
C3-Radio
C3-Radio, das entwicklungspolitische Radio aus dem Centrum für Internationale Entwicklung. Unser Radio-Host Klemens Lobnig beleuchtet einmal monatlich aktuelle entwicklungspolitische Themen für die Hörer_innen. Mit Interviews, Berichten, Hintergrundinformationen sowie Ausschnitten aus dem umfangreichen Veranstaltungsprogramm im C3.
Das C3-Radio ist eine Initiative der fünf Organisationen ÖFSE, BAOBAB, frauensolidarität, Paulo Freire Zentrum und Mattersburger Kreis im C3.
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Klimaschutz als Wirtschaftsmotor? Grüne Industriepolitik im Fokus
03.03.2025
C3-Radio
Klimaschutz als Wirtschaftsmotor? Grüne Industriepolitik im Fokus
Grüne Industriepolitik soll Klimaschutz und wirtschaftliches Wachstum miteinander verbinden – aber funktioniert das wirklich? In dieser Folge vom C3-Radio beleuchten wir, wie die EU und Österreich Industriepolitik gestalten, welche wirtschaftlichen und sozialen Herausforderungen es gibt und welche Rolle geopolitische Abhängigkeiten spielen.
Dazu sprechen wir mit Werner Raza (Österreichische Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung) über die EU-Strategie und mit Michael Soder (Arbeiterkammer Wien) über die Situation in Österreich. Außerdem werfen wir einen Blick auf die soziale Dimension der Transformation: Wie kann der Wandel gerecht gestaltet werden?
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Hosts: Phillip Wailzer-Strobl & Klemens Lobnig
Stimmen: Michael Soder (Arbeiterkammer Wien) & Werner Raza (Österreichische Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung)
Musik by Alisia from pixabay
00:00:10 Klemens
Willkommen beim C3-Radio, dem entwicklungspolitischen Radio aus dem Centrum für internationale Entwicklung.
00:00:18 Phillip
Hallo und Willkommen beim C3-Radio. Mein Name ist Philipp Wailzer-Strobl ...
00:00:23 Klemens
... und ich bin Klemens Lobnig.
00:00:24 Phillip
... und heute sprechen wir über ein ganz aktuelles Thema. Es geht um Industriepolitik, genauer gesagt um die grüne Industriepolitik in der EU, aber auch in Österreich. Denn die EU setzt zunehmend auf industriepolitische Maßnahmen, um einerseits ihre Klimaziele zu erreichen, andererseits ihre Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Aber vielleicht sollten wir zur Einleitung erst einmal für unsere Hörer*innen klären, was grüne Industriepolitik eigentlich ist.
00:00:49 Klemens
Genau! Wenn wir über grüne Industriepolitik sprechen, lohnt es sich, zuerst einmal einen Schritt zurückzugehen und die Grundidee von Industriepolitik zu erklären. Industriepolitik beschreibt staatliche Maßnahmen, die gezielt bestimmte Wirtschaftszweige fördern oder lenken, um wirtschaftliches Wachstum, Innovation oder strategische Unabhängigkeit zu erreichen. Dazu gehören etwa Subventionen, Investitionen in Infrastruktur, Schutzmaßnahmen für einheimische Unternehmen oder steuerliche Anreize. Ziel ist es, wirtschaftliche Entwicklung nicht im freien Markt zu überlassen, sondern aktiv zu gestalten.
00:01:24 Phillip
Was sind so typische Kennzeichen von Industriepolitik?
00:01:28 Klemens
Da gibt es mehrere. Typisch ist, dass der Staat gezielt Anreize oder Einschränkungen für bestimmte Branchen setzt. Es gibt immer eine langfristige wirtschaftspolitische Strategie, die dahinter steht. Industriepolitik ist oft mit Technologie, Handels und Energiepolitik verbunden und sie kann protektionistische Maßnahmen beinhalten, um heimische Industrien zu stärken. Industriepolitik ist also ein Gegenkonzept zu klassischen, Marktgetriebenen Wirtschaftsmodellen, bei denen Unternehmen und der Wettbewerb selbst Innovationen hervorbringen sollen. Kritiker*innen argumentieren, dass Industriepolitik den Wettbewerb verzerren kann, während Befürworter*innen betonen, dass Märkte allein nicht schnell genug auf Krisen und Herausforderungen reagieren.
