In_equality Podcast

Bildungsungleichheit – Was empfinden Schüler*innen als (un)fair?” mit Claudia Diehl und Nadja Wehl

Universität Konstanz - Exzellenzcluster "The Politics of Inequality" Season 1 Episode 4

Hosts:

Marius R. Busemeyer – Professor für Vergleichende Politische Ökonomie an der Universität Konstanz und Sprecher des Exzellenzclusters „The Politics of Inequality“.

Gabriele Spilker – Professorin für International Politics – Global Inequality an der Universität Konstanz und Co-Sprecherin des Exzellenzclusters.


Gäste:

Claudia Diehl – Professorin für Mikrosoziologie und Co-Sprecherin des Exzellenzclusters. Sie leitet das PerFair-Projekt und forscht u. a. zu Bildungsungleichheit, Migration und sozialer Mobilität.

Nadja Wehl – Postdoktorandin im PerFair-Projekt, Politikwissenschaftlerin mit Schwerpunkt politische Beteiligung, insbesondere im Jugendalter.

 Episodenüberblick

In dieser Episode diskutieren die Hosts gemeinsam mit Claudia Diehl und Nadja Wehl das Thema Bildungsungleichheit in Deutschland, mit einem Fokus auf die Wahrnehmung von Fairness bei Schüler*innen. Im Mittelpunkt steht das Projekt PerFair (Students’ Perceptions of Inequality and Fairness) – eine umfassende Studien zur Wahrnehmung von Bildungsungleichheit durch Jugendliche.


Kernfragen und Diskussionspunkte


1. Was ist Bildungsungleichheit?

2. Wahrnehmung von Fairness im Bildungssystem

3. Methodische Vorgehensweise 

4. Politische Einstellungen von Jugendlichen

5. Migration und Ungleichheitsbewusstsein


 Links & Quellen:

·       Mehr zum Exzellenzcluster „The Politics of Inequality

·       Weiterführende Literatur:

o   Diehl, C., Pomianowicz, K., Hinz, T. (2024). On the Wrong Track? Perceived Track Mismatch among Ethnic Minority and Majority Students in the German Educational System. Working Paper No. 35. Cluster of Excellence „The Politics of Inequality“. 

o   Garritzmann, S., Wehl, N. (2024): How Education Policies Shape Inequality: Analyzing Policy Feedback Effects in Germany. Comparative Political Studies. 

Mehr über den Exzellenzcluster „The Politics of Inequality“.

More about the Cluster of Excellence “The Politics of Inequality

Kontakt: cluster.inequality@uni-konstanz.de

Contact: cluster.inequality@uni-konstanz.de

Transkript – Inequality Podcast Folge 4

Marius R. Busemeyer: Herzlich willkommen zu einer neuen Ausgabe des Inequality Podcasts. Ich bin Marius Busemeyer, Sprecher des Exzellenzclusters “The Politics of Inequality und Professor für Politikwissenschaft, und hier sitzt…

Gabriele Spilker: Gabi Spilker, auch Professorin für Politikwissenschaft und Co-Sprecherin des Clusters “The Politics of Inequality”.

Marius R. Busemeyer: Heute haben wir zwei besondere Gästinnen bei uns Claudia Diehl und Nadja Wehl, die wir gleich noch mal etwas ausführlicher vorstellen möchten. Erst einmal ganz allgemein: Worum geht es heute in dieser Folge? Es geht um Bildungsungleichheit und auch vor allem die Wahrnehmung von Ungleichheit durch Schülerinnen und Schüler insgesamt - wir hatten ja auch schon eine Folge zur Wahrnehmung von Ungleichheit mit Juan Diego - ist das Thema Wahrnehmung von Ungleichheit bei uns im Forschungsprogramm des Clusters ein sehr wichtiges und vor allem die Frage, wie sich subjektive Wahrnehmungen von Ungleichheit vielleicht auch auf politische Beteiligung auswirken und genau das ist der Schwerpunkt des Projekts, das wir heute etwas ausführlicher besprechen, nämlich das Projekt “Students Perceptions of Inequality and Fairness” oder kürzer “PerFair”.

Und PerFair ist ein bisschen ein besonderes Projekt bei uns im Cluster, nicht nur, weil es objektiv betrachtet das Größte ist von sowohl von der Zahl der Leute, die da beteiligt sind, aber auch was das Budget angeht, denn wir haben da eine sehr umfangreiche Datensammlung. Ich müsste an der Stelle vielleicht auch im Sinne der Transparenz sagen, dass ich selbst auch Teil des Projektteams bin, mich also bis zum Gewissen grad selbst interviewe heute, aber das kriegen wir trotzdem hin.

Jedenfalls beschäftigt sich PerFair genau mit dieser Frage, wie sich subjektive Wahrnehmungen von Ungleichheit auswirken auf politische Einstellungen, die sich im Lebenslauf heraus entwickeln, und zwar fokussieren wir uns oder fokussiert sich das PerFair-Team auf die Schülerinnen und Schüler im Alter von 12 Jahren und dann werden sie auch immer älter und das Projekt begleitet diese SchülerInnen durch ihre Bildungskarriere.

Also jetzt aber zu unseren heute heutigen Gästen zuerst Nadja Wehl. Sie ist Postdoktorandin im PerFair Projekt seit Beginn, also seit gut fünf Jahren, und hat vorher in Bamberg promoviert und ist speziell Expertin für die Frage der politischen Beteiligungsforschung und hat promoviert eigentlich zur Frage, wie sich Arbeitsmarkt auf politische Beteiligung auswirkt und jetzt eben Mitarbeiterin im PerFair Projekt Herzlich Willkommen bei uns.

