C3-Radio

Universitäten: Orte kritischer Bewusstseinsbildung oder Werkzeuge der Macht? Eine postkoloniale Perspektive

Season 2 Episode 11

03.02.2025
C3-Radio
Universitäten: Orte der kritischen Bewusstseinsbildung oder Werkzeuge der Macht? Eine postkoloniale Perspektive
 
 
In dieser Episode vom C3-Radio werfen wir einen kritischen Blick auf Universitäten als Orte der Wissensproduktion – und hinterfragen, inwiefern sie koloniale Strukturen fortschreiben. Wir diskutieren, wie Universitäten einerseits Freiheit, Aufklärung und Fortschritt gefördert, andererseits aber koloniale Machtverhältnisse gefestigt haben. 

Wie wird entschieden welches Wissen relevant ist und welches nicht? Wie wirken sich 500 Jahre Kolonialgeschichte auf die Wissensbestände an Universitäten aus? Setzen sich Universitäten überhaupt damit auseinander? Und beginnt das ursächliche Problem nicht schon früher?

Um Antworten darauf zu finden, nehmen wir eine postkoloniale Perspektive ein und sprechen über epistemische Gewalt und den Eurozentrismus in unseren Bildungssystemen, sowie über die Rolle der Zivilgesellschaft. 

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Hosts: Phillip Wailzer-Strobl & Klemens Lobnig
Stimmen: Maria Do Mar Castro Varela (Alice Salomon Hochschule Berlin), Claudia Brunner (Zentrum für Friedensforschung und Friedensbildung, Universität Klagenfurt), Gabriele Slezak (ÖFSE), Marcela Torres Heredia (Decolonizing in Vienna)

Musik by Alisia from pixabay 

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Intro
Willkommen beim C3 Radio, dem entwicklungspolitischen Radio aus dem Centrum für internationale Entwicklung.

Phillip Wailzer-Strobl
Herzlich Willkommen beim C3 Radio. Mein Name ist Phillip Wailzer-Strobl und heute sprechen wir über ein ganz besonders spannendes, aber selten beleuchtetes Thema. Es geht um Universitäten und Hochschulen und die Frage, ob und wie sie koloniale Strukturen stützen und aufrechterhalten. Zuerst möchte ich aber noch auf eine Änderung im C3 Radio hinweisen, meine Kollegin Emma hat sich beruflich anderweitig orientiert und ist künftig nicht mehr Teil der Sendung herzlichen dank, Liebe Emma, für die gute Zusammenarbeit im letzten Jahr. Und auch ich werde euch nicht mehr ewig erhalten bleiben. Im Laufe der nächsten Monate werde ich die Sendung Stück für Stück an Klemens Lobnig von der österreichischen Forschungsstiftung für internationale Entwicklung, der ÖFSE, übergeben. Klemens ist heute auch bei mir im Studio. Hallo Klemens, vielleicht stellst du dich kurz selbst vor.

Klemens Lobnig
Mein Name ist Klemens Lobnig und ich arbeite so, wie du ja bereits gesagt hast, für die ÖFSE eine der Organisationen, die im C3 - Centrum für internationale Entwicklung beheimatet ist. Ich bin dort für die Wissenschaftskommunikation zuständig und arbeite eng mit dem wissenschaftlichen Bereich und der Öffentlichkeitsarbeit in der ÖFSE zusammen. Ich freue mich schon, hier künftig eine intensivere Rolle einzunehmen und mit euch tiefer in die vielen spannenden Themen einzutauchen, mit denen wir uns im C3 beschäftigen.

Phillip Wailzer-Strobl
Sehr cool! Dann steigen wir doch gleich ein. Was hast du uns heute für ein Thema mitgebracht?

