen Grad, aber auch für mich gilt, auch ich muss Sportgeist haben, also es ist klar, auch die müssen nicht alle sagen, danke, dass sie mir endlich vor Augen geführt haben, was ich falsch mache und würden sie mir bitte sagen, wie ich es tun soll, darf ich sie einladen, dass wir es so machen, wie sie sagen, das ist ja auch Quatsch.
[Kristin Oswald]
Ja, ich glaube nicht umsonst wurde ja dein Buch Raus aus dem Elfenbeinturm sehr stark mit dem Deutschen Kulturen-Fakt auch verglichen. Kennst du den Kulturen-Fakt? Ja, würdest du dem zustimmen, dass du, also für alle, die das nicht kennen, der Kulturen-Fakt ist ein Buch, das ist inzwischen, lasst mich lügen, …
Julia Jakob
… 2012 erschienen, also um die zwölf Jahre alt.
Kristin Jakob
Und da ging es auch sehr stark um die Frage eines Überangebots an Kultur oder eines falsch ausgerichteten, elitären Angebots an Kultur, es ging viel um Verteilungsfragen und die Autoren haben sich damit durchaus nicht nur Freunde gemacht und das kann man, glaube ich, also das kann man so sagen, ohne dass man damit irgendjemandem gegen das Schienenbein tritt und ich könnte mir vorstellen, dass es ihnen auch so ging. Also da ist, das hat eine Riesendebatte im deutschen Kulturbereich damals losgetreten und ich glaube, dass es auch sicherlich Phasen des Selbstmitleids gab, das unterstelle ich jetzt einfach, ohne es zu wissen und ich habe aber das Gefühl gehabt, dass es bei deinem Buch jetzt gar nicht mehr so stark war, wie es damals war. Also die Welle war wahnsinnig groß, vielleicht weil man vieles eben jetzt auch schon seit ein paar Jahren debattiert, aber trotzdem ist es ja offensichtlich immer noch notwendig, Bücher darüber zu schreiben.
[Fabian Burstein]
Ja, zumal es jetzt gar nicht, also weil es in unserem Bereich durchaus gängige sind ja diese Textsammlungen, also dass wir Anthologien haben, wo sehr gescheite Leute auch einfach zu gewissen Themen, also zu einer gewissen Überschrift unter Themen bearbeiten. Wir wissen aber auch gleichzeitig aus dem Verlagswesen, was ja sozusagen mein Quellberuf ist, dass diese Bücher keine besondere Breitenwirksamkeit haben. Erstens, weil es nicht der Lesart des breiten Publikums entgegenkommt und zweitens, weil es oft sehr fachlich ist.
Und insofern war das natürlich für mich spannend, mit den Mitteln des sogenannten populären Sachbuchs, diese Themen mal aufzubereiten, also dass sich das wirklich wie in einem Rutsch schließt und man sich denkt, jetzt habe ich mich gut amüsiert. Also das möchte ich nicht bestreiten, da kann ich auch nicht aus meiner Haut. Das ist die Art und Weise, wie ich kommunizieren will und wovon ich mir erhoffe, Wirksamkeit zu entfalten.
Das, was die Leute, die Autoren des Kultur-Infarktes erlebt haben, erlebe ich sicher in einer vergleichbaren Form in Österreich und gar nicht mehr wie Sie in Deutschland. Also in Deutschland, das sei doch, vielleicht habe ich da auch ein bisschen den Öse-Bonus, weil die Deutschen sind immer wahnsinnig nett zu einem Österreicher, mit mir ganz grundsätzlich. Also ich habe das immer bewundert, in Mannheim, als ich da aufgeschlagen bin.
Ich war damals 30 Jahre alt, habe das sehr traditionelle Kulturzentrum übernommen, mit dem Forum, also mit einer großen soziokulturellen Geschichte und so weiter. Und die waren überhaupt nicht so, dass sie gesagt haben, was will der da, jetzt soll unser Wiener erklären, wie wir unser Kulturzentrum führen. Die waren wirklich, die haben sich gefreut.
Die haben sich aufrichtig gefreut, dass einer von Wien nach Mannheim zieht, um sich dem Wahn anzunehmen. Und auch damals gab es schon Stress mit mir, weil da habe ich einmal, Stichwort rechte Kultur, einen riesen Beef gehabt mit einem Freiwildkonzert in Mannheim. Dann hatte ich einmal in gewisser Weise einen Konflikt mit damals zuständigen Bildungs- und Jungdezernenten.
Also es hat schon immer in der Kiste gerappelt. Aber irgendwie war das immer so, dass man sich interessiert, was angehört hat und als Bereicherung empfunden hat, weil ich ja nie böse war. Da schwingt einem auch etwas sehr Liebendes, hoffe ich zumindest, mit.
Und insofern sind da bei mir zwei Welten. Also das, was die Kulturen-Faktleute erlebt haben in Deutschland, das erlebe ich sicher nicht, ganz sicher nicht. Im Gegenteil.
Ich erlebe Zugewandtheit, Diskussionsfreude, manchmal ein freches Gegenwort, was Spaß macht und so weiter. Das erlebe ich eher in meiner Heimat. Vielleicht ist das wirklich, wie du sagst, Sinnbild einer Debatte, die da einfach schon gewachsen ist, gereift ist, sich verstetigt hat, gewisse Gelassenheit hervorgerufen hat.
Und all das zusammen ergibt eine für mich absolut konstruktive Gemengelage.
