Stadt Wien Podcast

Jagoda Marinić – Über demokratische Verantwortung (in Kooperation mit Inselmilieu)

Stadt Wien

Dieser Podcast ist im Rahmen des Wiener Demokratiejahres in Kooperation mit INSELMILIEU – der Wiener Reportagepodcast entstanden.

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Unser Gast in dieser Folge ist Jagoda Marinić. Mit der Schriftstellerin und Podcasterin sprechen wir darüber, was uns als Gesellschaft gerade beschäftigt: über demokratische Verantwortung, Ohnmachtsgefühle und die Kraft des eigenen Handelns. Es geht um Mechanismen digitaler Plattformen, die Konflikte, Empörung und Spaltung antreiben, um die Frage, welche Rolle der Journalismus in polarisierten Zeiten spielt und um Jagoda Marinićs Idee der Lösungslust als Weg vom Denken ins Tun. Ausschnitte aus ihrer kraftvollen Rede zum Abschluss des Wiener Demokratiejahres sind Teil des Gesprächs. Eine Folge über Wirkmacht, Widerspruch und die Lust, Demokratie zu leben.

Diese Folge entstand im Auftrag vom Büro für Mitwirkung der Stadt Wien im Rahmen des Wiener Demokratiejahres. Produziert von INSELMILIEU Reportage in redaktioneller Unabhängigkeit. 

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INSELMILIEU Reportage wird produziert von Julia “Yogi” Breitkopf (www.sorgfuerfurore.at / www.instagram.com/sorgfuerfurore) und Jana Mack (www.instagram.com/jana__sowas)

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-Hallo und willkommen bei diesem Inselmilieu-Reportage Deep Dive. Diesmal aus dem Podcaststudio der Stadt Wien. Wir sind Jogi -und Jana. Das hier ist eine Premiere. Diese Folge erscheint nicht nur bei unserem Podcast Inselmilieu, sondern auch in dem der Stadt Wien. Also ein herzliches Hallo an alle, die uns hier zum ersten Mal hören.-Wien war in diesem Jahr Europas Demokratiehauptstadt. Im Auftrag des Büro für Mitwirkung widmen wir uns in einem Themenschwerpunkt der Frage, wie Demokratie im Alltag gelebt und verhandelt wird. Wir waren am Würstelstand, im Freibad und im Gemeindebau unterwegs. Kleine Mikrokosmen, an denen Menschen mit unterschiedlichen Lebensrealitäten aufeinandertreffen, einander aus dem Weg gehen oder gemeinsam ins Gespräch kommen. Wir haben an diesen Wiener Alltagsorten über Demokratie diskutiert.-Bei uns gibt es gute Käse, Kleiner. Kommt's näher, kommt's ran.-In unserer letzten Reportage führt uns der Weg zum Wahlrecht an den Würstelstand.-Also ich habe hier vom Baustellenmitarbeiter über Anwälte, über Ärzte, also quer durch alle Herren Länder, quer auf der ganzen Welt und aus allen Jobschichten.-Dort geht es zwischen Eitriger und Senfspender um Zugehörigkeit, Ausschluss und die Frage, wer mitreden darf und wer nicht.-Wenn immer so ruhig diskutiert werden würde, wie an einem Würstelstand, nämlich auch politische Themen, dann hätten wir mehr von der Demokratie, weil das ist genau das, was wir im Grunde alle brauchen. Genauso wie bei jeder guten Party versammeln sich die Leute in der Küche. Und das ist im Grunde ein Kokel auf der Straße.-Wenn euch das neugierig macht, dann hört gerne mal in unseren Podcast rein. Unser Gast in dieser Folge ist Jagoda Marinic. Sie ist Schriftstellerin, Podcasterin und Umsetzerin. Mit ihr haben wir über vieles gesprochen, was uns als Gesellschaft gerade beschäftigt. Über demokratische Verantwortung und die stille Kunst, sich aus ihrer Aus ihr zurückzuziehen. Über die Frage, wie Smartphones unsere Innenwelt beherrschen. Über Journalismus und seine Verantwortung. Und schließlich über Jagoda Marinics Idee der Lösungslust. Und wie wir vom Denken ins Handeln finden.-Kennengelernt haben wir Jagoda beim Abschlussfest des Wiener Demokratiejahres, wo sie eine sehr kraftvolle und inspirierende Rede gehalten hat. Ausschnitte daraus werdet ihr auch im Laufe dieses Gesprächs hören. Und jetzt viel Freude beim Zuhören.-Ja, wir haben heute die Freude mit Jagoda Marinic hier zu Frau, Einer Frau, die viele verschiedene Dinge tut. Du schreibst Bücher und Kolumnen. Zuletzt ist dein Buch Sanfte Radikalität erschienen. Du sprichst, unter anderem als Moderatorin und Podcasterin deines Podcasts Freiheit Deluxe, in dem du Menschen aus Kultur und Politik einlädst mit dir über Freiheit nachzudenken. Du gestaltest Veranstaltungen, Literaturfestivals und hast ein interkulturelles Zentrum in Heidelberg mit aufgebaut. Und du provozierst und inspirierst durch deine Gedanken und Worte, denen wir gestern bei deiner Rede am Abschlussevent des Wiener Demokratiejahres lauschen durften. Schön, dass du da bist, Jagoda.-Danke für eure Einladung.-Du hast gestern bei deiner Rede, bei der Abschlussrede ein Bild verwendet, das mich irgendwie persönlich sehr getroffen hat, vielleicht auch provoziert hat. Du hast sinngemäß gesagt, wir Demokraten werden zunehmend zu Zuschauern der Vorgänge in der Welt. Wir kleben mit der Nase am Demokratieschaufenster und beobachten entsetzt oder schockiert, was passiert und sind da in einer sehr passiven Position, beziehungsweise werden sogar zur Demokratieunterlassern.