Klemens Lobnig
Wir schauen uns heute Universitäten und Hochschulen an, genauer gesagt ihre Rolle als Orte der Wissensproduktion, aber auch als Orte, die Machtstrukturen reproduzieren. Denn Universitäten geben sich nach außen hin oft international und kritisch, hinterfragen jedoch nur selten ihre eigenen Strukturen. Wir diskutieren, wie Universitäten einerseits Freiheit, Aufklärung und Fortschritt gefördert, andererseits aber koloniale Machtverhältnisse gefestigt haben. Wir nehmen eine postkoloniale Perspektive ein und sprechen über epistemische Gewalt und den Eurozentrismus in unseren Bildungssystemen. Das ist deshalb so wichtig, weil Bildung einerseits die Vergangenheit reflektiert, aber auch unsere größte Hoffnung auf eine gerechtere Zukunft darstellt.

Phillip Wailzer-Strobl
Da bin ich schon sehr gespannt. Den Ausgangspunkt unserer heutigen Sendung markiert eine Tagung, die unter dem Titel "Rassismus, Diskriminierung, koloniale Kontinuitäten - Studierende aus dem globalen Süden an Hochschulen und Universitäten" am 29 November 2024 im C3 - Centrum für internationale Entwicklung stattgefunden hat. Organisiert von der ÖFSE, der Pädagogischen Hochschule Wien, dem österreichischen Verband für Deutsch als Fremd oder Zweitsprache und der Uni Wien wurde einen Nachmittag lang über den aktuellen Forschungsstand gesprochen und Handlungsspielräume und Verbesserungsstrategien erkundet. Wir gehen heute aber sogar noch ein bisschen darüber hinaus und schauen uns das Thema aus einer praktischen Perspektive an. Aber werfen wir zuerst einmal einen Blick auf die Universität als Institution, wie sie sich entwickelt hat und was sie heute darstellt. Dazwischen hören wir auch immer wieder Aussagen von Maria Do Mar Castro Varela, Professorin für Allgemeine Pädagogik an der Alice Salomon Hochschule Berlin. Sie hat bei der Veranstaltung die Keynote gehalten.

Klemens Lobnig
Um die Rolle von Universitäten heute zu verstehen, lohnt sich ein Blick in ihre Geschichte. Die ersten Universitäten entstanden im Mittelalter die Universität Bologna zum Beispiel wurde bereits 1088 gegründet, gefolgt von Institutionen wie der Universität Paris und Oxford. Aber auch die Uni Wien ist schon ziemlich alt, sie wurde 1365 gegründet. Universitäten sind eine europäische Institution. In anderen Erdteilen entwickelten sich Universitäten erst einige 100 Jahre später.

Maria Do Mar Castro Varela
Die Universitäten sind tatsächlich eine europäische Erfindung, ein Ort, an dem Bildung nicht stattfinden soll, aber Wissensproduktion. Zunächst war es ein Ort der Wissensproduktion und der Debatte, das heißt, die Debatte ist Teil immer der Universität gewesen. Das können wir immer noch sehen, an diesen rituellen Geschichten, zum Beispiel der Verteidigung der Dissertation.

Klemens Lobnig
Ursprünglich entwickelten sich Universitäten aus Kloster- und Kathedralenschulen und waren Orte der Wissensproduktion, der Debatte und der Ausbildung kirchlicher und staatlicher Eliten. Mit der Renaissance und der Aufklärung wandelten sich die europäischen Universitäten. Sie wurden zu Zentren der Vernunft und des Fortschritts. Doch während in Europa über Freiheit, Menschenrechte und Emanzipation diskutiert wurde, breitete sich gleichzeitig der Kolonialismus über die ganze Welt aus. Europäische Universitäten spielten dabei eine doppelte Rolle. Sie waren Orte der Aufklärung einerseits, aber auch Werkzeuge imperialer Expansion andererseits.