[Julia Jakob]
Ja, und vielleicht auch einen Generationswechsel, der so langsam einsetzt, dass auch eine jüngere Generation jetzt vor allem hier in den Kulturbetrieb strömt, die das natürlich auch alles mitbekommt. Strukturen kritischer hinterfragt, einfach weil der Zeitgeist drumherum auch so ist. Und man dann eher aus solchen Publikationen Kraft schafft, wo man sagt, okay, ich bin nicht die Einzige, die das so sieht, sondern vielleicht gibt es auch noch andere und die Bubble dann einfach größer wird.
[Fabian Burstein]
Interessant. Ja, glaube ich auch. Jetzt, wenn ich auch so, wer schreibt mir und so weiter, das kommt schon hin.
Das kommt schon hin.
[Kristin Oswald]
Und ist dann aber die Gegenwehr quasi tatsächlich auch von einer anderen Generation oder ist das mehr so ein Mindset-Thema? Das ist ja immer die Frage, wenn es um Change geht. Läuft Change nach Mindset oder nach Generation?
Und man weiß ja oft nach beidem. Also oft ist Generation ja auch mit Mindset verbunden, natürlich nicht immer. Aber hast du das Gefühl, dass es eher sowas, was so aus so altehrwürdigen Häusern oder Kontexten kommt, diese Gegenwehr auch gegen Veränderung oder überhaupt, wie du sagst, dieses Nestbeschmutzungsthema?
Da kommt jetzt der Fabian und meckert an allem rum, was wir uns über die letzten 200 Jahre hart erarbeitet haben.
[Fabian Burstein]
Vor zwei Jahren hätte ich das eins zu eins so unterschrieben. Jetzt mit der Erfahrung wirklich von zwei Jahren viel unterwegser Feedback und so weiter, sehe ich es wesentlich differenzierter. Und ich kann das eigentlich gar nicht in ein Schema fassen.
Auch die Gegenwehrstrukturen sind ganz unterschiedlich. Also was zum Beispiel nicht zu unterschätzen ist, ist eine Generation, so 60 plus, sage ich jetzt einmal, von Kritikern, die der Meinung sind, das, was ich sage, tragen sie eh schon immer und es eine Freiheit empfinden, dass man ihnen nicht zugehört hat, sondern jetzt mir. Das ist nicht zu unterschätzen.
Also das ist eine Gruppe so von manchmal vermeintlich kritischen Geistern, die schlicht und ergreifend sich um Aufmerksamkeit betrogen fühlen. So eine Gruppe gibt es auch. Dann gibt es Junge, ganz Junge, die zutiefst diese Rollenbilder zum Beispiel gerade im Theater geil finden.
Also die finden es total mythisch und cool und so und sich teilweise ärgerbenehmen als die Routiniers. Also wo selbst ich, ich bin jetzt 42, die sind dann meistens, jetzt komme ich langsam in ein Alter, wo sozusagen eine Generation kommt, die dann schon wesentlich jünger ist, wo ich mir denke, jetzt zeige ich einmal, geht es noch? Also ich muss mich immer dann versuchen, mich zu bremsen, weil dann macht das nicht so...
[Julia Jakob]
Damit man nicht selbst der alte weiße Mann ist.
[Fabian Burstein]
Ja, damit man nicht selbst der alte weiße Mann ist. Aber ich denke es mir dann schon. Was ist denn das jetzt für ein Zirkus?
Das sind ja die Allüren, wo wir gerade alle darum kämpfen, dass die aufhören und die nicht runterleihen müssen. Und ihr reproduziert das. Wie so ein kindischer Kindergarten, der Theater spielt.
Wir spielen jetzt, wie man im Theater ist. Oh Drama.
[Kristin Oswald]
Ist das was, was vererbt wird? Also das wäre jetzt meine Theorie. Ich bin eine klassische Geisteswissenschaftlerin und da wurde Habitus ganz stark vererbt im Studium.
Also von der professoralen Ebene auf die Studierendenebene. Einfach diese Einstellung, die man gegenüber dem haben soll, mit dem man sich da beschäftigt. Aber auch beispielsweise gegenüber Karrieremöglichkeiten, gegenüber was ist notwendig, damit man gewisse Dinge erreicht.
Das war damals alles noch sehr, naja man muss auch dankbar sein für jeden Job, den man bekommt. Und ich könnte mir vorstellen, dass das auch so ist im Theater. Je nachdem natürlich aus welchem Kontext dann die jungen Leute ins Theater kommen oder was da auch der Studienhintergrund ist.
Aber diese Idee, dass man diese Idee, dass Dinge so sein müssen, vielleicht auch erst verliert mit dem Alter. Ein bisschen mit der Erfahrung, vielleicht auch mit der beruflichen Sicherheit. Das könnte ich mir auch vorstellen.
Denn ich weiß zum Beispiel in Deutschland, ich finde es spannend, dass du das sagst mit dem Sportgeist und man darf hier Dinge sagen. Weil wir auch die Erfahrung gemacht haben, wenn du noch in dieser, in Deutschland der sehr stark befristeten beruflichen Ebene auch bist, eher in den ersten beruflichen Jahren, dann darfst du Dinge auch nicht sagen. Dann darfst du Dinge auch nicht nach außen tragen oder ansprechen, weil dir das schon auch übel genommen wird.
Das heißt, vielleicht geht auch diese gedankliche Freiheit, Dinge anders zu denken, auch mit einer beruflichen Sicherheit einher und ist vielleicht am Anfang noch nicht so da.
