Nöding & Voges: Watt 'ne Law

Energiewende im Slalom: Speicher, Netze und das Regulierungs-Feintuning

Michael Nöding & Dirk Voges Season 1 Episode 21

In dieser Folge von Watt ’ne Law sprechen wir mit Fokke Peters (ENERPARC) über die nächste Ausbaustufe der Energiewende – und darüber, warum Regulatorik aktuell eher Slalomlauf als Spaziergang ist. Ausgangspunkt ist die neue Abgrenzungsoption (NISPL-Prozess) der Bundesnetzagentur: Sie ermöglicht erstmals, Grünstromspeicher so zu fahren, dass Graustrom mitgedacht wird, ohne die Förderlogik komplett zu sprengen. Ein Hebel für zusätzliche Wirtschaftlichkeit – aber mit offenen Flanken bei Herkunftsnachweisen und Detailvorgaben.

Wir diskutieren, wie sich der permanente Regelungs-Takt – vom geplanten EEG 2027 bis zu § 8a EEG (flexible Netzanschlussverträge/FCA) – auf Marktteilnehmer auswirkt. Einerseits braucht das System schnelle Anpassungen, um negative Strompreise, Redispatch-Kosten und den massiven Roll-out von BESS in den Griff zu bekommen. Andererseits überfordert die Komplexität kleinere Player und verschiebt Markteintrittsbarrieren nach oben.

Ein Schwerpunkt liegt auf der Rolle der Netzbetreiber: von überlasteten Anschlussabteilungen mit „Wir prüfen in fünf Jahren“-Bannern hin zu ersten Beispielen für KI-gestützte Netzanschlussprozesse und intelligenter Netzentgelt-Systematik. Wir sprechen über FCAs als Brückentechnologie zwischen sofortigem Anschluss und spätem Netzausbau, über Fachkräftemangel und Systemkosten – und darüber, warum Deutschlands mühsam erarbeitete Lösungen für voll erneuerbare Energiesysteme perspektivisch ein Exportprodukt erster Güte werden können.

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1. Regulatorische Taktung & systemischer Druck

Die Energiewende läuft in einem Tempo, das viele Marktakteure in den Überlebensmodus zwingt. Während Technologien – insbesondere im Speicherbereich – rasant reifen, zieht die Regulatorik gleichzeitig das Tempo weiter an. Die Folge: ein „Regulierungsslalom“, der kleine und mittlere Marktteilnehmer zunehmend ausschließt, da nur größere Unternehmen die permanente Analyse neuer Regelungen stemmen können.
 Die Diskussion um das geplante EEG 2027 zeigt, dass die Politik zwar längere parlamentarische Verfahren anstrebt, die operative Komplexität aber weiter steigt.

2. Abgrenzungsoption (MISPL): Potenzial und Grenzen

Die neue Abgrenzungsoption der Bundesnetzagentur ermöglicht erstmals Speicherfahrweisen, die Grünstrom und Graustrom wirtschaftlich und regulatorisch sauber kombinieren.
 Das eröffnet neue Geschäftsmodelle und steigert die Wirtschaftlichkeit von BESS-Anlagen deutlich.
 Gleichzeitig bestehen technische und formale Unsicherheiten:

  • unklare Vorgaben bei Herkunftsnachweisen
  • komplexe Zähler- und Formelvorgaben
  • offene Punkte in der Novellierung
     Trotzdem gilt die Abgrenzungsoption als einer der relevantesten Hebel für die nächsten Speicherjahre.

3. BESS-Markt: Innovationskraft, Dynamik und Kostenentwicklung

Seit 2024 hat der Speicher-Markt eine enorme Dynamik aufgenommen.

  • Der Preisverfall bei Batteriesystemen kam schneller und stärker als erwartet.
  • Neue Erlösmodelle wie Revenue-Stacking, algorithmische Handelsstrategien und flexible Fahrweisen gewinnen an Relevanz.
  • Projektierer müssen operative Fähigkeiten, Regulatorikverständnis und Netzknow-how neu kombinieren.
     Diese Innovationskraft ist ein wichtiger Treiber – aber auch ein Überforderungspunkt für kleinere Marktakteure.