Maria Do Mar Castro Varela
Der Zusammenhang zwischen Aufklärung, Wissen, Universität und Kolonialismus und Imperialismus, und zwar die Gleichzeitigkeit von sozusagen einer Bewegung, in der es um Freiheit, Emanzipation, um Menschenrechte geht. Und gleichzeitig eben die Unterjochung riesiger Territorien, der Versklavung vom Menschen, der Vergewaltigung von Menschen, der Raub an Ressourcen, der Zerstörung von Wissen weltweit. Das geht sozusagen einher und die Universitäten spielen hier sozusagen von Anfang an eine ambivalente Rolle, oder wie es Spiwak sagen würde, die Universitäten sind gefangen in einen Double Bind. Ein anderer wichtiger Punkt aber auch die Verbreitung der christlichen Lehren und natürlich, was häufig nicht gesehen wird, die wissenschaftliche und kulturelle Kontrolle über die kolonisierten Gebiete. Das heißt, man brauchte sozusagen wissenschaftliches Personal, was in den Kolonien also sich niederlässt und Wissen extrahiert. Ja, man hat dann später dann dann gesagt, das ist so wie dieses Modell, dass dieser Rohstoff an Wissen abgeschöpft wird in diesen Institutionen, von da aus eben nach Europa gelangt, da nochmal verfeinert wird und dann diese in Theorien gegossen wird und dann wieder zurück wandert sozusagen. In die Kolonien. Wir müssten dann schon noch mal fragen, was Internationalisierung oder Transnationalisierung bedeutet, was transnationales Wissen bedeutet, wer noch in die Lage versetzt wird, überhaupt international auch tätig zu sein und so weiter und sofort. Ich komme vor allen Dingen mit einer Perspektive aus der, die man bezeichnet, als postkoloniale Perspektive, die tatsächlich in den letzten Jahren - wahrscheinlich nicht überall, aber in Deutschland zumindesten - sehr stark unter Druck geraten ist. Also ist mir jetzt schon dreimal passiert, dass Leute mich eingeladen haben, dann auch. Sie haben sich dann durchgesetzt. Aber wo die Verwaltung der Universitätem gesagt haben: "Das kann man nicht machen, man kann niemanden einladen, der zur postkolonialen Theorie spricht." Das ist entweder nicht wissenschaftlich, sondern ideologisch oder wenn es ganz hart kommt, wird behauptet, das sei antisemitisch. Das sind so die neuen Diskurse, und das ist natürlich ein ganz klarer Hinweis darauf, dass versucht wird, bestimmte kritische Perspektiven aus der Wissenschaft auch herauszudrängen.

Phillip Wailzer-Strobl
Okay fassen wir noch einmal zusammen Universitäten, wie wir sie heute kennen, sind eine europäische Erfindung. Sie entstanden im Mittelalter aus Kloster und Kathedralschulen um Wissen zu produzieren, Debatten zu fördern und Eliten für Kirche und Staat auszubilden, aber schon ab der Aufklärung zeigt sich ihre ambivalente Rolle. Einerseits wurden sie Orte, an denen Freiheit und Emanzipation propagiert wurden, andererseits trugen sie aktiv zur kolonialen Expansion bei. Sie haben systematisch Wissen aus kolonialisierten Gebieten extrahiert, Indigenes Wissen verdrängt und koloniale Herrschaftsnarrative gestützt. Strukturen, die bis heute in den Curricula und den Machtverhältnissen vieler Universitäten nachwirken.

Klemens Lobnig
Richtig. Und jetzt wollen wir aber noch tiefer in einen zentralen Aspekt dieses Themas eintauchen, die sogenannte epistemische Gewalt. Was bedeutet dieser Begriff eigentlich? Welcher Mechanismen stecken dahinter und wie prägt diese Form der Gewalt unsere Universitäten und das Wissen, das sie produzieren? Zu diesen Fragen habe ich mit Claudia Brunner gesprochen. Sie ist Sozialwissenschaftlerin und Friedensforscherin und lehrt als Professorin am Zentrum für Friedensforschung und Friedensbildung an der Universität Klagenfurt. Im Interview erklärt sie, wie Wissensverhältnisse mit Herrschaft und Ausbeutung zusammenhängen und wie sich koloniale Strukturen bis heute in unseren Institutionen widerspiegeln. Hören wir rein! Was ist epistemische Gewalt und warum ist dieses Konzept in der heutigen Diskussion um Universitäten so zentral?