[Julia Jakob]
Oder wenn es dir halt egal wird, weil du nicht für Dinge hast. Ich muss gerade daran denken, weil ich habe vor zwei Wochen war am DNT in Weimar Theaterfest. Und da findet quasi zum Abschluss des Theaterabends, zum Übergang in das Partyleben dann, also das ganze Haus ist den ganzen Tag offen.
Es ist richtig cool und es findet 90 Minuten eine One-Minute-Show statt, wo alle aus dem Haus, sei es jetzt Darstellende oder eben aus Bereichen von hinter der Bühne, die dürfen eine bis drei Minuten, je nachdem, was sie vorhaben, da präsentieren, was immer sie wollen. Und es gibt jetzt in der nächsten Spielzeit wird es einen Intendanzwechsel geben, womit natürlich auch Nichtverlängerungen einhergehen. Es ist kein heimlicher Star, sondern es ist einer der Stars des Theaters, wurde jetzt schon nicht verlängert im Juni und er hat sich auf die Bühne gestellt und sein Nichtverlängerungsschreiben vorgelesen.
Was man wahrscheinlich auch unter anderen Umständen, dass diese Praxis mal so auf einer Theaterbühne auch thematisiert wird, Sie haben es auch schon in Ihrem Sommerstück aufgegriffen, ist, glaube ich, relativ selten und geht aber vielleicht auch mit so einer, naja, mir kann ja sowieso nichts mehr passieren, weil von denen kriege ich keine Reputation mehr. Sie haben mich sowieso schon abgeschrieben, alle anderen stehen hinter mir oder ich muss jetzt nach vorne gucken und nicht auf dieses Haus. Vielleicht auch das.
[Fabian Burstein]
Also den Move finde ich interessant. Klammer auf, es ist aber schon auch wieder sehr typisch für Theater, dass ich meine eigene Nichtverlängerung für so wahnsinnig interessant halte, dass ich sie vorlese. Also das eine Phänomen finde ich sehr positiv, beim anderen bin ich indifferent, sage ich jetzt einmal, weil es erzählt mir, nebst der revolutionären Komponente, auch etwas zutiefst Theatermäßiges, nämlich, dass ich glaube, dass das jetzt das entscheidende gesellschaftliche Thema ist, wo ich mich nonkonformistisch verhalten muss, dass ich nicht verlängert wurde.
Also es ist in mehrerlei Hinsicht spannend, aber ich glaube, weil es vielleicht wirklich wichtig ist oder was mir geholfen hat, ob es jetzt jemand anderen hilft, weiß ich nicht, ich bin dann schon immer wieder ausgebrochen und ausgestiegen aus den vermeintlich klassischen Strukturen. Also ich habe sehr früh in meinen 20ern bei einem sehr alteingesessenen, renommierten Literaturverlag Bücher gemacht und bin dann gegangen, unter anderem als Ghostwriter, zu einer der, sage ich einmal, populärsten Sachbuchverlage Österreichs, wo wirklich Meter gemacht wurden mit Büchern. Jetzt bin ich nicht letztgültig dort heimisch geworben, aber ich habe viel mehr über das Geschichtenerzählen dort gelernt als im klassischen Literaturvertrieb, weil dort kommt man, selbst als junger Autor, hin und dann findet jeder wahnsinnig interessant, was man tut und was man empfindet dabei und sagt einem aber nicht, dass eine Geschichte gewisse handwerkliche Regeln hat.
Und das habe ich dort gelernt, einfach durch das viele machen, durch den hohen Druck, dass Bücher sich auch verkaufen müssen und durch auch das sich unterordnen unter den eigentlichen Autor. Also ganz deine Kunst, unter anderem in den Dienst einer Sache zu stellen und dahinter auch völlig zu verschwinden. Und das war für mich zum Beispiel sehr lehrreich.
Darum glaube ich, dass es jedem jungen Regieaspiranten oder Dramaturgieassistenten oder was gut tun würde, auch zum Beispiel mal zum Fernsehen zu gehen. Ich meine es nämlich wirklich ernst. Oder eine Soap, nicht eine Soap, sondern so eine Reality Soap zu machen, weil da lernt man etwas.
Nicht, dass ich das gut finde oder es hinstifte, aber da lernt man sehr viel über, wie funktioniert Aufmerksamkeit, wie funktionieren Geschichten, wie funktioniert Inszenierung und so weiter und so fort. Also diese paradoxen Wechsel, ich glaube, die würden unserer Branche insgesamt gut tun.
[Kristin Oswald]
Ich kann das nur unterschreiben, weil ich nach über zehn Jahren bei Kulturmanagement Network irgendwann die Idee in mir gereift ist, dass die Tatsache, dass wir ja wirtschaftlich arbeiten als Unternehmen, dass wir quasi unsere NutzerInnen, unser Publikum immer im Blick haben müssen bei dem, was wir tun, auch unsere Perspektive auf Kultur sehr stark beeinflusst. Und ich glaube, da komme ich auf das zurück, was du vorhin gesagt hast, dass dieses sich ein bisschen ausruhen auf dem Geld, auf dem öffentlichen Geld, das man hat, schon in Deutschland auch ein Problem ist. Wenn wir es zum Beispiel mit Großbritannien vergleichen oder mit den Niederlanden oder sowas.
