4min Podcast (Deutsch)

Russische Narrative: Informationskrieg – Krieg ohne Schüsse

4min Episode 123

 Die Spezial-Miniserie des Podcasts 4 Minuten zeigt, wie die Russische Föderation Worte als Waffen einsetzt. Im Fokus stehen Narrative – Erzählungen, die die Realität verzerren, die Gesellschaft spalten und das Vertrauen in demokratische Institutionen untergraben. Schritt für Schritt zeigen wir, wie diese Narrative entstehen, warum sie wirken und wie man sich dagegen wehren kann. Jede Folge dauert etwa vier Minuten und widmet sich einer konkreten Geschichte, Behauptung oder Manipulationsform. Diese Serie richtet sich an alle, die verstehen wollen, wie heutige Kriege mit Worten geführt werden – nicht mit Waffen. 

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Wir setzen unsere Serie Russische Narrative fort. In dieser Folge schauen wir uns an, wie Information als strategische Waffe eingesetzt wird. Nicht als Waffe, die tötet, sondern als eine, die das Denken beeinflusst, die Realität verändert und Vertrauen untergräbt. Wir sprechen darüber, wie sich der Begriff von Krieg in den letzten Jahrzehnten gewandelt hat – und warum wir in der modernen Welt oft keine Panzer oder Soldaten sehen und dennoch Krieg geführt wird. Denn heute beginnt ein Krieg nicht unbedingt mit einem Schuss. Manchmal reicht eine Geschichte. Eine gut platzierte Information. Oder eine Lüge, die wie Wahrheit wirkt.

Im Jahr 2013 stellte der russische General Walerij Gerassimow in einem Fachartikel eine Idee vor, die das russische Verständnis von Konflikten grundlegend veränderte. Dieser Text ist heute als Gerassimow-Doktrin bekannt, obwohl der Autor selbst diesen Begriff nie verwendet hat. Der zentrale Gedanke: Die Grenze zwischen Krieg und Frieden verschwimmt. Statt direkter Kämpfe werden andere Mittel eingesetzt – wirtschaftliche, politische, kulturelle – und vor allem: informationelle.

Gerassimow schrieb, dass der Informationsraum in modernen Konflikten genauso wichtig sein kann wie das Militär. Angriffe richten sich nicht nur gegen militärische Ziele, sondern auch gegen die öffentliche Meinung, Werte und die Wahrnehmung der Realität. Ziel ist es nicht nur, den Gegner zu besiegen, sondern ihn zu verwirren, sein Vertrauen in das eigene System zu schwächen – und ihn im Idealfall dazu zu bringen, selbst an seiner Verteidigung zu zweifeln.

In diesem Ansatz ist Wahrheit nicht das wichtigste Werkzeug. Das Ziel ist Verunsicherung. Es geht darum, so viele Versionen eines Ereignisses zu verbreiten, dass niemand mehr weiß, was er glauben soll. Information wird so zu einem Instrument der Destabilisierung – je größer das Chaos, desto leichter die Manipulation.

Diese Form der Kriegsführung nennt man hybride Kriegsführung. Es geht dabei nicht nur um Panzer, Flugzeuge und Armeen, sondern um eine Kombination aus verschiedenen Einflussmitteln: Cyberangriffe, Propaganda, wirtschaftlicher Druck, Unterstützung extremistischer Gruppen – und vor allem die Kontrolle des Informationsraums. Hybrider Krieg ist unauffällig, schwer greifbar und oft abstreitbar. Genau das macht ihn so gefährlich.

Die Medien spielen in dieser Strategie eine zentrale Rolle. Nicht nur als Mittel zur Informationsverbreitung, sondern als Schauplatz des eigentlichen Kampfes. Wenn es gelingt, Medienkanäle zu kontrollieren – oder zumindest ihre Glaubwürdigkeit zu erschüttern – kann die öffentliche Meinung in jede beliebige Richtung gelenkt werden. Wenn Menschen den traditionellen Medien nicht mehr vertrauen, aber auch keine Werkzeuge haben, um alternative Quellen zu prüfen, sind sie besonders anfällig. Und genau auf diese Anfälligkeit zielt die Informationskriegsführung ab.

Die russische Strategie nutzt Medien, um eine parallele Realität zu erzeugen. Etwa die Vorstellung, dass der Westen der Feind ist, die Ukraine ein faschistischer Staat oder dass Russland einen gerechten Krieg führt. Diese Narrative werden nicht nur im eigenen Land verbreitet, sondern auch gezielt im Ausland – oft in den Sprachen der Zielgruppen. Es geht nicht immer darum, zu überzeugen – manchmal reicht es, Zweifel zu säen. Wenn Menschen nicht mehr wissen, was sie glauben sollen, ziehen sie sich zurück.

Im hybriden Krieg sind nicht nur Soldaten das Ziel – sondern auch ganz normale Bürgerinnen und Bürger. Wenn es gelingt, die Gesellschaft zu spalten, Institutionen zu diskreditieren und Vertrauen zu zerstören, muss man keine Schlacht gewinnen. Es genügt, wenn der Gegner beginnt, an sich selbst zu zweifeln.

Informationskrieg besteht nicht aus einer einzelnen Botschaft. Er ist ein langfristiger Prozess. Er setzt auf Wiederholung, Vielfalt und die Fähigkeit, sich aktuellen Ereignissen anzupassen. Mal werden offene Lügen verwendet, mal Halbwahrheiten, die schwerer zu widerlegen sind. Und manchmal genügt schon eine einfache Frage: Was, wenn es gar nicht so ist, wie du denkst?

Früher wurden Kriege auf Schlachtfeldern geführt. Heute spielen sie sich immer öfter auf Bildschirmen ab – in Köpfen und im täglichen Nachrichtenkonsum. Deshalb ist es so wichtig zu verstehen: Informiert zu sein bedeutet nicht nur, Zugang zum Internet zu haben. Es bedeutet, zu wissen, wie Informationen entstehen, wie sie genutzt werden – und warum manchmal die Geschichte wichtiger ist als die Wahrheit selbst.

Vielen Dank, dass Sie 4 Minuten hören. In der nächsten Folge schauen wir uns an, wie sich Russland selbst als Opfer inszeniert – und warum genau dieses Narrativ so wirkungsvoll ist.