Nadja Wehl: Hallo

Marius R. Busemeyer: dann haben wir Claudia Diehl, sie ist nicht nur Co-Sprecherin des Exzellenzclusters “The Politics of Inequality” seit Anfang an, sondern eben auch die Leiterin dieses Projekts Per und Professorin für Mikrosoziologie mit vorherigen Stationen in Göttingen und anderen Orten und auch schon seit über zehn Jahren in Konstanz. Herzlich willkommen auch an dich, liebe Claudia.

Claudia Diehl: ja, schön hier zu sein!

Gabriele Spilker: super und dann würde ich sagen, gehen wir mitten rein ins Thema, aber bevor wir uns mit PerFair auseinandersetzen, würde ich gerne ein paar allgemeinere Fragen stellen, damit unsere Zuhörerinnen und Zuhörer ein bisschen besser verstehen vielleicht, warum ist Bildungsungleichheit so wichtig? Worüber reden wir heute eigentlich?

Und daher die Frage, vielleicht einfach vielleicht auch nicht einfach. was ist Bildungsungleichheit und was für potenzielle Implikationen hat die denn?

Claudia Diehl: also Bildungsungleichheit,, wenn ich mal anfangen kann, da geht es natürlich  eine wichtige Ressource, die ungleich in der Gesellschaft verteilt ist, nämlich die Ressource Bildung Da kann man sich ganz unterschiedliche Sachen angucken, zum Beispiel Bildungsabschlüsse, man kann sich aber auch sowas wie Noten oder Kompetenzen angucken und da ist in Deutschland vor allen Dingen das Bildungssystem unter verstärkter Beobachtung, weil in Deutschland eben der Zusammenhang das geht häufig durch die Presse zwischen der Bildung der Eltern und der Bildung der Kinder sehr hoch ist. Also im Prinzip weiß man schon ziemlich genau auf welche Schule wird später mal ein Kind in unserem gegliederten Schulsystem gehen je nachdem welche Bildung die Eltern haben?

Das weckt natürlich Skepsis, weil wir schon die Idee haben, dass eigentlich in der meritokratischen Gesellschaft die Tatsache, in welche Familie ein Kind reingeboren wird, nicht darüber entscheiden sollte, was es für eine Bildungskarriere macht. Empirisch ist aber dieser Zusammenhang eben eng.

Marius R. Busemeyer:  Was meinst du jetzt mit meritokratischer Gesellschaft genau?

Claudia Diehl: Meritokratisch heißt, dass eigentlich alles was zählen sollte, wenn es darum geht, welchen Platz jemand in der Gesellschaft einnimmt, eben die eigene Leistung ist und wenn wir jetzt sagen gut, wenn aber in dem Moment, wenn ein Kind auf die Welt kommt wissen wir in Deutschland schon mit, da können wir schon relativ gute Vorhersage darüber machen, auf welchem Schultyp wird das Kind später landen, dann weckt das natürlich eine Skepsis, ob es da eigentlich mit fairen Dingen zugeht.

Gabriele Spilker: und kann man sogar so weit gehen zu sagen, dass wir wahrscheinlich auch viel Potenzial bei den Kindern einfach brach liegen lassen, weil nicht jedes Kind die gleichen Bildungschancen hat, von Anfang an und wir deswegen vielleicht Potenzial nicht ausnützen? ist, ist das eine Folge? oder ist auch eine Folge, dass durch diese Bildungsungleichheit vielleicht politische Prozesse gesteuert werden oder darauf Einfluss haben?

Claudia Diehl: ja, das mit den Ressourcen brachliegen, das ist natürlich ein ganz wichtiger Punkt, wenn man den Verdacht hat, es gibt Kinder, die kommen intelligent zur Welt, und die wachsen aber in Familien mit geringer Bildung auf, und die haben deswegen einfach schon eine geringe Chance, später aufs Gymnasium zu gehen, dann ist das natürlich was, was wir uns eigentlich nicht erlauben können, aber was natürlich ganz wichtig zu verstehen ist, ist das nicht diese ganze Ungleichheit, wo wir uns zu Recht fragen, was hat die für Ursachen und die eine große Skepsis auslöst, dass die natürlich häufig schon entsteht, bevor ein Kind den ersten Kontakt mit dem Bildungssystem hat.

Das ist eigentlich das, was das Thema so komplex und so schwierig macht, und das geht vielleicht auch manchmal in der öffentlichen Diskussion ein bisschen unter, da werden diese starken Ungleichheiten sehr stark dem Bildungssystem zugeschrieben. Aber man kann eben sagen schon bevor ein Kind in die Schule kommt, sehen wir einen sehr, sehr engem Zusammenhang, zum Beispiel zwischen kognitiven Kompetenzen und Elternhaus, und das liegt nicht nur daran, dass natürlich sowas wie Intelligenz ein Stück weit auch vererbt wird, sondern das liegt eben daran, dass Kinder unter sehr unterschiedlichen Bedingungen aufwachsen.

Jetzt kann man sagen Wenn man jetzt mit wirklichen Vorschlag machen möchte, wie kann man Bildungsungleichheit reduzieren, dann wäre vermutlich das Erfolgsversprechende möglich zu sagen Im Alter von einem Jahr gibt es eine Kita Pflicht, acht Stunden am Tag und es wird ausgelost in welche Kita ein Kind geht, das ist natürlich politisch niemals durchsetzbar, ist auch ethisch problematisch, wird auch niemals passieren, aber ich sage mal dadurch dass wir das nicht machen, sondern in den ersten Lebensjahren die Familie so stark prägend ist, ist es sehr schwer, dann im Bildungssystem diesen Ungleichheiten genug entgegenzusetzen,  um diesen Ausgangszustand, den ich eben versucht habe zu beschreiben, wirklich an dem wirklich was zu ändern.