00:02:11 Phillip
Und was ist jetzt grüne Industriepolitik?
00:02:15 Klemens
Grüne Industriepolitik unterscheidet sich von klassischer Industriepolitik vor allem durch ihren Fokus auf Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Das bedeutet, dass wirtschaftliche Förderung gezielt in klimafreundliche Technologien gelenkt wird, zum Beispiel in erneuerbare Energien, nachhaltige Produktion oder Recyclingtechnologien. Die EU verfolgt mit dem Green Deal genau diesen Ansatz. Durch den "NET Zero Industry Act" sollen beispielsweise europäische Unternehmen gefördert werden, die klimaneutral produzieren.
00:02:44 Phillip
Und gibt es da auch erfolgreiche Beispiele dafür?
00:02:47 Klemens
Ja klar! Industriepolitik ist ja kein neues Phänomen, es gibt eine ganze Reihe erfolgreicher historischer Beispiel dafür. Südkorea und Taiwan haben zum Beispiel in den 1960er und 1970er Jahren ganz gezielt Technologie und Exportindustrien gefördert, was ihre Volkswirtschaften weltweit konkurrenzfähig gemacht haben. Auch die USA investierten massiv in ihren Technologiesektor, von der Raumfahrt bis hin zur Digitalisierung, und sie profitieren heute noch davon.
00:03:16 Phillip
Lass uns ganz kurz zusammenfassen. Grüne Industriepolitik ist also der Versuch, wirtschaftlicher Entwicklung und Klimaschutz zusammenzudenken. Und die EU versucht aktuell mit dem Green Deal industriepolitische Maßnahmen umzusetzen. Was versteht denn die EU darunter und was hat sie in diesem Bereich genau vor?
00:03:35 Klemens
Genau darüber haben wir mit Werner Raza gesprochen. Er ist wissenschaftlicher Leiter der Österreichischen Forschungsstiftung für internationale Entwicklung und beschäftigt sich dort mit Industriepolitik. Von ihm wurde gerade ganz aktuell eine Studie veröffentlicht, die sich mit der grünen Industriepolitik der EU auseinandersetzt.
00:03:54 Werner Raza
Grüne Industriepolitik ist in der Europäischen Union vor allem im Kontext der des European Green Deals, des europäischen Grünen Deals ein Thema geworden. Und in dem Kontext versteht die Europäische Union natürlich unter grünen Industriepolitik vor allem politische Maßnahmen, die zur Dekarbonisierung der europäischen Wirtschaft beitragen sollen. Es gibt ja ein verbindliches Ziel der Europäischen Union, bis 2050 eine so quasi karbonfreie, kohlenstofffreie Wirtschaft erreicht zu haben. Bis 2030 gibt es ein Zwischenziel, das auch verbindlich ist, nämlich eben die Treibhausgase um 55% mindestens reduziert zu haben. Also in dem Kontext versteht die Europäische Union Grüne Industriepolitik als jene Maßnahmen, die dazu beitragen, diese Ziele zu erreichen. Dann gibt es natürlich darüber hinaus im europäischen Grünen Deal eine ganze Reihe weitere Ziele. Weit über 100 Einzelziele gibt es. Die erstrecken sich quer über alle möglichen Bereiche. Biodiversität, Energiewende, Mobilitätswende, Ökologisierung der Landwirtschaft, Renaturierung von Flächen aber auch im engeren Sinn industriepolitische Branchen, Grüne Technologien, Solarenergie, zum Beispiel, Windkraft oder auch Reduktion externer Abhängigkeiten in den Bereichen kritischer Rohstoffe zum Beispiel.
