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KI in der Chirurgie: Model bekommt ihr Gesicht wieder zurück

Universitätsklinikum Heidelberg

Ein Gesicht nach einem schweren Unfall wieder in seine ursprüngliche Form bekommen? Das ist den Experten an der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie am Heidelberger Uniklinikum gelungen. Wie genau und welche Rolle die KI dabei gespielt hat, darüber sprechen Oberarzt Dr. Reinald Kühle und Roman Jaburek in diesem Podcast.

Herr Professor Winkler, herzlichen Glückwunsch zum Brain Prize, dem weltweit höchstdotierten und renommiertesten Preis in den Neurowissenschaften, gestiftet von der Lundbeck Foundation in Dänemark. Das persönliche Preisgeld beträgt zehn Millionen Dänische Kronen, das sind sogar noch mehr Kronen als der Nobelpreis. Wie haben Sie von der Auszeichnung erfahren? 

 

Frank Winkler: vielen herzlichen Dank erst einmal zu der Gratulation. Ja, ich bin unglaublich froh und dankbar auch und unglaublich geehrt durch diese Auszeichnung. Ich kam gerade von der Visite auf Station zurück und las eine E-Mail, und zwar von einem Vorsitzenden der Lundbeck Foundation, ich kannte ihn über ein Review-Verfahren, wo ich im letzten Jahr mal mitgeholfen hatte, für die Lundbeck Foundation einen Antrag zu beurteilen, und wusste, er ist auch für den Brain Prize zuständig. Und ich dachte mir, na ja, vielleicht braucht er Hilfe bei der Entscheidungsfindung für irgendeinen anderen Preisträger oder eine Preisträgerin oder so etwas. Und ich habe dann aber doch mit etwas klopfendem Herzen angerufen und habe dann von ihm erfahren, dass er mir sehr gratuliert und ich tatsächlich der Preisträger bin.

 

Was haben Sie dann empfunden und gedacht? 

 

Frank Winkler: Ja, also ich war erst mal konsterniert. Ich dachte mir kurz: Ist das jetzt ein Streich? Ist das ein Spaß? Macht sich da jemand einen Spaß mit mir? Das war aber dann mit dem Kontext, ich kannte ihn ja auch persönlich, die Nummer war eine dänische/ Also all das sprach schon dafür, dass es sich hier nicht um einen Spaß handelte. Na ja, und dann in der Folge war natürlich ein unglaubliches Gefühl der Dankbarkeit und auch ein wirklich Geehrtsein natürlich dadurch mit der Arbeit, die ich jetzt ja schon seit 10, 15, 20 Jahren in diesem Bereich mache. Aber auch eine unglaubliche Freude darüber, dass dieses Feld Cancer Neuroscience, also Krebsneurowissenschaft, damit eine solche Ehrung erfährt. 

 

Wem haben Sie denn zuerst davon erzählt? 

 

Frank Winkler: Oh, Ich habe in der Tat zuerst meine Frau angerufen, Eva Winkler. Sie ist Medizinethikerin und Onkologin und ist ja stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Ethikrats. Und nicht, um mir einen ethischen Rat abzuholen, sondern wirklich, um erstmal ja das mit dem Menschen, der mir am meisten bedeutet im Leben, diese tolle, unglaubliche, wirklich unglaubliche, ungeheuerliche Nachricht zu teilen.

Sie sind Neurologe, Sie erforschen Hirntumoren, Sie haben schon gesagt Cancer Neuroscience. Warum interessieren Sie sich ausgerechnet dafür? Wie kam das? 

 

Frank Winkler: Ja, also die Neurologie hat mich schon im Medizinstudium und auch seitdem immer gefesselt. Das Ringen mit auch seltenen und komplexen Krankheiten, das Nervensystem in seiner ganzen Kompliziertheit, / in seinen unglaublichen Funktionsfähigkeiten. Und alles, was dann Störungen macht, alle Krankheiten, auch die nicht immer ganz klare Abgrenzung zwischen krank und gesund, das hat mich unglaublich fasziniert und fasziniert mich bis heute und führt dazu, dass ich einfach mit wirklich großem Herzblut Neurologe bin. Mir war auch immer klar, dass ich nicht nur in der Klinik Patienten helfen möchte. immer ein großes Herzensanliegen war es mir, dass man über diesen medizinischen Bereich hinaus dann doch auch forscht und versucht, herauszufinden, was diese Krankheit am Ende wirklich ausmacht. 