Gabriele Spilker: Das ist super spannend und da habe ich gleich noch eine Folgefrage, bevor wir dann doch auch endlich hoffentlich in euer Projekt reingehen. Wir hören immer in dieser Diskussion sehr stark, dass in Deutschland diese Bildungsungleichheit aufgrund unseres sehr speziellen doch gliedrigen  Schulsystems oft einfach sehr stark ausgeprägt ist. Aber das, was du jetzt sagst, deutet ja auch ein bisschen darauf hin, dass ein Teil eben gar nicht notwendigerweise was mit unserem Schulsystem zu tun hat, ein anderer Teil vielleicht schon, da kommen wir auch nachher noch mal hin. Wie steht denn Deutschland dann im Vergleich? Da ist es bei uns also ich weiß, die EU-Bildungsungleichheit ist bei uns relativ groß, aber ist dann ein Teil einfach was, was wir vielleicht auch gar nicht, wo wir gar nicht gegen ankommen?

Claudia Diehl: Ja, das ist eine Frage, die ganz schön kompliziert zu beantworten ist. Deutschland steht nicht gut da. Man muss aber auch sagen in den Ländern, die kein Bildungssystem wie unseres haben, wo die Kinder schon sehr früh auf unterschiedliche Bildungszweige aufgeteilt werden, da gibt es auch sehr große, einen sehr großen Zusammenhang zwischen elterlicher Bildung und dem der Position, die Kinder später in der Gesellschaft einnehmen, und das hat etwas damit zu tun, dass sich in solchen Gesellschaften die Schulen sehr stark unterscheiden.

Claudia Diehl: Da haben vielleicht alle den gleichen Schultyp, aber trotzdem ist es da dann ganz klar okay, ein Akademikerkind geht auf eine sehr gute Schule und ein Kind ohne akademisch gebildete Eltern geht zwar auf den gleichen Schultyp, aber das ist eine ganz andere Schule, weil die Schulen zum Beispiel Zugangstests haben und was man auch noch sagen muss was im deutschen System doch noch ganz gut funktioniert ist, dass Kinder eben später diese diesen früh, diese früh eingeschlagenen Bildungswege noch korrigieren können. Deswegen ist, wenn wir uns dann wirklich mal angucken, den Zusammenhang zwischen wie wir es nennen, Origin und Destination, also wo kommen die Kinder her bildungsmässig und wo landen sie später in der Gesellschaft? Zum Beispiel auf dem Arbeitsmarkt? Da ist jetzt dort, da sticht jetzt Deutschland im internationalen Vergleich nicht ganz krass heraus.

Und deswegen und da sind wir vielleicht dann schon auch beim PerFair Projekt denk ich wenn man sich die Literatur wirklich sehr gut anguckt und man dann sagen mal Policy Recommendations machen möchte, was macht man jetzt mit unserem ungleichen Bildungssystem, dann darf man sich eigentlich gar nicht immer nur die akademischen oder die Folgen für den Arbeitsmarkt angucken, sondern muss man fragen, und das ist eine Frage, die ich mittlerweile viel interessanter finde als diese Frage nach den akademischen Folgen: Was bedeutet das eigentlich sozial für uns? Also, wir trennen Kinder im Alter von zehn Jahren und sagen Du gehst auf das Gymnasium, da triffst du vor allen Dingen Kinder aus anderen gebildeten Elternhäusern, und du gehst auf die Hauptschule, da ist praktisch kein Kind, wo die Eltern Akademiker sind, und das ist was, was mich eigentlich aus einer Ungleichheitsperspektive mindestens so sehr interessiert und womit wir uns beschäftigen sollten und das ist ja auch was, was wir im per Fair uns anschauen.

Marius R. Busemeyer: das ist doch jetzt eine gute Überleitung, da können wir jetzt mal ein bisschen spezieller über das Projekt sprechen. Nadja, vielleicht kannst du einfach mal so als Einstieg groben Ausblick geben: Was macht eigentlich dieses per Fair Projekt, warum ist das überhaupt so groß und was untersucht ihr da? Werden da auch genau diese Ungleichheiten untersucht, wie stark ist die Bildungsungleichheit im System oder worum geht es eigentlich genau?

Nadja Wehl: Ja, warum das Projekt so groß ist, ist, glaube ich, eine gute Frage, denn es ist auf sehr vielen unterschiedlichen Dimensionen sehr groß. Also einerseits würde ich sagen ist der Kernfokus des Projekts, die Wahrnehmung von Ungleichheit und Unfairness, so heißt das Projekt ja auch unter Schülerinnen und Schülern. Und von diesem Kern ausgehend interessiert uns dann erst mal, wie genau diese Wahl also eben nicht nur die objektive sozioökonomische Position, sondern die Wahrnehmung mit unterschiedlichen politischen Konzepten zusammenhängt.

Also sei es wie interessiert sind die Schülerinnen und Schüler an Politik, nehmen die überhaupt schon irgendwie aktiv an politischen Veranstaltungen teil, also gehen die auf Demonstrationen und so weiter. Vertrauen die der Politik und natürlich auch haben die schon konkrete politische Forderungen und wenn ja, welche? Das heißt im Prinzip zoomen wir ein bisschen rein von diesem sehr großen Bild, was Claudia jetzt aufgezeigt hat, zu einer erst mal etwas kleineren oder sozusagen genaueren Fragestellung, die natürlich dann sehr relevant ist für die weitere Entwicklung von politischer Ungleichheit.

