In_equality Podcast

Wie gerecht ist unser Bildungssystem? mit Ludger Wößmann

Universität Konstanz - Exzellenzcluster "The Politics of Inequality" Season 2 Episode 1

Hosts:

· Marius R. Busemeyer – Professor für Vergleichende Politische Ökonomie an der Universität Konstanz und Sprecher des Exzellenzclusters „The Politics of Inequality“.

· Gabriele Spilker – Professorin für International Politics – Global Inequality an der Universität Konstanz und Co-Sprecherin des Exzellenzclusters.


Gast:

Ludger Wößmann – Professor für Volkswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Leiter des ifo Zentrums für Bildungsökonomik. Er ist ein international renommierter Bildungsforscher und Berater bei PISA, OECD und der EU-Kommission. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen Bildungsungleichheit, wirtschaftliche Effekte von Bildung, Digitalisierung im Bildungswesen und öffentliche Meinung zur Bildungspolitik.


Episodenüberblick

In dieser Folge sprechen die Hosts mit Ludger Wößmann über Ursachen und Folgen von Bildungsungleichheit in Deutschland. Anlass ist der sogenannte PISA-Schock vor über 20 Jahren. Was hat sich seitdem verändert? Warum ist der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungserfolg in Deutschland noch immer besonders stark? Und wie kann Bildungsforschung zur Lösung beitragen? Diskutiert werden empirische Erkenntnisse, politische Reformen und internationale Vergleiche – bis hin zur Frage: Was müsste sich wirklich ändern?


Episoden-Highlights

·       Bildungsökonomie und PISA

·       Reformen und Leistungsentwicklung

·       Bildungsungleichheit in Deutschland

·       Chancengleichheit vs. Leistungsstärke

·       Frühkindliche Bildung und gezielte Förderung


Links & Quellen

·       Mehr zum Exzellenzcluster „The Politics of Inequality

·       Weiterführende Studien und Infos:

o   Resnjanskij, S., J. Ruhose, S. Wiederhold, L. Woessmann, K. Wedel (2024). Can Mentoring Alleviate Family Disadvantage in Adolescence? A Field Experiment to Improve Labor-Market Prospects. Journal of Political Economy 132 (3): 1013-1062.

o   Wößmann, L., F. Schoner, V. Freundl, F. Pfaehler (2023). Der ifo-„Ein Herz für Kinder“- Chancenmonitor: Wie (un-)gerecht sind die Bildungschancen von Kindern aus verschiedenen Familien in Deutschland verteilt? ifo Schnelldienst 76 (4): 29-47.

o   Woessmann, L. (2016). The Importance of School Systems: Evidence from International Differences in Student Achievement. Journal of Economic Perspectives 30 (3): 3-31.

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Kontakt: cluster.inequality@uni-konstanz.de

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Transkript: Staffel 2, Episode 1: „Wie gerecht ist unser Bildungssystem?! Mit Ludger Wößmann

Marius R. Busemeyer
Herzlich willkommen zur neuen Episode des Inequality Podcasts. Mein Name ist Marius R. Busemeyer, ich bin Professor für vergleichende politische Ökonomie und Sprecher des Excellenzclusters «Politics of Inequality» und neben mir sitzt:

Gabriele Spilker
Gabi Spilker. Co-Sprecherin des Clusters «The Politics of Inequality» und Professorin für internationale Politik. Hallo.

Marius R. Busemeyer
So, heute beschäftigen wir uns wieder einmal mit einem wichtigen Thema im Bereich der Ungleichheitsforschung. Es geht um das Thema Bildung. Wie gerecht ist unser Bildungssystem? Und Ungleichheit im Bereich Bildung wird als Thema in Deutschland ja schon lange diskutiert, angefangen oder auch besonders nach dem sogenannten PISA-Schock, der inzwischen auch schon 20 Jahre her ist. Also wo die PISA-Studie zum ersten Mal international vergleichend nachweisen konnte, wie deutsche SchülerInnen eigentlich abschneiden und welches Ausmaß an Bildungsungleichheit wir in unserem Land haben. Das war auch dann die große Innovation dieser Bildungsstudien. Das hat häufig auch zu Rankings und Diskussionen geführt, welches Bundesland gerade wie steht in diesen Rankings oder auch mal Aufsteiger oder Absteiger ist. Im internationalen Vergleich hat sich Deutschland da immer grob im Mittelfeld bewegt, mal ging es ein bisschen rauf, mal ging es ein bisschen runter, aber bei Indikatoren zum Thema Bildungsungleichheit hat Deutschland eigentlich tendenziell immer relativ schlecht abgeschnitten und auch schlechter als andere Länder. Woran das liegt und warum auch 20 Jahre nach dem PISA-Schock immer noch über dieses Thema diskutiert wird, darüber wollen wir heute sprechen mit Ludger Wößmann. Herzlich Willkommen.

Ludger Wößmann
Hallo. Grüß euch.

Marius R. Busemeyer
Ludger Wößmann ist wirklich weithin bekannt über die Wissenschaft hinaus. Als Bildungsökonom leitet er seit 2004 das IFO-Zentrum für Bildungsökonomik in München. Seit 2006 ist er auch Professor an der LMU. Er ist einer der Pioniere der empirischen Bildungsforschung in Deutschland und auch international. Er hat viele Gastprofessoren, Fellowships und Forschungsaufenthalte in tollen Universitäten wie Harvard, Stanford, Melbourne, Cornell und vielen anderen Plätzen absolviert. Er ist ein geschätzter und gefragter Berater der EU-Kommission, auch bei den PISA-Studien ist er beratend tätig involviert.

Was ich wirklich exzeptionell finde an Ludger ist, dass er nicht nur ein sehr ausgewiesener und sehr hochproduktiver Forscher ist mit Publikationen in den besten Zeitschriften seiner Disziplin und auch den großen interdisziplinären Zeitschriften, sondern auch wirklich sehr engagiert als «Public Intellectual» über unzählige Meinungsbeiträge, Auftritte im Fernsehen und Radio, und natürlich jetzt auch bei uns im Inequality Podcast.

Also das ist, denke ich, ein sehr spezielles Profil oder exzeptionelles Profil, dass er wirklich beides abdecken kann. Seine Themen sind sehr weitschweifend, nicht nur Bildungsungleichheit, sondern er hat auch gearbeitet zum Zusammenhang zwischen Bildung und Wirtschaftswachstum, zur Frage der Digitalisierung in der Bildung, zur öffentlichen Meinung, zur Bildungspolitik, wo wir uns auch vor einigen Jahren zum ersten Mal so richtig begegnet sind. Und da hat er das EU-Bildungsbarometer aufgebaut, was auch eine gewisse Inspiration war für unser Konstanzer Ungleichheitsbarometer, wenn ich das mal sagen darf. Insofern freuen wir uns jetzt sehr auf die Diskussion mit dir und fangen mal ganz von vorne an.