00:05:30 Phillip
Gibt es da schon konkrete Maßnahmen, die von der EU im Zuge des Green Deal umgesetzt werden? Und welche Branchen betrifft das eigentlich?
00:05:38 Klemens
Auch das habe ich Werner Raza gefragt.
00:05:40 Werner Raza
Also zum einen würde ich sagen, gibt es einen großen Schwerpunkt im Bereich Ausbau erneuerbarer Energien, insbesondere Windkraft, Solar, Energie, aber auch grüner Wasserstoff, zum Beispiel Biomasse, Wärmepumpen. Da gibt es Im Rahmen des sogenannten "Fit for 55" Packages eine ganze Reihe von sehr konkreten Fördermaßnahmen, die dann auch in den einzelnen Mitgliedstaaten in den letzten Jahren umgesetzt worden sind. Da hat es sozusagen durchaus Fortschritte gegeben. Ein weiter großer Bereich betrifft den Ganzen Themenbereich Wohnungen, Häuser, Wärmedämmung, Heizungstausch. Da hat es auch sozusagen in Österreich, vielen anderen europäischen Ländern große Förderprogramme gegeben. Dann gibt es einen dritten Bereich Dekarbonisierung der Schwerindustrie, vor allem der Stahlproduktion, der Zementproduktion, in weiterer Folge dann auch der Elektrizität, Elektrizitätserzeugung bzw. auch des Verkehrs, da hat es auch diverse Maßnahmen schon gegeben. Da gibt es insbesondere das europäische Handelssystem, das ja eben es der Industrie vorschreibt, für die Erlaubnis, CO2 zu emittieren, Zertifikate zu erwerben. Dieses System sozusagen, wird in den nächsten Jahren auch noch weiter ausgebaut und auf andere Sektoren ausgeweitet. Dann gibt es noch diesen großen Bereich der Unterstützung grüner Technologien, sei es im Bereich Elektromobilität, Batterien oder Halbleiter. Und dann gibt es sozusagen auch noch den ganz großen und wichtigen Bereich der Kreislaufwirtschaft. Da gibt es ja auch Ziele, diese Kreislaufwirtschaft immer weiter auszubauen, die Recyclingraten von einer ganzen Reihe von Metallen, zum Beispiel in den nächsten Jahren oder bis 2030 deutlich zu erhöhen. Das wären aus meiner Sicht sozusagen die die wichtigen Bereiche.
00:07:44 Klemens
Die EU hat in den letzten Jahren also eine Vielzahl von Maßnahmen zur Förderung erneuerbarer Energien, zur Dekarbonisierung der Industrie und zur Kreislaufwirtschaft geplant und teilweise auch umgesetzt. Diese Maßnahmen haben aber nicht nur eine klimatische Dimension, sondern spiegeln natürlich auch Wirtschaftspolitik und geopolitische Rolle. Wie diese Rolle aussieht, schätzt Werner Raza so ein.