Und dass wir das nicht haben bei uns in der Redaktion, führt glaube ich sehr stark dazu, dass wir ganz anders denken. Dass wir viel stärker in Nutzerorientierung denken, was brauchen die Leute, wie können wir ihnen helfen, was ist nützlich. Als das vielleicht der Fall ist, wenn ich, ich sage jetzt mal, so oder so mein Geld für die Produktion oder für die Ausstellung kriege, die ich in diesem Jahr mache.
Und von daher würde ich dem total zustimmen, was du sagst. Zu sagen, es würde vielleicht auch mal guttun, wenn du auch die AutorInnen vielleicht mal in den Buchhandel steckst zum Beispiel. Oder eben die Theatermenschen ins Fernsehen.
Also einfach auch mal in diese Bereiche, in denen es darauf ankommt, über die Zielgruppe nachzudenken. Und nicht nur über das Produkt, was ja etwas ist, was ich finde, also man sieht das im Kulturbereich. Auf Tagungen fällt mir das immer wieder auf.
Auf Tagungen werden immer Produkte vorgestellt. Also wir haben eine neue Webseite gemacht oder eine App oder eine Aufführung oder eine Ausstellung, was auch immer. Aber die Frage, wie ist das denn angekommen?
Wie wurde das denn angenommen? Wie viele Leute haben sich das angeschaut? Wie waren da die Rückmeldungen?
Die geht immer unter. So, es wird immer über Inhalte gesprochen und ganz selten über Publikum. Und ich glaube, dass du total recht hast, dass es wahnsinnig hilfreich wäre, wenn man da immer mal die Perspektive umdrehen muss.
Und sei es auch nur situativ, zu sagen, passt auf, ein Projekt im Jahr müsst ihr machen, das sich selber finanziert. So, überlegt euch was. Wie geht ihr da ran?
Und ich erinnere mich, dass Hedi Graber, die hat mal auf einer Tagung beim Fachverband Kulturmanagement in Winterthur einen ganz spannenden Vortrag gehalten. Die war lange die Leiterin der Kulturabteilung beim Mikrokulturprozent in der Schweiz. Die hat erzählt, die haben ein Kulturförderprogramm entwickelt.
Auf das konnte man sich nicht bewerben, sondern die haben so geschaut, was gibt es. Und dann sind die auf Institutionen, Initiativen zugegangen und haben gesagt, pass auf, wir geben euch Geld. Voraussetzung für das Geld ist, ihr entwickelt dafür wirkungsorientierte Programme.
Also ihr sagt, ihr seid jetzt nicht das Museum und sagt, klar, wir machen eine Ausstellung, sondern ihr definiert zuerst die Wirkung. Und von der Wirkung aus entwickelt ihr das, dem ihr am besten die Wirkung erreichen könnt. Fand ich einen total guten Ansatz.
Superspannend. Sie hat erzählt, ungefähr die Hälfte der Institutionen, auf die sie zugegangen sind, haben abgelehnt. So, haben gesagt, können wir nicht.
Wir wissen nicht, wie das geht, weil wir machen immer Ausstellungen. Woran man das sehr stark sieht, dass so diese umgekehrte Denkweise, sich auf das Publikum einzulassen und auf, was du ja auch gesagt hast, für Mannheim eigentlich die Frage, was wollen wir eigentlich erreichen, ja sehr oft dahinter zurücktritt.
[Fabian Burstein]
Das Spannende ist, da gehen wir gerade mit der Kultur eigentlich im Gleichschritt mit der Medienszene. Das ist für euch ja doppelt interessant, weil ihr ja an beiden Baustellen mitschafft seid. Was aber auch gleichzeitig beides Krisenbaustellen sind immer wieder.
Ich muss sagen, für mich ist der Moment gerade extrem inspirierend. Mein Produzent, der mit mir den Bühneneingang, also den Podcast macht, mit dem ich viel darüber diskutiere, wie Veränderungsdruck im positiven Sinne wirken kann oder sich auch realisieren lässt. Und der auch für mich, das ist immer das Wichtige in gewisser Weise, einen Proof of Concept liefert, weil er in diesem Fall im Podcast-Segment hochgradig sinnstiftende Formate einer enormen Öffentlichkeit plötzlich zuführt.
Also da gibt es einen Investigativ-Podcast, der führt regelmäßig die Podcast-Charts in Österreich an, der komplexe politische Zusammenhänge erklärt und begreift, und Dinge ins Tageslicht holt. Gemacht von einem Journalisten, der aus einem Qualitätsmedium kommt. Oder ein Format mit einem Meinungsforscher, der Motive erklärt, führt jetzt gerade die österreichischen Podcast-Charts an.
Spannend. Das Orakel. Unglaublich.
Etwas, wo man sagt, das ist doch urkomplex. Der schon einen interessanten Ansatz hat, der nicht die ganze Zeit nachläuft in klassischen Medienhäusern, um für sie zu produzieren. Der sagt, ich habe mir über die Jahre mein eigenes Netzwerk aufgebaut und mache dort Qualitätsinhalte.
Aber mit dem genau, was er sagt, sehr datengetrieben. Schaut ganz genau, wer hört was. Wie berate ich den Menschen?
Wen hole ich mir ins Netzwerk? Ich konnte nicht einfach so meinen Bühneneingang dort machen, sondern da ist vorgelagert eine ganz tiefe Auseinandersetzung mit dem Konzept und der Art und Weise, wen wirst du ansprechen? Wie durchläufst du diese Phasen?
Also darum sage ich, da gibt es schon sehr inspirierende Menschen und auch Konzepte, die nicht immer zwingend in unserer Bubble angesiedelt sind und wo man einfach mal genau zuhören muss. Absolut. Das versuche ich halt auch immer wieder.