Marius R. Busemeyer: aber es geht ja auch wieder so ein bisschen  um diese Spannung vielleicht zwischen objektiver Ungleichheit und der subjektiven Wahrnehmung davon. Also Claudia, wenn du eben beschreibst Kinder kommen ins Schulsystem rein, sind eigentlich objektiv schon das wissen wir aus der Bildungsforschung auf unterschiedlichen Tracks unterwegs, und manche haben es leichte, andere haben schwerer. Dann ist ja die Frage: Nehmen, die das überhaupt selbst so wahr? Also fühlen die sich selbst unfair behandelt, wenn sie auf einem niedrigeren Schulzweig landen als der Nachbar, der vielleicht aufs Gymnasium geht. Was findet ihr, da ist das so oder…

Claudia Diehl: Ja, da waren wir vielleicht selbst ein bisschen überrascht, weil wir tatsächlich sehen, dass die Kinder eigentlich noch kein ausgeprägtes Bewusstsein dafür haben, dass es da nicht mit rechten Dingen zugeht.

Claudia Diehl: Also, man muss natürlich auch bedenken Das sind Siebtklässlerinnen und Siebtklässler, die machen sich, wenn sie nicht gerade eine Mutter haben, die Co-Sprecherin des Inequality Clusters ist, machen sich über so Ungleichheit nicht so viele Gedanken, und wir fragen das tatsächlich die Kinder, das ist natürlich auch nicht ganz unproblematisch.

Wir erklären Ihnen also kurz in anderen Ländern gibt es gehen die Kinder länger gemeinsam zur Schule, hier werden die Kinder nach der vierten Klasse oder nach der fünften Klasse auf unterschiedliche Schultypen aufgeteilt findet ihr das fair? Und das finden die Kinder ganz überwiegend fair. Und wir fragen Sie dann auch, ob sie denken, dass sie selber auf dem richtigen Schultyp gelandet sind, und auch da sagen mit Abstand die meisten Kinder, dass das tatsächlich der Fall ist und versuchen dann weiter, dieses Fairness Bewusstsein zu untersuchen, indem wir sie zum Beispiel fragen, ob sie glauben, dass das Noten insgesamt fair sind oder dass Ihre eigenen Noten fair sind oder dass bestimmte Gruppen in der Gesellschaft, zum Beispiel Kinder von nicht akademisch gebildeten Eltern oder Jungen oder Kinder mit Migrationshintergrund schlechtere Noten bekommen.

Und da sagen sie ja, das wissen Sie also so ein so ein deskriptives Bewusstsein für Ungleichheit haben sie, sie sagen Jungen und Kinder gering gebildeter Eltern haben schlechtere Noten, aber wenn wir sie dann fragen, ja warum haben denn manche Kinder schlechte Noten? Dann sagen sie halt ja, weil sich die Kinder nicht anstrengen

Marius R. Busemeyer: das ist die Meritokratie…

Claudia Diehl: genau das ist die Meritokratie und das haben Kinder ganz stark internalisiert. Also sie sagen – und wir haben also nach ganz unterschiedlichen Faktoren gefragt: Liegt es am Geschlecht, liegt es am Migrationshintergrund, daran, dass Eltern vielleicht arm sind, daran, dass Kinder in der Klasse stören, dass sie sich wenig anstrengen? Da sagen sie, ist der mit Abstand wichtigste Faktor ist die Anstrengung. also sie glauben an was wir Effort nennen und

Gabriele Spilker: Ich habe nur eine kurze Zwischenfrage, die gar nicht so sehr mit euren Ergebnissen, die alle super spannend sind, zu tun haben, sondern kurz noch mal als, als Hintergrund für unsere Zuhörerinnen und Zuhörer. Das liegt nicht daran, dass ihr nur eine ganz spezielle Gruppe befragt. Ich bin mir nicht sicher, wir haben noch gar nicht darüber gesprochen, wen ihr eigentlich befragt und wie viele ihr befragt. Und das ist das Besondere und das Tolle an diesem Projekt, und das ist das, was Nadja gesagt hat, das ist in vielen Dimensionen so groß. Und vielleicht Nadja, ganz kurz einmal, wen befragt ihr denn alles, und damit wir vielleicht gleich mal diesen Einwand ausräumen können, dass es in irgendeiner Weise ein Selektionsproblem sein könnte oder eine ganz Kleine Stichprobe, das ist es nämlich alles gar nicht.

Nadja Wehl: genau also noch mal vom Anfang her aufgerollt. Also wir befragen Schülerinnen und Schüler in Deutschland, und zwar konkreter in drei Bundesländern, in Baden-Württemberg, in Sachsen und in Schleswig-Holstein. Innerhalb dieser Bundesländer befragen wir jeweils Schülerinnen und Schülern auf allen gängigen Schultypen. Dann noch wichtig dazu wir befragen nicht nur die Schülerinnen und Schüler selbst, sondern auch deren Eltern, deren Lehrkräfte, die Schulleiter sogar also sozusagen wirklich die Schülerinnen und Schüler in ihrem Kontext , um darüber wirklich ihre Lebenswirklichkeit und verschiedenste Einflüsse, die auf sie einprasseln, messen zu können.

Insgesamt haben wir auch ziemlich viele Schülerinnen und Schüler, wir sind bei einer Größe von circa 3000 und wir haben natürlich auch ähm versucht unterschiedlichste ja selektionsprobleme dadurch auszuschließen, dass natürlich wurden diese schulen erstmal ausgewählt von einer bestehenden Liste an schulen

Marius R. Busemeyer: ja, und wie kann man sich das konkret vorstellen? Ruft ihr da im Schulsekretariat an und sagt “hier ist die Uni Konstanz, können wir morgen vorbeikommen und ein Interview machen”?