Und bei Hirntumoren ist eben zu beklagen, muss man sagen, dass trotz natürlich auch Fortschritten, die wir gemacht haben in den letzten 20, 30 Jahren, dass wir es eigentlich nicht gut geschafft haben, da neue Therapien zu entwickeln. 

 

Herr Winkler, vor einigen Jahren schon haben Sie entdeckt, dass die Tumorzellen im Gehirn mit den gesunden Nervenzellen in Verbindung stehen. Die gesunden Nervenzellen treiben sogar das Tumorwachstum an. Wie sind Sie darauf gestoßen? 

 

Frank Winkler: Das begann eigentlich mit der Idee, dass wir eine typische neurowissenschaftliche Methode, wo man quasi durch ein Glasfenster im Versuchstier die Tumorzellen beobachten kann und beobachten kann, was sie so tun und wie sie miteinander interagieren und wie sie dann auch mit dem Nervensystem, dem normalen Gehirn interagieren. Als wir dann Patientenmaterial untersuchten, also Tumorzellen von Patienten, die an Glioblastomen erkrankt waren, und die dann markierten und die dann implantierten, sahen wir, dass über die Zeit diese Tumorzellen ganz lange Prozesse ausbilden und sich dadurch dieser Tumor so effizient im gesunden Gehirn offensichtlich ausdehnen kann. 

Interessant war aber, dass diese langen Prozesse, die die Tumorzellen ausbildeten, dass die sehr ähnlich waren zu solchen Prozessen, die unreife Nervenzellen während der Entwicklung des Nervensystems ausbildeten. Die Tumorzellen haben also letztlich einen Mechanismus wiederentdeckt oder genutzt, der ihnen erlaubt, wie ein unreifes Nervensystem sich zu entwickeln. Und mit diesen langen Prozessen wird das Gehirn eben invadiert, wird kolonisiert. Und über die Zeit verbinden sich die Tumorzellen dann mit diesen Prozessen zu einem Netzwerk. Und dieses Netzwerk erlaubt den Tumorzellen Kommunikation miteinander in einer durchaus neuralen Art und Weise.

Das läuft zum Teil über Calciumwellen. Und in einer Kollaboration mit dem Varun Venkataramani und dem Thomas Kuner, hier auch in der Neuroanatomie in Heidelberg, haben wir dann gesehen, dass auf diesen langen nervenzellähnlichen Prozessen der Tumorzellen tatsächlich Synapsen sitzen. Und das war eine unglaublich spannende Entdeckung, denn das war in der Tat noch vollkommen unbekannt, dass Nervenzellen wirklich erregende, völlig normale, erregende Synapsen mit Nichtnervenzellen bilden können. Und dass das nun ausgerechnet Tumorzellen sind, mit denen diese Synapsen gebildet werden, das hat sicher unser Verständnis von dieser Erkrankung, aber auch mittlerweile von eigentlich allen Krebserkrankungen fundamental geändert. 

Denn was passiert, ist: dass die Nervenzellen durch diese Synapsen ständig eine Erregung der Tumorzellen ermöglichen. Und diese Erregung führt dazu, dass die Tumorzelle stärker sich teilt, also der Tumor wächst, und auch eine 

Invasion des Gehirns stattfindet, also der Tumor das Gehirn kolonisiert quasi. 

 

Das ist eine unglaubliche Entdeckung, aber es kommt einem natürlich sofort die Frage: Kann man diese Erkenntnis therapeutisch nutzen? 

 

Wenn man das hemmt, das probieren wir gerade in einer klinischen Studie, wo Patienten mit einem Glioblastom genau diese Substanz erhalten und wir dann hoffen, eben auch in Menschen erste Hinweise für eine klinische Wirksamkeit und einen klinischen Nutzen dieses Konzepts zu finden. 

