4min Podcast (Deutsch)

Russische Narrative: Die Rettung des Donbas und Sprache als Waffe

4min Episode 133

Die Spezial-Miniserie des Podcasts 4 Minuten zeigt, wie die Russische Föderation Worte als Waffen einsetzt. Im Fokus stehen Narrative – Erzählungen, die die Realität verzerren, die Gesellschaft spalten und das Vertrauen in demokratische Institutionen untergraben. Schritt für Schritt zeigen wir, wie diese Narrative entstehen, warum sie wirken und wie man sich dagegen wehren kann. Jede Folge dauert etwa vier Minuten und widmet sich einer konkreten Geschichte, Behauptung oder Manipulationsform. Diese Serie richtet sich an alle, die verstehen wollen, wie heutige Kriege mit Worten geführt werden – nicht mit Waffen. 

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Wir setzen unsere Spezial-Miniserie Russische Narrative fort, in der wir versuchen zu verstehen, wie Worte, Geschichten und historische Bilder unsere Weltsicht formen und die Haltung ganzer Gesellschaften beeinflussen. Heute konzentrieren wir uns auf eines der am häufigsten verwendeten und wiederholten Narrative, das eine Schlüsselrolle bei der Legitimierung der russischen Aggression gegen die Ukraine gespielt hat – die sogenannte „Rettung der Bevölkerung des Donbas“. Dieses Narrativ wird oft mit dem einfachen Satz zusammengefasst: „Wir retten unser Volk.“ Doch hinter diesen Worten verbirgt sich eine äußerst komplexe und zielgerichtet konstruierte Strategie.

Die russische Propaganda stellt russischsprachige Bevölkerungsgruppen in anderen postsowjetischen Staaten seit Jahren als bedrohte Minderheiten dar, die ohne Hilfe aus Moskau Unterdrückung, Diskriminierung und sogar physischer Gewalt ausgeliefert seien. In den letzten Jahren wurde dieses Bild besonders auf den Donbas übertragen – eine Region im Osten der Ukraine, in der ein erheblicher Teil der Bevölkerung Russisch als Muttersprache spricht. In diesem Kontext ist Sprache jedoch nicht nur ein Kommunikationsmittel, sondern wird zum Symbol für Identität, Loyalität und geopolitischen Raum.

Nach 2014, als die Krim annektiert wurde und der Krieg im Donbas begann, begannen russische Staatsmedien und Diplomatie, intensiv die Behauptung zu verbreiten, die ukrainische Regierung betreibe einen „Völkermord“ an der russischsprachigen Bevölkerung. Emotional aufgeladene Berichte, manipulierte Fotos und Videos wurden erstellt, um den Eindruck zu erwecken, die russische Minderheit werde brutal verfolgt und brauche sofortigen Schutz. Der Ausdruck „unser Volk“ wurde zu einem Propagandainstrument, das sprachliche Zugehörigkeit mit politischer Loyalität verknüpft.

Diese Rhetorik ist äußerst wirksam, da sie auf tief verwurzelten Vorstellungen kollektiver Verantwortung und auf Russlands historischer Rolle als Beschützer seiner „Landsleute“ jenseits der Grenzen basiert. Ähnliche Motive fanden sich bereits bei den sowjetischen Interventionen in Osteuropa, auch damals wurden sie als „brüderliche Hilfe“ dargestellt. Heute wird diese Logik in ein modernes Gewand gekleidet und als „humanitäre Intervention“ präsentiert – was in den Augen eines Teils der Öffentlichkeit legitimer erscheint als ein direkter militärischer Angriff.

Sprachliche Zugehörigkeit spielt in dieser Propaganda eine zentrale Rolle. Russische Medien und Beamte verwischen bewusst die Grenze zwischen jenen, die Russisch sprechen, und jenen, die „Russen“ sind. Viele Menschen im Donbas sprechen zwar Russisch, identifizieren sich aber als Ukrainer. Die Propaganda ignoriert dies jedoch und benutzt die Sprache als Beweis für eine „nationale Zugehörigkeit“, um politische und militärische Eingriffe zu rechtfertigen.