Nadja Wehl: Ja, theoretisch würde es eventuell so gehen, aber ich muss sagen glücklicherweise haben wir es nicht so gemacht, sondern wir arbeiten natürlich mit einem Survey Institut zusammen, also mit einem Befragungsinstitut, das uns bei all diesen organisatorischen Schritten hilft. und konkret läuft es dann so ab, dass Mitarbeitende von diesem Institut an die Schule gehen und dort innerhalb der Schulzeit eine Befragung eben mit den Schülerinnen und Schülern durchführt.

Gabriele Spilker: und nur kurz, damit auch wirklich allen Zuhörerinnen und Zuhörern klar wird, was für eine logistische Meisterleistung das ist. Das hört sich jetzt so einfach an Survey Institut geht da mal hin und wie auch immer, aber da stecken ja wahnsinnig viele Erlaubnisse und zustimmungspflichtige Dinge dahinter, vielleicht kurz 2, 3 Sätze dazu, was das für wirklich eine administrative Meisterleistung war.

Nadja Wehl: genau, tatsächlich ist es gerade in Deutschland so, dass man eben nicht einfach so in eine Schule hereinspazieren darf und dann einfach mal mit den Schulkindern spricht. Genau, man braucht Genehmigungen, insbesondere Genehmigungen von den Kultusministerien, also wir leben ja im Föderalismus und Bildung ist Ländersache und das bedeutet: Wenn man wie wir eine Befragung in drei Bundesländern durchführen möchte, dann braucht man nicht nur eine Genehmigung, sondern drei also von den Kultusministerien eben in Baden-Württemberg Sachsen und Schleswig-Holstein und das bedeutet natürlich auch, dass man insgesamt eine ziemlich lange Vorlaufzeit hat. ja einen ziemlich langen Planungshorizont und dass man natürlich teilweise auch auf Wünsche von den Kultusministerien einzugehen hat, nicht zu vergessen: natürlich haben die Eltern und die Schülerinnen und Schüler selbst auch noch was mitzusprechen, wenn es darum geht, ob wir mit ihnen Interviews führen dürfen oder nicht.

Claudia Diehl: Und damit jetzt nicht Nadja hier aus Bescheidenheit Dinge unterschlägt, man muss natürlich auch sagen, dass selbst wenn das ein Erhebungsinstitut macht, müssen wir die ganzen Erhebungsunterlagen vorbereiten. Also die Briefe an die Lehrkräfte, an die Eltern, an die Kinder, die Informationen, wenn wir sie bitten, an der zweiten Erhebungsstelle teilzunehmen, darüber was ist bei der ersten Erhebungsstelle rausgekommen. Und das sind natürlich Dinge, die wo die Postdocs wirklich geschuftet haben in dem Projekt, das ist sehr viel Arbeit, was man vielleicht so ein bisschen unterschätzt.

Wir haben zum Beispiel so einen Informationszettel gemacht, wir haben einen kleinen Film gedreht, den sich die Eltern, Lehrkräfte und Kinder angucken konnten, wo wir uns vorgestellt haben, und die Projektarbeit ist immer noch sehr aufwendig.

Marius R. Busemeyer: Und die müssen ja oder sollen ja natürlich dann auch entsprechend Forschungspapiere schreiben mit den Daten. Aber vielleicht Claudia, ich hatte eben schon erwähnt: Es gibt da verschiedene Disziplinen, die zusammenarbeiten, die Soziologie, Politikwissenschaft, Bildungspsychologie, Linguistik. Warum braucht man alle diese verschiedenen Disziplinen, oder was ist da der Mehrwert dieser interdisziplinären Zusammenarbeit?

Claudia Diehl: Also ein Beispiel, die Linguistik: Das ist vielleicht so ein Fach, wo man erst mal ein bisschen erstaunt ist - also, dass wir jetzt empirische Bildungsforschende dabei haben und Soziologen und für den Bereich der politischen Partizipation, Politikwissenschaftlerinnen und Politikwissenschaftler - das verwundert vielleicht nicht so sehr, aber die Linguistik war bei uns wichtig, weil wir die Sprachkenntnisse der Kinder genauer eruieren wollte. Man weiß, dass Selbsteinschätzungen von Sprachkenntnissen ziemlich falsch sind von Kindern, gerade von den Kindern mit Migrationshintergrund, und deswegen haben wir da einen Test, der auch den Vorteil hat, dass er die Sprachkenntnisse nicht nur von den Kindern mit Migrationshintergrund misst, sondern auch von den deutschsprachigen Kindern, von denen natürlich auch nicht alle gleich eloquent sind und sowas wie Ausdrucksbewusstsein, das lassen wir die Kinder tatsächlich auch selbst einschätzen. Aber das haben wir tatsächlich objektiv gemessen, und da sehen wir auch, dass das sehr stark mit dem Bildungserfolg zusammenhängt.

Ich wollte noch eine Sache eben ergänzen zu dieser hohen Zustimmung, die uns die Kinder signalisieren, wenn wir sie fragen, wie wichtig ist denn Anstrengung dafür, dass jemand gut in der Schule ist?