Es bauen auch mehr klinische Studien in Deutschland mittlerweile auf genau unsere grundlegenden Erkenntnisse auf. Studien, die eben darauf abzielen, diese Tumorzell-Tumorzell-Netzwerke und die Nervenzell-Tumorzell-Netzwerke zu hemmen, zu stören und damit dem Tumor die Wachstumstreiber zu nehmen. Aber gleichzeitig auch, und das sehen wir auch in allen diesen Modellen sehr klar in allen präklinischen Modellen, dass man durch die Zerstörung dieses Netzwerks, es schafft, Tumore, die vorher unglaublich resistent waren gegen alle Therapien, die wir haben, dass die sich eben nicht mehr wehren können plötzlich und dann eben empfindlich werden und dann plötzlich die Strahlen- und Chemotherapie und auch die Operationen viel besser wirken als vorher. 

Muss man da Nebenwirkungen befürchten?

 

Wir müssen natürlich schauen, dass wir das gesunde Gehirn, das gesunde Nervensystem nicht gleich mit diskonnektieren, das ist klar. Interessanterweise gelingt das aber sehr gut mit verschiedenen Ansätzen, die wir eben auch präklinisch entwickelt haben in der Forschung hier in Heidelberg, und die jetzt in Deutschland und anderswo in klinischen Studien bereits probiert werden und wo wir keine unerwünschte und auch nicht tolerierbare Giftigkeit, Toxizität sehen gegen Patienten. Also wir sehen tatsächlich, dass wir das relativ spezifisch hinbekommen. Und der Grund dafür ist wahrscheinlich, dass wir Mechanismen hemmen, die eben für die frühe Entwicklung des Nervensystems eine wichtige Rolle spielen, aber zumindest für das Nervensystem des erwachsenen Menschen keine so große Rolle oder gar keine Rolle mehr spielen. Und deswegen kriegen wir da den Fuß in die Tür zwischen bösartig und gutartig. Und das ist natürlich ganz besonders wichtig überall in der Krebsmedizin.

 

Sie haben jetzt gesagt, die Tumorzellen und die Nervenzellen interagieren miteinander. Im Gehirn ist das ja naheliegend im wörtlichen Sinne. Jetzt haben Sie aber gesagt, dass es tatsächlich auch schon Beobachtungen gibt, dass das auch außerhalb des Gehirns eine Rolle spielt, dass das Nervensystem mit den Tumorzellen interagiert, mit ihnen Synapsen bildet und da offensichtlich ein Austausch stattfindet. Bei welchen Krebsarten kann man sich das denn vorstellen? Glauben Sie, das spielt bei allen anderen Krebsarten eine Rolle? 

 

Frank Winkler: Ja, das ist für wirklich mittlerweile den Großteil der großen Krebsarten gezeigt worden, also Brustkrebs, Lungenkrebs, Schwarzer Hautkrebs, Prostatakrebs, Pankreaskrebs und so weiter, dass diese Tumorerkrankungen eben ganz, ganz entscheidend abhängen davon, dass sie innerviert sind, dass also Nerven diese Tumore mit Nervenimpulsen versorgen. 

Diese Tumore induzieren selber ihre Nervenversorgung. Es bilden sich also neue Nerven auch, die diese Tumore dann mit kontrollieren. Und das Nervensystem hat in der Regel tumortreibende Effekte. 

Es gibt erste Hinweise, dass es die auch wirklich relevant außerhalb des Gehirns gibt. Wir haben schon selber jetzt Erkenntnisse und sind gerade dabei, eine Revision für eine große Arbeit zu verfassen, auch wieder mit hier vielen Kollaborateuren und Kollaborateurinnen hier in Heidelberg, in der wir diese Nervenzell-Tumorsynapsen auf Lungenkrebs-, auf Hautkrebs-, auf Brustkrebszellen entdecken, die Hirnmetastasen gemacht haben, also wieder im Gehirn. Und das ist spannend, weil es zeigt, dass Nervenzellen eben so beeinflussbar sind durch Tumorzellen, dass sie sogar Synapsen, also völlig normale erregende Synapsen, darauf vorkommen können und auch Hirnmetastasen treiben.

Also es ist völlig klar, Nerven und neuronale Aktivität und auch das Gehirn selber sogar über das periphere Nervensystem, was dann ja diese Tumore innerviert/ kann das Gehirn selber ganz konkret spezifisch bestimmte Tumore treiben in einer ganz klugen und logischen und leider sehr effizienten Weise.  