Was macht denn eigentlich jetzt diese empirische Bildungsforschung und speziell die Bildungsökonomie? Wie kann man das eigentlich machen, Bildungsleistung zu messen und international vergleichbar zu machen?

Ludger Wößmann
Ja, also Bildungsökonomie hat zwei Hauptfelder, das eine ist eben, dass man sich fragt, wie wichtig ist Bildung für wirtschaftliche Ergebnisse, sowohl jedes Einzelnen, für Erfolg am Arbeitsmarkt und Ähnliches, also was sind verschiedene, wie wirken sich verschiedene Bildungsleistungen eben aus – ob ich einen Job bekomme, was für einen Job ich bekomme, auch die Abschlüsse, wie wirken die sich aus.

Aber auch für die Volkswirtschaft insgesamt, also Fragen wie: warum sind einige Länder reich geworden und andere arm geblieben? Da kann man sich fragen, hat das vielleicht was mit der Bildung der Bevölkerung zu tun? Das ist sozusagen die eine Richtung, wie wirkt sich Bildung wirtschaftlich aus und da sich das sehr häufig zeigt, dass das ein extrem wichtiger Befund ist. Wir werden sicherlich noch mehr darüber reden.

Darum ist dann die zweite große Frage, was sind die Ursachen oder die Bestimmungsfaktoren guter Bildungsleistung, also wie, woran liegt es, dass Kinder, Jugendliche, aber auch Erwachsene eine gute Bildung bekommen oder eben nicht bekommen? Und das ist das große Feld, was man macht, dann, wenn man das eben möglichst nah an der Realität machen will, dann möchte man das natürlich am nächsten empirisch machen, da muss man die Dinge auch messen.

Und das ist gesagt, es gibt zum Beispiel die PISA-Studie als eine Art, das zu messen, das ist ja jetzt ganz konkret, bei PISA sind das 15-jährige Schülerinnen und Schüler, repräsentative Stichproben und die werden dann in mathematischen, in naturwissenschaftlichen und in Lesefähigkeiten getestet.

Vielleicht dazu, was du vorhin gesagt hast, dass in Deutschland, wir hatten den PISA-Schock.  Der erste Test war im Jahr 2000, das ist dann 2001 rausgekommen und da haben wir so festgestellt, wir sind im internationalen Mittelfeld und das war dann doch irgendwie sehr ernüchternd. Dass sich seitdem nicht viel getan hat, würde ich sogar ein bisschen anders sehen, das ist vielleicht eigentlich ganz spannend.

Man hat nämlich gesehen, dass dieser PISA-Schock, glaube ich, durchaus viel ausgelöst hat in Deutschland, denn wir haben gesehen, dass dann für die ersten zehn Jahre danach in Deutschland die Schülerleistung stetig, aber wirklich sehr deutlich angestiegen sind.

Also wir waren zu Beginn unteres Mittelfeld im OECD-Vergleich, wir waren danach deutlich über dem internationalen Mittelfeld, also bis 2010, 2012. 

Gabriele Spilker
Ludger, darf ich da gleich mal nachfragen: warum haben wir da aufgeholt? Was wurde gemacht, dass es verbessert wurde? Und vielleicht auch kombiniert mit der Frage, wenn man die Leistungen von Schülerinnen und Schüler über Länder hinweg messen möchte, dann muss man wahrscheinlich die gleichen Aufgaben stellen. Ist das so einfach möglich? Wie schwierig ist es denn, Bildung über Länder vergleichend zu messen und wie viel ist es vielleicht ein Messfehler oder welche anderen Einflussfaktoren gibt es da?

Ludger Wößmann
Ja, da ist natürlich immer noch eine Frage und in jeder Art dieser Tests kann man natürlich auch viel Kritik üben und auch häufig berechtigt. Aber ich glaube zum Beispiel, wenn es darum geht, Basiskompetenzen im Bereich Mathematik zu testen, dann ist das etwas, worauf wir uns alle relativ schnell einigen können, sozusagen was so die wichtigsten Aspekte da sind und das ist auch international nicht unterschiedlich, das ist eigentlich wirklich überall das Gleiche.

Und ich glaube, das ist gerade konkret zum Beispiel beim PISA-Test, aber auch für diese Vorgängerstudien, wie der heutige TIMS-Test und PURLS oder EGLU, das sind alles Dinge, wo sich eben Wissenschaftler, die gerade diese Tests machen, aus verschiedensten Ländern zusammensetzen und sich überlegen, wie können wir das am besten machen. Ich glaube, da geht wirklich so viel rein an Expertise und an Überlegungen und auch an Praxis, dass ich die für sehr belastbar halte, diese Tests. Man kann ein bisschen diskutieren, ob zum Beispiel sprachliche Tests ein bisschen schwieriger international vergleichbar sind. Wenn jemand versucht hat, Finnisch zu lernen, dann ist das irgendwie, klingt das schwieriger oder Ungarisch als einige andere Sprachen und da gibt es Diskussionen darum, ob das vielleicht ganz so sehr vergleichbar ist.

Andererseits ist es aber gesagt so, dass zum Beispiel wie Länder oder einzelne Kinder in Mathematik, in Naturwissenschaften oder im Textverständnis abschneiden ist, es ist sehr hoch korreliert, so dass das vielleicht auch eher ein nachgelagertes Thema ist.

Insofern glaube ich, man kann viel darüber diskutieren. PISA sagt zum Beispiel, wir oder andersrum gedrückt, TIMMS ist ein Test, der sehr klar sagt, wir sind curricular basiert, also wir basieren auf dem Lehrplan der verschiedenen Länder und dann setzt man sich zusammen und fragt, «Was ist eigentlich die Überschneidungen in diesen Lehrplänen, die wir dann gemeinsam abfragen können, damit es nicht unfair ist, dass in irgendeinem Land was abgefragt wird, was gar nicht in der Schule bis dahin dran war, sagen wir mal, in der 8. Klasse.