Claudia Brunner
Epistemische Gewalt als Begriff bringt zwei Dinge zusammen, die wir sonst eigentlich nicht zusammen denken. Die Sphäre des Wissens, der Bildung, auf der einen Seite: das Epistemische. Und das andere, die Sphäre der Gewalt, die meistens als etwas verstanden wird, was jenseits von Wissen und Bildung stattfindet. Epistemische Gewalt sagt: Wissensverhältnisse, haben zentral zu tun mit macht, Herrschaft und auch Gewaltverhältnissen das eine und das andere müssen wir zusammen denken, und das heißt natürlich auch, dass Universitäten und Bildungsinstitutionen darin keinen neutralen, unschuldigen Player sind, sondern aufgrund ihrer Geschichte und auch ihrer aktuellen Ausformung potenziell Teil von Gewaltverhältnissen sind. Und unsere Wissenstraditionen verstrickt sind in 500 Jahre Kolonialismus und andere Ausbeutungsverhältnisse.

Klemens Lobnig
Was verstehen Sie unter der Normalisierung von Gewalt und haben Sie dafür ein Beispiel?

Claudia Brunner
Meistens denken wir bei Gewalt an direkte physische Interpersonale Gewalt, Terroranschlag, Krieg, Vergewaltigung. Wir haben aber viele weite Gewaltbegriffe aus den sozial Geistes und Kulturwissenschaften und unter anderem den Begriff der Epistemischen Gewalt, der uns zeigt, dass Gewaltverhältnisse unterschiedliche Schichten und Dimensionen haben in unseren Denkwissen Seinsweisen abgelagert sind, in Produktionsweisen und so weiter strukturelle epistemische, normative, symbolische, unterschiedliche. Das heißt, wenn wir über die Normalisierung von Gewalt nachdenken, kommt ins Spiel, wie sprechen wir über Gewalt, über welche Gewalt, was denken wir über Gewalt, was halten wir überhaupt für Gewalt und was nicht? Und ganz spannend ist der Begriff von Judith Butler, der die normative Gewalt, die nämlich auch die Affekte mit einbezieht. Wo empfinden wir überhaupt eine mögliche Illegitimität von Gewalt, zum Beispiel im politischen Verhältnis, und wo erscheint uns etwas normal? Stichwort: Veränderung der Haltung zur Todesstrafe über die Jahrhunderte. Stichwort: Umgang mit Asylwerbern und Migranten*Migrantinnen.

Klemens Lobnig
OK, und was sind jetzt diese zentralen Mechanismen, die diese nur Normalisierung aufrechterhalten?

Claudia Brunner
Die zentralen Mechanismen sind tatsächlich in unseren Redeweisen, Denkweisen und Handlungsweisen zu finden. Ich komm noch mal auf Judith Butler zurück mit der normativen Gewalt, mit den Affekten, ja. Was empfinden wir überhaupt als Skandal und welche Art von Gewalt erscheint uns normal? Epistemische Gewalt beschreibt die theoretischen Annahmen, die wir haben, über gewisse Gewaltformen oder Ausbeutungsformen. Und viele andere Formen, sogenannte weite Gewaltbegriffe, helfen uns zu erklären, warum wir dann welche Unrechtsverhältnisse als normal oder zumindest als akzeptabel verstehen und und welche nicht. Und die Frage von Rassismus und Sexismus ist das Anschaulichste der Beispiele, wo wir unterscheiden zwischen der Norm und der Abweichung, zwischen der Dominanz und der Marginalisierung, zwischen der Privilegierten und der zu marginalisierenden Position.

Klemens Lobnig
OK, Sie sprechen öfters auch über die Kolonialität der Macht des Wissens und des Seins. Können Sie kurz erläutern, wie diese 3 Dimensionen miteinander verknüpft sind?