-An manchen Tagen, wenn die Diskussionen besonders redundant und manipulativ werden, habe ich den Eindruck, zu viele Demokrat*innen werden zu Zuschauern und kleben wie Kinder mit ihren Nasen an Schaufenstern und schauen schaulustig zu oder angeekelt, wie andere sich im Pro- und Kontraspaltungsmodus den Kampfansehen. Die römische Arena des Zweikampfs ist jedoch nicht so bedeutend für die heutige Demokratie wie die Agora des plural zivilisierten Diskutierens. Zu viele schauen derzeit passiv und gebannt und merken gar nicht, wie sie so mit ihren Nasen an den Demokratieschaufenstern zu Unterlassungsdemokraten werden. Demokrat ist man eben nicht durch das Zuschauen vorwiegend, sondern insbesondere durch das Mitsprechen und Mitgestalten auch in repräsentativen Demokratien und dort, wo Modelle für mehr Bürgerbeteiligung fehlen. Die Bürgereingeschubung ist jederzeit möglich. Es geht also gar nicht um die da, sondern um ich hier oder um wir hier. Wenn die da oben etwas falsch machen, dann sollte die demokratische Öffentlichkeit Mittel und Räume haben, mit so vielen Perspektiven die mögliche Diskussion zu führen, bis eventuell Fehlentscheidungen korrigiert werden können. Das ist die Macht der demokratischen Öffentlichkeit.-Ja, vielleicht magst du noch kurz sagen, was hast du damit gemeint? Wie kommen wir aus dieser an der Fensterscheibe kleben Position raus, die ja wirklich sehr unangenehm ist?-Ich würde jetzt erst mal ganz gern wissen, warum dich das provoziert hat.-Weil ich das bei mir selber beobachte. Weil ich aufwache. Weil ich Nachrichten lese. Weil ich denke, oh Gott, oh Gott, die Welt. Ich schaue sehr stark dahin. Ich bin in einer Starre drin. Ich meine, ich mache durch Journalismus, probiere ich dem irgendwas entgegenzusetzen. Aber es ist so einerseits dieses Bewusstsein haben, dass da was, was gerade passiert, ganz und gar falsch ist. Und gleichzeitig trotzdem in dieser Starre sein. Und in diesem, man müsste doch da eigentlich was machen. Und da sind wir alle. Also wir sind ja alle in diesem, man müsste ja eigentlich was machen. Und ich will eigentlich was machen, aber ich mache nichts.-Und warum provoziert dich das?-Das provoziert meinen eigenen Anspruch daran, die Welt so zu gestalten, wie ich sie eigentlich gerne gestalten will. Und dass ich gerade das Gefühl habe, ich bin zu klein dafür. Oder wir sind zu klein und den Mächtigen zu sehr ausgeliefert. Aber es appelliert eigentlich an dieses, ich will ja so eigentlich nicht leben. Und eigentlich eine Provokation im Sinne von, ich möchte eigentlich was ändern. Aber ich mache es gerade nicht.-Also eigentlich hat's dich aktiviert.-Ein aktives Provozieren. Für mich ist Provozieren, für mich ist das, was mich aktiviert, ja. Schon, also hoffentlich aktiviert, aber erstmal spreche ich darüber oder möchte mit anderen Menschen darüber sprechen, ja.-Also ich finde das immer wieder faszinierend, dass Menschen wie ihr oder ich, weil wir sind ja schon eigentlich privilegiert, wir leben in einem privilegierten Land, im Frieden, wir können Arbeit machen, die viele Bildungsvoraussetzungen hat und so weiter. Irgendwie sind wir schon privilegiert, dann trotzdem dieses Ohnmachtsgefühl haben. Ich frage mich dann immer, wie geht es dann denen, die halt nicht so viel Zeit haben, sich mit Gesellschaft zu beschäftigen, die irgendwie noch stärker am Schaufenster kleben müssen, weil sie wissen, ich kann da nicht mal irgendwas dazu sagen, was irgendwen interessiert. Ich provoziere in der Hinsicht gerne, weil wenn ich sage, ihr seid Unterlassungsdemokraten, gebe ich dem einen anderen Begriff als, ihr liegt auf dem Sofa und habt, seid zu faul oder ihr seid müde. Also ich will so ein bisschen an den Stolz der Demokratinnen und Demokraten appellieren, weil eigentlich, müssten wir so stolz auch sein auf dieses, wir sind eigentlich immer noch eine Bürgergesellschaft, wir sind die Citoyens, wir haben den König mal abgeschafft oder unsere Vorfahren. Ich finde es so faszinierend, wenn man zurückdenkt an Leibeigenschaft, an, wir haben die rechtlichen Bedingungen geschaffen, dem Volk die Macht zu geben. Und wir machen so wenig draus manchmal. Und ich glaube, ein Problem ist natürlich, wenn ich die Weltlage verfolge, ich kann nicht aus meinem kleinen Kosmos, egal wie groß ich bin, irgendwie da was beeinflussen, aber natürlich kann ich, indem ich mich ausdrücke, verbinde, Öffentlichkeit schaffe, tue. Einen Raum bespielen, Interessen zusammenbringen und etwas in Bewegung setzen. Und dann höre ich eben auf, im Schaufenster zu sitzen und zu sagen, jetzt machen sie den Scheiß schon wieder und die sind schuld und ich nicht. Das heißt, was ich schon möchte, ist, dass wir uns dieser unglaublichen Macht bewusst werden, die wir als Demokratien dem Einzelnen gegeben haben. Und wir schimpfen dann, wenn sie in Umfragen plötzlich autoritäre Kräfte wählen, zu Recht, weil man denkt, sag mal, versteht ihr nicht das Geschenk, das das ist? Aber natürlich verstehen sie es nicht, weil wenn wir alle ohnmächtiger uns fühlen, das heißt, immer mehr Menschen fühlen sich ohnmächtig, dann denkt er, was brauche ich denn die Demokratie? Ich kann da eh nichts ausrichten, dann soll doch zumindest ein Totalitärer da herrschen, der meine Weltsicht repräsentiert. Und dann sind wir bei der Tyrannei. Und dann sind wir bei dem, was Trump so, gut spielen kann so. Ich verkörpere eure Wut. Obwohl ich das Leben lebe, das ihr eigentlich verachtet. Obwohl ich das bin, von dem ihr eigentlich denkt, das ist der Klassenfeind irgendwo, ne? Ich wünsche mir einfach, dass wir dieses Glück, das wir in Demokratien leben, wirklich nutzen. Dass wir das Glück, dass wir