00:08:07 Werner Raza
Also aus wirtschaftspolitischer Sicht geht es aus meiner Sicht vor allem darum, dass die Europäische Union gegenüber USA, aber auch China in den grünen, zum Teil auch in den digitalen Technologien Wettbewerbs wettbewerbsfähig bleiben möchte. Es bestehen in diesen Bereichen große Abhängigkeiten beziehungsweise auch technologische Rückstände teilweise auf Seiten der Europäischen Union. Und das ist sozusagen im Kontext auch der zunehmenden geopolitischen Auseinandersetzungen, auch der politischen Position und der neuen US-Administration der Trump Regierung bestehen doch bestimmte Befürchtungen, dass diese Abhängigkeiten zunehmend gegen die Europäische Union eingesetzt werden könnten - für machtpolitische Zwecke. Also insofern gibt es hier eine zunehmende Bedeutungssteigerung geopolitischer Faktoren. Es gibt aber natürlich auch das Problem, dass für die Europäische Union wichtige Wirtschaftszweige, Stichwort Autoindustrie, es so ist, dass diese Wirtschaftszweige eigentlich ein neues Geschäftsmodell brauchen. Die müssen eine Transformation durch durchmachen in den nächsten Jahren, sonst drohen sie sozusagen auch von der ausländischen Konkurrenz vom Markt verdrängt zu werden. Also insofern gibt es auch sozusagen genuin wirtschaftliche Notwendigkeiten, die bestehenden Geschäftsmodelle der Autoindustrie, der Chemieindustrie, viele andere Industriezweige auf neue Beine zu stellen. Und das geht auch nur wiederum, wenn sozusagen es hier technologische Innovation gibt und Investitionen auch in neue Produktionsmethoden, die dann eben auch Dekarbonisiert sein sollen. Insofern gibt es sozusagen auch genuin wirtschaftspolitische Interessen der Europäischen Union, die ja auch auf der Exportseite sehr stark vom Weltmarkt abhängt. Und wenn man da nicht sozusagen dieses neue Geschäftsmodell in den nächsten Jahren umsetzt, dann besteht auch die Gefahr, dass schlicht und einfach die die Exporte und der Absatz auf den Weltmärkten von strategisch wichtigen Produkten und und Dienstleistungen der Europäischen Union einbrechen werden.
00:10:27 Phillip
Apropos Donald Trump. Seit seiner erneuten Amtsübernahme als Präsident der USA ist er ja in aller Munde. Ich hab das Gefühl, dass zwar schon vorher bekannt war, wofür Trump steht, aber doch alle ein bisschen überrascht davon sind, welches Tempo er jetzt vorliegt und wie will der um sich schlägt.
00:10:44 Klemens
Auf jeden Fall. Auch dazu habe ich Werner Raza um eine kurze Einschätzung gebeten. Ich habe ihn gefragt, ob sich die wirtschaftspolitische Ausrichtung der EU schon geändert hat, seit Trump wieder im Amt ist.
00:10:55 Werner Raza
Das würde ich in der Form nicht sehen. Es herrscht momentan ein gewisser Schockmoment vor. Die Europäische Union ist dann doch überrascht gewesen über die politischen Initiativen und auch die muss man schon sagen, Feindseligkeit der Trump Administration gegenüber der Europäischen Union. Insofern sehe ich eher, dass die Europäische Union bestimmte Weichenstellungen, die schon vor einigen Jahren erfolgt sind, eben die im Kontext des Ausbruchs des Kriegs in der Ukraine. Dass diese Weichenstellungen sozusagen beschleunigt werden und vertieft werden. Das betrifft zum einen eben diese ganze Wettbewerbsfähigkeitsdiskussion, wo die Europäische Union sehr stark jetzt auf ein Deregulierungsprogramm setzt. Das betrifft auch die ganze Frage der ökonomischen Sicherheit, also des Zugangs zu Energiequellen, des Diversifizierung von Energiequellen, auch der Diversifizierung, des Zugangs zu kritischen Rohstoffen all das wird jetzt sozusagen beschleunigt werden. Aufgrund sozusagen der der neuen Trump Administration und ihrer politischen Positionierung. Und da besteht schon eine gewisse Gefahr, dass durch diese Schwerpunktsetzung auf Wettbewerbsfähigkeit, Resilienz, Verringerung externer Abhängigkeiten das Klimaziel und die Erreichung der Klimaziele oder und die Erreichung der der vielen Ziele eigentlich des europäischen grünen Deals, dass die ins Hintertreffen geraten.
00:12:28 Phillip
Wenn ich so in die Zukunft schaue, bin ich wirklich gespannt, wie sich die Situation um Donald Trump einpendeln wird. Aber Stichwort Zukunft, schauen wir doch voraus, Werner Raza hat uns auch verraten, wo schon Erfolge sichtbar sind und wo es noch mangelt.