Und PISA hat sich dann hingestellt und hat gesagt, «nein, das machen wir gerade nicht, sondern wir wollen eigentlich nur wissen, wie gut sind die 15-Jährigen auf das wahre Leben vorbereitet und wir als OECD wissen jetzt, was man dafür wissen muss, und das testen wir dann.» Und das Verrückte ist ganz konkret, wenn man sich diese verschiedenen Tests anschaut, liegt im internationalen Vergleich die Korrelation bei 0,94. Das heißt, sie sind fast identisch. Das heißt, die ganzen Feinheiten, wie man es jetzt genau macht oder sowas, ist, glaube ich, ehrlich gesagt, für das, was rauskommt, nachrangig.

Gabriele Spilker
Also zusammenfassend würdest du sagen, das ist doch relativ robust, was da aus diesen Tests rauskommt? Die messen das, was sie messen sollen, und sind daher auch belastbar. Sprich, dieser erste PISA-Schock hat zurecht identifiziert, dass irgendwas nicht ganz super läuft im deutschen Bildungssystem und danach kam eben eine Reaktion, die es erstmal besser gemacht hat?

Ludger Wößmann
Unbedingt, ja, würde ich definitiv so sehen. Also man kann, es gibt überall auch Probleme, zum Beispiel Russland hat einer mal in einer TIMSS-Studie extrem gut abgeschnitten, insgesamt scheint es naturwissenschaftlich durchaus gut zu sein, aber ich kann mir auch vorstellen, dass es da hin und wieder in bestimmten Ländern, zum Beispiel bei der Stichprobenziehung der Schulen, nicht ganz mit rechten Dingen zugeht. Aber ich glaube, das gilt für die westlichen Länder nicht, weil da sehr stark drauf geschaut wird, auch sozusagen, das muss jedes Land einreichen.

Ich glaube, das ist recht klar. Das andere, was man sich bewusst machen muss, ist, es wird halt das gemessen, was gemessen wird. Das heißt, das ist natürlich nicht ein Maß für das, was Bildung ausmacht. Natürlich ist Bildung auch viel breiter als nur mathematische Kompetenzen. Und dann können wir viel darüber diskutieren, was sind wichtige Kompetenzen. Man kann von sozialen und auch sozialemotionalen Kompetenzen sprechen. Das sind natürlich Dinge, die jetzt nicht direkt abgemessen werden. Es ist auch sicherlich deutlich schwieriger, das zu tun. Ich glaube, wir würden natürlich Bildung auch gerne ein bisschen breiter denken. Aber diese Maße, die die PISA misst, was wir zumindest sehen, wenn man das jetzt aus wirtschaftlicher und ökonomischer Sicht betrachtet, sind die, wie es nach Maßen, kann man zeigen, extrem wichtig dafür, wie viel Wohlstand in einem Land entsteht oder nicht. Insofern sind sie durchaus nicht bedeutungslos, sondern sehr wichtig. Dann hat es eben, ich glaube schon zu Recht, diesen PISA-Schock gegeben. Das war ja das, wo ihr jetzt ein bisschen hin wolltet.

Und was ist da passiert oder warum sind wir Deutschland besser geworden? Weil es ist wirklich so, ich glaube so über 10 Jahre, kann man sagen, die Schüler haben etwa 25 PISA-Punkte hinzugelehrt. Das ist so das, was man im Durchschnitt in einem Schuljahr lehrt. Das heißt, wir sind gestiegen, von einer auf die nächste Welle. PISA kommt alle drei Jahre, aber über die zehn bis fünfzehn Jahre doch sehr deutlich. Genau, die Frage ist, woran liegt das?

Es gibt so ein paar Sachen, die man auch empirisch zeigen kann, zum Beispiel da ist auch politisch einiges geschehen im Sinne, dass zum Beispiel zu Beginn davon hatten nur knapp die Hälfte der Bundesländer ein Zentralabitur, zentrale Abschussprüfungen, auch in der mittleren Reife. Und das ist etwas, das insgesamt natürlich Anreize setzt, sich gut anzustrengen, weil am Ende des Tages die Standards klar sind und einheitlich gemessen wird, was rauskommt.

Und nach und nach haben das dann alle anderen Bundesländer bis auf eins eingeführt und man kann zeigen, dass die Bundesländer dann, wenn sie das eingeführt haben, insgesamt die Schüler da besser geworden sind. Das heißt sozusagen, ein Aspekt, der da reingeht, ist sowas zum Beispiel Einführung von zentralen Abschussprüfungen.

Marius R. Busemeyer
Aber weil wir das Thema Bildungsungleichheit natürlich auch ansprechen wollen: andere große Reformen, die in diesem Zeitraum stattgefunden haben, war die graduelle Einführung von Gemeinschaftsschulen unterschiedlicher Prägung. Also das heißt, dass man wieder mal im deutschen Bildungsföderalismus – da ist ja alles immer kompliziert - in manchen Bundesländern hat man es schneller eingeführt, in anderen hat es länger gedauert, manche sind erst gar nicht so weit gekommen, aber hat das auch eine Rolle dabei gespielt? Oder ist das eher ein Punkt, wo du sagen würdest, das hilft vielleicht bei der Bildungsungleichheit, aber nicht so sehr bei der Bildungsleistung, Umstellung der Schulstruktur sozusagen?

Ludger Wößmann
Ja, genau wie du es gerade gesagt hast. Es gibt natürlich richtig fundamentale Reformen, aus meiner Sicht, die es nicht gegeben hat. Wir machen es in den meisten Bundesländern außer zwei, dass wir nach der vierten Klasse die Kinder auf verschiedene Schularten aufteilen. Das hat sich nicht geändert. Und zwei Drittel der OECD-Länder machen das frühestens im Alter von 15 Jahren.

Diese Aufteilung auf verschiedene Schularten, das per se ist eine Konstante im deutschen System. Und dann, was sich geändert hat, ist eben, dass die meisten Bundesländer quasi schon ein dreigliedriges Schulsystem hatten, auch nur sehr grob gesagt. Und man zumindest in vielen Bundesländern auf ein zweigliedriges System gegangen ist. Das heißt, das Gymnasium ist so geblieben, wie es war. Und man hat aber alle Schularten, die daneben sind, in eine Schulart gebracht. Oft mit der zusätzlichen Idee, dass man auch auf dieser zweiten Schulart entweder direkt oder zumindest indirekt den Weg zu einer Hochschulzugangsberechtigung, zum Abitur machen kann.

