4min Podcast (Deutsch)

Russische Narrative: Propagandageschichte – Hundert Jahre, gleiche Geschichten

4min Episode 124

 Die Spezial-Miniserie des Podcasts 4 Minuten zeigt, wie die Russische Föderation Worte als Waffen einsetzt. Im Fokus stehen Narrative – Erzählungen, die die Realität verzerren, die Gesellschaft spalten und das Vertrauen in demokratische Institutionen untergraben. Schritt für Schritt zeigen wir, wie diese Narrative entstehen, warum sie wirken und wie man sich dagegen wehren kann. Jede Folge dauert etwa vier Minuten und widmet sich einer konkreten Geschichte, Behauptung oder Manipulationsform. Diese Serie richtet sich an alle, die verstehen wollen, wie heutige Kriege mit Worten geführt werden – nicht mit Waffen. 

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Wir setzen unsere Serie über russische Narrative fort, in der wir zeigen möchten, wie Informationen als Mittel der Macht eingesetzt werden. Heute werfen wir gemeinsam einen Blick in die Geschichte, denn um die heutige Form der russischen Propaganda zu verstehen, müssen wir mehr als hundert Jahre zurückgehen. Die russische Informationsstrategie ist keine neue Erscheinung der letzten Jahrzehnte, sondern hat sich über lange Zeit hinweg entwickelt – mit bemerkenswerter Kontinuität und einem Ziel, das im Wesentlichen gleich geblieben ist. Sprache, Stil und Medien mögen sich verändern, aber die zentralen Motive und Botschaften kehren mit nahezu ritueller Regelmäßigkeit zurück.

An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert war das Russische Kaiserreich stark von Zensur geprägt, die die Stabilität des Zarenregimes sichern und alle Gedanken unterdrücken sollte, die die Autorität des Throns oder das Bild eines geeinten Imperiums gefährden könnten. Gedruckte Medien unterlagen strenger Kontrolle, und die Verbreitung illoyaler Meinungen galt als Bedrohung der öffentlichen Ordnung. Schon damals traten zentrale Elemente zutage, die bis heute das Rückgrat der russischen Propaganda bilden – die Betonung eines starken Führers, das Bild eines äußeren Feindes und das Bedürfnis nach nationaler Einheit als Überlebensstrategie.

Nach der Revolution von 1917 übernahm eine neue Ideologie die Macht, aber die Methoden der Beeinflussung blieben im Wesentlichen bestehen. Die sowjetische Propaganda war komplex und ausgeklügelt. Sie nutzte nicht nur Printmedien, sondern auch Plakate, Film, Radio und später Fernsehen. Im Zentrum des gesamten Systems stand der Mythos des heldenhaften Arbeiters, des idealen Sowjetbürgers und der unfehlbaren Führung der kommunistischen Partei. Die Außenwelt wurde häufig als verdorben, feindlich und ausbeuterisch dargestellt, während die Sowjetunion als Leuchtturm des Fortschritts, der Gleichheit und der Gerechtigkeit erscheinen sollte. Die Realität sah freilich anders aus, weshalb sie verschleiert, manipuliert und durch eine alternative Deutung ersetzt werden musste.

Die Propaganda in der Sowjetunion war nicht nur ein innenpolitisches Werkzeug, sondern auch ein zentraler Bestandteil der Außenpolitik. Über kulturelle Austauschprogramme, Medienkanäle und später durch die Zusammenarbeit mit verbündeten Regimen wurde das Bild der Sowjetunion als Beschützer unterdrückter Völker, als Kämpfer gegen den Kolonialismus und als Garant des Friedens verbreitet. Auch wenn diese Rhetorik häufig im Widerspruch zur Realität stand, hatte sie großen Einfluss auf die Wahrnehmung der Sowjetunion – auch in vielen europäischen Ländern.

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion schien es für kurze Zeit, als sei auch die Ära staatlich gesteuerter Propaganda vorbei. Die Medien öffneten sich, Meinungsvielfalt begann sich zu entfalten, und Russland erschien – zumindest nach außen hin – als ein Staat auf dem Weg zur Demokratie. Doch dieser Zustand hielt nicht lange an. Mit dem Aufstieg Wladimir Putins begann der Aufbau eines neuen Systems, das zwar moderne Technologien und die Sprache des digitalen Zeitalters nutzt, sich aber auf alte, bewährte Prinzipien stützt – die Vereinfachung der Realität, die Stärkung eines Personenkults, das Bild einer bedrohten Nation und die konstante Präsenz eines äußeren Feindes.

Putins Propaganda ist im Vergleich zur sowjetischen flexibler, oft raffinierter und vor allem schneller in der Reaktion auf aktuelle Ereignisse. Während früher das gedruckte Wort und offizielle Reden im Mittelpunkt standen, werden heute Informationen über professionell produzierte Videos, Memes, Fake-Profile in sozialen Netzwerken und scheinbar unabhängige Nachrichtenportale verbreitet. Trotz technologischen Fortschritts bleibt das Wesen jedoch gleich – die Beeinflussung des Denkens der Bevölkerung, die Rechtfertigung politischer Entscheidungen und die Vermeidung zu vieler kritischer Fragen durch die Gesellschaft.

Aus heutiger Sicht ist es sowohl faszinierend als auch beunruhigend, wie wenig sich der Inhalt der Propaganda in den letzten hundert Jahren verändert hat. Sie stützt sich stets auf das Gefühl einer Bedrohung, auf nationale Stolzgefühle, moralische Überlegenheit und die Notwendigkeit der Einheit gegenüber spaltenden äußeren Kräften. Deshalb ist es so wichtig, dass wir uns mit diesen Erzählungen auseinandersetzen, lernen, sie zu erkennen und ihre Wirkung nicht unterschätzen. Denn wenn sich Geschichte wiederholt, dann oft nicht als Tragödie – sondern als gut produziertes Video mit einem leicht teilbaren Titel.

Vielen Dank, dass Sie 4 Minuten hören. Wenn Sie sich für diese Themen interessieren, folgen Sie uns auch in den sozialen Netzwerken – Sie finden uns auf TikTok, Instagram, Facebook und auf der Plattform X, wo wir weitere Inhalte, kurze Ausschnitte und Raum für Ihre Fragen und Kommentare teilen. In der nächsten Folge beschäftigen wir uns mit dem Narrativ von Russland als dem letzten Verteidiger traditioneller Werte. Vielen Dank fürs Zuhören.