Das Gehirn hat viele Funktionen, neben natürlich der Kognition, den Gedanken, den Emotionen, allem, was wir so als höhere Hirnleistung bezeichnen, und natürlich auch die Steuerung unserer Bewegungen und so weiter. Aber das Gehirn treibt zum Beispiel auch, dass sich Organe entwickeln. Das ist für Wundheilung extrem wichtig. Das ist für Plastizität von Gewebe extrem wichtig. Also das Nervensystem treibt am Ende alles.

Und für mich als Neurologen macht das natürlich viel Sinn, diesem Konzept zu folgen, dass unser Nervensystem eigentlich der Chef ist, der Master Regulator, und eben nicht nur von physiologischen Prozessen, sondern eben dann auch von, wie wir sagen, pathophysiologischen Prozessen, also von Krankheiten und eben im Besonderen dann eben auch Krebs. 

 

Sie haben schon gesagt, es gibt Medikamente, die diese Synapsen hemmen und damit sich möglicherweise gut auswirken auf das Tumorwachstum oder eben das Tumorwachstum bremsen könnten. Kann man sich denn auch vorstellen, dass man da noch sozusagen früher eingreift, dass man präventiv sich überlegt, dass man die Nervenzellen so beeinflusst, dass ein Tumorwachstum schon im Keim gehemmt wird? 

 

Frank Winkler: Ja, das ist eine sehr interessante Frage, es gibt starke Daten, dass Stress zum Beispiel die Entstehung und das Fortschreiten von Tumoren in den Versuchstieren massiv fördern kann in vielen Modellen. Das heißt, natürlich ist das jetzt so noch nicht jetzt für Menschen gezeigt, und es ist vor allem noch nicht gezeigt, dass Stressreduktion und dass auch vielleicht kognitive Entspannungsverfahren und autogenes Training und Yoga und alles so Dinge, von denen wir ja das Gefühl haben, das tut uns gut, dass das jetzt wirklich Krebs verhindern kann. Aber sagen wir mal so: Wenn man sich die präklinischen Daten anguckt, und die sind relativ eindeutig in der Hinsicht, dann ist das sehr gut denkbar, dass man auch dadurch wirklich nicht nur Bluthochdruck vielleicht und Herz-Kreislauf-Erkrankungen und so weiter günstig beeinflussen kann, sondern auch Krebs vielleicht verhindern kann durch eben eine bewusste, eine wirklich sich selbst und die anderen wahrnehmende, wertschätzende, positive Sicht auf die Dinge. 

Und früher haben Patienten immer zu mir gesagt, viele der Hirntumor-Patienten aus dem verständlichen Bedürfnis daraus, dass man ja auch selber was tut, Ja, ich habe jetzt die und die kognitive Strategie. Oder: Ich habe jetzt durch positives Denken den Tumor kontrolliert. Früher habe ich immer gesagt: Na ja, wenn es Ihnen gut tut, dann glauben Sie daran. Und mittlerweile muss ich wirklich sagen: Also ehrlich gesagt kann das sehr gut sein. Und das ist sehr gut möglich, dass es genau so ist, wie Sie sagen. Und am Ende, auch das habe ich gelernt in den Jahrzehnten, wo ich Arzt bin, am Ende hat der Patient immer recht. Als ich damals im Queen Square Hospital for Neurology in London war, das ist so eines der großen neurologischen akademischen Lehrkrankenhäuser weltweit, und da habe ich mein letztes Jahr gemacht und habe mich dann verliebt in die Neurologie. Und da hat eben ein großartiger Dr. Blau oder Dr. Blow hieß der, ein deutsch-jüdisch emigrierter Neurologe, der in den 30er Jahren Deutschland verlassen musste in der Nazizeit und dann emigriert ist, der auch der Hausneurologe der Queen war und die Königsfamilie auch offensichtlich behandelt hat, der hat uns dann immer gesagt,: „Always listen to the patient, the patient always tells the truth.“ Also hör immer an, was der Patient zu sagen hat, der Patient sagt immer die Wahrheit. Erstmal dachte ich so, als ich noch jung war: Na ja, das ist jetzt nicht so plausibel, man hört auch viele Erklärungen, die jetzt nicht so viel Sinn machen. Aber wenn man darüber mal nachdenkt kann ich nur sagen: Ja, so ist es, am Ende erzählt auch der Patient immer die Wahrheit, und wir müssen eigentlich viel mehr unserem Patienten zuhören. Und wir werden viel mehr nicht nur erfahren von ihm und vielleicht was Gutes tun für sie selber, sondern auch über Krankheiten lernen. 

