Inner Transformation

IT16 Wie wir Räume erschaffen (Potentiale von Meditation Teil 3/7)

December 22, 2021 Ida Sophie Schepelmann Season 1 Episode 16
Inner Transformation
IT16 Wie wir Räume erschaffen (Potentiale von Meditation Teil 3/7)
Show Notes Transcript

Hast du dir schon einmal Gedanken darüber gemacht, was einen Raum auszeichnet? Ist es ein fester Ort oder ein Netz? Ein Beziehungsgefüge? Ist alles relativ? In der Raumsoziologie werden verschiedene Theorien diskutiert. Heute möchte ich dir ein relationales Raumverständnis vorstellen, von dem ich überzeugt bin und welches dir helfen kann, Gesellschaft besser zu verstehen. Was diese Theorie dann noch mit Meditation zu tun haben kann und wie wir Gesellschaft damit verändern können, folgt in der zweiten Hälfte der Folge.

In der heutigen Folge lernst du:
♥️ warum Räume erst durch uns entstehen
♥️ was das mit Gesellschaft & Wandel zu tun hat
♥️ was Kontingenz bedeutet
♥️ & wie Meditieren uns helfen kann, Räume zu gestalten

Sollte dir die Folge gefallen haben, freue ich mich, wenn du sie mit deinen Kontakten teilst, meinen Podcast positiv bewertest und mir ein Abo da lässt. Sehr freue ich mich auch über deine Kommentare dazu, z. B. bei Facebook, Youtube oder Instagram. Vielen Dank, dass du da bist. : )

Quellen zur heutigen Folge:
📖 Löw, Martina (2001): Raumsoziologie. Frankfurt a.M.: Suhrkamp. Vgl. S. 34.
📖 Ott, Ulrich (2010): Meditation für Skeptiker. München: O.W. Barth Verlag. S. 126.
📖 Sonntag, Antje (2016): Stressbewältigung durch Meditation. Eine Einführung für Psychologen, Berater und soziale Berufe. Wiesbaden: Springer Fachmedien. Vgl. S. 19.

#jointhehype - Inner Transformation für gesellschaftlichen Wandel
Mach's gut & bleib kritisch,
Deine Ida
(www.inner-transformation.org)

Hallo ihr Lieben. Heute mal wieder eine Folge in der Reihe Potentiale von Meditation. Warum das eigentlich? Nun, um ehrlich zu sein, deshalb, weil ich mich vor Jahren intensiv mit Meditation und der neurowissenschaftlichen Kontemplationsforschung auseinandergesetzt habe und jetzt dieses Wissen habe, das ich teilen kann. Auf der anderen Seite finde ich es aber auch spannend, in diesem Podcast dem Thema Meditation aus humanwissenschaftlicher Perspektive Raum zu geben und zu schauen, was für ein Fundus an Möglichkeiten darin liegt. Meditation ist ja total in und ich möchte einfach wissen: Warum? Ich hoffe diese kleine Reise durch die Potentiale von Meditation schafft auch bei dir ein bisschen Begeisterung für Achtsamkeit. :) Heute geht es also wie zuletzt versprochen um das Thema Kontingenz. Viel Spaß!