nicht wie die Ukrainer mit einer Waffe in der Hand unsere Freiheit verteidigen müssen, sondern einfach mit einem Bleistift in der Wahlkabine ein Kreuz machen bei demokratischen Parteien können. Dass wir das mehr nutzen. Und dass wir aufstehen und sagen, hey, ich kann 50 Menschen finden und ich kann eine Bürgerbewegung starten. Ich kann gucken, ob das Problem, das ich sehe, auch andere haben. Und ich kann da eigentlich was tun. Und ja, die demokratischen Mühlen malen langsam, heißt immer. Das stimmt aber auch nur so bedingt. Wenn ich ausreichend Menschen in ausreichend kurzer Zeit gut zusammenbringe. Es gibt heute viele gelernte Strategien von künstlerischem Aktivismus, von Bürgeraktivismus, von Bürgerbeteiligung. Wir haben ja ganz viele Strukturen. Es ist ja schon ganz viel da gewesen. Es geht für mich gerade nur darum, aus dieser Erschöpfung herauszutreten, die ja eigentlich das Ergebnis ist von, wie du sagst, dieser Passivität. Je mehr ich sehe, was ich glaube, gar keinen Einfluss darauf zu haben, desto irrelevanter werde ich ja. Ich höre von vielen, sie seien zu erschöpft dafür. Zu nachrichtenmütig, zu sensibel, zu dies, zu das. Ich lasse das nicht gern gelten. Nur in wenigen Fällen. Für die meisten gilt, es gibt immer Ausreden, um nichts zu tun. Wir aber brauchen Strategien, um aus solchen Ausreden herauszufinden, gemeinsam. Es sind schwierige Zeiten, ja. Doch es gab Zeiten, da waren viele Menschen ärmer, hatten weniger Rechte, weniger Bildung als heute und haben dennoch für ein besseres Morgen gekämpft. Dieser Nihilismus der Frustrierten ist mir zu bequeme Haltung. Mit demokratischer Verantwortung hat sie leider wenig gemein. Demokratinnen und Demokraten dürfen der Demokratiemüdigkeit nicht nachgeben und unter der Kakophonie der sozialen Medien ihre demokratische Handlungsmacht vergessen. Genauso wenig, wie wir vergessen dürfen, dass Sprache Macht ist. Ein Demokrat hat das Recht, die Gegenrede zu jeder Rede zu führen, die missfällt. Ich bin überzeugt, dass ein Sprecher mehr Zustimmung finden wird, wenn er seine Rede klug und verbindend gestaltet und nicht dem Wahn der heutigen Spaltungsrhetorik verfällt, auch wenn derzeit viele Letzteres vorleben und sich so ihre mediale Aufmerksamkeit sichern.-Also für mich diese Wirkmacht wieder zu fühlen, hey, I can, ich kann aufwachen und ich kann, wenn's halt, ich mach, hier hab ich drei Kasten, drei Kasten und in diesem kleinen Kosmos möchte ich was bewirken. Und zwar möchte ich, dass hier jetzt plötzlich Blumen blühen und hier die Kinder in meiner Nachbarschaft irgendwie einen Raum haben, wo sie frei sind und leben können. Und hier soll irgendwie Wohnraum entstehen, den zumindest ein paar Menschen bezahlen können. Das sind schon Machtstrukturen, die wir haben. Und nur wenn die demokratische Bevölkerung zu lange schweigt, entsteht ja auch dieses Gefühl, dass man sozusagen unter sich verteilen kann. Aber ich will die Probleme nicht kleinreden. Es sind große strukturelle Elitenprobleme, die wir global leider haben. Ich denke nur, dass Städte der richtige Raum sind, wo ich trotzdem die Wirkmacht haben kann und das ein bisschen aushebeln kann. Und wenn ich sage Unterlassungsdemokrat*innen, dann sage ich eigentlich, seid doch besser Demokrat*innen. Nutzt diese Macht, die ihr habt. Weil das auch so ein Gefühl, ich sage Lösungslust, weil das eine sinnliche Erfahrung ist von ich kann, ich kann verändern, ich kann gestalten. Da entsteht einfach im Kopf so eine Lebenslust auch, dass, dass ich denke, wir schulden das zu uns, aber wir schulden es vor allem auch den nächsten Generationen, wenn ich lese, wie viele davon nach Corona jetzt auch mit Depressionen kämpfen, wo ich sage, was leben wir denen vor, dass junge Menschen denken, emotional verarbeiten sie die Welt so, dass sie sich depressiv fühlen. Da, glaube ich, liegt es schon daran, dass wir vorleben und irgendwie in so eine Erlebniswelt gemeinsam kommen von, natürlich sind wir die Citoyens, ich liebe auch dieses Wort irgendwie, dass wir aus einer Tradition kommen von Menschen, die sich da ein Recht erkämpft haben, der Bürgergesellschaft und der Macht des Volkes. Das sind so große, große Worte, aber sie sind blutig erkämpft. Blutig erkämpft und für uns friedlich geschenkt bekommen. Und das zu leben und für andere zu fordern, zu sagen, hey, die leben auch hier, die sollen auch das Volk sein und mehr Lust, Leidenschaft und Spiel da reinzubringen. Ich glaube, das wäre schon für die Demokratien gut, weil es ist so einfach zu sagen, ich bin jetzt passiv, weil die machen es schlecht. Ich glaube, in dem Moment, wo man dasteht und eine Kraft ist, dann bewegt sich natürlich rein physikalisch etwas, gerade auch in trägen Demokratien.-Jagoda legt den Finger auf etwas sehr Grundsätzliches, dass Demokratie nicht scheitert, weil Menschen zu wenig wissen, sondern weil sie irgendwann aufgehört haben zu glauben, dass ihr Handeln überhaupt noch einen Unterschied macht. Und genau da setzt das Gespräch wieder ein. Bei der Frage, wie Gedanken Kraft entwickeln, wie aus inneren Impulsen handeln wird und warum sich Realität verändert, wenn wir bereit sind, uns einzumischen.-Du schreibst ja ganz viel, dass du auch aus einem Nachdenken und Schreiben ins Tun gekommen bist oder ins Tun kommen willst.