00:12:42 Werner Raza
Also ich würd schon sagen, dass es Erfolge gibt. Die Erfolge würde ich vor allem in im Bereich der des Ausbaus erneuerbarer Energieträger sehen, da glaub ich, ist die Europäische Union grundsätzlich. Schon auf einem guten Weg das muss zweifelsohne weiterhin beschleunigt werden, aber wenn man sich das jetzt sozusagen über die letzten 15 Jahre zum Beispiel anschaut, dann ist es schon so, dass der Anteil der erneuerbaren Energieträger am gesamten Energieverbrauch der Europäischen Union sich mehr oder weniger verdoppelt hat. Also 2010, war der Anteil ungefähr bei 10 bis 12% am gesamten Energieverbrauch. Jetzt liegt er schon bei 25 bis 30% und damit ist die Europäische Union auch relativ nah schon dran am selbst gesteckten Ziel von 32% im Jahr 2030. Das heißt in dem Bereich sozusagen muss natürlich sozusagen weitergearbeitet werden. Es muss weiter, es müssen erneuerbare Energieträger weiter ausgebaut werden, aber da ist die Erreichung des Ziels möglich. In anderen Bereichen, wie zum Beispiel beim Verkehr oder im Bereich Biodiversität, Landnutzung, Landwirtschaft, da hinken wird deutlich nach hinter den selbst gesteckten Zielen. Und da bräuchte es sozusagen eigentlich einen Big Bush in den nächsten 5 Jahren.
00:14:03 Phillip
Es gibt also noch viel zu tun beim Übergang zu einer grüneren Zukunft, bei der die EU sowohl klimapolitisch eine Vorreiterrolle einnehmen will und sich gleichzeitig in einer schwierigen geopolitischen Lage beweisen muss. Jetzt haben wir sehr ausführlich über die EU gesprochen, aber wird auch in Österreich grüne Industriepolitik gemacht? Wie weit sind wir denn da mit der Transformation unserer Wirtschaft?
00:14:26 Klemens
Das kann uns Michael Soder beantworten. Er ist Ökonom in der Arbeiterkammer Wien und beschäftigt sich dort mit dem Thema Industriepolitik. Er hat außerdem gerade ein Buch geschrieben, "Eine Grüne Revolution: eine neue Wirtschaftspolitik in Zeiten der Klimakrise". Mit ihm haben wir über Industriepolitik in Österreich gesprochen, zur Rolle der Industriepolitik in Österreich sagte er.
00:14:50 Michael Soder
Österreich hat schon eine lange industriepolitische Tradition, eigentlich seit Jahren gehabt und es hat sich auch immer unterschiedlich ausgeprägt unterschiedlich gezeigt. Aktuell sehen wir in der Industriepolitik vor allem in Fragen der Richtung der Transformation geht, dass es ganz, ganz viele Maßnahmen gibt, auf unterschiedliche Flughöhe, auf unterschiedlichen Ebenen, die aber auf der Ebene der Einzelmaßnahmen verbleiben, also nicht kohärent in ein in eine Systematik zusammengedacht oder zusammengebunden werden. Wir haben die Klima und Transformationsoffensive gehabt. Wir haben Adaptionen in der öffentlichen Beschaffung für die nachfrageseitige Gestaltung über den öffentlichen Sektor. Aber das, was in Österreich der große Mangel ist, dass eben keine dahinterliegende Strategie bisher existiert, wie mit diesem Strukturwandel industriepolitisch umzugehen ist und dass es hier an Koordination und Abstimmung mangelt. Man muss sich in Österreich überlegen, auf welche Schwerpunkte möchte man fokussieren, wo hat man Chancen, sich in neue europäische Wertschöpfungsketten einzubringen und wie nutzen wir zum Beispiel die Forschungs- und Entwicklungsgelder, Innovationsförderung, industriepolitische Maßnahmen, um die Position Österreichs in diesen neuen Wertschöpfungsketten zu etablieren.