Darum habe ich jetzt dieses Beispiel genannt. Das ist halt kein klassischer Kulturmensch, sondern das ist ein Medienunternehmer, der aber wie Netflix sein Geld nicht mit Blödsinn verdient, sondern mit genau dem, wo alle behaupten, daran fehlt es gerade der tiefen Analyse und aber nachweisen kann, das hören hunderttausende Menschen.
[Kristin Oswald]
Ja, finde ich ganz spannend, auch weil du uns vorhin im Vorgespräch erzählt hast, dass dein Podcast auch eine gute Hörerschaft, also eine relativ breite Hörer*innenschaft eigentlich hat, zumindest quantitativ. Wie ist das denn auf der qualitativen Ebene? Sind das vor allem Kulturschaffende?
[Fabian Burstein]
Dazu mache ich es noch nicht lang genug, dass ich das evidenzbasiert beantworten kann. Ich glaube, dass sich das Format auf dieses Fundament draufsetzt und eben, weil ich mich sehr stark damit auseinandergesetzt habe, dass ich nicht nur die ansprechen will, sich sukzessive verbreitet. Und was für mich persönlich, aber so bin ich gestrickt, halt heilsam ist, ist, dass in meinem Umfeld in dieser Produktion so viele Podcaster sind, die das Vielfache von dem haben, was ich habe, dass ich in mir halt den inneren Drang und den Ehrgeiz verspüre, ohne jetzt Abstriche zu machen an dem, was ich da auf inhaltlicher Ebene leisten will.
Aber ich habe den Ehrgeiz, ich möchte beweisen, ja, dass diese Kulturthemen können noch mehr Leute interessieren, noch mehr Leute interessieren. Und ich spüre das, ich habe jetzt zum Beispiel vor kurzem eine Folge gemacht, gemeinsam mit einem investigative Journalisten. Wie spannend das ist, auch mit diesen Instrumenten, die der bereit hat, in ein System einzutauchen, es zu erklären und dann wieder zu sehen, wie ganz neue Leute anspringen, die eigentlich sich für Politikformate interessieren und sagen, ah, interessant, da ist jetzt eigentlich einmal die kulturpolitische Dimension von Missständen ganz sauber aufgetröselt worden, wie wir es von einem verstaatlichten Unternehmen kennen. Das ist schon sehr spannend zu beobachten, wie das aufmacht.
[Kristin Oswald]
Du kritisierst ja auch den Kulturjournalismus durchaus. Kommt das auch aus diesem Erfahrungshorizont zu sagen, dass Feuilleton, so wie es heute in weiten Teilen ja wahrscheinlich in Österreich ähnlich ist wie in Deutschland, sollte eigentlich doch irgendwo auch anders gestrickt sein? Ich glaube, ich bin mir nicht sicher, korrigiere mich, du hast mal gesagt, eigentlich sollte das Feuilleton auch in den Politik teil?
[Fabian Burstein]
Ja, oder anders. Die Instrumente des Politikjournalismus gehören in die Feuilletonteile, so eher würde ich sagen. Aber ja, genau so, das Thema treibt mich um, weil ich tatsächlich, ich schaue mir das auch quantitativ an, wie viele Rezensionen beispielsweise im Kulturjournalismus fabriziert werden.
Man weiß, das ist schon wirklich datengestützt, das interessiert kein Schwein in dieser Form, weil ich mir nicht nacherzählen lasse ein Theaterstück. Es ist auch völlig einleuchtend. Gegenfrage, wollt ihr euch erzählen lassen, nacherzählen lassen ein Theaterstück?
[Kristin Oswald]
Nee, aber was ich gerade gedacht habe, ist sowas wie Booktalk funktioniert ja aber hervorragend.
[Julia Jakob]
Und ich habe gerade auch gedacht, also so kurze Bewertung, sei es jetzt Film oder auch für ein Theaterstück, ist manchmal für mich schon ausschlaggebend, ob ich meine Zeit dafür investiere oder nicht. Aber deswegen muss mir nicht die Handlung nacherzählt werden, sondern ich will wissen, ob es sich lohnt.
[Fabian Burstein]
Ja, ja, aber da sieht man, dafür gibt es ja mittlerweile wesentlich bessere Plattformen.
[Julia Jakob]
Ja, und das halt kürzer. Also das muss ja keine Seiten füllen, sondern wenn du dir Rezensionen kannst, ja auch auf Bewertungsportalen oder so, ne? Fünfzeiler.
[Fabian Burstein]
Dazu kann ich nur sagen, ich habe in Wien entdeckt oder in Österreich entdeckt, da gibt es einen bekannten Bildungsaktivisten, der auch sich gut mit Kultur auskennt, der betreibt auf Instagram einen Kanal, Schnellkritik heißt das, der ist, um damit ein paar Klischees aufzuhalten, der ist nicht 20 oder 25, sondern der ist, ich weiß nicht, ich möchte ihn jetzt, falls er zuhört, ich schätze irgendwo zwischen 50 und 60 angesiedelt. Das schaue ich mir an.
Mittlerweile die freie Szene erschließt sich mir über den, weil der geht irrsinnig viel ins Theater mit einer großen Publikumsperspektive, er ist ein kulturinteressierter, neugieriger Mensch und funkt dann nachher erzählt er, wer hat da mitgespielt und was ging's, was hat mir gut gefallen, immer sehr wertschätzend. So, das dauert drei Minuten und tschüss. Da komme ich total mit, das interessiert mich, aber ich will nicht eine Wertung von jemandem, der glaubt, er ist quasi ästhetisch befugt, mir ein Stück, wurscht, ob ein Musikstück, ein Theaterstück, ein Film nachzuerzählen und für mich voreinzuordnen.