 

Haben Sie da einen speziellen Patienten vielleicht im Gedanken oder denken Sie an was Bestimmtes? 

 

Frank Winkler:, mir fällt ein Patient jetzt konkret ein, der gerade letzte Woche wieder da war. Der hat ein Glioblastom, und der hat eigentlich einen Tumor, wo man sagt, nach allen Regeln der Kunst, der hätte schon längst wieder wachsen müssen. Der tut es aber nicht. Der ist jetzt vier, fünf Jahre nach der Erstlinientherapie stabil. 

Und der hat von Anfang an mir erzählt, dass er eben an ganz starken kognitiven Strategien arbeitet in einer sehr ungewöhnlichen Form und dafür auch wahnsinnig viel Zeit aufwendet. mit Yoga, mit Meditation, mit allen diesen Dingen.Und ich habe jetzt entschieden letzte Woche, ich werde jetzt mal wenn er nächstes Mal kommt, genau hören, was genau er wie gemacht hat, weil das ist ja schon sehr interessant. Also natürlich gibt es immer wieder mal Ausreißer. Aber es gibt auch immer wieder so Patienten, wo man sagt: Mensch, ich glaube davon können wir vielleicht alle was lernen.

 

Herr Professor Winkler, vor etwa 30 Jahren wurde das Prinzip der Angiogenese entdeckt, dass der Tumor selbst dafür sorgt, dass er Blutgefäße anzieht, damit er versorgt wird mit Nährstoffen, mit Sauerstoff. Vor etwa 20 Jahren hat man gemerkt, welche wichtige Rolle das Immunsystem bei Tumoren spielt. Es wurde daraufhin das Prinzip der Immuntherapie entwickelt, weil der Tumor selbst sich gegen die Angriffe des Immunsystems wehrt. Jetzt kommt vor zehn Jahren die Entdeckung, dass auch das Nervensystem offensichtlich eine ganz wichtige Rolle bei den Tumoren spielt. Hat man die Tumoren unterschätzt? Hat man gedacht, das sind so kleine Fremdkörper im Körper, und hat das nicht so richtig wahrgenommen, dass der Tumor dazugehört und mit allen Organsystemen auch tatsächlich kommuniziert? 

 

Frank Winkler: Ja, ich denke, wir haben viel zu lange Krebs als was Fremdes angesehen, was gar nicht zu uns gehört, was ein Haufen von chaotischen Zellen ist, die sich chaotisch teilen. Mittlerweile haben wir gelernt, dass das eben eine extrem verkürzte und einfach auch falsche Sicht ist auf Krebs. Krebs ist eben extrem erfolgreich darin, leider, eben alles das, was da ist im Organismus, im Körper, für sich zu nutzen. 

Und die Gefäßneubildung, und das ist interessant, dass Sie das ansprechen, damit habe ich angefangen. Ich war zwei Jahre Postdoc in Harvard gewesen 2003 und 2004, und da habe ich untersucht, wie eben Hirntumore neue Blutgefäße bilden und dadurch eben dann wachsen können. Und ich habe damals schon untersucht, wie man durch eine gezielte Veränderung dieser Blutgefäße, durch Antiangiogene-Therapien dann die Sauerstoffversorgung des Tumors so verbessert, dass zum Beispiel Strahlentherapie besser wirkt. Also immer schon komme ich aus dieser Ecke, wenn man so will, wie schafft es der Tumor eben Nicht-Tumorzellen und Nicht-Tumorstrukturen, die da sind, so zu nutzen und zu verändern, dass eben er selber besser wachsen kann. 