Genau, das sind diese Reformen, die Stadtbefundnahmen ist jetzt aus meiner Sicht nicht so superfundamentale Strukturreformen, die es da gegeben hat. In einigen Bundesländern vielleicht ein Stück weit. Aber es ist schon überschaubar, was wir schon geändert haben im Vergleich zu dem, was möglich wäre. Genau, und was die Forschung in diesem Bereich zeigt, ist wiederum etwas, dass das sich nicht so sehr auf das Leistungsniveau insgesamt ausgewirkt hat. Man aber schon zeigen kann, dass die Chancengleichheit, also die sich erhöht hat oder die Bildungsungleichheit verringert hat, in dem Sinne, dass dann die Bildungsleistung und das man so erzielen kann, nicht mehr so stark zum Beispiel vom Elternhaus abhängen.

Gabriele Spilker
Genau, vielleicht fangen wir da nochmal an oder gehen ein Schritt zurück. Du hast es angesprochen, Bildungsungleichheit, die Rolle der Eltern, vielleicht einfach ganz allgemein gefragt, wie messt ihr Ökonomen Bildungsungleichheit? Und wie steht hier Deutschland da? Wir lesen ganz häufig, Deutschland ist eher schlecht, wenn es um die Bildungsungleichheit geht. Ist das wirklich so? Hat sich da auch was verändert? Und vielleicht dann auch noch gleich die Frage, wie hängt das dann mit dem Bildungsniveau zusammen? 

Ludger Wößmann
Ja, man kann sich, also Bildungsungleichheit ist natürlich nicht ganz so leicht zu messen, würde ich mal so sagen, wie das Leistungsniveau. Dann haben wir jetzt gerade bis jetzt darüber gesprochen, da muss man einfach auf wie gut die Schülerinnen und Schülern im Durchschnitt – das ist quasi wohl definiert. Chancengerechtigkeit oder Bildungsungleichheit, Bildungsgerechtigkeit ist natürlich ein großes Wort und da in diesen Bereichen gibt es halt keine perfekten Maße, wo man direkt sagen kann. Da kann man verschieden dran gehen.

Ich glaube, eine Art, die sehr sinnvoll ist, man kann sich auch zum Beispiel die PISA-Tests anschauen und anschauen, wie stark unterscheiden sich die PISA-Leistungen für Kinder aus besser gestellten und weniger gut gestellten Elternhäusern. Kann man messen über Bildungsstand der Eltern oder Wohlstand der Eltern oder wie viele Bücher in einem Haushalt sind. Und wenn man das so macht, dann findet sich in allen Ländern der Welt, dass Kinder aus besser gestellten Eltern besser abschneiden als aus schlechten gestellten Elternhäusern. Also es gibt eine Bildungsungleichheit auch in Bezug auf die Herkunft dieser Kinder.

Gabriele Spilker
Gibt es da einen Unterschied zwischen Bildung der Eltern und Reichtum? Oder ist das egal? Und korreliert das sowieso so hoch?

Ludger Wößmann
Es korreliert sehr hoch. Es gibt weniger Studien, die wirklich das Einkommen der Eltern haben. Es ist deutlich schwerer zu messen. Häufig werden die 15-jährigen Jugendlichen gefragt, was ist der Bildungsabschluss euer Eltern. Das können sie ganz gut machen. Man kann nicht fragen, was ist das Einkommen eurer Eltern haben. Aber insgesamt, die Studien, die es in diesem Bereich gibt, zeigen, dass es diese Zusammenhänge für alle Maße, die man da so haben kann, gibt, dass aber das durchschlagendste eigentlich zumeist tatsächlich der Bildungsstand da ist, gefolgt von den Einkommen, die durchaus auch hoch korreliert, aber die auch einen separaten Einfluss haben, aber diese Bildung immer sehr stark durchschlägt. Also woran kann man es festmachen, dass das einfachste innerhalb Deutschlands das konkret zu machen. Da haben wir vor zwei Jahren mal den sogenannten Chancenmonitor von IFO und «Ein Herz für Kinder», die wir im IFO ausgerechnet. Und das sozusagen ein supersimples Maß, was sicherlich auch viele Probleme hat, aber ein supersimples Maß zu überlegen, wie steht es denn mit der Chancengleichheit bei uns. Zu sagen, wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein Kind aufs Gymnasium kommt, als ein Ergebnis Maß. Das ist nicht toll – hat viele Nachteile auch, aber ist gerade im deutschen System so simpel und kann man in sehr großen Datensätzen beobachten. Ein Mikrozensus nimmt das Zählen riesig, das macht dann Spaß und da kann man dann halt tiefer reingehen. Und kann man jetzt fragen, wie stark hängt das vom familiären Hintergrund dieser Kinder ab und die Idee der klassischen Chancengerechtigkeit ist eben, die Chancen von Menschen sollten von ihrer eigenen Anstrengung abhängen, sollten aber nicht davon abhängen, Dinge, die sie nicht beeinflussen können, wie zum Beispiel Geschlecht oder eben Merkmale des Elternhauses. Und jetzt in Mikrozensus können wir beobachten Bildungsabschluss der Eltern, das Haushaltseinkommen in der Tat eben auch, Migrationshintergrund und ob es alleinerziehende Eltern sind oder nicht – sozusagen vier Dimensionen von Eltern. Und wenn man das jetzt eben anschaut für Kinder, wo die Eltern kein Abitur haben, wo wir im unteren Viertel der Haushaltseinkommens sind, da ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese Kinder aufs Gymnasium gehen, 21-22%. Und das ist interessant, völlig unabhängig davon, ob die Migrationshintergrund haben oder Alleinerziehung sind. Das fängt alles zwischen 21 und 21%.

Wenn wir stattdessen das andere Extrem angucken, beide Eltern haben Abitur, wir sind im oberen Viertel der Haushaltseinkommen, dann gehen über 80% aufs Gymnasium, unabhängig davon, ob Migrationshintergrund besteht oder nicht. Und der allerstärkste war, und sozusagen alle anderen, man kann bis zu 40 Kombinationen dieser Merkmale machen, und das kann man sich im Detail anschauen, kann jeder eigentlich schauen, wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass mein Kind gegeben, wo ich herkomme, aufs Gymnasium geht. Und diese Zahlen sind halt so extrem erschreckend nah an 0,1%, dass wir, glaube ich, sehr klar sehen, dass Kinder in unserem Land nicht die gleichen Chancen haben.

Marius R. Busemeyer
Und das ist doch in Deutschland schlimmer als in anderen Ländern, dieses Problem. Und woran liegt das? Liegt das nur an dem gegliederten Schulsystem oder gibt es da noch andere Gründe?

Ludger Wößmann
Genau, der Gymnasialzugang ist natürlich was spezifisch Deutsches, aber wenn man jetzt zum Beispiel die PISA-Leistungen anschaut, die sehr vom Elternhaus abhängen, dann gehört Deutschland eigentlich immer so zu den, ich sag mal, Nachzüglern, wo dieser Unterschied zwischen besser und schlechter gestellten Elternhäusern besonders groß ist.