-Das ist schon das Schöne. Also in dem Moment, in dem du anfängst, auch was zu tun, kriegt der Gedanke so eine ganz andere Plastizität. Also natürlich kann ich einen Gedanken in seiner Reinheit lassen. Und es gab von Obama mal so eine Konferenz, wo jemand auch so gesagt hat, ja, aber die Philosophen sagen, wir müssten, und er hat es immer mehr in der Fragestellung, jemand so überhöht, überhöht, überhöht, wie idealistisch alles sein müsste, wie toll alles sein müsste. Und er sagte dann immer so, ja, das ist schon in Ordnung und wir brauchen die Ideenwelt und ich liebe sie, but I am a person, I am deep in the mud. Und das habe ich so schon auch gemerkt, wie sehr ich genau dieses Spannungsfeld schätze. Also dass wir uns Ideen holen, dass wir inspiriert werden, dass wir nachdenken, aber dass ich dann rausgehe und sage, okay, warte mal, es ist irgendwie nochmal, reality check, neu justieren, was sagt dieser Gedanke und wo wird ein Gedanke wirkmächtig und wo wird ein Gedanke wirklich übertragbar, weil wir denken ja nicht im, wir denken ja auch nicht nur, dass wir schöne Gedankengebäude haben, weil sie rein ästhetisch sind, sondern wir denken natürlich auch, weil wir daraus Konstrukte bauen, die wir letztlich leben wollen, also Lebensbedingungen schaffen. Nur weil jemand Freiheit dachte, haben wir heute freie Gesellschaften. Also auch sich das klarzumachen, die Gedanken sind ja nicht, nicht irgendwo, sondern sie haben durchaus, sie schaffen eben die Bedingungen nachher des Materiellen und das finde ich dann eben so spannend, wenn ich mich dem auch aussetze, diesem Spannungsfeld, in dem Materiellen zu spüren, vielleicht fehlen Gedanken, damit sich etwas anders materialisiert und umgekehrt vielleicht auch zu merken, mit diesem Gedanken kann ich etwas ganz anderes in die Welt setzen. Wenn ich so denke, kann ich ganz anders sein. Wenn ich so denke, kann ich ganz anders handeln. Wenn ich so denke, kann ich ganz andere Dinge bauen. Und dann zu sehen, wie sich diese Dinge ineinander fügen und plötzlich neue Gebilde und Gebäude entstehen, das ist glaube ich diese Kraft und da beginnt für mich dann auch alles mit der Bildung. Also wir brauchen und müssen Bildungsräume schaffen, wo die Menschen genau diese Gedankenwelten schaffen dürfen, denn wenn wir halt gedanklich verarmen und auch das will dieses Smartphone, deswegen finde ich persönlich auch dieses in Schulen bis 16 Jahre keine Smartphones, das Gesetz, von dem ich mich frage, warum wir zehn Jahre darauf warten mussten, also wie wir erlauben konnten, dass an einer ganzen Generation ein solches Experiment betrieben wurde, was das mit ihren Gehirnen macht. Also ich weiß nicht, wann wir das je erlaubt haben, gerade an Kindern und dass wir diese Gedankenwelt nicht geschützt haben, weil das ist letztlich das größte Gut, dieses Innenleben, weil nur wenn wir Innenleben letztlich fluide und lebendig gestalten, können wir das ja irgendwie heraustragen. Wie will denn jemand, den ich völlig geplättet habe durch Konsumerismus und durch surf dich mal hoch und runter, irgendwie sagen, ich gehe da raus und trete in Interaktion?-Genau diese Räume, in denen Gedanken greifen, stehen zunehmend unter Beschuss. Während wir darüber sprechen, wie aus Gedanken Taten werden, verändern sich diese Orte, an denen dieses Nachdenken passiert. Die digitalen Plattformen haben unsere Aufmerksamkeit in Systeme eingespeist, die Zuspitzung und Empörung belohnen. In dieser Aufmerksamkeitsökonomie gewinnt, was aufregt, nicht, was Verständigung ermöglicht. Da bleibt man eher in Konflikten hängen, als dass man gemeinsam Lösungen findet.-Im Dokumentarfilm The Social Dilemma gab viele Aussteller zu, sie seien ausgestiegen, als ihnen deutlich wurde, ihre Arbeit sei es, den Streit als Sucht zu programmieren. Ihr Wissen wurde missbraucht, um zu programmieren, dass ein Nachbar seinen Nachbarn zum Feind erklärt, nur weil er anders denkt. Sein Bruder zum Gegner, nur weil er anders denkt. Sie programmierten, so sagten sie selbst, auf den Bürgerkrieg hin, weil es ein Wesenskern demokratischer, friedlicher Gesellschaften ist, etwas nicht wegzuprogrammieren. Nämlich die Fähigkeit, mit Andersdenkenden ins Gespräch zu kommen und Meinungsvielfalt auszuhalten. Weil nur eine Wahrheit herrschen darf. Denn wenn jeder denkt, wenn nur eine Wahrheit herrscht, dann herrscht Ordnung. Dann herrscht Krieg. Wir müssen uns nur an den Sturm auf das Kapitol in den USA erinnern, um zu sehen, was diese Aussteiger genau meinten mit Bürgerkrieg. Wenn wir dem etwas entgegensetzen wollen, müssen wir durch neues gesellschaftliches Handeln lernen, eine neue Zukunft zu bauen, die uns wieder von dieser programmierten Sucht des Gegeneinanders, von der Intoleranz gegenüber Andersdenkenden wegbringt.-Und ich habe von Esther Perel so eine sehr, sehr traurige, aber auch schöne und traurige Geschichte gesehen, dass wir bei der ersten Generation haben, in der Einsamkeitsstudie, sagen, dass sie, wenn sie miteinander da sitzen, fühlen sie sich einsamer, als wenn sie allein sind. Weil wenn sie allein sind, dann texten sie mit ihren Freunden. Und wenn sie mit ihren Freunden da sitzen, dann texten sie mit anderen und gucken aufs Handy. Also sie sind sich näher, wenn sie übers Display miteinander, weil sie dann ganz die Aufmerksamkeit beim anderen übers Display haben. Aber wenn sie voreinander sitzen, sind sie dann nicht so trainiert und gehen ja ständig ins Handy und sind dann eigentlich einsamer mit den Menschen, weil sie da natürlich auch nicht das destillieren können, was sie halt reinschicken wollen, sondern dann sind sie da in ihrer ganzen Menschlichkeit und in allem, was sie noch nicht sind, ihrer Unsicherheit und alles, was sie halt als Menschen aushalten müssen, wenn wir so unter Menschen gehen. Und da fühlen sie sich jetzt einsamer. Und deswegen glaube ich, ja, diese Befreiung und Rückeroberung des Innenlebens ist für mich auch so ein großes demokratisches Projekt, gerade für die jüngeren Generationen.