Während die Welt 2014 pro-russische Kämpfer und russisches Militärgerät über die Grenze kommen sah, behaupteten russische Narrative, es handle sich um einen spontanen Aufstand der Bevölkerung gegen den „faschistischen Umsturz“ in Kiew. Nach und nach wurde dieses Bild erweitert zum Schutz des „russischsprachigen Raums“, der laut russischer Propaganda systematisch von ukrainischem Nationalismus angegriffen werde.

Die Propaganda ging so weit, eine parallele Realität zu erschaffen. Ukrainische Bildungsreformen, die den Unterricht in Ukrainisch stärken sollten, wurden als sprachliche Unterdrückung dargestellt. Straßenumbenennungen, die Entfernung sowjetischer Denkmäler oder kulturelle Erneuerung wurden als „Auslöschung der russischen Kultur“ beschrieben. Alles, was ukrainische Identität stärkte, wurde als feindlicher Akt dargestellt.

Ein weiterer starker Bestandteil dieses Narrativs ist das Bild des Opfers. In den russischen Medien werden die Bewohner des Donbas als leidende Menschen dargestellt, die ohne Grund von der ukrainischen Armee beschossen und von der Welt im Stich gelassen werden. Dieses Bild wird ständig durch dramatische Videos, rührselige Geschichten und emotionale Aussagen – oft ohne Überprüfung – verstärkt. Das Ergebnis ist das Gefühl, dass Russland keine andere Wahl habe – es müsse eingreifen.

In diesem Zusammenhang entsteht eine falsche Dichotomie: Entweder wir helfen „unserem Volk“, oder es wird vom „faschistischen Kiew“ vernichtet. Dieser vereinfachte Rahmen ermöglicht es der russischen Propaganda, die komplexe Realität des Konflikts auszublenden, Diskussionen zu unterdrücken und die Aufmerksamkeit von den eigentlichen Ursachen des Krieges abzulenken.

Das Narrativ der Rettung des Donbas beseitigt gleichzeitig individuelle Verantwortung. Alles, was in der Region geschieht – von der Einführung des Rubels über die Vertreibung von Menschen bis hin zu Kriegsverbrechen – wird als notwendiger Teil des Schutzes des russischen Volkes dargestellt. Diese Einrahmung ermöglicht es, auch Gewalt zu legitimieren, wenn sie als Verteidigung dargestellt wird.

Ein wichtiger Bestandteil dieser Strategie ist auch die internationale Verbreitung dieser Narrative. Russische Kanäle in Fremdsprachen veröffentlichen häufig Berichte über die „Krise im Donbas“ oder „Menschenrechte russischsprachiger Bürger“, während sie offizielle ukrainische Positionen ignorieren oder verzerren. Ziel ist es nicht, alle zu überzeugen, sondern Zweifel zu säen.

In diesem Narrativ wird Sprache buchstäblich zur Waffe. Nicht nur als Kommunikationsmittel, sondern als Beweis für Identität, Loyalität und Gebietsanspruch. Sprache wird so zu einem geopolitischen Faktor – nicht als kultureller Reichtum, sondern als Mittel zur Manipulation.

Abschließend sei daran erinnert, dass das Narrativ der Rettung des Donbas nur ein Teil einer breiteren Informationsstrategie ist, die das Recht der Ukraine auf eigene Existenz, Sprache, Geschichte und Entwicklung infrage stellt. Und je besser wir diese Geschichten verstehen, desto besser können wir ihnen widerstehen.

Vielen Dank, dass Sie eine weitere Folge der Serie Russische Narrative gehört haben. In der nächsten Episode werfen wir einen Blick auf das Thema Biolabore und die Verschwörungstheorien, die sich darum ranken. Wenn Sie uns auch außerhalb dieses Podcasts folgen möchten, finden Sie uns auf TikTok, Facebook, Instagram und X.