Gabriele Spilker
Wer sind die anderen, wenn ich fragen darf? In welcher schlechten Gesellschaft sind wir?

Ludger Wößmann
Ich würde jetzt gar nicht so viele da rauspicken. Da sind ein paar osteuropäische Länder mit dabei, die da nicht so gut dastehen. Einzelne asiatische Länder auch zum Teil. Aber das hängt tatsächlich immer so ein bisschen davon ab, wie man es genau misst. Darum ist da natürlich immer so ein gewisses Problem dabei. Aber wenn man sich eben anhand von verschiedenen Indikatoren anschaut, dann ist Deutschland immer in dieser Gruppe der eher ungleichen Länder. Woran es liegt, hast du gefragt? Also es sind diese frühe Mehrgliedrigkeit, diese frühe Aufteilung. Es gibt aber sehr viele Studien dazu, und ich lese die wirklich so, dass die nahezu alle zeigen, dass eben Länder, die eben nicht so früh aufteilen, die Kinder auf die verschiedenen Bildungschancen, am Ende der Schulzeit größere Chancengerechtigkeit haben, in dem Sinne, dass die Ungleichheit je nach Hintergrund eben nicht so stark ausgefallen ist. Und zwar geht das nicht auf Kosten des Leistungsniveaus, wenn überhaupt ist das auch leicht ein bisschen höher, weil es tatsächlich mehr eine Frage der Chancengleichheit als das Niveau. Aber das ist natürlich nur ein Aspekt, der da reingeht.

Da gehen natürlich ganz viele Sachen rein. Was auch gezeigt werden konnte, ist zum Beispiel, dass die Größe des frühständigen Bildungssystems, oder die Qualität des frühständigen Bildungssystems etwas ausmacht. Es gibt Länder, wo nahezu alle Kinder einen Zugang zu Kitas bekommen. Und wir wissen aus der Forschung, dass diese frühe Bildung, je stärker man gefördert wird, extrem wichtig ist. Und gerade für Kinder aus benachteiligten Schichten. Also das ist auch ganz spannend. Wir diskutieren das häufig ein bisschen anders. Aber gerade für Kinder aus sehr bildungsnahen Schichten, sind diese Effekte, je nach Studie, sehr klein oder nicht vorhanden. Das heißt, da muss man überlegen, immer was ist die Alternative, wenn ich nicht zu Kita gehe. Wenn ich stattdessen nicht halt von Mama und Papa, die beide hohen Bildungsgrad haben und denen das total wichtig ist, dass ich mich gut entwickle, aufgezogen werde, dann ist das je nach Aspekt, die man sich anschauen will, und das ist ja genauso gut oder sogar besser als in der Kita. Aber eben gerade für die Kinder, bei ihnen das nicht der Fall ist, wo die Eltern selbst Probleme haben, oder denen das vielleicht nicht so wichtig ist, gerade für die Kinder kann man eben zeigen, dass diese, wenn es da frühkindliche Angebote gibt, die eben bei diesen Kindern ankommen, die eben gerade von der Familie und von außen nicht so unterstützt werden, da kann das sehr stark Effekte haben, die auch sehr langfristig wirken.

Gabriele Spilker
Sehr spannend. Darf ich noch mal nachfragen: wenn ich dich richtig verstanden habe, dann hast du in einem Halbsatz gesagt, dass es keinen Trade-off gibt. Wir müssen uns nicht unterscheiden zwischen Bildungsungleichheit oder Bildungsgleichheit und der Leistung. Sprich, es gibt Länder, die schaffen offensichtlich beides, weniger ungleich zu sein als wir und besser abzuschneiden. Oder war das nur so ein Wunschdenken von mir?

Ludger Wößmann
Ja, ehrlich gesagt muss ich zugeben, dass sich meine Meinung dazu gerade ein Stück weit wandelt. Ich sage mal so, die meisten Dinge, die man politisch machen kann und für die gezeigt würde, dass sie ein Effekt auf die Bildungsergebnisse haben, haben zumeist entweder einen starken Effekt auf das Leistungsniveau, ohne die Chancengleichheit besonders zu verändern oder andersrum.

Gabriele Spilker
Kannst du Beispiele nennen?

Ludger Wößmann
Wie gesagt, diese frühe Aufteilung, die wir haben, die ist sehr schädlich für die Chancengleichheit, bringt aber nichts oder hat kaum einen Effekt auf das Leistungsniveau, ist wenn auch sogar ein bisschen schädlich. Das heißt, da geht das sogar auch Hand in Hand. Genau das hast du gerade gesagt. Oder klare externe Abschlussprüfungen und klare Standards, die dann eben klar überprüft werden, hatten sehr deutlich einen positiven Effekt auf das Leistungsniveau für Kinder, der sich aber relativ wenig nach dem Elternhaus zum Beispiel unterscheidet, sodass das für die Chancengleichheit weder positiv noch negativ was macht. Und quasi diese Sachen sind gewisserweise orthogonal zueinander und das sieht man schon in sehr vielen Bereichen. Allerdings wenn man sich jetzt einfach mal anschaut, welche Länder sowohl im Bundesländervergleich als auch im internationalen Vergleich eher große Chancengleichheit haben für KI der aus verschiedenen Elternhäusern und welche ein hohes Leistungsniveau haben, dann sieht man schon tendenziell eher, dass die, die die hohes Leistungsniveau haben, eher nicht so gut aussehen, wie bei der Chancengleichheit. Und da werde ich selbst, ich glaube, das ist lange nicht so klar gesehen worden und diskutiert worden. Ich würde das ja auch gerne mal in den Daten näher, da soll man ein großartiges Projekt daraus machen, sich das näher anzuschauen, wie das auch über die Zeit sich verändert hat. Was das vielleicht zeigen kann, ist, dass eben schon die Länder, die eben das Leistungsniveau sehr hochziehen, doch sehr stark, dass über Mittel bekommen, die die Elternhäuser mit ins Boot holen und da schlägt dann immer gleich die Ungleichheit der Stadt zu.

Marius R. Busemeyer
Ja, aber was ist denn mit dem Bildungswunderland Finnland? Hat es das nicht geschafft oder zumindest für eine Zeit lang? Oder ist das nur eine Wunschvorstellung gewesen, wie Gabi sagt?