00:16:07 Phillip
Jetzt haben wir einiges über die Rolle der Industriepolitik in Österreich gehört. Zum Beispiel, dass es keine groß angelegte Strategie im Bereich Industriepolitik gibt, obwohl das für die Transformation zu einer grüneren Wirtschaft wichtig wäre. Aber es wurden ja auch Einzelmaßnahmen angesprochen, wie die aussehen, hat uns Michael Soder ebenfalls erklärt.
00:16:27 Michael Soder
Es gibt auf unterschiedlichen Ebenen diese Maßnahmen. Also einerseits können wir tatsächlich über Forschung und Entwicklung bestimmte, über Missionsorientierung bestimmte Zweige stärker fördern, Innovation fördern. Wir haben natürlich auch die Möglichkeit, Nachfrageseitig einzugreifen über öffentliche Beschaffungsprogramme hier Nachfrage zu generieren, um grüne Leitmärkte entstehen zu lassen und zu fördern. Und natürlich mit dem klassischen industriepolitischen Instrument der "Carrots & Sticks". Was auf europäischer Ebene auch versucht wird, manchmal besser, manchmal weniger gut anzuwenden. Das heißt über Anreize, über Förderungen eine Entwicklung zu zu beschleunigen und dann, wenn Ziele nicht erreicht werden, hier mit restriktiveren Maßnahmen, Strafzahlungen oder Sonstiges bei Nichterfüllung vorzugehen. Aber dazu braucht es ein koordiniertes Vorgehen, nämlich von der Angebotsseite, also Förderungen, Anreize, Forschung, Entwicklung und auch auf der Nachfrageseite, um diese grünen Leitmärkte entstehen zu lassen.
00:17:28 Klemens
Wir haben mit Michael Soder auch über die Chancen und Herausforderungen gesprochen, die in einer konsequenten Industriepolitik für Österreich liegen könnten. Er hat uns dabei erklärt, welche Sektoren dabei eine besondere Rolle spielen und warum das gute Nachrichten für Österreich sind.
00:17:43 Michael Soder
Wenn wir uns den Clean Industrial Deal ansehen, der jetzt aktuell diskutiert wird, sehen wir dort auf europäischer Ebene einige Schwerpunktsetzungen. Das betrifft insbesondere im Bereich der Quantentechnologien, das betrifft den Bereich der Material- und Produktionsforschung, das betrifft den Bereich der Weltraumtechnologien, das betrifft den Bereich der Kreislaufwirtschaftstechnologien. Und die gute Nachricht für Österreich ist, dass das in etwa auch alle Stärkefelder sind, die in Österreich derzeit existieren. Also wir sind gut in der Quantentechnologie, wir sind gut in Umwelttechnologie, in Kreislaufwirtschaftstechnologien, Produktions- und Materialforschung. Das sind stärkefelder, die wir in Österreich tatsächlich auch haben und die gilt es jetzt auch koordiniert mit der europäischen Ebene dementsprechend zu nutzen, um Österreich in diese Wertschöpfungsketten zu positionieren. Damit wir einerseits einen Beitrag zur Dekarbonisierung, zu dem Strukturwandel leisten können und andererseits auch hier Beschäftigungschancen und Wohlstand dadurch abzusichern. Österreich hat seit Jahrzehnten einen sehr guten Ruf im Bereich der Umwelttechnologie und Kreislaufwirtschaftstechnologien. Auf dem kann man natürlich aufsetzen. In Österreich haben wir außerdem noch die Klima und Transformationsoffensive, die sich ein guter Schritt war in diese Richtung, dort sind auch Mitbestimmungselemente verankert über die sogenannten Transformationspläne, Ich glaube, da gibt es einige sehr sehr innovative und gute Ansätze auch in Österreich. Auf die gilt es aufzubauen.
00:19:12 Phillip
Sehr spannend, dass Österreich da eigentlich gar nicht so schlechte Voraussetzungen hat, oder? Es ist ja jetzt öfter das Wort Transformation gefallen, also eine wirklich tiefgreifende Veränderung unseres Wirtschaftssystems, unseres Gesellschaftssystems eigentlich hinzu einer grünen dekarbonisierten Lebensweise. Einen Faktor haben wir aber noch überhaupt nicht angesprochen, die Gesellschaft, die eine solche Transformation ja auch mittragen muss. Stichwort: Gerechtigkeit.