Wir haben uns dann auch angefangen, genau wie Sie sagen, für Immunzellen zu interessieren und haben jetzt gerade herausgefunden einen neuen Weg, wie T-Zellen zu Hirntumoren wandern können. Das ist eine ganz neue, auch wieder eine Entdeckung mit dieser Intravital-Zwei-Photonen-Mikroskopie, sehr spannend. Wir haben auch den molekularen Mechanismus verstanden, und darauf kann man jetzt auch neue Ideen entwickeln, wie man diese Immuntherapien gegen Hirntumore verbessern kann, 

Und für mich ist jetzt Cancer Neuroscience, die Krebsneurowissenschaft, eigentlich eine perfekte ordnende Verbindung, denn unser Nervensystem reguliert auch ganz stark unser Gefäßsystem. Unser Nervensystem reguliert auch ganz stark und steuert unser Immunsystem. Das weiß jeder, der viel Stress hat und dann Hautausschlag bekommt, oder jeder, der an Neurodermitis leidet, kann das bestätigen, dass eben bei Stress dann die Krankheit schlimm wird und so weiter. Das alles sind ja Immunvorgänge, die durchs Nervensystem gesteuert werden. Und dasselbe gilt eben auch für Tumore. Und das ist jetzt hochspannend, dass unser Nervensystem leider unser Immunsystem so beeinflusst, dass es gehemmt wird, gegen den Tumor vorzugehen. Und das wurde jetzt für einige Tumore außerhalb des Gehirns gezeigt, vor allen Dingen für den schwarzen Hautkrebs und jetzt aber auch für Lungenkrebs zunehmend und andere Tumorarten. 

 

Die zweite Preisträgerin Michelle Monje forscht in Stanford zu ähnlichen Themen wie Sie, gibt es da eine Zusammenarbeit oder herrscht eher Konkurrenz?

 

Zwischen Stanford und Heidelberg gibt es einen extrem guten, extrem wertschätzenden und eben auch wirklich wertbringenden Austausch, indem wir gemeinsam Konzepte entwickeln, dann aber auch die Dinge so entwickeln, dass am Schluss sozusagen für das Feld wirklich ein Fortschritt da ist. Das ist uns gelungen bei der Entdeckung der Nervenzell-Tumorzell-Synapsen. Und ich hoffe sehr und es sieht momentan so aus, dass uns das auch wieder gelingt mit diesen anderen Themen, wie zum Beispiel diese Dreiecksbeziehung zwischen Nervensystem, Immunsystem und Krebs. 

 

Diese neue Cancer Neuroscience hat vielleicht den Blick auf Krebs verändert dadurch, dass man eben jetzt diese Verbindung des Nervensystems zum Krebs entdeckt hat. Gilt das auch umgekehrt? Sehen Sie auch die Neurologie durch diese Entdeckung unter neuem Licht oder in neuem Licht, dass die Neurologie auch noch eine gravierendere Rolle spielt, als man vielleicht bisher erwartet hat? 

 

Frank Winkler: Ja, also ich kann aus diesen ganzen Experimenten, Studien, die wir durchführen im Bereich Cancer Neuroscience auch viel für die Neurologie ableiten. In diesen Tumorzellen-Netzwerken sehen wir wirklich unglaubliche Funktionen. es ist schon was, was in Richtung Intelligenz geht. Also wir sehen, dass der Tumor zum Beispiel ganz genau erkennt, wenn irgendwo ein Schaden ist, und den ganz, ganz gerichtet repariert. Der Tumor hat offenbar eine Fähigkeit zur Erkenntnis seiner selbst in einer gewissen Weise. 

Meine Sicht auf das Nervensystem hat sich insofern verändert, weil ich jetzt nicht mehr glaube, dass Neuronen, Nervenzellen, die einzigen Zellen sind, die sowas können. Auch andere Zellen machen Netzwerke. Tumorzellen zum Beispiel, aber eben auch Astrozyten. Astrozyten, die eigentlich wie so eine Art von Klebstoff angesehen wurden lange, die einfach nur so eine Stütze für die Nervenzellen/ und die so ein bisschen ernähren und stützen, und sonst haben sie nicht viel Funktion. Pustekuchen! Das stimmt auch gar nicht. Astrozyten bilden ein ganz ähnliches Netzwerk wie die Tumorzellen auch miteinander, dieses Astrozyten-Netzwerk, was übrigens auch verbunden ist mit dem Tumor-Netzwerk/ Wir haben also ein bösartig-gutartiges Netzwerk, was direkt miteinander verbunden ist im Gehirn, also nicht nur mit Nervenzellen, mit Synapsen, sondern auch mit Astrozyten, mit sogenannten Gap Junctions, so kleinen Poren, sind die verbunden. Und diese Astrozyten, und das sind neueste Erkenntnisse, sind auch zu unglaublichen Dingen befähigt, wie zum Beispiel auch Gedächtnis offensichtlich 