-Was Jagoda hier beschreibt, ist der Verlust echter Begegnung. Dass wir nebeneinander sitzen und uns doch nicht wirklich erreichen. Dass digitale Reflexe eine Art Nähe simulieren, während das analoge Gegenüber immer schwerer auszuhalten wird. Unsere Insemilieu-Reportagen sind der Versuch, zwischenmenschliche Begegnungen wieder neu zu ermöglichen. Im Gespräch mit unseren Interviewpartner*nnen, durch die Geschichten, die wir erzählen und auch bei unseren Veranstaltungen. Burst Your Bubble lautet unser Motto. Ist das zu simpel gedacht?-Das Motto unseres Podcasts lautet ja, raus aus der Blase. Und wir wollen mit unseren Reportagen in unterschiedliche Lebenswirklichkeiten eintauchen in Wien. Die Perspektive zu öffnen für andere Lebenswelten und Lebensrealitäten und Berührungsängste abzubauen, ist glaube ich auch ein Thema, mit dem du dich auch beschäftigst. Wie blickst du auf die Gesellschaft, die immer fragmentierter wird und spielt das bewusste Verlassen der eigenen Filterblase eine Rolle?-Wir haben gestern ja schon mal ein bisschen drüber theoretisiert, so beim Hallo sagen schon fast. Ich habe mich mit diesen ganzen Ich-lebe-in-meiner-Bubble-Gerede nie ganz zurecht gefunden. Erstens hatte ich nie das Privileg, so in einer Bubble bleiben zu dürfen. Ich bin das Kind von Einwanderern. Das heißt, in meiner Kindheit war ich automatisch in einer Einwanderer-Bubble, ging dann aufs Gymnasium, war also eigentlich in einer deutschen bürgerlichen Kinder-Bubble, Professoren-Kinder-Bubble, dann an der Uni. Also man hat ja sozusagen immer seine Bubbles. Und ich weiß noch, im Politikunterricht, als unser Lehrer uns beigebracht hat, was Peergroups sind und dass wir auch Gruppen suchen, in denen wir uns identifizieren können. Punker, über ihre Merkmale. Das ist ja, was wir heute Bubble nennen. Also irgendwie brauchen wir alle erstmal Milieus. Und ich wo ich sage, da erkenne ich was von mir wieder, äußerlich und innerlich. Da fühle ich mich wohl, da ist meine Safe Zone. Und ich mag auch gar nicht, wenn man das schlecht redet. Und ich finde, es darf auch Bubbles geben, wo man sich vergewissert, dass die Welt, in der man lebt und wie man sie sieht, völlig okay ist. Und ich glaube, dass es heute umgekehrt so ist, dass dann viele dieser Peergroups, einfach mal von diesen Blasen, weil die auch so kritisiert werden, heute in einer ganz anderen Art aufeinander losgelassen werden. Allein durch die sozialen Medien. Also wenn ich da jetzt manchmal reingehe und was und wen ich da reden sehe, würde ich sagen, das sind Leute, zu denen ich früher gar keinen Zugang gehabt hätte, nicht mal gehört hätte, wie die reden. Und heute sehe ich die im digitalen Raum. Muss man auch aufpassen, wie real ist der dann im analogen Raum oder wird da was inszeniert? Was ich denken soll, wie manche Gruppen sind oder sind die wirklich so? Und daher, ich glaube, dass jeder von uns, ich schreibe das ja auch in meinem Buch, ja eine flüssige Identität hat. Wir gehen von unserem Tochterstatus in unseren Mutterstatus, in unseren Freundin-/Geliebte-/Berufs-status. Wir gehen ja alle durch ganz viele Ichs und normalerweise sind da ja unterschiedliche Milieus. Was vielleicht manchmal fehlt, sind Formate, wo, was man früher die Straßenfeste genannt hat oder die Vereinsarbeit da rein projiziert hat, wo der Status und diese eigenen Milieus zurücktreten und man so in ein gemeinsames Machen kommt. Gemeinsam eine Veranstaltung organisieren, gemeinsam feiern, gemeinsam etwas durch das Tun letztlich, alle diese sozialen Merkmale ein bisschen nach hinten treten und wir im Moment sind und wir da jetzt einfach jemand sind, der mir die Bank reicht, der die Pommes macht, der den Kuchen bringt, der in der aktuellen Situation für alle eine Funktion hat, die uns auch ein bisschen von unseren Blasen enthebt. Und ich glaube, das ist ganz wichtig, dass man irgendwie akzeptiert, eine Gesellschaft organisiert sich in verschiedenen Gruppen und Milieus. Die haben auch ein Recht dazu. Und auf der anderen Seite brauchen wir als Gesellschaft aber auch Formate, wo wir die zusammenbringen und wo das alles, wer wir eigentlich im Alltag sind, zu welcher Gruppe wir meinen zu gehören, in den Hintergrund tritt und wir dann in eine gemeinsame Gegenwartsidentität kommen, wo wir gemeinsam jetzt etwas auf die Beine stellen, wo ich dich kennenlerne auf einer menschlichen Ebene, wo sekundär wird, was deine Merkmale sind, glaube ich. Und dann gibt es da noch ein drittes Problem, nämlich, dass es durchaus Blasen gibt, die sind so privilegiert und enthoben, dass sie manche Blasen, die nicht so privilegiert und enthoben sind völlig vergessen können, obwohl sie ihre Lebenswelten mitbestimmen. Und da wird für mich das Blasenthema wirklich problematisch. Also wenn ich politische, akademische, monetäre Eliten habe, die sagen, wir leben in unserer Blase und das ist auch irgendwie okay, weil wir sind die gestaltende Elite, wir gestalten das Leben anderer Blasen, indem wir die Rahmenbedingungen platzieren oder die Gelder verteilen, haben aber kein Interesse daran, was diese Blase denkt. Und da beginnt dann so ein Demokratieproblem sozusagen. Warum hat die eine Blase das Recht und die andere muss irgendwie nur mit den Folgen leben und hat nicht das Recht? Also je nachdem, von wo aus ich Blasen richte, darf ich mich darin einrichten. Oder ich kann daraus eine Klassenkritik machen.