Ludger Wößmann
Ja, Finnland hat sich relativ schlecht entwickelt. Das heißt nicht, dass wir da in Deutschland große Häme haben sollten, weil die in den meisten Sachen deutlich besser noch dastehen als wir, aber die waren ursprünglich eben tatsächlich, die hatten sehr hohes Leistungsniveau oder größere Chancengleichheit, aber die sind vom Niveau her deutlich zurückgegangen. Da auch wiederum hat die ganz anderen Hintergründe, als vieles, was jetzt mit Chancengleichheit zu tun hat. Also das ist zum Beispiel so, dass die hatten sehr anspruchsvollen Leistungstests direkt nach dem Alter von 15, der für die Schülerinnen und Schüler sehr wichtig war in Bezug auf das weitere. Das heißt, die hatten in der Zeit große Anreize, sich wirklich gut anzustrengen. 

Ehrlich gesagt ein anderes Beispiel dafür, wie wichtig standardisierte Abschlussprüfungen sind, die auch was zählen. Und das haben die sehr erodiert in der Zeit und das scheint einer der Aspekte zu sein, die dazu geführt haben, dass dann eben die Kinder sich auch nicht mehr so angestrengt haben, wiederum etwas, was dann eher orthogonal zur Chancengleichheit ist. Und von daher, das muss man immer anders herumdrehen. Ich glaube, eigentlich, was die großen Chancen in dieser internationalen vergleichenden Forschung ist, ist eben nicht zu sagen, hier ist ein Land, das ist besonders toll und das müssen wir jetzt genauso machen, so haben wir das zu Anfang von PISA eigentlich gemacht. Sondern natürlich, wenn wir Deutschland mit Finnland vergleichen, dann gibt es mindestens eine dreistellige Anzahl von relevanten Faktoren, die sich grundlegend unterscheiden und wichtig sein könnten und wir haben n gleich zwei, um das zu testen, geht nicht. Das heißt, die große Chance, aus meiner Sicht ist, wenn man viele Länder hat, 50 bis 100 Möglichkeiten im Datensatz und da systematisch schauen kann, ist es dann systematisch so, dass die die früher auffallen oder die bessere, frühkindliche Bildungssysteme haben oder zentrale Abschlussprüfung haben, dass sie systematisch anders abschneiden, als die Länder, die es nicht haben, oder ob das nicht so ist. Und darum ist eben eigentlich in keiner Ansicht, die wie das perfekte Land, wo wir sagen, wir sollten was machen, genau wie die, weil es keinen Land gibt, das eigentlich alle Sachen richtig macht.

Gabriele Spilker
Wenn du jetzt die Macht hättest und unser Bildungssystem ändern könntest – welche zwei oder drei Stellschrauben würdest du drehen? Was müsste verändert werden, um a) bessere Bildungsleistungen zu erzielen und b) gleichzeitig die Ungleichheit zu reduzieren?

Ludger Wößmann
Ja, all die Sachen, die wir schon ein Stück angesprochen haben. Also als erstes würde ich sagen, für das Leistungsniveau braucht man eigentlich einen viel klareren Fokus auf diese Basiskompetenzen und die müssen klar definiert sein und das müssen wir regelmäßig testen. Also ich würde einen jährlichen Deutschlandweiten-Test einführen, wo alle Kinder einmal im Jahr, statt ihrer normalen Schulaufgabe Klassenarbeit einen einheitlichen Test machen und dann sehen wir auch mal, wo die Kinder überall stehen und alle Schulen kriegen Feedback und sehen, wo funktioniert es, wo nicht. Auch die Politik kriegt ein Feedback und ich bin mir sicher, dass hätte ein Riesenauswirkungen. 

Erster Aspekt und dann auch dazu gebunden, da gibt es auch Forschung zu, dass wenn wir diese externen Standards und Überprüfungen haben, dann schneiden Schüler deutlich besser ab, wenn die Schulen viel mehr Autonomie haben, vielmehr Selbstverständlichkeit, vielmehr Handlungsfreiheit haben. Beide Aspekte, die halt in Deutschland nicht so gut aussehen. Unsere Schulen sind immer noch in den meisten Bundesländern, wenn die Lehrer zentralverwaltungsmäßig auf die Schulen verteilt und so, da ist nichts mit Entscheidungsfreiheit in allen möglichen Dimensionen.

Das wären zwei Sachen, die da sehr wichtig sind und wenn wir dann über die Chancengerechtigkeit sprechen. die frühkindlichen Angebote, gerade für benachteiligte Kinder und Familien, ausbauen in qualitativ guter Weise. Wir haben in den letzten 10, 20 Jahren schon sehr stark einen ausbauen im frühkindlichen Bereich gesehen. Das ist ja allen bewusst geworden. Aber zwei Aspekt, die da nicht weit genug mitgegangen sind, das erste ist, das ist zwar auch eine Betreuungseinrichtung, aber sollte vor allem eine Bildungseinrichtung sein. Das heißt nicht, dass wir die Kinder jetzt mit Dreier an die Schulwege setzen wollen, sondern dass die Spielende lernen, die Welt entdecken und zu fördern, alle Dinge, die man so als Kind gefördert kommen muss. Das müsste, glaube ich, noch stärker reinkommen.

Das ist das eine und das zweite ist, dass wir beim Ausbau vielfach eigentlich eher darauf hingebaut haben, okay, jetzt wollen wir sicher gehen, dass beide Eltern arbeiten können. Das kommt dann besonders den Bildungsnahen schichtend zugute, wo eben bei Akademiker Ausgründung haben. Da kriegen die Kinder ihren gesicherten Platz. Und das ist genau das, was am wenigsten jetzt für die kindliche Entwicklung wichtig ist, sondern es wäre wichtig, dass wir gerade die wirklich benachteiligten Kinder hinhaben.

Und denen im Bereich, vielleicht damit jetzt aktuell zusätzlich zugesagt, also frühkindliche Angebote ausbauen, auch früh die sprachliche Entwicklung testen und fördern. Also das, was, ich sag mal, Hamburgs wird da, glaube ich, immer als gutes Beispiel angeführt. Viele andere Bundesländer reden darüber, aber keiner macht es so wirklich. Da müssen halt alle Kinder mit 4,5 ein Sprachtest machen. Und wenn man da eben nicht auf dem Mindestniveau ist, wird man dadurch vorschulpflichtig und darum muss man dann eine Sprachförderung teilnehmen.