Claudia Brunner
Diese 3 Begriffe sind Teil eines Konzepts des aus der Dekolonialen Theorie kommt. Aus dem globalen Süden. Und es bezeichnet, dass die Nachwirkungen des Kolonialismus, die sogenannte Kolonialität, in unseren sozial und politischen Organisationsformen, also auf der Ebene der Macht, in unserer Wissensorganisation, der Ebene der Kolonialität, des Wissens und auch in unserer Seinsweise, in unserem Selbstverständnis, in der philosophischen Debatte darüber, was das Menschsein bedeutet, eingelagert sind. Das heißt 500 Jahre Kolonialismus haben sich auf der sozialpolitischen, auf der Wissensebene und auch auf dieser Seinsebene abgelagert und sind verbunden mit dominanten Wissensweisen und Organisationsweisen, die auf Ausbeutung beruhen. Die, so die Theorie, ganz zentral auf der Kombination von Sexismus und Rassismus aufruhen. Das bedeutet, es gibt bestimmte Vorstellungen davon, wer verzicht- und vernichtbar ist, wer das rationale Subjekt ist, welche dominante politische Organisationsweise, welche Wirtschaftsweise die richtige, die einzige, die wahre ist. Und das kulminiert, kulminiert ganz kurz zusammengefasst in dem was wir in der Gegenwart erleben, nämlich einem System des Kapitalismus, der von Kolonialismus gespeist ist. Und eigentlich kein alternatives Organisations und Wissens und Lebensmodell auf der Welt mehr existiert. Das heißt, unsere Gegenwart ist geprägt von diesen 500 Jahren Kolonialismus und lagert sich in unterschiedlichen Dimensionen der Kolonialität bis heute ab.

Phillip Wailzer-Strobl
Claudia Brunner hat uns gerade einen tiefen Einblick in das Konzept der epistemischen Gewalt gegeben und gezeigt, wie eng Machtverhältnisse mit der Produktion und Organisation von Wissen verknüpft sind. Besonders spannend fand ich den Hinweis auf die Kolonialität der Macht des Wissens und des Seins, also die Frage, wie 500 Jahre Kolonialismus unsere politischen, wirtschaftlichen und philosophischen Strukturen bis heute prägen.

Klemens Lobnig 

Finde ich auch! Über die Art der Wissensproduktion und welche Rolle die Reproduktion von kolonialen Wissensstrukturen dabei spielt, habe ich auch mit der Afrika-Wissenschafterin Gabi Slezak gesprochen, die sich in der ÖFSE mit dem Thema auseinandersetzt. Welche Rolle spielt die akademische und wissenschaftliche Welt bei der Reproduktion von kolonialen Wissensstrukturen?
 
Gabi Slezak
Universitäten sind ja schon über die Jahrhunderte Orte, wo Wissen aufbereitet wird. Selektiert wird auch. Also es findet hier auch eine Auswahl statt - von Wissen. Es kommen unterschiedliche Wissensbestände zusammen und diese werden aber auch immer weiter verhandelt, weil Wissen ist ja ein Produkt aus Aushandlungsprozessen. Und es ist nichts Statisches. Das Wichtige jetzt ist im Zusammenhang mit kolonialen Diskursen, kolonialen Gedanken, kolonialen Einstellungen, also das, was wir sozusagen auch koloniale Kontinuitäten zusammenfassen. Das ist ein Ergebnis einer bestimmten Zeit, einer Weltgeschichte. Ja? Und das, was so essentiell ist. Was wir sehen ist, dass diese Kontinuitäten, also diese Art und Weise, wie in der in in diesem ganzen Zeitalter der kolonialen Eroberungen, der Einteilung der Welt in unterschiedliche Regionen, in unterschiedliche - sozusagen - Herrschaftsklassen. Global gesehen. Was da passiert ist, ist, dass hier auch wissen in in in diesem Zusammenhang auch unterschiedlich eingeordnet worden ist. Und jetzt kann man natürlich sagen, OK, wir, wir bearbeiten ja an Universitäten, wir setzen uns nur mit wissenschaftlichen - also einer wissenschaftlich überprüften Wissen auseinander. Das ist aber das ist aber genau der der Punkt. Diese Frage, was wissenschaftlich bedeutet ist eben sehr eng aufgesetzt und hat sehr viel mit einer Dominanz aus einer eurozentristischen Sichtweise zu tun. Das heißt, dieses Wissen wird. Über Jahrhunderte schon wird wissen immer nach einem eurozentristischen Gesichtspunkt aus gewählt. Der Effekt ist natürlich der, dass bestimmte Wissensbestände a) gar nicht auf Universitäten Eingang finden, b) nicht als Wissen, das überhaupt wert ist, einbezogen zu werden auch Eingang findet in die Uni. Das heißt, es bleibt ausgeschlossen und dadurch haben wir einerseits natürlich die Menschen, die dieses Wissen produzieren und auch weitergeben ausgeschlossen von von diesem akademischen Diskurs. Zweitens haben wir das Wissen nicht dabei, wir wissen gar nicht, welches Wissen sozusagen ausgeschlossen ist. Und drittens ist die Art und Weise, wie wir es beschlagworten, wie wir es klassifizieren, und das sehen wir in unterschiedlichsten Ebenen. Folgt einer Logik, die nicht entkolonialisiert worden ist. Nie!