-Jagoda übernimmt unseren Ansatz vom Raus aus der Blase nicht einfach. Sie verschiebt ihn. Sie findet, dass das eigentliche Problem nicht ist, dass es Bubbles gibt, sondern dass manche Blasen viel machtvoller sind als andere. Wenn privilegierte Milieus politische, ökonomische oder kulturelle Macht bündeln und die Lebensrealitäten anderer bestimmen. Was wir bei Inselmilieu oft wie Schubladen aufmachen, ist niemals homogen. Viele Menschen wechseln im Alltag permanent zwischen sozialen, sozialen Räumen und Erwartungen. Zwischen Sprachen, Rollen, Codes und das nicht immer freiwillig. Was wir wollen, ist Räume schaffen, in denen unterschiedliche Lebensrealitäten einander begegnen können, ohne sich gegenseitig zu entwerten. Genau an diesem Punkt wird es für uns spannend. Wie lässt sich Perspektivenvielfalt erzählen, ohne sie zu verzerren? Diese Frage haben wir auch Jagoda Marinic gestellt.-Ich würde gerne nochmal auf die journalistische Perspektive zurückkommen. Wir beschäftigen uns in unserer Arbeit ja auch, wie wir mehr Perspektivenvielfalt reinbringen können, wie wir auch andere Meinungen aushalten können. Und ich bin vor kurzem über ein Instagram Posting gestolpert von einer jungen Journalistin, die sehr wortreich eine Einladung ausgeschlagen hat von einem österreichischen TV-Sender, der auch immer wieder rechte Stimmen oder rechtsextreme Stimmen zu Wort kommen lässt. Für ihre plakative Absage an die Einladung des TV-Senders und ihre stabile Haltung ist die junge Journalistin auf Instagram gefeiert worden. Doch für mich wirft das Fragen auf. Überlassen wir mit einer Absage nicht genau jenen Kräften das Feld, denen wir eigentlich widersprechen müssten? Gleichzeitig gibt es Momente, in denen ein Nein notwendig ist. Wenn demokratiefeindliche Narrative normalisiert werden. Wenn man Gefahr läuft, instrumentalisiert zu werden. Und sich in einer öffentlichen Schusslinie wiederfindet. Oder wenn ein echter Austausch gar nicht vorgesehen ist. Das ist ein Thema, mit dem sich Jagoda auch beschäftigt. In ihrem neuen Buch analysiert Marinic, wie sich Debatten in Instagram-taugliche Positionierungen verengen, die zwar Sichtbarkeit, aber wenig Veränderung erzeugen. Sie kritisiert, dass Debatten oft nur noch um Lagerdenken und starke Worte in sozialen Medien kreisen, aber wenig praktische Lösungen entstehen. Wo verläuft also die Grenze zwischen Haltung und Rückzug? Zwischen Selbstschutz und demokratischer Verantwortung? Und. Da würde mich deine Perspektive darauf interessieren, weil ich glaube, viele linke oder linksliberale Personen tendieren dazu, solche Talkformate zu meiden, solche Medien zu meiden. Wo ziehst du da die Grenze? Und was oder wo sollten wir oder müssten wir trotz unterschiedlicher Ansichten und Meinungen trotzdem in den Diskurs gehen?-Super spannende Frage. Weil Meinungen, ich habe ja gestern darüber geredet, dass wir lernen müssen, dass Meinungen halt nicht nur die Meinungen der Experten sein können. Das heißt, eigentlich müssen wir lernen in Demokratien die Meinungen auszuhalten, die wir nicht aushalten. Emotional, intellektuell, das gehört schon dazu. Weil das Grundrecht sagt, der darf wie ich in die Wahlkabine und sein Kreuz machen. Der wird meine Lebenswelt mitbestimmen. Das heißt, ich sollte am besten mit ihm reden. Seine Entscheidung, sein Weltbild beeinflusst meinen. Da sind wir wieder am Anfang. Also wir sind so verdammt verbunden. Allein wenn wir nur durch diesen Wahlvorgang verbunden wären, entscheidet jeder Kopf und egal was, wie sehr es dich aufregt, was der redet, nachher mit, wie du leben wirst. Lohnt sich vielleicht, mit denen zu streiten. Lohnt sich. Ich habe in meinem Buch sanfte Radikalität auch Beispiele erzählt, was es für Menschen gab, die mich am Anfang unfassbar beleidigt haben. Wer braucht so ein Haus der Kulturen? Ja, das wird eine Migrantenschrotthalde. Und ich habe gesagt so, ich halte, ich finde, ich ziehe dich rüber. Ich finde Wege, die Erfahrungen anzubieten, mit denen du lernen kannst und merkst, was der Wert ist von solchen Begegnungen. Und es war ein Mensch, der hat nach einigen Jahren, als es darum ging, das Haus wirklich zu verstetigen, so eine interkulturelle Öffnung der Verwaltung zu machen, hatte sich jemand Anerkanntes aus der Stadtgesellschaft in dem entscheidenden Moment für dieses Projekt ausgesprochen. Obwohl er am Anfang einer der Menschen war, die mich mit am meisten angegriffen dass dass ich so etwas für die Stadt mache. Das war kein Privatprojekt, war öffentlich entschieden vom Gemeinderat. Das heißt, es hat sich sehr gelohnt, diese Auseinandersetzung mit diesen Menschen.