[Kristin Oswald]
Oft ist das ja auch sehr selbstreferenziell. Also wenn ich so an den Musikjournalismus denke, also Musikjournalismus verstehe ich nicht, weil ein neues Album dann auf Basis von vorherigen Alben und künstlerischen Strömungen, die ich als einfach Normalsterbliche Musikhörerin überhaupt nicht kenne, das hilft mir ja nicht. Also das gibt mir auch nichts, sondern das ist so selbstreferenziell, indem man sich quasi wieder auf die Kunst selbst bezieht, dass ja jeder, der da nicht drinsteckt, daraus überhaupt nichts für sich mitnehmen kann.
[Julia Jakob]
Was da sehr viel besser funktioniert, es gibt einen Musiker und Musikproduzenten, Marty Fischer, der mit Bodo Wartke jetzt glaube ich ein bisschen bekannter geworden ist durch den Rhabarber-Song. Der hat schon seit Ewigkeiten einen YouTube-Kanal, auf dem er alles mögliche rund um Musik erklärt und er hat zwei Formate, die sich quasi mit den Stilen von größeren Bands oder anderen Musik-Acts beschäftigen, wo er erklärt, wie deren Musik geht und dann Stücke nachkomponiert im Stil von ABBA, Queen, keine Ahnung. Und das hervorragend funktioniert, weil es nicht nur unterhaltsam ist, sondern wie du danach auch rausgehst, gehen maximal 15 Minuten diese Videos, und das Gefühl hast, du hast jetzt so ein bisschen Musik verstanden.
Also das dann wieder auf einer anderen Ebene stattfindet, aber es niemals irgendeinen musikkritischen Aspekt hätte, sondern eher vermittelnd und vielleicht noch musikwissenschaftlich das Ganze angeht, aber es dir eher eine Analyse vielleicht bietet, die eine Wissensvermittlung dann zum Ziel hat, bloß Unterhaltung.
[Fabian Burstein]
Wobei, ich meine, wir verfallen ja, das ist ja das Schöne an so einem Format, ja immer wieder ins Anekdotenhafte, indem wir uns anhand von persönlichen Anekdoten erzählen, was uns taugt. Und daran erkennen wir schon sehr gut, wir schweifen ununterbrochen in neue Formate ab. Also wir sagen, hey dort, also in meinem Fall Instagram, du jetzt YouTube.
Du hast auch vorher ein Buch, genau ein Booktalk genannt als Beispiel, also wo entlang eines Hashtags quasi sich was erschließen. Und daran sehen wir ja schon quasi die Zäsuren in den Herangehensweisen. Wir erzählen uns nicht wie früher, das war ja auch total okay.
Im Spex da schreiben, da ist jetzt gerade die Geschichte zu der Indie-Band rausgekommen, das war sehr elaboriert, das hat zu dieser Zeit seine Berechtigung gehabt. Wir lernen aber, da sind wir wieder in der Medienwissenschaft, wenn ich jetzt auch mal so ein bisschen mit meinem akademischen Background, ich habe nämlich Publizist in der Kommunikationswissenschaft studiert. Da gibt es ja diese Konvergenztheorien, nichts verschwindet wirklich, aber es verschiebt sich.
Und das ist die gute Nachricht, es wird nicht verschwinden, auch das klassische Theater wird nicht verschwinden, die klassische Rezension wird nicht verschwinden, aber wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass sie sich in der Gemengelage, dass sich die Bedeutungen verschieben. Und wenn wir aufhören ständig dagegen anzukämpfen, dann ist es einfach viel leichter.
[Kristin Oswald]
Und was ist dann aber für dich oder was wäre für dich quasi ein Kulturjournalismus, wie er sein sollte?
[Fabian Burstein]
Kurz gesagt einer, der in Systeme eintaucht, der kulturpolitische Zusammenhänge erklärt, der in die institutionelle Arbeit reinschaut, und zwar in all ihren Facetten, nicht nur künstlerisch, sozialpolitisch. Wir haben in vielen Bereichen noch immer, in Österreich heißt das ja auch Kollektivvertrag, ja oder? Wir haben in vielen künstlerischen Bereichen, selbst im institutionalisierten Bereich, noch keine Kollektivverträge.
Also das betrifft unter anderem das Museumssegment in Österreich, das Ehrwürdige. Also Entschuldigung, das ist alles Kulturjournalismus. Und wenn ich das nicht zur Kenntnis nehme, nur über eine Ausstellung mich auslasse, dann brauche ich nicht nun, dass mich die Leute nicht mehr lesen und als nicht relevant annehmen.
Denn natürlich auch ich als arbeitender Mensch möchte wissen, wie geht es den anderen arbeitenden Menschen in dieser Branche? Das gehört genau dazu.
[Kristin Oswald]
Also ich glaube, damit hängen zwei Sachen zusammen. Das eine ist ja, man findet ja andere Arbeitswelten immer spannend, glaube ich. Also so Arbeitswelten, mit denen man selbst gar nichts zu tun hat, darüber was zu lernen, das ist ja auch immer so unheimlich Horizontöffnet, zumindest geht es mir sehr oft so.