Klemens Lobnig
Und wie können jetzt Bildungsinstitutionen oder politische Organisationen zur Dekolonialisierung von Wissen beitragen?

Gabi Slezak
Also, klar ist: Diese Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit im Zusammenhang mit Wissensproduktion ist etwas, was in dem Unterricht in der Lehre, mit den Lernenden, aber auch die Lehrenden stattfinden muss. Aber diese Auseinandersetzung muss irgendwie Platz finden, weil sie sind keinem Curriculum vorgesehen. Es gibt vielleicht einzelne Studiengänge, wo das so ist. Aber diese Aufgabe ist deswegen so wichtig für Bildungsinstitutionen, weil auch die Lehrenden Teil dieses ganzen kolonialen Diskurses sind. Also wenn hier in der Ausbildung von Lehrenden keine kritische Auseinandersetzung mit Rassismus, keine kritische Auseinandersetzung mit kolonialen Denkmustern stattfindet, dann werden die unbewusst einfach weitergegeben und und wir haben eigentlich ein Fortschreiben von immer denselben Kategorisierungen, Abwertungen und auch einer einer gefühlten Andersartigkeit beziehungsweise  einer anderen Behandlungsweise von Wissen von Menschen, von Gegenden, von also eben der Welt. Also dieses Weltbild, das sozusagen geteilt ist in unterschiedlicher Kategorien, wird dadurch fortgesetzt.

Philipp Wailzer-Strobl
Jetzt haben wir sehr viel über Theoretisches gesprochen und darüber, wie es auf den Unis und im Bildungsbereich aussieht. Aber natürlich ist das Problem auch auf einer praktischen, zivilgesellschaftlichen Ebene anzugehen.

Klemens Lobnig
Stimmt und "gehen" ist ein gutes Stichwort dafür, weil im Zuge der Vorbereitung habe ich auch mit der Kultur- und Sozialanthropologin Marcela Torres Heredia gesprochen, sie hat das Kollektiv "Decolonizing in Vienna" mitbegründet und organisiert damit dekoloniale Stadtspaziergänge, bei denen sie Interessierte an Orte im ersten Wiener Bezirk führt, an denen Kolonialität sichtbar wird. Die Spaziergänger*innen sollten dabei Zeit zum Denken, reflektieren und erinnern bekommen. Was ist denn "Decolonizing in Vienna"?

Marcela Torres Heredia
"Decolonizing in Vienna" ist eine interdisziplinäre, transdisziplinäre Gruppe, die aus unterschiedlichen Personen aus unterschiedlichen Disziplinen und Hintergründe gebildet wurde. Unsere Idee ist, Ideen, die sehr viele akademischen Raum debattiert werden mit Menschen aus anderen Bereichen der Gesellschaft. Also die Verbindung herzustellen, die Möglichkeiten, den Austausch zu ermöglichen und unterschiedlichen pädagogischen Bildungsformate zu entwickeln, um Themen insbesondere mit Kolonialität und Dekolonialität zu tun haben.