-Aber das war eine Auseinandersetzung von Mensch zu Mensch. Ich bin eine öffentliche Person. Ich hätte ihn leicht anprangern können. Er war in bestimmten Aspekten anders öffentlich, aber auch. Ich hätte das natürlich auch medial in meinem Social-Media-Account machen können. Und das ist etwas, wo ich für mich gesagt habe, ich möchte diese Art des Streitens nicht. Weil ich tatsächlich in dem Moment, wo ich diese digitale Öffentlichkeit für diese Wut nutze, natürlich so etwas wie diesen mittelalterlichen Pranger nutze. Ich habe meine Welt und die wird klatschen über meine Meinung. Er hat seine, die wird ihm beklatschen. Und dann bin ich in diesem spaltenden Algorithmus, der ja auch von Silicon Valley gewollt ist, damit wir letztlich in diese Antagonismen kommen, weil uns das in den digitalen Medien hält, damit verdienen die Geld und damit entsteht nicht mehr Zusammenhalt, sondern mehr Spaltung. Das heißt, meine Entscheidung war wirklich immer, ich kämpfe hart im analogen Raum. Ich streite, ich diskutiere, ich halte Meinungen aus, wo ich intellektuell wirklich denke, boah, so. Voltaire. Würde ich das alles in den sozialen Medien tun, nur dann, wenn ich denke, es gibt einen Lerneffekt? Also wenn da jemand ist, der erstens sich ein bisschen an respektvolles Streiten hält, an faktenbasierte Argumente, was ich nicht tun würde, ist ihm Öffentlichkeit zu bieten, dass er unter meinem Account Lügen verbreiten kann, die ich dann zwar revidieren kann, aber er hat die Lüge auch in den öffentlichen Raum gebracht. Also ich will keine Steigbügelhalterin sein für die Lügen. Das heißt, da sage ich von Anfang an, wenn sich jemand nicht an faktenbasiertes Sprechen hält, diskutiere ich nicht öffentlich, weil sonst die Lügen über die Öffentlichkeit, die ich da habe, mit in die Öffentlichkeit gehen. Und beim Fernsehen und in den Medien an sich ist es so, da wird ja immer dann das Gerne gefordert, so unsere wahre demokratische Auseinandersetzung muss dann in diesen medialen Formaten stattfinden. Da würde ich sagen, warum muss sie das? Also hat die Frau nicht die Entscheidungskraft zu sagen, wo sie rein möchte und wo sie sich streiten möchte? Ist aber auch die Frage, ob ich das heroisieren muss, dass ich nicht möchte? Weil eigentlich hast du die freie Wahl, zwing dich ja niemand da rein, das war ein Angebot. Also muss ich dann deswegen sagen, ich bin heroisch, weil ich da nicht hingehe? Weiß ich nicht. Ich würde es so nicht sehen. Ich habe mich halt entschieden, das nicht zu machen an ihrer Stelle, würde ich dann denken. Ich glaube, die größere Frage ist doch dann eher, welche medialen Formate haben wir überhaupt für ernsthafte Diskussionen? Und gibt es mediale Formate, wo wir wirklich das Vertrauen haben, dass wenn es da eine Diskussion gibt, dass die so geführt werden kann, dass sie eben nicht nur popularisiert, Klickzahlen auslöst, falsche Informationen verbreitet und eine Agenda im Diskurs setzt, die dann nicht mehr aufzuhalten ist? Also komme ich in einen Raum, wo ich gar kein Agenda-Setting habe? Und da beginnt für mich halt eher so ein Teil der Medienkritik und der Formatekritik, wo ich sage, ich weiß nicht, ob ich im medialen Raum und auch angesichts der Kultur, heute Snippets zu machen, was man ja auch bei Rechten sieht, wenn sie in deutschen Talkshows waren, die schneiden ja alles andere weg und inszenieren sich dann irgendwie immer als Sieger der Diskussionen. Und solange wir nicht eine mediale Diskurskultur haben, die nicht von Sieger und Verlierer ausgeht, glaube ich, macht das nicht so viel Sinn, zu sagen, ich gehe da hin und streite. Weil was wir am Ende machen, ist eine Vereinfachung von Realität, demokratischer Realität, in dieses Pro-Contra-Gedöns. Und mich interessiert eine Meinungsvielfalt. So weit mehr als Pro-Contra. Wir haben doch zu jedem Thema mindestens fünf, sechs, sieben mögliche Meinungen und Diskussionen. Und wenn ich einen Diskurs führen will, dann zum Erkenntnisgewinn, was ist breit und welche der Meinungen ist in diesem Ideenwettbewerb die spannendste. Aber jetzt zu so einem Western-Battle, so hier eine linke Stimme, da eine rechte, die da wiederum suggeriert, es gäbe in der Gesellschaft nur ganz extrem links und ganz extrem rechts oder ganz extrem progressiv und ganz extrem ultrakonservativ, eine völlige Banalisierung von dem Pluralismus, in dem wir leben, weiß ich nicht, ob man das unbedingt unterstützen muss.-Ich bin überzeugt, dass ein Sprecher mehr Zustimmung finden wird, wenn er seine Rede klug und verbindend gestaltet und nicht dem Wahn der heutigen Spaltungsrhetorik verfällt, auch wenn derzeit viele Letzteres vorleben und sich so ihre mediale Aufmerksamkeit sichern. Die Omnipräsenz der banalisierenden Spaltungsdiskurse liegt im Interesse der antidemokratischen Kräfte. Deshalb setzen sie auf die Agenda, weil sie von den Lösungen für die Probleme wegführen. Die Dominanz der Spaltungsdiskursmechanik ist selbst zum demokratischen Problem geworden und sie beraubt aufgeklärte Gesellschaften ihrer Handlungsmacht. Bis Autoritäre schließlich mit dem Finger auf sie zeigen können und hämisch rufen, sieht mal hin, wie die Vorzeige der Demokraten. Sie können nicht ein einziges Problem lösen. Da sind diese machtlosen, komplexen Demokratien nichts funktioniert dort. Her mit der starken Führung.