Und wenn man einer Maus zum Beispiel menschliche Astrozyten gibt früh in der Entwicklung, dann wird die Maus klüger. Diese Maus wird dann eine Supermaus, die hochintelligent ist und alles viel besser kann als ihre Mitmäuse. Das heißt also, wir sehen viele verrückte Dinge, die passieren im Moment. Und ich glaube, wenn ich nicht durch diese Cancer Neuroscience einfach sehr offen geworden wäre für eigentlich alles, was möglich ist, und für vieles, was erstmal verrückt klingt, was sich dann aber als richtig herausgestellt hat, dann, glaube ich, wäre mein Blick auf die ganze Neurologie und das Nervensystem auch bis heute ein anderes. 

 

Herr Professor Winkler, Sie arbeiten hier mit Ihrem Team im Universitätsklinikum, um Patientinnen und Patienten zu behandeln. In der Medizinischen Fakultät der Universität forschen Sie. Sie haben auch eine Arbeitsgruppe im Deutschen Krebsforschungszentrum. Das hört sich interessant und interdisziplinär an. Es besteht offenbar eine wichtige Verbindung zwischen Forschung und Klinik. Welche Bedeutung sehen Sie darin, dass Sie Forschung und Klinik vernetzen? 

 

Frank Winkler: Ja, also was ich sicher bin, ist ein sogenannter Clinician Scientist, also ein wissenschaftlich tätiger Arzt. Und wenn man jetzt sich nur mal konzentriert auf diesen Bereich Cancer Neuroscience, Krebsneurowissenschaften, dann muss man feststellen, dass die, die das international treiben, das Feld im Moment, das sind genau solche Menschen. Das sind eben Menschen wie ich, die im Prinzip morgens eine Ambulanz haben, die Patienten betreuen, behandeln mit diesen Erkrankungen und dann auch noch mal eine Stationsvisite machen natürlich, um die stationären Patienten auch dann gut zu betreuen und zu behandeln, und dann aber eben auch immer wieder Zeiten haben, wo man sich viel mit Wissenschaft beschäftigt und dann diese Hypothesen, die man aus dem direkten Ringen mit der Krankheit in der Klinik gewinnen kann, dass man die dann wirklich prüft und im Labor umsetzt. Es geht auch darum, die richtige Frage zu stellen. Also was sind denn jetzt relevante Dinge für Patienten? Was ist denn auch relevant für die Krankheit wirklich? Und was ist nur so, ich sage mal, Lehrbuchwissen, was man sich aneignen kann, was man aber nicht erreichen kann, wenn man eben nicht wirklich mit diesen Krankheiten umgeht und hunderte, tausende Patienten mit diesen Erkrankungen schon erlebt hat und damit auch weiß, wie diese Krankheit tickt.

Und ich muss sagen, Heidelberg ist da mit der Universität Heidelberg, dem Universitätsklinikum, dem DKFZ ein absolut für mich wunderbarer Ort und ein ganz, ganz ungewöhnlich guter Ort, um gerade solche sehr interdisziplinären Dinge zu tun. Und wir haben hier in Heidelberg mit den Themen Krebs und dem Thema Neuro zwei ganz wichtige Schwerpunkte vor Ort. Und wir wollen jetzt auch in Heidelberg eben dieses Thema Cancer Neuroscience, Krebs Neurowissenschaft, zu einem wirklich für den ganzen Standort wichtigen, noch wichtigeren Thema machen, als es ist, und dafür auch Strukturen bauen, um möglichst mit vielen Arbeitsgruppen hier am Campus, die auch schon in dem Bereich arbeiten/ aber auch neue gewinnen, die dann mitarbeiten und die ihre Kompetenz und ihr Know-how mit einbringen. 