Hallo ihr Lieben. In den letzten Folgen bin ich bereits darauf eingegangen, dass sich unser Weltbild ändern lässt durch unsere Lebensweise (das was ich mache, wird meine Gewohnheit und prägt meine Sicht) und dass Meditation dabei helfen kann, sich weniger mit den eigenen Gedanken und Gefühlen zu identifizieren. Wir können Empfindungen, Gedanken und Gefühle als Handlungswerkzeug wahrnehmen, anstatt als Kern der Existenz und viel bewusster mit ihnen umgehen. Das kann dabei helfen, seine Gewohnheiten und sein Weltbild weiterzuentwickeln. Was ich in Hinblick auf Meditation aber noch interessant finde, ist zu schauen, ob diese Introspektion, diese Sicht nach innen beim Meditieren nicht nur die eigene Rolle und die eigenen Motive hinterfragt, sondern auch die der Gesellschaft und uns folglich dabei helfen kann, gesellschaftliche Dynamik zu durchschauen oder unsere Kultur weiterzuentwickeln. Dafür möchte ich heute Gesellschaft mal anders betrachten als bei der letzten Meditationsfolge. Auch die dort angesprochene systemische Sicht hilft, gesellschaftliche Dynamik zu verstehen, indem der Blick auf komplexe Zusammenhänge trainiert wird. Aber nicht nur das Denken in Systemen, sondern auch ein weiteres humanwissenschaftliches Konzept, die Raumtheorie, hilft uns dabei, Gesellschaft besser zu verstehen. Was ist eigentlich Raum? Blöde Frage ja irgendwie. Aber eigentlich auch nicht. Nehmen wir mal ein Stück Wald. Ist der Wald ein feststehender Raum, wie ein Behälter? Man packt unterschiedliche Dinge rein, aber der Raum, der Behälter ist immer unverändert gegeben? Mal packen wir mehr Birken rein und mal ein paar mehr Eichen. Heute ein paar Kaninchen, morgen eher Wölfe. Ist der Raum wirklich der gleiche oder verändern die Dinge den Raum essentiell? Sodass nicht nur andere Dinge in diesem Raum sind, sondern der ganze Raum ein anderer wird. Es ist ein völlig anderer Wald. Die Qualität hat sich maßgeblich geändert. Vielleicht gehst du in dem Wald mit Wölfen mit mehr Vorsicht spazieren als im Hasenwald oder der Birkenwald sagt dir mehr im Frühjahr zu, während der Eichenwald eher im Herbst dein Lieblingsort ist? Ist es noch der gleiche Wald? Auch mit Menschen kennen wir dieses Phänomen. Das gleiche Zimmer, die gleiche Party, der gleiche Abend. Aber einmal ist dein Partner oder deine Partnerin richtig scheiße drauf und einmal der Partykracher. Der ganze Raum verändert sich dadurch, je nachdem wie die Menschen in ihm interagieren. Die Soziologin Martina Löw beschreibt dieses relationale Raumverständnis. Wir füllen keine Elemente in einen bestehenden Raum, sondern ein Raum entsteht erst durch die Elemente. Auch gesellschaftliche Räume wie Parties, Beerdigungen, Teeküchen, Bundestagsversammlungen, Talk-Shows, was auch immer, sind unterschiedlich je nachdem wie der Raum gestaltet ist. Jetzt gerade während Corona hat sich die Wahrnehmung, Nutzung oder die kollegiale Atmosphäre in der Teeküche vielleicht stark geändert. Auch der Plenarsaal im Reichstagsgebäude hat sich verändert. Er wurde nicht renoviert, er wurde nicht umgebaut, um ein anderer Raum zu sein, aber dadurch, dass Abgeordnete, die sich nicht an die 3G-Regel halten wollen, stattdessen auf der Tribüne Platz nehmen müssen, hat sich der Raum verändert. Unsere Gesellschaft, unsere Kultur lässt sich auch anhand des relationalen Raumbegriffs, also anhand der Beziehungen der einzelnen Elemente verstehen. Das ist jetzt nicht sonderlich trennscharf zur systemischen Sicht. Auch dort geht es um komplexe Beziehungen zwischen Elementen in einem Ganzen. Die Raumsicht hilft uns dabei, dieses Verständnis nicht nur auf Prozesse anzuwenden. Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber bei Systemen denke ich schon gleich an was Lebendiges. Wie so einen Bienenstock oder ein Großkonzern. Hier steht etwas in Verbindung, hier gibt es Abläufe, da hat etwas System. Beim Stadtbrunnen denke ich jetzt weniger häufig an Systeme. Das relationale Raumverständnis hilft uns, bei Orten, also bei festen Dingen, die jetzt keine Prozesse und Abläufe organisieren, sondern einfach da sind wie der Stadtbrunnen oder der Rathausplatz, was auch immer dein Wohnort so zu bieten hat. An feste Orten & Räumen, auch dort nicht den Blick für Zusammenhänge zu verlieren. Der Rathausplatz ist ein anderer, wenn dort Jahrmarkt ist, wenn ein Corona Mob durch die Straßen zieht, wenn die Stadtreinigung ausfällt oder wenn Grafitti gesprayt wurde. Räume entstehen erst durch die Elemente, Gesellschaft entsteht erst durch die Menschen. Und dieses Wissen lässt sich vielfach anwenden. Unsere Demokratie ist zum Beispiel keine feste Sache, sondern muss auf jeden Tag neu erhalten werden. Beziehungen müssen gepflegt werden. Weil sich die Elemente, je nachdem wie sie sich anordnen, andere Räume hervorbringen. Das geht zwischenmenschlich, aber auch örtlich gebunden. Ein bisschen Grafitti kann an Orten so einiges bewirken. Das wussten ja schon Wir sind Helden. Ja, na gut. Was hat das jetzt mit Meditation zu tun? Um ehrlich zu sein, habe ich