00:19:37 Klemens
Ja, das stimmt. Michael Soder hat mir dazu erklärt, wie so eine Transformation vonstatten gehen muss, damit sie als gerecht und fair mitgetreten wird. Er hat in seinem Buch ein Kapitel dem Thema gewidmet, wie ein gerechter Übergang als übergeordnetes wirtschaftspolitisches Leitbild funktionieren kann.
00:19:56 Michael Soder
Es ist Realpolitisch und politisch extrem wichtig, dass die Transformation, die wir erleben, auch als fair empfunden wird, als sozial gerecht empfunden wird, dass die Menschen im Transformationsprozess, der sehr stark Unsicherheit und Verunsicherung erzeugen kann, eine Form der sozialen Sicherheit, der ökonomischen Sicherheit in diesem Umbruchprozess auch haben. Ohne einen Fokus auf den auf den Menschen, auf die Menschen in diesem Umbruchprozess droht jegliche Initiative, die den Strukturwandel beschleunigen möchte, zu scheitern. Und das ist etwas, was wir uns tatsächlich vor dem Hintergrund der Klimakrise nicht leisten werden können. Deshalb ist es umso wichtiger, diese soziale Dimension ernst zu nehmen. Das betrifft einerseits Ungleichheits- und Verteilungsfragen. Wir wissen, dass Transformationsprozesse regional unterschiedlich stark wirken. Das erzeugt unterschiedlichen starken Transformationsstress. Es ist die Chemie- und Stahlhauptstadt Österreichs Linz anders betroffen als eine Tourismusregion Rust in am Neusiedlersee. Und gleichzeitig, und das benennt auch der Draghi-Bericht zum Beispiel von der Kommission, schaffen wir nur eine Transformation, wenn wir die Menschen ins Zentrum stellen. Nämlich die Frage der Innovationsfähigkeit und der Innovationsmöglichkeiten für Beschäftigte. Da geht es auch um soziale Absicherung und Beschäftigungsbedingungen, um Beschäftigungsperspektiven in einem Umbruch, ob gewisse Branchen vielleicht stärker unter Druck geraten werden oder gänzlich verschwinden werden. Und deshalb ist es ganz wichtig, auf diese Perspektiven Entwicklung zu achten. Und das zweite Element ist neben diesem Aspekt des Menschen, der sozialen Gerechtigkeit, die sehr stark in den Vordergrund rücken muss, auch das Tempo, die Beschleunigung des Strukturwandels, was natürlich wieder zur Unsicherheit führt. Das heißt, diese Unsicherheitsfrage müssen wir auf beiden Ebenen adressieren, in den politischen Maßnahmen und Programmen.
00:21:58 Klemens
Eine sozial gerechte Transformation ist also der Schlüssel, um breite Akzeptanz für den Wandel zu schaffen. Ohne soziale Sicherheit und faire Verteilung der Lasten wächst der Widerstand, doch wenn alle mitgenommen werden, kann die grüne Wende nicht nur ökologisch, sondern auch gesellschaftlich erfolgreich sein. Arbeitsplätze zu sichern, Perspektiven für betroffene Branchen zu schaffen und wirtschaftliche Chancen gerecht zu verteilen, das sind also die Kernpunkte, von denen wir heute gehört haben. Doch wie wir gehört haben, ist die Grüne Wende und in ihrem Zuge die Industriepolitik auch eine geopolitische Notwendigkeit. Eine nachhaltige, unabhängige Wirtschaft stärkt die Resilienz Europas und macht es weniger abhängig von globalen Krisen. Das hat auch Werner Raza von der ÖFSE im Interview noch einmal nachdrücklich betont, der damit auch einen Appell an die Politik richtet.