Das ist etwas, was mich auch umtreibt, auch den Professor Wolfgang Wick hier umtreibt, der eben neben seiner Funktion als Vorsitzender des Deutschen Wissenschaftsrates eben auch hier die Neurologische Klinik leitet Und ich denke, wir sind jetzt an einem Punkt angelangt in Heidelberg, wo wir auch so ein deutschlandweites Konsortium für Cancer Neuroscience mit natürlich Schwerpunkt in Heidelberg auf den Weg bringen können. Und da freue ich mich sehr drauf. Das ist ein tolles Ziel, eine große Aufgabe. Ich hoffe, dass uns das erfolgreich gelingt. Und dann, glaube ich, haben wir die Chance, hier in Heidelberg, in Deutschland, in einem ganz wichtigen Wissenschaftsbereich wirklich ganz vorne dabei zu sein und etwas aufzubauen, was es international so überhaupt noch gar nicht gibt.

 

Der Brain Prize wird Ende Mai in Kopenhagen persönlich vom Dänischen König überreicht. Wissen Sie schon, wie die Zeremonie ablaufen wird? 

 

Frank Winkler: Ja, es wird so sein, dass am Dienstag ein wissenschaftliches Symposium stattfinden wird, zu dem die Michelle Monje und ich dann die beiden Preisträger-Vorträge halten werden. Dazu dürfen wir dann auch einladen, und auch Familie und auch andere Kollegen kommen dazu. Darauf freuen wir uns schon sehr. Wir werden abends dann in ein Restaurant gemeinsam einladen, um gemeinsam wirklich auch mit Gästen zu feiern, auch mit den Familien. Das ist auch sehr schön, zeigt auch die große fachliche und auch mittlerweile ja persönliche Freundschaft, die da entstanden ist mit ihr. Und am nächsten Tag ist es dann so, von fünf bis neun soll die große Preisverleihung erfolgen durch den dänischen König. Dann gibt es wie immer Reden und Würdigungen und Laudatien. Und ja, das wird sicher auch eine tolle Sache. Ein großes Festbankett, Staatsbankett mit 400 Gästen wird das sein. 

Und dann ab neun Uhr ist dann abends, wie man so schön sagt, Open Bar. Da wird dann sicherlich auf dänische Art angestoßen auf diese großartige Sache. Und auch darauf freuen wir uns schon. Und am nächsten Morgen geht es dann gleich weiter, mal vier Tage nach Südtirol mit der Familie, um so ein bisschen auch mal als Familie dann noch gemeinsam das zu feiern. 

 

Sie erhalten rund 670.000 Euro persönliches Geld, das muss also nicht in die Forschung gesteckt werden, zur privaten Verfügung. Haben Sie schon Pläne? 

 

Frank Winkler: Ja, noch gar keine so weitreichenden, konkreten. Mich treibt im Moment sehr die Sorge an um die politische Entwicklung. Ich möchte weiter in einer freiheitlichen, liberalen Demokratie leben. Ich möchte weiter in einem Staat leben, in dem Minderheitenrechte respektiert werden, in dem die Menschenwürde gilt. Ich möchte weiterhin Wissenschaft machen in einer offenen, freiheitlichen Gesellschaft, in der ich das tun und lassen kann im Prinzip, was ich will, nur getrieben von den Daten. Ich möchte weiter in einem Land leben, in dem Fakten nicht als bloße Meinungen angesehen werden, sondern in dem Fakten weiter Fakten bleiben und in dem es einfach bestimmte Wahrheiten gibt, auf die man sich dann auch hoffentlich verständigen kann.

Und da mich das so umtreibt, wie viele andere Menschen in unserem Lande ja auch, werde ich sicherlich einen Teil des Preisgeldes spenden für solche Aktionen, für demokratiefördernde Dinge, Petitionen, Aktionen, die uns allen helfen möglicherweise, gemeinsam festzustellen, was ist denn wirklich wichtig und wo liegen jetzt die großen Gefahren, sich wieder zurückzuentwickeln in düstere Zeiten, die wir eigentlich ja schon mal hatten und wo wir eigentlich doch alle wissen, dass uns das nirgendwo hinbringt, nur in den Untergang. Und deswegen werde ich auch für diese Dinge eben einen guten Teil des Preisgeldes aufwenden. 

Ja, dann ganz herzlichen Dank, Herr Professor Winkler und noch einmal die allerherzlichsten Glückwünsche zu diesem Preis und alles Gute für die Zukunft. 

 

Frank Winkler: Ja, vielen herzlichen Dank.