Und da sehen wir tatsächlich Nadja hat ja gerade beschrieben, dass wir eine sehr heterogene Schülerinnen- und Schülerschaft haben, was den sozioökonomischen Hintergrund der Eltern anbetrifft da sehen wir tatsächlich, dass die Kinder, die selbst eher privilegiert sind, dass die noch mehr an Anstrengungsbereitschaft glauben als die benachteiligten Kinder. Was uns aber verwundert hat ist, dass die benachteiligten Kinder zwar schon, das sehen wir in den Daten seltener sagen, das ist nur die Anstrengungsbereitschaft, aber dass sie nicht stattdessen sagen, das liegt daran, dass die Kinder keine Unterstützung bekommen oder dass sie sich nicht so gut ausdrücken können. Also die, die sehen praktisch oder die spüren vielleicht auch eher, es hängt nicht nur von einem selbst ab, wie erfolgreich man ist, aber sie können in dem Alter noch nicht oder tun das nicht ein Mangel an Erfolg, strukturellen Ursachen wie Benachteiligungen, für die sie nichts können zuschreiben, sondern sie sagen dann häufiger zum Beispiel Ja, das ist Glückssache, ob ich gut in der Schule bin.

Gabriele Spilker: das ist super spannend und deswegen denke ich, ist es auch so wichtig, dass sie noch eine 2. Befragung macht, nicht wahr also damit das kam bisher vielleicht nur einmal kurz am Rande oder wurde es angesprochen. Das ist, dass dieselben Schülerinnen und Schüler jetzt eben nochmals befragt werden,  und man dann sehen kann was ist in der Zwischenzeit passiert? Und auch, ob sich vielleicht diese Einstellungen ändern werden, denn jetzt sind sie zum einen älter natürlich und verschiedene auch das Bewusstsein hat sich vielleicht verändert. Habt ihr da Erwartungen, was ihr vielleicht sehen werdet oder auch nicht? Oder ist das zu schwierig jetzt schon einzuschätzen?

Claudia Diehl: Also Nadja kann er sich ja ganz interessant was zu sagen, was die politischen Einstellungen anbetrifft. Ich bin wahnsinnig gespannt darauf, ob tatsächlich dieses Bewusstsein für systematischere Benachteiligungen als “Ich habe ihn nicht genug angestrengt, und ich hatte Pech”, Ob das tatsächlich wächst, ob das zunimmt.

Ich kann mir schon vorstellen, das ist ja wirklich auch eine relative komplexe Erklärung, die man da von den Kindern sozusagen abfragt, und da ist es vielleicht nicht verwunderlich, dass Siebtklässler das noch nicht können und Neuntklässler vielleicht eher. und es ist natürlich dann eine interessante Frage nicht nur hat das vielleicht aufgrund von Lernprozessen sich verändert über die Zeit, sondern hat sich das auch zum Beispiel klassenspezifisch verändert? Also sind es wieder eben die privilegierten Kinder, die gerade dafür auch dann ein Bewusstsein haben.

Marius R. Busemeyer: Und vielleicht kann man noch mal über die politischen Einstellungen sprechen das hat es eben schon mal angesprochen, Nadja. zwölfjährige Kinder gehen jetzt normalerweise oder eigentlich nie zur Wahl aber was machen die denn überhaupt politisch? äußern die sich überhaupt schon in irgendeiner Form, beteiligen die sich politisch, macht das überhaupt Sinn zu so einem frühen alter schon politische Einstellung zu messen und vielleicht auch dann genau der Punkt von Gabi, also ist das dann auch so ein Thema, was in der zweiten Befragung sich noch mal anders darstellen könnte?

Nadja Wehl: Ja, genau, also die kurze Antwort ist: selbstverständlich macht das wahnsinnig viel Sinn, schon Zwölfjährige zu befragen und die die längere Antwort ist was würde denn, was würde denn eigentlich dagegen sprechen Zwölfjährige schon zu irgendwelchen politischen Überzeugungen oder zu ihrer politischen Teilhabe zu befragen?

Und ich denke ein Gegenargument was man haben könnte ist, dass man mit 12 Jahren einfach noch irgendwie gar keine Ahnung von Politik hat und dass wir da gar nichts richtiges erheben können und das andere Gegenargument wäre das ist schön, wir erheben jetzt irgendwas, das hat dann aber null Relevanz dafür wie diese Jugendliche später wählen und es ist jetzt einfach so, dass wir aus der Forschung unterschiedliche ich sag mal Erkenntnisbausteine haben die diese beiden Gegenargumente nicht so plausibel erscheinen lassen.

Also erstens wissen wir aus anderer Forschung, dass sogar schon noch jüngere Kinder eine gewisse Art von sinnvollen, sozusagen politischen Grundüberzeugungen haben. Das heißt, da machen wir uns gar keine Sorgen. Und natürlich sehen wir das jetzt auch schon in unseren Daten, dass wir diese Einstellungen sinnvoll interpretieren können und dann, vielleicht noch wichtiger auch wieder auch schon als anderer Forschung bekannt ist das, was in der Kindheit und Jugend passiert, ist sehr relevant dafür, wie man später im Erwachsenenalter wählt.

Also einfach nur zwei grobe Punkte: In dem Projekt fokussieren wir uns ja sehr stark auf, was in der schule passiert und wir wissen nun auch mal aus anderer Forschung, dass die schulischen Erfahrungen später im Erwachsenenalter sich noch sehr stark durchsetzen sozusagen und daher ist es quasi extrem interessant und einfach sehr plausibel irgendwann in dieser Zeit der Jugend relevante Dinge passieren und die schauen wir uns eben an.

Marius R. Busemeyer: kannst du vielleicht einfach mal ein konkretes Beispiel machen? Claudia hat ja eben den Befund genannt, dass die Ungleichheitswahrnehmung eigentlich für viele Jugendliche, also die, die gar nicht so problematisch sind, aber für eine gewisse Minderheit dann schon, aber vielleicht kannst du auch mal so ein konkretes Beispiel für ein erstes Finding aus eurem Teilprojekt machen.