Und es ist ja immer auch dieses Steuergeld-Argument zu sagen, also es wird ja nicht einfach nur von Steuergeld ein Theaterstück produziert. Und dann kommt nämlich dieses, ja, aber dann können wir denen doch auch einfach weniger geben oder wie auch immer. Sondern da hängt ja unheimlich viel dran.
Und die Frage, wie sich all das rechtfertigen lässt, nämlich auch diese Entfremdung, über die wir zum Beispiel gesprochen haben. Da gehört ja der kritische Blick darauf eigentlich auch in den Journalismus. Also da würde ich dir total zustimmen.
Und ich glaube, dass vielleicht viele Menschen gar nicht so erstaunt darüber wären, dass es jetzt in Jena Proben von neun bis siebzehn Uhr gibt, wenn ihnen irgendjemand anderes mal erzählen würde, dass das eben nicht die Norm ist im Theaterbereich. Weil man, glaube ich, das gar nicht weiß. Und weil diese ganzen Debatten, die es ja gibt um Kultur, eigentlich in der Öffentlichkeit nicht stattfinden.
Oder nur sehr gering, finde ich, stattfinden. Und mir fällt das immer sehr stark auf, wenn ich darüber nachdenke, wie Kulturinstitutionen selbst kommunizieren. Die kommunizieren nämlich auch so.
Die kommunizieren auch nur Inhalte und nicht Strukturen und auch Probleme oder Schwierigkeiten oder was auch immer mit Dauerbefristungen zum Beispiel einhergeht, an Wissensverlust, an Qualitätsverlust auch. All diese Dinge, die kommunizieren Kultureinrichtungen nicht. Sondern sie kommunizieren im Prinzip, es gibt ein neues Stück oder es gibt ein Konzert mit der Stargeigerin, kommt alle.
Und ich frage mich, ob es das aber auch nicht breiter bräuchte in der Kulturkommunikation selbst, dass man auch Dinge, die an den Häusern passieren, auch Schwierigkeiten, die es gibt auf der strukturellen Ebene, dass man das nicht auch viel transparenter auch macht.
[Fabian Burstein]
Also was da für ein Vakuum besteht, kann man sehr gut an einem Beispiel festmachen, das jetzt gerade in Österreich für Aufregung gesorgt hat. Konkret in Linz am Brucknerhaus. Eine sehr bekannte Klassikeinrichtung.
Insgesamt haben wir ein großes Problem mit dem Stellenbesetzungsverfahren in Österreich. Insbesondere Vetternwirtschaft würde man es in Deutschland nennen. Man nennt es Freundanwirtschaft.[SU1]
Es gibt aber dafür auch einen wesentlich unschöneren Begriff, nämlich Ämterkorruption. Also geschobene Verfahren, wo politische Günstlinge in Position gebracht werden und so weiter und so fort. Und es schwelt, aber es wird nicht behandelt, weil sich der Kulturjournalismus nicht zuständig fühlt. Und weil es für den Politikjournalismus zu klein.
Und jetzt hatten wir einmal die Besonderheit, dass in einer Vorwahlkampfphase ein Bürgermeister involviert war und da ein unmittelbarer Zusammenhang hergestellt werden konnte zur politischen Großwetterlage. Und plötzlich ist das explodiert.
Und es wurde rekonstruiert, was da für Absprachen vor getroffen sind mit den Instrumenten des Investigativen Journalismus. Ganz brutal gesagt, die Politikjournalisten haben an der Stelle übernommen und dann ist es brutal geworden. Und damit ist ein hergegangener echter Erkenntnisgewinn, eine politische Konsequenz, nämlich ein Rücktritt, staatsanwaltliche Ermittlungen und so weiter und so fort.
Und eigentlich, und wenn man mit Politikjournalisten darüber spricht, sagen die, jaja eben so plakativ muss es eben sein, damit wir zugreifen können. Wir können nicht in jedes Thema hereingehen, sondern es muss den Aufhörer geben, es muss die übergeordnete Relevanz geben, es muss den Ankerpunkt geben, dass wir zupacken und dann geht's.
Kristin Oswald
Und deswegen ist es aber meistens wahrscheinlich dann der Fall, wenn es um Skandale geht. Denn wenn es um Skandale geht, dann passiert das hier natürlich auch auf der lokal-journalistischen Ebene ganz stark. Wir sitzen hier in Erfurt, das Theater Erfurt hat sich in den letzten Monaten und Jahren nicht gerade mit Ruhm gekleckert, wenn wir auch zum Beispiel an Baden-Baden denken.
Also es gab ja in Deutschland sehr viele Theaterskandale in den letzten Jahren und dann wird es auch aufgegriffen. Oder auch wenn wir an MeToo denken und wie das dann nach Deutschland übergeschwappt ist oder nach Europa allgemein. Das ganze Gleichberechtigungs- und Machtgefälle-Thema, letztes Jahr Rammstein, großes Thema in Deutschland.
Aber das sind dann diese Einzelbeispiele und dann ändert sich was an den Einzelbeispielen. Beispielsweise wird dann das Theater umstrukturiert, es gibt ein neues Intendanzmodell, wie auch immer. Aber die Struktur selbst ändert sich ja dann doch wieder nicht, habe ich zumindest das Gefühl.
Julia Jakob
Vielleicht dauert es einfach länger. Ja, absolut. Also vielleicht muss man sich dann doch über die Babys selbst freuen und die wenigen Häuser, die vielleicht schon den richtigen Schritt in die Richtung gehen.