Deshalb, da kann man nicht erst mit 6, 7, wenn die Kinder bei der Grundschule ankommen, feststellen, die können überhaupt kein Deutsch, weil wenn man die Sprache nicht kann, dann kann man ja nichts Weiteres lernen. Das ist die Grundlage dafür, alles weitere zu lernen. Und ich glaube, je früher man hier ansetzt, desto besser das kann man machen. Aber das wäre jetzt was für Chancengleichheit. Und dann würde ich eben weitergehen. Ich würde sprechen sicherlich auch über dieses längere gemeinsame Lernen. Das würde was bringen. Ich halte das politisch für den Deutschland mittlerweile für wenig produktiv darüber zu diskutieren. Ich verstehe nicht so ganz, warum das so ist, aber das scheint ein rohes Zug zu sein. Aber dann gibt es auch viele weitere Sachen, die man machen kann, zur Förderung von benachteiligten Kindern. Da ist halt wichtig, dass man wegkommt von der Idee, wir müssen alles mit der Gießkanne machen und überall Weichen gehen, sondern gezielt fördern. Da muss man wirklich gezielt rangehen. Also mit unserem Start-Chance-Programm, zumindest von der Grundidee, was die letzte Bundesregierung eingeführt hat, es geht genau in die richtige Richtung. Da ist, glaube ich, die Ausführung und der Größenordnung so viel falsch, dass ich jetzt nicht glaube, dass das die Welt verändern wird.

Marius R. Busemeyer
Vielleicht kannst du das nochmal in zwei Sätzen zusammenfassen, was das Programm eigentlich genau macht. Das wissen vielleicht nicht alle der Zuhörenden.

Ludger Wößmann
Genau, das ist auch sehr kompliziert. Aber die Grundidee ist zu sagen, wir definieren Schulen, die ein besonders großen Anteil von Kindern aus benachteiligten Hintergrund haben und die kriegen dann zusätzliche Mittel in verschiedenen Bereichen. Und das ist eigentlich zum ersten Mal so runter. Da ist jetzt der wichtige Punkt daran. Es hat die Bundesregierung aufgelegt. Die hat da eben Milliardenbeträge für die nächsten 10 Jahre auf den Tisch gelegt. Da sollten eigentlich die Bundesländer, sollten das eigentlich auch matchen. Das wird sicherlich nicht funktionieren, nicht passieren. Aber sozusagen da ist zusätzliches Geld, wo ja eigentlich Bildung eigentlich immer die Länder und zum Teil die Gemeinden dafür zuständig sind, dass man jetzt sagt, da kommen Bundesmittel rein und die sollen eben gezielt, da wo die Staatsführung besonders schlecht sind, besonders zusätzliche Mittel reinbringen. Und ich glaube, dafür braucht man mehr, muss das natürlich noch gezielter machen, dass das bei den Kindern ankommt. Ich glaube, wo wir eben also damit verbunden, aber nicht nur so direkt, ist glaube ich, Nachhilfe und Mentoring-Programme sind Aspekte, die man auch politisch sehr stark machen kann, das ist eine wirklich gute Evidenz dafür haben, dass sie richtig viel bringen, eben auch bei Kindern, die nicht so gut dastehen oder aus benachteiligten Hintergründen kommen. Das zeigt alles, das ist kein Schicksal. Da kann man viel dran ändern. Man muss das dann eben gezielt machen. Also wenn Bildungsnahe Eltern, ihr Kind jetzt gerade, wenn ihr hinter das Klassenziel zurückfällt, was machen die? Die kommen sich Nachhilfe ein. Und dann nehmen die aus staatlicher Sicht, für die Familien, wo sie sich da selbst nicht leisten können, könnte man genauso machen. Und es gibt da Evidenz, dass das viel bringt.

Gabriele Spilker
Und jetzt, um vielleicht das Thema ein bisschen breiter aufzustellen: es werden bestimmt viele Zuhörerinnen und Zuhörer sagen: ja, das ist ja alles schön und gut, diese Bildungsungleichheit, aber warum sollte ich ein Interesse daran haben, die Kinder anderer Menschen zu fördern, wenn die das selbst vielleicht nicht tun? Und jetzt kann man natürlich sagen, das ist sozial wichtig, das ist überhaupt für uns als Gesellschaft wichtig, aber als Ökonom kann ich mir vorstellen, hast du noch eine andere Antwort und die lautet, es ist auch für unsere Wirtschaft wichtig. Ist das so? 

Also wie stark hängt denn oder wie stark sollten wir als Gesellschaft, das ist mal unabhängig von den ganzen sozialen gesellschaftlichen Aspekten, sondern von dem wirtschaftlichen Aspekt: wie sehr sollten wir hier ein Interesse haben, daran die Bildung zu fördern und deswegen auch die Bildungsungleichheit zu bekämpfen?

Ludger Wößmann
Ja, ich glaube, das ist genau der Aspekt, warum eben dieses Thema Bildung in den letzten ein, zwei Jahrzehnten halt unter Ökonomen als sehr stark gewachsen, geboomt ist, weil man eben genau sieht, wie extrem wichtig das ist. Die Grundidee ist eben, dass wenn ich eine bessere Bildung habe, dann werde ich produktiver, kann mich in allen möglichen auch gesellschaftlich besser einsetzen, aber eben auch wirtschaftlich mehr Wohlstand generieren. Und das ist eben so, wenn wir das für die makroökonomische Volkswirtschaft insgesamt anschauen, das sehr langfristig betrachten, ich sag mal, Wachstum über 40, 50 Jahre und warum sind einige Länder in der Zeit reich geworden, andere arm geblieben, dann kann man, wenn man diese PISA-Vorgängerstudien, also seit Mitte der 1960er Jahre, gab es regelmäßig internationale vergleichende Schülerleistungsteste Mathematik und Naturwissenschaften, die haben wir alle mal zusammen versucht, auf eine gemeinsame Skala zu bringen. Und diese Unterschiede in den Bildungsleistungen der Bevölkerung können mehr als drei Viertel der langfristigen Wachstumsunterschiede zwischen den verschiedenen Ländern erklären. Wir können es heute komplett erklären, warum die Länder in Ostasien so reich geworden sind, die früher ärmer waren als Lateinamerika und jetzt ab unserem westlichen Niveau sind und warum Lateinamerika so arm geblieben ist. Wir können auch innerhalb Europas erklären, warum einige Länder abgegangen sind und andere nicht. Das ist halt für, wenn man diese Größenordnung, die man empirisch sieht, wie die Bildungsleistung der Bevölkerung mit dem Wachstumsraten zusammenhängen, dann ist es so ein Unterschied von 25 PISA-Punkten.

