Matthias Zehnders Wochenkommentar

Das Credit Suisse-Debakel aus kommunikativer Sicht

Matthias Zehnder Season 3 Episode 12

Ausgerechnet in der Branche, in der es nur um Zahlen geht, bringen Gefühle einen Koloss zum Absturz: Rechnerisch stand die Credit Suisse letzte Woche eigentlich gar nicht so schlecht da. Sie erfüllte alle gesetzlichen Kapital- und Liquiditätsanforderungen. Die Nationalbank garantierte die Liquidität. Trotzdem stürzte die Bank ab. Sie hatte ihren sozialen Kredit verspielt. Dabei spielte das Internet eine entscheidende Rolle. Banker sagen, Banking sei halt Vertrauenssache. Ich glaube, es steckt mehr dahinter. In meinem Wochenkommentar biete ich ihnen eine kleine Analyse aus Kommunikationssicht und die Learnings, die andere Firmen, Institutionen und natürlich andere Banken daraus ziehen können. Ziehen müssen.
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Matthias Zehnder ist Autor und Medienwissenschaftler in Basel. Er ist bekannt für inspirierende Texte, Vorträge und Seminare über Medien, die Digitalisierung und KI.
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Das Credit Suisse-Debakel aus kommunikativer Sicht – und was wir daraus lernen können.


Ausgerechnet in der Branche, in der es nur um Zahlen geht, bringen Gefühle einen Koloss zum Absturz: Rechnerisch stand die Credit Suisse letzte Woche eigentlich gar nicht so schlecht da. Sie erfüllte alle gesetzlichen Kapital- und Liquiditätsanforderungen. Die Nationalbank garantierte die Liquidität. Trotzdem stürzte die Bank ab. Sie hatte ihren sozialen Kredit verspielt. Dabei spielte das Internet eine entscheidende Rolle. Banker sagen, Banking sei halt Vertrauenssache. Ich glaube, es steckt mehr dahinter. In meinem Wochenkommentar biete ich ihnen eine kleine Analyse aus Kommunikationssicht und die Learnings, die andere Firmen, Institutionen und natürlich andere Banken daraus ziehen können. Ziehen müssen.


Mein Name ist Matthias Zehnder – ich gebe Ihnen hier jede Woche zu denken.

Mein Thema: Medien und die Digitalisierung.

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In einer Bank geht es um Zahlen. Um Daten und Fakten, um Prozente und Prozesse. In ihrem Kerngeschäft hatte die Credit Suisse das alles im Griff. Zum Beispiel in der Credit Suisse Schweiz. Die CS erfüllte auch letzte Woche alle gesetzlichen Kapital- und Liquiditätsanforderungen. Obwohl das Geschäftsjahr 2022 für den Konzern schwierig bis katastrophal war, konnte die Bank ihr Sicherheitspolster in den letzten Monaten sogar stärken. «Wir schaffen das», sagt der CS-Schweiz-Chef dem «Blick». Und dann stürzte die Bank ab. Dieser Absturz hat auch sehr viel mit der Kommunikation der Bank zu tun.


Verstehen Sie mich recht: Natürlich war da die lange Reihe der Skandale und die milliardenschweren Verluste. Etwa die geplatzten Investitionen in die Fonds von Greensill und Archegos, der Moçambique-Skandal, die Swiss-Secrets-Affäre oder diese seltsame Geschichte um die Beschattung von Iqbal Khan. In der Schweiz war die Credit Suisse aber immer auch eine solide, innovative Bank. Sie hat seit Jahren das beste Digital-Banking. Sie war beliebt als Bank für Firmenkunden und zwar auch und gerade bei KMU. Diese soliden Bestandteile der Credit Suisse sind in den letzten Monaten kaum mehr wahrgenommen worden. Dabei hat das Internet eine grosse Rolle gespielt. Das möchte ich mit Ihnen etwas genauer anschauen.


Die erste Frage: Ist das Internet schuld?

CS-Verwaltungsratspräsident Axel Lehmann und Marlene Amstad, Präsidentin der eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma), haben an der Medienkonferenz des Bundesrates erklärt, dass Gerüchte und Lügen in den sozialen Medien den Absturz der Credit Suisse herbeigeführt hätten. Einzelne Medien haben den Twittersturm sogar auf einen einzigen Tweet zurückgeführt. Der Australier David Taylor verschickte im Oktober 2022 eine Twitternachricht, in der er vor dem Absturz einer Grossbank warnte. Dieser Beitrag soll mitschuldig am Zerfall der Credit Suisse sein. 