Nadja Wehl: also erstens auch wieder etwas, was man schon weiß aus anderer Forschung, aber was wir jetzt auch wieder sehen, ist, dass es natürlich eine extrem große Bildungsungleichheit in Bezug auf politische teilhabe gibt, das heißt wenn ich Eltern habe, die ein Abitur haben, dann ist es deutlich wahrscheinlicher, dass ich politisch interessiert bin, dass ich mich eben politisch beteilige und so weiter. Und genau das sehen wir natürlich auch konkret in unseren daten so, das ist erst mal so ein so ein Basic Finding nochmal und dann jetzt geht es im Projekt ja nun mal sehr konkret nicht nur solche objektiven Faktoren wie die Bildung meiner Eltern, sondern eben konkret auch meine Wahrnehmung und in Bezug auf diese Wahrnehmung sehen wir, dass wenn ich mich als Schülerin unfair behandelt fühle, dass ich dann tatsächlich politisch interessierter und stärker politisch beteiligt bin.

Marius R. Busemeyer: Ja, da hätte man auch das Gegenteil erwarten können, dass man dann frustriert wird und sagt Ich will damit nichts zu tun haben.

Nadja Wehl: ja genau und das interessante ist jetzt habe ich zwei so man könnte fast positive Muster genannt, gleichzeitig ist es aber schon so, dass wenn ich mich unfairer behandelt fühle, ich dem System sozusagen der Politik weniger vertraue also das heißt es gibt beide Richtungen und das ist auch gerade  im Hintergrund zu bisherigen Forschungsergebnissen sehr interessant und ich kann vielleicht hinzufügen wir haben jetzt ja nun mal dieses extrem breite Datenerhebungsprojekt und das bedeutet wir sind eben auch in der Lage zu sagen okay, wir sehen hier ein Muster, dieses Muster ist aber schon sehr stabil. Also wir tun natürlich alles dafür, dass wir ausschließen, dass das jetzt nur damit zusammenhängt, wie stark die Eltern beteiligt sind oder was die Eltern über Ungleichheit denken und so weiter und so fort.

Gabriele Spilker: Ich habe gleich noch eine anschlussfrage zu der Stabilität der Ergebnisse, aber davor noch mal mache ich noch mal Werbung für diese zweite Phase, was ja wirklich super dann ist, dass ihr dann auch wirklich schauen könnt, ob diese Effekte auch bleiben, also ob sich Schülerinnen und Schüler, wenn ich das richtig verstehe oder dann könnt ihr schauen, wenn die sich wiederholt unfair behandelt fühlen, was dann passiert, sei es mit Vertrauen in das System Schule, sei es in ein größeres Vertrauen System als solches, politische Partizipation und ob sie dann auch eben, wie es sie vorher schon angesprochen haben, reflektierter darüber sind, woher diese potenziellen Nachteile oder Unfairness kommen. Sind das Dinge, die ihr dann auch jetzt angehen werdet?

Nadja Wehl: Genau, also ein ganz großes Plus an unserem Projekt ist erst mal generell, dass wir die Einstellungen von Schülerinnen und Schülern und eben auch ihr tatsächliches politisches Verhalten nicht nur an einem Zeitpunkt beobachten können, sondern wie es sich verändert. Und das ist etwas, was schon ein Alleinstellungsmerkmal ist, zumindest wenn man noch beachtet, dass man dann auch diese ganzen anderen Einflüsse von Lehrern, von Eltern beobachten kann. Und das Besondere ist jetzt eben: Wir können also diese Veränderung über die Zeit beobachten, aber damit können wir eben auch eine ganze Menge von höchst interessanten Fragen beantworten, also zum Beispiel: wird der Einfluss der Eltern auf das, was die Schülerinnen und Schüler denken, größer oder kleiner. Ja, also man könnte einerseits sagen er wird schlecht größer, weil man jetzt erst langsam anfängt, dann mit den Eltern tatsächlich über Politik zu reden. Man könnte gleichzeitig sagen, vielleicht wird der Zusammenhang auch kleiner, weil man jetzt vielleicht auch noch viel häufiger mit FreundInnen, den Lehrkräften und so weiter über Politik redet.

Und natürlich jetzt wieder zurück auf den Projektfokus: Wie ist im Zeitverlauf der Zusammenhang zwischen diesen Ungleichheit und Unfairness, Wahrnehmungen und politischem Interesse, politischer Beteiligung? Also ich habe ja jetzt in meiner vorherigen Antwort gesagt, dass wir diesen positiven Zusammenhang sehen: Wenn ich mich stärker unfair behandelt fühle, bin ich politisch interessierter, bin ich eher politisch aktiv, ist es jetzt auch so, dass wenn ich jetzt anfange über die Zeit, mich unfair behandelt zu fühlen oder ich natürlich auch gesellschaftliche Unfairness stärker wahrnehme, geht es dann damit einher, dass ich auch stärker politisch aktiv werde. Das ist für uns eine wahnsinnig spannende Frage.

Gabriele Spilker: Und wir freuen uns schon auf die Ergebnisse. Ich habe aber noch eine Frage zu einem Aspekt, den wir bisher noch überhaupt nicht angesprochen haben. Außer einmal kurz, dass ihr gesagt habt, dass dieses Projekt sowohl Schülerinnen und Schüler in Baden-Württemberg in Sachsen und in Schleswig-Holstein befragt und auf allen gängigen Schultypen und eine Frage, die da natürlich naheliegt, gibt es da denn irgendwelche Unterschiede? Gibt es Unterschiede, was die Regionen anbelangt, gibt es Unterschiede, was diese Schultypen anbelangt, sehen wir da irgendwas Claudia?