Und bei allen anderen hoffen, dass sie irgendwann auch die Wendung hinkriegen. Was ja, und ich glaube da sind wir auch wieder am Anfang, du hast dann auch gesagt, das hängt auch mit Leitungspersonen zusammen. Sei es jetzt wie experimentierfreudig oder wie sehr man sich dann vielleicht auch außerhalb des Hauses bewegen kann.
Oder sei es halt, dass man sagt, man geht jetzt einen internen Strukturprozess an.
Kristin Oswald
Naja, ich habe auch gedacht, das passt eigentlich zu dem, wo wir am Anfang angefangen haben, so ein bisschen. Also der Journalismus als diese externe Macht, die er ja früher zumindest mal war und heute auf jeden Fall situativ noch ist. Auch diese Kontrollinstanz dessen, was in der Politik und in der Verwaltung passiert.
Und wenn wir eben das Problem haben, dass Kulturpolitik vielleicht nicht immer professionell genug ist, dann kann aber vielleicht der Journalismus quasi die kontrollierende Instanz sein, die da wiederum von oben einwirkt.
Fabian Burstein
Ja, vor allem, es ist ja auch wirklich ein insofern reinigender Mechanismus, weil wir dann eben nicht an den Punkt kommen müssen, dieser Megaeruption. Also an den Beispielen haben wir ja gut gesehen, es muss schon viel zusammenkommen und richtig was am Tisch liegen, dass das explodiert quasi. Und wir sehen immer oder fast immer den Mechanismus, dass es eben nicht den Weg über die Kulturredaktionen geht, sondern es ist immer der Moment, wo Lokal- oder Politikredaktionen manchmal auf Wirtschaftsredaktionen zugreifen.
Weil sie sagen, okay, jetzt ist es groß genug, jetzt schnappe ich es mir. Bam! Wenn wir aber eine gesunde kritische Begleitung haben, können wir uns vielleicht diese Eruptionen ersparen.
Erstens. Und zweitens, dann dauert es vielleicht eben nicht so lang. Ja, weil ich permanent ein Gegenüber habe, das mich mit Brain Food versorgt, mit Kritischem.
Und das ist leider auch, das ist für mich die zweite prägende, ich habe ja vorhin über Peter Kurz gesprochen, den Mannheimer Oberbürgermeister. Für mich in Österreich gibt es auch so eine sehr prägende kulturpolitische Figur, nämlich den Rudolf Scholten, der in den 90er Jahren, man sagt immer so, der letzte Kunstminister war. Und wenn ich den noch heute erlebe, was der für eine Freude hat am kritischen Gegenüber.
Also wie sich der erfreuen kann daran, und das hat auch damals immer ausgestrahlt, dass attackiert werden, dass man das Gefühl hat, jetzt lebt er. In dieser Auseinandersetzung lebt er, daraus zieht er die Kraft für seine Politik. Das ist meiner Meinung nach eine sehr gesunde Haltung.
Freude und Wertschätzung zu haben, dass sich jemand wirklich mit dem, was wir tun, auseinandersetzt und nie ein Gegenüber ist. Weil der war auch nicht zartbesaitet natürlich. Das bedingt einander, das wünsche ich mir, vielleicht ist das Wahnsinn, 1,3 und 1,5.
Julia Jakob
Wir sind gleich bei zwei Stunden, im Sinne der Aufmerksamkeitsökonomie.
Fabian Burstein
Aber, ja Aufmerksamkeit, das kurze Format als weiteres. Aber das würde uns insgesamt, du hast guttun, und das hat eben auch was mit Schwarzgeist zu tun, dass nicht alles so langweilig beleidigt ist, sondern irgendwie hedonistisch, lebendig, kontrovers und dennoch zugewandt.
Kristin Oswald
Ich finde das auch ein wunderbares Schlusswort. Also diese Freude an der Kontroverse, auch an einem kritischen Gegenüber. An critical friends.
Ja, absolut. Ist natürlich auch etwas, was man sich von den Häusern wünschen würde. Und von daher sind wir bei fast zwei Stunden.
Julia Jakob
Ich glaube wir hätten noch ewig weiter reden können, vielleicht wiederholen wir das in Wien. Ja, absolut.
Fabian Burstein
Kommen Sie zu mir ins Podcaststudio.
Kristin Oswald
Ein professionelles Podcaststudio würden wir gerne mal nutzen. Nein, aber wir freuen uns natürlich sehr, wenn unsere Hörenden jetzt auch noch dabei sind. Und vor allem freuen wir uns natürlich sehr, dass Fabian sich so viel Zeit genommen hat, um mit uns ausführlich über so viele Themen zu sprechen und ein bisschen einen Rundumschlag zu wagen.
Und in dem Sinne, wir danken dir sehr herzlich für das sehr anregende Gespräch, die vielen neuen Facetten, die du eingebracht hast, die uns glaube ich auch sehr bereichert haben. Und wir freuen uns natürlich auch, wenn unsere Hörerinnen und Hörer beim nächsten Mal wieder dabei sind. Wenn es heißt Dienstags im Koi, wie immer verlinken wir euch in den Shownotes alle spannenden Beiträge, Themen, Ansätze, über die wir gesprochen haben.
Und natürlich unser Magazin zu Kulturstatistik, das diesen Monat erscheint und das ganze Thema der Datengetriebenheit noch mal in Tiefe aufbereitet. Genießt den Herbst. Wir hoffen, dass es euch nicht zu kalt.
Und bis zum nächsten Mal. Tschüss.