Klemens Lobnig
Okay. Und wie sieht so ein Spaziergang aus? Was macht man da?

Marcela Torres Heredia
Ein Spaziergang ist an sich eine Methode, oder wir betrachten das als solche. Das ist die Methode des Verlernens, des kollektiven Verlernens. Die Idee dahinter ist, unterschiedlichen Momenten zu kombinieren. Einerseits in gewisser theoretische Information zu liefern. Was sind die Hintergründe? Die akademischen oder die theoretischen Hintergründe  von den Debatten. Andererseits Debatten, also Daten oder konkretere Ereignissen, die in der Stadt Wien zu sehen sind, zu betrachten sind, in Bezug mit den öffentlichen Raum. Und andererseits aktive Momenten zu gestalten, in denen die Menschen auch die Möglichkeit, sich selber zu reflektieren, ihre eigene Formen von Reproduktion und Widerstand gegenüber kolonialen Strukturen.

Klemens Lobnig
Wir tragen jetzt diese ganzen verschiedenen Aktivitäten zur Dekolonisierung des städtischen Raums in Wien bei?

Marcela Torres Heredia
Unser Kollektiv ist vor allem einem Vermittlungsinitiative. Was wir versuchen ist Bewusstsein zu stärken, Dialoge zu starten, Diskussionen zu erweitern. Das ist unsere Hauptidee. Wir versuchen eher, Debatten anzustoßen, und das gelingt uns, würde ich sagen, relativ gut, indem wir ganz unterschiedliche Zielgruppen erreichen. Und das ist für uns ein ganz zentrales Thema mit Dekolonialisierung: Indem das Wissen diese in sehr privilegierten akademischen Bereichen behandelt wird, auch mit anderen Menschen, mit anderen Mitteln und anderen Vokabeln oder oder Art und Weise zu sprechen eben vermittelt wird oder weitergegeben wird.

Klemens Lobnig
Welchen Einfluss hat denn die Zivilgesellschaft auf diese kolonialen Strukturen?

Marcela Torres Heredia
Einerseits eben das Bewusstsein zu gewinnen, dass wir in sehr vielen Institutionen oder Art und Weise, wie wir die Welt verstehen und betrachten, sehr stark von kolonialen Ideen geprägt sind. Das ist mal schon ein guter Beginn. Aber andererseits sehr viele Debatten, die heutzutage zentral sind, wie zu Migration, der Art und Weise, wie der Globale Süden mit dem Globalen Norden in Verbindung tritt, Ressourcenpolitik. Unsere eigene Entscheidungen als Konsument*innen haben eine gewisse Verbindung mit kolonialen Strukturen und deshalb ist es mal wichtig, das zu reflektieren, zu betrachten und kollektiv zu diskutieren.

Phillip Wailzer-Strobl
Wow, jetzt hab ich ziemlich Lust bekommen auch mit zu spazieren. Wie kann man denn da teilnehmen?

Klemens Lobnig
Das ist eigentlich ganz leicht. Interessierte können sich per E-Mail an das Kollektiv "Decolonizing in Vienna" wenden, um einen Termin für einen dekolonialen Stadtspaziergang zu vereinbaren. Das Angebot richtet sich an kleine und auch größere Gruppen ab 10 Personen. Den Link zur Website des Kollektivs findet ihr dann in den Shownotes.

Phillip Wailzer-Strobl
Lieber Klemens, das war eine spannende Diskussion heute. Leider sind wir auch schon wieder am Ende der Sendung angekommen. Für Fragen und Anregungen erreicht ihr uns unter c3radio@centrum3.at. Mehr Informationen zum Thema und zur Veranstaltung findet ihr auf der Website der ÖFSE. Ich hoffe, die Sendung hat euch gefalle. Das nächste C3 Radio gibt es dann am Montag, dem 3. März. Bis dahin: Wir hören uns!

Outro
C3-Radio, das entwicklungspolitische Radio. Aktuelles aus dem Bereich der internationalen Entwicklung.
 
 
 

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