00:22:51 Werner Raza
Ich glaube, man muss, man muss ganz klar sagen, die grüne Wende ist jetzt nicht nur klimapolitisch notwendig. Und grüne Industriepolitik ist nicht nur deshalb notwendig, dass man sozusagen die Wirtschaft dekarbonisiert, unseren Produktions- und Lebensstil ändert. Damit in Zukunft auch ein gutes Leben weiterhin möglich ist, unter diesen veränderten klimatischen Rahmenbedingungen. Sondern die grüne Wende ist sozusagen auch aus meiner Sicht ein wesentlicher, eine wesentliche Voraussetzung, um eben mit den aktuellen geopolitischen Herausforderungen besser umgehen zu können. Also die Abhängigkeit der Europäischen Union von Energieimporten oder die Abhängigkeit der Europäischen Union von Importen, von Rohstoffen. All das ist ja etwas was, was durch die grüne wende eigentlich zumindest mittel und langfristig deutlich geändert werden kann. Weil der Ausbau neuer erneuerbarer Energien reduziert unsere externe Abhängigkeit. Der Ausbau der Kreislaufwirtschaft reduziert ebenfalls unsere externe Abhängigkeit von Energieimporten und von Importen von Rohstoffen. Das heißt, in Wahrheit ergänzt sich das ja und ist die grüne Wende die Voraussetzung dafür, dass die Europäische Union auch sozusagen in der langen Frist ein eigenständiges Wirtschafts- und Lebensmodell aufrechterhalten wird können. Und das muss man, glaube ich auch den Politikerinnen und Politikern stärker ans Herz legen. Dass dieser Widerspruch, der jetzt manches Mal konstruiert wird zwischen den geopolitischen Herausforderungen und Notwendigkeiten und andererseits den klimapolitischen Herausforderungen eigentlich keiner ist. Sondern zumindest mittel und langfristig das eine oder das ohne das andere nicht funktionieren wird. Und das ist auch etwas, was man den jungen Menschen sagen muss. Gerade jetzt ist es notwendig, mit der klimapolitischen Wende weiterzumachen. Es lohnt sich jetzt sozusagen, dafür auch einzutreten, damit in Zukunft vor allem sozusagen die junge Generation auch gute Lebensbedingungen in der Europäischen Union vorfinden wird.
00:25:20 Phillip
Grüne Industriepolitik ein wirklich umfassendes Thema, das von so vielen Seiten beeinflusst wird und gleichzeitig so große Auswirkungen hat. Der Weg zu einer grünen Gesellschaft in der EU, die dabei auch noch wirtschaftlich und geopolitisch unabhängig ist, ist wohl noch ein weiter, das gibt noch viel Stoff zum Nachdenken und wahrscheinlich könnten wir jetzt noch Stunden sprechen, oder?
00:25:41 Klemens
Ja, das könnten wir tatsächlich. Leider ist unsere Zeit aber schon wieder um.
00:25:45 Phillip
Aja. Ein gutes Stichwort, denn auch meine Zeit ist in gewissem Maße um. Ich darf mich an dieser Stelle für ein Jahr C3-Radio bedanken, das ist meine letzte Sendung, in Zukunft wirst du als Host durch das C3-Radio führen.
00:25:59 Klemens
Ja, und ich möchte mich auch ganz herzlich bei Dir bedanken für die gute Zusammenarbeit im letzten Jahr und ich freue mich schon, die Sendung zu übernehmen. Und jetzt bleibt das eigentlich nichts anderes mehr übrig, als auch noch kurz auf die nächste Folge zu verweisen. In der wird es dann um die C3-Zukunftsdialoge gehen, einem neuen Veranstaltungsformat im C3 Centrum für internationale Entwicklung in Wien. Seid gespannt.
00:26:23 Phillip
Und bis dahin?
00:26:24 Klemens
Wir hören uns. C3Radio, das entwicklungspolitische Radio. Aktuelles aus dem Bereich der Internationalen Entwicklung.