Claudia Diehl: Was man ganz deutlich sieht, ist tatsächlich, dass der sehr kleine Anteil von Kindern, die auf die Hauptschule gehen, das gibt es nur in einem der Bundesländer überhaupt noch, die bei uns in der Stichprobe drin sind und auch bundesweit ist der Anteil der Kinder, die die Hauptschule besuchen, sehr niedrig, aber die unterscheiden sich wirklich ganz stark von allen anderen Kinder, die wir befragen. Also ist es nicht so, dass wir starke Unterschiede zwischen Gymnasiastinnen und Gymnasiasten einerseits und Kindern, die entweder auf eine Realschule oder auf eine Gemeinschaftsschule gehen sehen, aber diejenigen, die tatsächlich auf der Hauptschule gelandet sind, da haben wir  sehr viel stärkere Unfairnesswahrnehmung zum Beispiel. Und das ist natürlich eine ganz interessante Frage, wie du es Gabi ja vorhin schon angesprochen hast, verfestigt sich da so eine Unzufriedenheit mit dem System, eine fatalistische Einstellung dem eigenen Leben gegenüber?

Es ist übrigens auch in der Wahrnehmung der anderen Kinder, also auch in der Wahrnehmung der Kinder so, dass sie sehr stark zwischen diesem niedrigsten Schultyp einerseits und allen anderen Schultypen unterscheiden, also wenn man so zum Beispiel fragt: Wer hat denn später im Leben gute Chancen, Geld zu verdienen und einen guten Job zu finden? Es ist überhaupt nicht so, dass die Kinder sagen, dafür muss man aufs Gymnasium gehen, aber sie sagen dafür darf man nicht auf die Hauptschule gehen.

Marius R. Busemeyer: Claudia, du bist ja nicht nur eine bekannte Bildungswissenschaftlerin, sondern auch eine Migrationsforscherin. Was habt ihr in PerFair herausgefunden zum Zusammenhang zwischen Migrationshintergrund und Ungleichheitswahrnehmung?

Claudia Diehl: Ja, ich hatte eigentlich gar nicht vor, mich so intensiv mit Migrantenjugendlichen zu beschäftigen in dem Projekt, sondern mal was anderes zu machen, sage ich mal. Das hat insofern nicht so gut funktioniert, als wir tatsächlich sehr starke Unterschiede in den Ungleichheitswahrnehmungen von Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund sehen. Und das hat mich deswegen verwundert, weil wenn man sich bildungsungleichheit jetzt sozusagen objektiv anguckt, dann sehen wir eigentlich, dass viel entscheidender ist, ob ein Kind gebildete oder weniger gebildete Eltern hat, als ob die Eltern zugewandert sind oder nicht.

Also Migrantenkinder sind als Unterschichten Kinder benachteiligt und nicht so sehr, weil sie  zugewanderte Eltern haben, die da kommen da noch kleine Nachteile dazu, Das ist aber bei den Wahrnehmungen anders.

Gabriele Spilker: das heißt, ihr findet einen zusätzlichen Effekt, zusätzlich zu Familien, also dass die Kinder aus Familien kommen mit wenig Bildung, dass dann noch der Migrationshintergrund einen zusätzlichen Effekt hat. Ist das richtig?

Claudia Diehl: Wir sehen sogar stärkere Effekte nach Migrationshintergrund als nach sozioökonomischem Status. Es ist, und zwar dann, das muss man dazu sagen das ist jetzt ein Teilbereich, über den ich rede von den Ungleichheitswahrnehmungen, wenn es  die eigene faire Behandlung in der Schule geht. also Migrantenkinder fühlen sich sehr viel häufiger unfair behandelt, auch wenn wir zum Beispiel die Schulform konstant halten, als Kinder ohne Migrationshintergrund, und das haben wir uns angeschaut, woran liegt das denn?

Das hat eigentlich zwei Gründe: Zum einen haben sie halt sehr ambitionierte Eltern, Sie haben sehr starken Druck, doch von zu Hause erfolgreich zu sein. Migrantenfamilien, das wissen wir, das sind Leute, die wollen es wissen, sonst wären sie nicht ausgewandert und haben hohe Bildungsziele für ihre Kinder, die die Kinder aber häufig eben nicht erfüllen können, auch weil sie wenig Unterstützung zu Hause kriegen aus bekannten Gründen und das scheint so zu sein, dass es in migrantischen Familien eher dazu führt, dass die Kinder dann sagen “Ja, ich werde in der Schule unfair behandelt”. Während diese Bildungsaspirationen, wie wir es nennen, in Familien mit geringer Bildung gar nicht so stark ausgeprägt sind also da ist es eher so geringe Bildung vererbt sich, man erwartet dann vielleicht auch gar nichts anderes mehr bei den Migranten, die wollen es tatsächlich wissen, und das kommt bei den Kindern scheinbar als ein hoher Druck an.

Marius R. Busemeyer: Das ist doch eine spannende Aussage zum Abschluss, mit der wir auf jeden Fall, wie du sagst uns sehr freuen auf die nächste Erhebungsstelle und schauen was da rauskommt und wie sich diese Dinge verändern über die Zeit. ganz vielen Dank an euch für eure Zeit und für die Einblicke in dieses spannende Projekt, insofern Ihnen und euch allen noch einen schönen Tag

Gabriele Spilker: und bis zum nächsten Mal.


 (Dieses Transkript wurde mithilfe künstlicher Intelligenz erstellt.)