Es ist die Suche nach dem Schlag jenes Schmetterlingsflügels, der am Anfang des Sturms stand. Ich glaube nicht an globale Auswirkungen solcher einzelner Meldungen. Interessant ist aber, dass in den letzten Wochen die Verunsicherung rund um die Credit Suisse sich gerade im Internet hochgeschaukelt hat. Social Media habe die Angst vor einem Kollaps der Credit Suisse in den letzten Wochen multipliziert, sagt etwa Wirtschaftsprofessor Maurice Pedergnana in einem Interview mit «20 Minuten». Und er sagt, die CS und die Nationalbank hätten diese Auswirkungen unterschätzt: «Nicht nur die CS, sondern auch die Zentralbanken waren darauf überhaupt nicht vorbereitet.» Und dann sagt er etwas, was mich zum Nachdenken gebracht hat: «Die jüngsten Liquiditätskennzahlen und die Eigenmittelquote der Credit Suisse von 14 Prozent waren beeindruckend. Aber in einer tiefen Vertrauenskrise hilft kein rationales Argument mehr.»


Das ist ein spannender Satz: In einer Vertrauenskrise hilft kein rationales Argument. Wir reden dabei nicht über Vertrauen in so etwas Diffuses wie Politiker. Wir reden über Vertrauen in ein Geschäft, das ausschliesslich aus Zahlen besteht. Das rationale Geschäft der Banken. Ausgerechnet da helfen  rationale Argumente nicht mehr. Damit lässt sich auch die Rolle der Sozialen Medien präzisieren: Sie waren Brandbeschleuniger, gewiss, sie haben Gerüchte vervielfacht und Zweifel verstärkt. Ein Beispiel dafür ist ein Tweet, den Martin Steiger letzte Woche abgesetzt hat. Steiger ist Anwalt und Unternehmer für Recht im digitalen Raum. Er twitterte am Donnerstag: «Ich frage ja ungern, aber gibt es einen Grund, allfälliges Geld bei der #CreditSuisse _nicht_ ASAP rauszuholen?» Aus solchen Tweets entsteht ein Bild: Wenn die Anwälte das sinkende Schiff verlassen, gilt es ernst.  


Aber warum können einzelne Twitternachrichten eine so zerstörerische Wirkung entfalten? Wenn die Zahlen doch gut sind… Das Problem ist: Die Zahlen sprechen eine andere Sprache. Die allermeisten Menschen können die Rechnungen einer Bank nicht nachvollziehen. Die jetzige Führungscrew der Credit Suisse, der CEO und der Verwaltungsratspräsident, das sind, so weit ich das von meinem Bürostuhl aus beurteilen kann, solide Zahlenmenschen. In der Sache ist das gut. Das Problem ist, dass sich eine Bank in der Kommunikation nicht auf die Zahlen verlassen darf. Oder, wie Pedergnana sagt: «Alle Bilanzzahlen, alle Sicherheitsgarantien nützen nichts, wenn sich die Angst auf Social Media verselbstständigt und vervielfacht.» 


Vertrauensverlust und Angst sind starke Gefühle. Solche Gefühle kann man nicht mit rationalen Argumenten bekämpfen. Man muss sie emotional angehen. Und zwar rechtzeitig. Wenn es zum Herdentrieb kommt, ist es zu spät. Gegen eine weltweite, digitale Stampede ist jedes Unternehmen heute machtlos. Erst recht eine Bank. Denn das Onlinebanking ist nur einen Klick von Twitter entfernt. Und online lassen sich in den meisten Fällen Gelder rasch und unkompliziert abziehen. 


Was heisst das, eine solche Situation emotional anzugehen? Mit blosser Werbung ist es nicht getan. Das zeigt auch und gerade die Credit Suisse: Die Bank war im Werberaum präsent mit Kampagnen und mit ihren Sponsorings sowieso. Ich meine, eine Bank muss eine Geschichte erzählen. Das gilt nicht nur für Banken: Alle Unternehmen, alle Institutionen müssen Geschichten erzählen, an denen ich teilhaben kann. Je abstrakter das Geschäft, desto konkreter muss diese Geschichte sein. Ich meine damit nicht die Geschichte im historischen Sinn, sondern im Sinn einer Story. Wir Menschen sind «Storytelling Creatures» – Geschichten erzählende Wesen. Die meisten von uns haben wenig Ahnung von Zahlen und Buchhaltung, von Geschäftsmodellen und Renditen. Aber wir alle erkennen eine gute Geschichte und erzählen sie auch gerne weiter. 