auch ein bisschen den Faden verloren. Ich bin etwas abgedriftet. Letzten Endes impliziert das relationale Raumverständnis, dass sich Elemente nur anders anordnen müssen, um einen anderen Raum zu bekommen. Letzte Woche im Interview mit Dr. Thomas Bruhn ging es schon einmal darum. Dinge, Menschen, Kristalle - Die Natur ist ein wahres Wunder in der Selbstorganisation. Hört da unbedingt mal rein. Wir als Menschen können Impulse setzen, ich kann mich zum Beispiel entscheiden, ob ich jetzt schlecht gelaunt zur Party latsche oder mich zusammen reiße. Wir können ganze Räume entstehen lassen, dadurch, dass sich alle Elemente zusammen so anordnen, wie es gerade Sinn ergibt. Es klingt ein bisschen Hokus Pokus mäßig und es wäre ein Fehlschluss zu denken, dass allzu leicht komplexe Systeme manipulierbar wären, denn die Selbstorganisation bedeutet, dass sich komplexe Elemente in Systemen eben selbst anordnen und nicht direkt steuerbar sind. Aber wir sind auch nicht völlig machtlos, hier Dynamiken in Gang zu setzen, dadurch dass sich andere um unser Verhalten herum anordnen. Wichtig ist erst einmal, zu verstehen, dass Räume nach dieser Theorie genau wie Systeme dynamisch sind und sich in Beziehungen verändern. Manchmal hört man: „Ach ich? Was kann ich denn schon ändern?“ Viel. Du sammelst Müll auf der Straße auf? Stell dir mal vor, was das mit der Wahrnehmung des Rathausplatz macht. Systeme sind zäh, ja. Dass sich nicht gleich die Klimapolitik ändert, weil du jetzt mit dem Fahrrad zur Arbeit fährst, ist uns glaube ich allen schon aufgefallen, aber dass es völlig wirkungslos wäre, ist mit dem relationalen Raumverständnis unvereinbar. Denn der Raum entsteht ja erst durch dein Verhalten. Sonst wäre es ein anderer Raum. Durch die Selbstorganisation von Systemen liegt hierin ein unglaubliches Potential. Vegan heute und vegan vor 15 Jahren ist ein riesen Unterschied. Entstanden ist das nicht auf einen Schlag, sondern durch die vielen kleinen Schritte, die unsere gesellschaftlichen Räume verändert haben. Okay, jetzt habe ich heute sehr viel länger über Räume geredet, als ich es eigentlich wollte. Eigentlich wollte ich euch von Kontingenz erzählen. Das Wort Kontingenz bedeutet in den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften, dass etwas nicht-notwendig so ist, wie es ist. Es könnte auch anders sein. Ich kann aufstehen, ich kann aber auch im Bett liegen bleiben. Entscheidungen sind kontingent. Räume sind kontingent - sie könnten sich auch anders entfalten. Die Auseinandersetzung mit dem Selbst bei der Meditation kann so auch genutzt werden, Handlung und Kultur als kontingent wahrzunehmen. Ich bin nicht zwingend so, wie ich bisher gedacht habe. Dinge müssen nicht zwingend so bleiben, wie sie bisher waren. Ich kann mich anders verhalten. Du hast die Wahl, du hast Gestaltungsmöglichkeit. Wie heißt es so schön in anderen spirituellen Podcasts - Schöpferkraft - und dass Räume kontingent sind, zeigt, dass sich die Gestaltungsfähigkeit nicht nur auf dein Leben bezieht, sondern auch auf Gesellschaft. Für diejenigen von euch, die die anderen Meditationsfolgen noch nicht gehört haben: Ich hatte in den anderen Teilen der Reihe bereits erwähnt, dass Meditation helfen kann, den Blick auf die eigene Person zu verändern. Das bedeutet auch, dass wir durchs Meditieren, uns selbst als kontingent erkennen. Ich bin nicht meine Gedanken und Gefühle, ich kann mich von Verhaltensmustern lösen und ich kann ganz anders sein als ich vielleicht bisher dachte. Aussagen wie „So bin ich halt“ lassen sich mit der Veränderlichkeit von unserem Weltbild wie in Folge 8 und 10 erklärt, nicht so einfach bejahen. Meditation kann helfen, wahrzunehmen, dass unser Ich durch Lebenserfahrungen konstruiert wurde. Und alles, was konstruiert, also erstellt wurde, ist kontingent, es hätte auch anders konstruiert werden können. Der Meditationsforscher Ulrich Ott drückt es so aus: Zitat „Mystische Erfahrungen eröffnen eine veränderte Perspektive, die die Vorstellungen von der eigenen Person nachhaltig beeinflussen kann, indem sie deren konstruktive Natur offenbart“ Zitatende. Meditation kann helfen, uns als kontingent wahrzunehmen. Ich bin wütend, weil. Ich muss nicht wütend sein, denn. Achtsamkeit bietet die Möglichkeit, auf Alternativen zu achten, die Kontingenz wahrzunehmen und aus den Verhaltensmöglichkeiten zu wählen. Eine gesteigerte Wahrnehmung für Kontingenz, also die Nicht-Notwendigkeit von unserem Verhalten, wie sie durch Achtsamkeit gefördert wird, bietet die Möglichkeit auch Kultur zu hinterfragen. Muss das so sein, dass wir Fleisch essen? Muss das so sein, dass wir in Einfamilienhäusern leben? Du kannst gut und gerne auf diese Fragen unterschiedlich antworten, aber nur weil wir jetzt ja oder nein dazu sagen, bedeutet es nicht, dass es zwangsläufig so ist. Kultur kann auch immer anders sein. Unsere Lebensweise kann auch immer anders sein. Wir haben es mit in der Hand, wie diese Räume entstehen. Und Meditation kann dabei helfen, das immer wieder neu zu erkennen.