4. Netzanschluss in Deutschland: Realität, Engpässe und Fortschritte

Die Praxis zeigt zwei gleichzeitige Entwicklungen:

Herausforderungen:

  • über 850 Netzbetreiber mit teils stark unterschiedlichen Prozessen
  • überlastete Anschlussabteilungen
  • mehrjährige Bearbeitungszeiten in der Vergangenheit
  • massiver Fachkräftemangel, insbesondere in der Elektrotechnik

Fortschritte:

  • KI-basierte Netzanschlussprozesse bei ersten großen Verteilnetzbetreibern
  • aktualisierte technische Anschlussbedingungen für BESS und Co-Location
  • bessere Koordination zwischen Netzbetreibern und Bundesländern
     Einzelne Netzbetreiber, wie die Schleswig-Holstein Netz AG, konnten durch strukturierten Netzausbau Redispatch-Mengen drastisch reduzieren – trotz steigender erneuerbarer Einspeisung.

5. Flexible Netzanschlussvereinbarungen (§ 8a EEG / FCA)

FCA sollen eine Brücke schlagen zwischen sofortigem Netzanschluss und verzögertem Netzausbau.
 Sie ermöglichen:

  • temporär eingeschränkte Fahrweisen
  • schnelleren Netzanschluss trotz Engpässen
  • wirtschaftliche Projektumsetzung vor Netzausbau

Die Realität ist allerdings zweigeteilt:

  • flächendeckende Praxis existiert noch nicht
  • viele Netzbetreiber zögern
  • Musterverträge werden erst ab 2026 erwartet

FCA bleiben aber ein unverzichtbares Werkzeug für die BESS-Skalierung in Deutschland.

6. Netzentgeltsystematik & Standortlogik (AGNES)

Die aktuelle Netzentgeltlogik bietet kaum Preissignale, um gute und schlechte Standorte klar zu unterscheiden.
 Der AGNES-Prozess der Bundesnetzagentur könnte dies ändern:

  • dynamische Netzentgelte
  • realistischere Kostensignale für Erzeuger und Speicher
  • bessere Verzahnung zwischen Projektierung und volkswirtschaftlicher Systemlogik

Ein intelligentes Netzentgeltsystem könnte viele Standortkonflikte lösen – ist aber regulatorisch komplex.

7. Fachkräftemangel & KI als Schlüsseltechnologie

Die Engpässe im Netz- und Projektgeschäft sind stark durch fehlende Fachkräfte geprägt, insbesondere im technischen Bereich.
 Gleichzeitig entstehen erste KI-basierte Lösungen für standardisierte Vorgänge, wie:

  • automatisierte Netzanschlussprüfungen
  • digitale Lastanalysen
  • Prozessverkürzung im Netzbetrieb
     KI kann hier kein Personal ersetzen, aber Prozesse drastisch beschleunigen und Engpässe abmildern.

8. Deutschlands Rolle im internationalen Kontext

Deutschland ist eines der ersten Länder, das ein voll erneuerbares Energiesystem nicht nur plant, sondern realisiert.
 Die Kombination aus:

  • regulatorischer Komplexität
  • Speicherintegration
  • Lastmanagement
  • Engpassmanagement
  • Marktdesign
     schafft Know-how, das international gefragt sein wird.
     Die Lösungen, die heute in Deutschland entstehen, werden perspektivisch Exportmodelle mit globaler Relevanz.

Kurzfazit:

Die Episode zeigt klar:
 Die Energiewende tritt in ihre komplexeste Phase ein. Speicher, Netze und Regulatorik verzahnen sich stärker denn je.
 Die Chancen sind enorm – aber nur, wenn Regulatorik, Technik und Netzbetreiber in der Realität zusammenfinden.
 Deutschland steht an einem Punkt, an dem technologische Innovationskraft und regulatorische Anpassungsfähigkeit über den Erfolg des gesamten Energiesystems entscheiden.