Matthias Zehnders Wochenkommentar

Die unerträgliche Machbarkeit des Seins

Matthias Zehnder Season 5 Episode 43

Es war ein durchaus spannender Tag: intensive Diskussionen mit angehenden Managern über die Auswirkungen von KI in Unternehmen. Dabei war viel die Rede von smarten Zielen, von Effektivität und Effizienz und vom strategischen Dreieck zwischen Zielen, Ressourcen und Prozessen. Von der KI als Disruptor und als neues Werkzeug, als Beschleuniger, Effizienzmaschine und intelligenten Assistenten. Und dann hatte ich genug. Mir schien ganz plötzlich, dass all die Managementwörter, das Reden über Chancen und Potenziale, über Innovationen und Märkte, am Wesentlichen vorbeigehen: Warum das alles? Seid Ihr so sicher, dass sich die Welt in einer Excel-Tabelle abbilden lässt? Kommt es nicht vielmehr auf den Willen von uns Menschen an, auf Inspiration und Kreativität, darauf, dass wir nach Glück und Zufriedenheit streben? Die KI macht alles, was man ihr sagt. Die KI ist eine Macherin. Sie gibt uns die Illusion von Machbarkeit. Zu Hause, an meinem Büchergestell, ist mir «Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins» in die Hände gefallen, der wunderbare Roman von Milan Kundera über die schwierige Liebe zwischen Tomas und Teresa. Milan Kundera zeigt in seiner Geschichte, dass unverbindliche Leichtigkeit und Liebe sich nicht vereinbaren lassen: Die Leichtigkeit wird im Angesicht der Liebe unerträglich. Mir scheint, uns droht eine ähnliche Unerträglichkeit. Ein Leben ohne Grenzen ist sinnlos. Lassen Sie uns deshalb über die unerträgliche Machbarkeit des Seins nachdenken.

Matthias Zehnder ist Autor und Medienwissenschaftler in Basel. Er ist bekannt für inspirierende Texte, Vorträge und Seminare über Medien, die Digitalisierung und KI.
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