-In Ihrem neuen Buch „Sanfte Radikalität“ beschreibt Jagoda einen grundlegenden Bruch unserer Gegenwart. Das bessere Argument ist kein fixer Punkt mehr, auf den sich alle einigen können. Oft existieren gute Argumente gleichzeitig, nebeneinander, miteinander, im Widerspruch. Wahrheit ist nicht verschwunden, aber sie wird aus unterschiedlichen Blickwinkeln gelesen. Hier bemisst sich für sie die Stärke einer Demokratie. Also nicht daran, dass am Ende alle dasselbe denken, sondern daran, wie gut eine Gesellschaft es aushält, dass Menschen auf Basis derselben Fakten zu völlig unterschiedlichen Schlüssen kommen. Die eigentliche Frage ist also nicht, ob es Widersprüche gibt, sondern ob wir gelernt haben, damit zu leben, ohne uns zu entzweien. Genau darüber sprechen wir mit ihr. Über Verantwortung und wie Journalismus Spannungen sichtbar machen kann, ohne sie weiter anzuheizen.-Es ist jetzt wirklich mehr eine Medienkritik und es muss jeder selber wissen und der Wunsch auch, so wie ihr sagt, wir entwickeln unsere Formate neu, dass wir Fernseh- und Talkshow-Formate entwickeln, die dem, was unsere Demokratien wollen, eigentlich viel gerechter werden. Und dass ich schon auch Menschen einlade, die Lust und Freude haben am Austausch, am Erkenntnisgewinnen. Und auf eine Art muss man vielleicht sogar verstehen, wenn man sagt, natürlich sollen da auch Leute rein, deren Meinungen ich gar nicht teile, weil irgendwie sind sie ja Teil der Gesellschaft, irgendwo kommen ja die Umfragen in der Politik her. Wir können die ja nicht medial repräsentieren. Irgendwie ist das schon auch ein unfairer Vorwurf, zu sagen, ihr ladet Leute ein, nur wenn man daraus ein Geschäftsmodell macht. Also wenn man sozusagen sagt, man lädt sie ein, weil man weiß, es gibt irgendwie einen Beef, der medial funktioniert, dann ist natürlich auch die Frage, will man das unterstützen? Will man diese mediale Aufheizung von Diskursen statt differenziertem Reden unterstützen? Weil Medien sind natürlich auch ein Geschäft.-Und wie gelingt es dem Journalismus momentan, so eine Balance zu finden?-Also ich habe den Eindruck, dass im Moment das fast besser den Comedians gelingt. Tatsächlich, die finde ich manchmal besser im Aufheben der Widersprüche unserer Zeit. Also es war jetzt irgendwie für mich überhaupt keine Überraschung, dass Donald Trump erstmal die Jimmy Kimmels und Colberts dieser Welt weghaben wollte aus seiner Öffentlichkeit. Weil ich finde, dass die tatsächlich präziser die antidemokratischen Denkmuster mancher Diskurse dekonstruieren im Moment. Und dass der Journalismus in manchen Bereichen mir zu stark noch hängt an diesem he said, she said Journalism, von dem eigentlich so Medienwissenschaftler wie Jay Rosen schon vor acht Jahren gesagt haben, das ist tot. Du kannst unter Trump keinen Journalismus betreiben, wo morgen drinsteht, Trump sagt, Punkt, Punkt, Punkt. Weil die Tatsache, dass er es sagt, ist schon der Beginn seiner Desinformationskampagne. Das heißt, ich glaube, dass der Journalismus heute immer noch im Dilemma steckt zwischen berichten müssen. Und dass die Einordnung dann oft quasi zu spät kommt. Also, dass sie einfach schon Teil des flood the zone with shit werden, weil sie wissen, das klickt, weil sie immer noch in der alten Berichtslogik denken. Wenn Trump was twittert, muss ich es berichten. Also verbreite ich Trumps Nonsens, egal was. Also wir machen normalerweise Fact Checking, bevor wir was berichten. Trump kann erstmal alles in die Welt setzen. They're eating our cats, they're eating our dogs. Und wir müssen es alle sagen. Wir müssen alle drüber reden. Und insofern glaube ich, dass der Journalismus im Moment schon eine Riesenkrise hat, weil er das alles berichten muss, meint zu müssen. Und im Moment total, manipuliert werden kann. Und Steve Bannon und so machen ja da auch keinen Hehl daraus, wie sie Medien manipulieren wollen. Und ich weiß nicht, ob die Medien im selben, also die Vertreter in den Medien, im selben Maße sich strategisch wappnen gegen die Strategien, die jene haben, sie zu instrumentalisieren. Also da ist so ein bisschen Katze und Igel. Und ich glaube, die Bannon-Strategen sind da im Moment, ähm, würde ich sagen, haben die Nase vorne.-Ich bin überzeugt, dass dem anwachsenden Populismus und Extremismus nur zu begegnen ist, indem wir eine Kultur des Zuhörens entwickeln, die uns an die Pluralität des demokratischen Miteinanders erinnert und uns ermöglicht, Werkzeuge zu entwickeln, mit denen sich aus dieser Pluralität heraus eine Kultur der Lösung formt, statt des Bekämpfens anderer Positionen aus ideologischen Gründen. Ein Lösungsweg, in dem Gewinne nicht an wenige gehen, sondern dafür sorgen, dass es immer weniger Verlierer gibt. Das ist das Versprechen von Demokratie.-Jagoda Marinic erinnert uns daran, dass wir die Macht haben, in unserem kleinen Kosmos etwas in Bewegung zu setzen. Lösungslust wird bei ihr zum Gegenentwurf einer Haltung, die sich im Kommentieren, Posten und Empören erschöpft, ohne je in reale Veränderung zu münden. Statt sich in Lagerdenken und digitalen Aufregungsschleifen zu verlieren, fordert sie etwas viel Anspruchsvolleres. Vor Ort etwas zu beginnen, Projekte zu starten, Bündnisse zu schmieden. Wenn euch diese Gedanken weiter begleiten, dann könnt ihr bei unseren Inselmilieu-Reportagen weiterhören. Danke fürs dabeisein und bis bald!

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