Das kann eine simple Geschichte sein wie die der Basler Bäckerei Kult, die sagt: «Wir verwandeln täglich ehrliche Rohstoffe in kostbaren Lebensmitteln. Wir nehmen uns Zeit, Dinge selber zu machen.» Das ist nachvollziehbar, eine Story, die man versteht, auch wenn man keine Ahnung hat vom Brot, das da gebacken wird. In den letzten Monaten hat die Credit Suisse keine Story mehr erzählt. Vielleicht haben sich die Banker gesagt, dass ihre Zahlen für sich sprechen. Aber das tun sie eben nicht. Auch als Kunde hat man von der Credit Suisse in der Schweiz kaum je mehr gehört als die üblichen Marketingfloskeln für irgendein neues Konto-Päckli. Dabei hätte die Bank durchaus eine Story erzählen können. Als digitale Bank, als Bank für KMUs, für Hausbesitzer. 


Ich glaube, je abstrakter ein Geschäft ist, desto mehr Aufmerksamkeit muss eine Firma, eine Institution ihrer Story widmen. Es ist wie mit dem Betrunkenen in der Geschichte, die Paul Watzlawick in seinem Buch «Anleitung zum Unglücklichsein» erzählt. Die Geschichte geht so: «Unter einer Strassenlaterne steht ein Betrunkener und sucht und sucht. Ein Polizist kommt daher, fragt ihn, was er verloren habe, und der Mann antwortet: ‹Meinen Schlüssel.› Nun suchen beide. Schliesslich will der Polizist wissen, ob der Mann sicher ist, den Schlüssel gerade hier verloren zu haben, und jener antwortet: ‹Nein, nicht hier, sondern dort hinten – aber dort ist es viel zu finster.›»


Wir alle neigen zum Paradoxon der Strassenlaterne. Wir können fachlich nicht beurteilen, ob die Ärzte in einem Spital gut arbeiten. Aber wir können beurteilen, wie gut das Essen schmeckt, wie freundlich das Personal ist und wie es im Spital riecht. Also beurteilen die meisten Menschen ein Spital aufgrund dieser Faktoren. Sie suchen den Schlüssel unter der Stassenlaterne. Die meisten Menschen können nicht beurteilen, wie gut eine Bank wirklich arbeitet. Aber sie können die Geschichte verstehen, die eine Bank erzählt. Aber die Credit Suisse erzählte uns keine Geschichte mehr.


Dabei gilt die alte Regel: Wer nicht redet, über den wird geredet. Wenn eine Firma oder eine Institution keine Geschichte erzählt, dann erzählen sich die Kunden und die Öffentlichkeit halt die eigenen Geschichten. Genau das ist bei der Credit Suisse passiert. Das lag nicht nur an den Problemen, die die Bank zweifellos hatte, es lag vor allem am Schweigen der Bank. Der Bank und ihrer Manager und Verwaltungsräte.


Was können wir daraus lernen? 


1) Reden ist Gold: Wer nicht redet, über den wird geredet. Jede Firma, jede Institution muss die eigene Story ständig weitererzählen. Gerade im Zeitalter der sozialen Medien. Dafür braucht es keine komplizierte Technik, sondern vor allem eine gute Geschichte. Eine Story, die sich die Menschen gerne weitererzählen.


2) Das Strassenlaternenparadox: Die Menschen brauchen verständliche und nachvollziehbare Geschichten, die sie weitererzählen können. Je komplexer das Geschäft einer Firma, je komplizierter der Kern einer Institution ist, desto mehr können, ja müssen sich diese Geschichten vom Kerngeschäft unterscheiden.


3) Emotionen emotional angehen: Das vergessen gerade gute Manager gern. Zahlen sind noch keine Gefühle. Oder nur für Buchhalter. Emotionen müssen emotional gefüttert, gesteuert und allenfalls gebremst werden. Das Problem dabei: Menschen reagieren emotional viel schneller als rational.  


Für wen gilt das? Für alle. Firmen und Institutionen, internationale Holdings und kleine KMUs. Vor allem gilt es für Banken, Versicherungen und andere Firmen, die ähnlich abstrakte Geschäftsfelder belegen. Darum, liebe Banken, investiert in Eure Geschichten. Macht nicht den Fehler der Credit Suisse und vertraut nur auf Zahlen und komplizierte Fakten. Bei den meisten Menschen steht die Strassenlampe anderswo.


Soviel für heute. Drücken Sie doch noch schnell den Abonnieren und den Gefällt mir Knopf, dann hören wir uns in einer Woche wieder.

Alles Gute.