Wir haben das gesagt und haben vorhin kurz darüber gesprochen, dass so etwa das, was Deutschland in den ersten zehn Jahren nach dem PISA-Schock rausgeholt hatte, was wir jetzt schon seit dem letzten PISA-Test wieder komplett verloren haben. Diese Größenordnung würde für Deutschland langfristig, bis Ende des Jahrhunderts, einen Unterschied in den BIP von 14 Billionen Euro machen. Das sind riesengroße Effekte in der langen Frist. Das kurzfristig bringt das nicht viel. Aber wenn wir jetzt die Schülerleistung verbessern, verbringt das für die nächsten fünf Jahre überhaupt nichts am Arbeitsmarkt, weil die Kinder ja noch nicht am Arbeitsmarkt sind. Das ist das große Picture, aber es ist auch für jeden einzelnen und dann kann man ihnen sehr deutlich zeigen, dass ihnen eine bessere Bildung, bessere Bildungsleistung, auch bessere Abschluss super wichtig sind für das Einkommen, was sie am Arbeitsmarkt erzielen, aber ob ich überhaupt ein Job haben am Arbeitsmarkt. Das spielt natürlich dann zurück, dass selbst wenn es nicht mein eigenes Kind ist, sich schon Interesse daran haben sollte, dass das Bildungsniveau insgesamt in Deutschland gut ist. Zum einen, weil es uns an allen besser geht, aber auch zum zweiten, weil dann nicht so viele Kinder, nicht so viele Menschen später am Sozialtropf hängen und alle anderen, die wir zu allen müssen, sondern eher dazu beitragen, dass es uns insgesamt gut geht.

Marius R. Busemeyer
Ja, das ist alles sehr spannend. Aber wenn man jetzt mit gesundem Menschenverstand draufschaut, würde man sagen: also irgendwie eine klare Sache, wir müssen mehr in Bildung investieren. Die Bildungsreform, die du angesprochen hast, hört sich total vernünftig an: Sprachförderung, frühkindliche Erziehung ausbauen. Viele würden das wahrscheinlich unterschreiben. Aber warum passiert dann so wenig? Oder warum scheitert die Bildungsreformpolitik dann doch so häufig? Also du hast ja sogar gesagt, wir sind sogar zurückgefallen in den letzten zehn Jahren. Wie kann das sein, dass die Politik bei solchen doch recht offensichtlichen Dingen anscheinend dann doch Schwierigkeiten hat, das so umzusetzen?

Ludger Wößmann
Ja, das ist die große Frage. Vielleicht mehr für die heutige Politik. Nein, das ist vielleicht wirklich total schwer zu verstehen, aber in den verschiedenen Ebenen. Ich glaube, ehrlich gesagt, es ist ja nicht so, dass die Politik jetzt irgendwie kein Geld mehr in Bildung reinsteckt. Das ist auch das, was irgendwie immer völlig falsch drüber kommt. Also die Bildung ist nicht gespart worden. Das stimmt einfach nicht. Also die Ausgaben auch pro Schüler sind in den letzten Jahrzehnten immer weiter gestiegen. Jetzt nicht so, man kann sich da immer noch mehr vorstellen, aber das ist per se erstmal nicht die erste Sache. Und ich glaube auch nicht, dass sozusagen die Rückgänge, die wir jetzt eben bei PISA sehen, das hat glaube ich wirklich viel mehr gesellschaftlich was zu tun, damit so inwiefern wir insgesamt das für wichtig halten oder nicht diese Basiskompetenzen oder ob wir einfach happy sind, dass die Kinder irgendwie in der Schule gut betreut sind und sich nicht anstrengen müssen. Ich glaube Eltern sind weniger bereit, die Kinder davon zu überzeugen, dass jetzt die Handyzeit gerade mal vorbei ist, und jetzt Hausaufgaben gemacht werden müssen oder gelernt werden müssen. Ich glaube, das sind die Effekte, die man auch nicht immer nur der Politik vorwerfen kann, wo wir schon wieder breiter denken müssen, was es ist. Andere Sachen sind dann schon ein bisschen schwierig zu verstehen, warum man eben die Investitionen in die frühkindliche Bildung. Der eine Aspekt natürlich, den man da hat, ist diese ökonomischen Erträge, die man hat, die kommen halt erst in 20, 30 Jahren. Bis dahin sind sämtliche Politiker halt in Rente, die das jetzt einzahlen.

Ich glaube, das ist schon ein Aspekt, der da dran ist. Also in der jetzigen Legislaturperiode wird das die Wirtschaft nicht vorantreiben. Wobei ich trotzdem nicht so ganz verstehe, ich meine, es gibt genügend Eltern, die per se erstmal oder auch Menschen großes Interesse daran haben, dass wir eigentlich den Kindern gute Rahmenbedingungen bringt und das kann auch innerhalb der gleichen Legislaturperiode was bringen. Ich glaube, ein weiterer Aspekt, warum das nicht so gut funktioniert, ist eben, dass wir in unserem föderativen System da extrem dysfunktional aufgestellt sind. Das heißt, die Bundesregierung kann gar nicht mal sagen, okay, mir ist das jetzt total wichtig und ich bring jetzt da Geld rein, weil es ist dafür nicht zuständig, es darf das dann gar nicht, die Bundesländer zuständig, die kämen sich dann doch wieder mit den Kommunen darum, wer was wie, wofür zuständig ist. Und das führt dazu, dass wir generell immer Stillstand haben und nicht mal eine große Reform machen können. Jetzt hier geht es jetzt richtig weiter. Ich glaube, dass da vieles an der Effektivität in der Verwaltung und in der politischen Struktur im Argen liegt.

Marius R. Busemeyer
Gut, dann würde ich sagen, das sind doch positive Worte zum Schluss oder zumindest gemischte Worte. Aber zumindest haben wir ja auch ein paar schöne Beispiele gebracht, sehr konkret auch diskutiert, was man tun könnte, wenn man es wollte. Und vielen Dank an dich, Ludger, für die Zeit. Vielen Dank für das spannende Gespräch.

Gabriele Spilker
Auch danke von meiner Seite. Ich glaube, die spannenden Forschungsthemen gehen weder dir noch uns hier aus. Du hast ja noch viele spannende Fragen aufgeworfen. Danke fürs mit und sprechen.

Ludger Wößmann
Ja, vielen Dank für die tolle Diskussion.

Gabriele Spilker
Und für alle Zuhörerinnen und Zuhörer, bitte jeden ersten Mittwoch im Monat einschalten und den Inequality-Podcast hören.

 (Dieses Transkript wurde mithilfe künstlicher Intelligenz erstellt.)