So ihr Lieben. ich hoffe ihr hattet Freude, noch ein bisschen tiefer in das Thema der Dynamik sozialer Systeme einzutauchen. Ich hatte es schon in Folge 8, 10 oder 12 gesagt: Sowohl Persönlichkeitsentwicklung als auch gesellschaftliche Transformation ist ein langfristiger Prozess. Gewohnheiten und eingespielte Systeme zu verändern, geht nicht von heute auf morgen. Das hat aber nicht nur etwas mit Geschwindigkeit zu tun, sondern auch mit Abhängigkeiten. Dieses Versprechen von „Du kannst alles erschaffen, was du willst“ - ja, sag das mal dem alleinerziehenden Vater von 3 Kindern. Oder erfolgreichen Frauen, die im Internet Hetze ausgesetzt sind, oder Menschen in prekären Beschäftigungs- und/oder Lebensverhältnissen. Ich empfinde diese „Alles ist möglich“ Duselei nicht selten als diskriminierend oder auch unter Druck setzend. Die heutige Folge sollte aufzeigen, dass Gesellschaft nicht fix ist und dass wir Gestaltungsmöglichkeiten haben. Aber dass unsere Möglichkeiten und unsere Einflusssphäre dabei unterschiedlich sind, auch das gehört zu unserer Realität leider dazu. Das schließt sich gar nicht aus. Wie diese Abhängigkeiten mit dem Systemdenken und der Kontingenz zusammenhängen, darüber spreche ich gern ein andern Mal. Denn wieiviel Wahlfreiheit habe ich denn nun wirklich, morgens im Bett liegen zu bleiben und nicht zur Arbeit zu gehen? Sind wir doch mal ehrlich. Die Antwort fällt wohl eher bescheiden aus. Auch wenn es so scheint: Kontingenz ist kein Widerspruch zu systemischen Zwängen. Lasst uns also gern noch tiefer in die Systemtheorie eintauchen. Vielleicht hilft das auch, diese ganzen „Lebe dein bestes Selbst“ Tipps nicht völlig abzulehnen, wenn sie nicht ganz so realitätsfern postuliert werden. Wenn dich das interessiert, freue ich mich über ein Abo, dein Teilen und deine positive Bewertung, um mit meinem Podcast sichtbarer zu werden und über deine Kommentare, um darauf in den nächsten Folgen eingehen zu können. Eine kleine Ankündigung noch: nächste Woche nehme ich ein Interview auf mit einem Arzt. Ich möchte mich nun mit meinem Podcast, auch in Anbetracht der pandemischen und politischen Lage mal der Schulmedizin widmen. Da nehme ich bei spirituell interessierten Menschen durchaus ein zwiegespaltenes Verhältnis wahr. Wenn du Fragen an meinen Interviewgast hast, lass es mich unbedingt bei Instagram, Youtube oder Facebook wissen, dann nehme ich das mit ins Interview. Vielen, vielen Dank für deine Zeit und dein Interesse. Ich wünsche dir besinnliche Weihnachten, eine schöne Zeit zwischen den Jahren. Ich liebe ja die Wintersonnenwende und die Rauhnächte. Hab einen guten Start ins Jahr 2022. Viel, viel Liebe sende ich und in diesem Sinne: Join the hype - Inner Transformation für gesellschaftlichen Wandel. Mach’s gut & bleib kritisch, Deine Ida